Tenor:
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 18.05.2009 und der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2006 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger mit einem DAISY-Abspielgerät zu versorgen.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Versorgung mit einem so genannten DAISY-Player.
Der 1953 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist auf Grund einer Augenerkrankung beidseitig erblindet. Er verfügt weder über einen MP3-Player, DVD-Player, Festplattenreceiver mit DVD/CD-Laufwerk noch über einen PC bzw Laptop. Einen Computer kann er auf Grund seiner Erblindung nicht bedienen; die Braille-Schrift beherrscht er nicht. Notwendige Informationen bezieht er bisher im Klageverfahren überwiegend von Familienmitgliedern, die ihm - soweit ihre Zeit es zulässt - die Tageszeitung, aktuelle Zeitschriften und politische Informationen vorlesen. Bankgeschäfte tätigt er unmittelbar in seiner Sparkassenfiliale, Medikamentenhinweise müssen vom Apotheker oder Familienmitgliedern vorgelesen werden. Wichtige Informationen und Telefonnummern spricht sich der Kläger auf ein Diktiergerät auf, das er bei Bedarf abhört.
Er ist Mitglied der Blindenstudienanstalt M , wo er das DAISY-System kennenlernte. DAISY (Digital Accessible Information System - Digitales System für den Zugang von Informationen) ist der Name eines weltweiten Standards für navigierbare, zugängliche Multimedia-Dokumente (hierzu und zum Folgenden: Stichwort DAISY-Hörbuch in Wikipedia, http://de.Wikipedia.org/w/index.php?title=DAISY-H%C3%B6rbuch&printable=yes, recherchiert am 17.12.2009). Es wurde ab 1992 von einer schwedischen Blindenbücherei entwickelt, im Mai 1996 wurde von sechs nationalen Blindenbüchereien das internationale DAISY-Consortium gegründet, das seither die Entwicklung des neuen Hörbuch-Standards weltweit koordiniert. Seit dem Jahre 2000 wird der DAISY-Standard von der Firma Microsoft unterstützt, im Jahre 2001 wurden die ersten Abspielgeräte für digitale Hörbücher von verschiedenen Herstellern präsentiert. Seit 2002 haben Blindenbüchereien in Deutschland und der Schweiz, in Skandinavien und Großbritannien sowie in Japan, Kanada und den USA mehr als 128.000 DAISY-Hörbücher produziert. Diese sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht im Handel erhältlich, die Blindenbüchereien dürfen sie nur an ihre Nutzer verleihen. Im September 2005 wurde in Zürich das erste DAISY-Hörbuch in Europa im Buchhandel präsentiert. Seit August 2006 werden DAISY-Hörbücher in Deutschland auch zum kostenpflichtigen Download angeboten. Seit Herbst 2008 erscheint eine umfangreiche Edition "DAISY-fizierter" Hörbücher, die auch über den Sortimentsbuchhandel vertrieben werden. Kennzeichen des DAISY-Hörbuches sind umfassende hierarchische Navigationsfunktionen. Der Benutzer kann nicht nur von Kapitel zu Kapitel springen, sondern über mehrere Hierarchiestufen vom Kapitel über die Seitenzahl bis zum einzelnen Satz oder einer Fußnote und wieder zurück springen. Das DAISY-Hörbuch bietet vielfältige Darstellungsfunktionen, als reines Hörbuch oder zB als Volltext-Hörbuch. Dabei kann der Benutzer immer die Sprechgeschwindigkeit regulieren, ohne dass sich die Vorlesestimme verändert. Das DAISY-Hörbuch bietet intelligente Bearbeitungsfunktionen. Der Benutzer kann beliebig viele Buchzeichen platzieren, das DAISY-Abspielgerät zeigt die markierten Textstellen wieder an. Mit hochwertigen Abspielgeräten kann der Benutzer Notizen zum gelesenen Text aufsprechen.
Im Februar 2006 beantragte der Kläger unter Vorlage einer augenärztlichen Bescheinigung des Dr H vom 30.01.2006 sowie eines Kostenvoranschlages der Firma B R A vom 20.01.2006 für ein Vorlesegerät PTN 1 zum Preis von 411,82 EUR die Leistungsgewährung durch die Beklagte. Diese lehnte den Antrag mit formlosem Bescheid vom 15.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2006 ab, weil es sich beim "DAISY-Player" vergleichbar einem leistungsstarken MP3-Player um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele, für den keine Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe. Die Versorgung mit einem entsprechenden Gerät sei zudem unwirtschaftlich, weil im Vergleich zu einem Lese-Sprech-Gerät der Informationsbedarf nur in sehr geringem Maße befriedigt werde, sodass letztere trotz ihres höheren Preises als die wirtschaftlichere Versorgung anzusehen seien.
Hiergegen hat der Kläger am 02.11.2006 Klage zum Sozialgericht (SG) Koblenz erhoben und geltend gemacht, zwar könnten CD-Roms von DAISY-Hörbüchern mit einem MP3-Player abgehört werden, hierbei stünden jedoch die komplexeren Funktionen des DAISY-Abspielgerätes nicht zur Verfügung, die speziell für blinde Benutzer entwickelt worden seien. Das SG hat von Dr H einen Befundbericht vom 08.02.2007 eingeholt und von der Firma A P G (EDV Beratung - Blindenlesesysteme) eine Auskunft vom 30.05.2007 beigezogen. Danach bieten DAISY-Player die Möglichkeit, speziell aufbereitete Texte (auf CD) im DAISY-Format derart abzuspielen, dass eine Auswahl/Anwahl von Kapiteln, Textpassagen usw möglich wird. Dies sei besonders wichtig bei tabellarischen Texten, wie zB TV- oder Hörfunkprogrammzeitschriften, die im DAISY-Format angeboten würden. Anders als bei Lesesystemen, die Tabellen nur fortlaufend, Spalte für Spalte vorlesen könnten, sei es mit DAISY-Abspielgeräten möglich, einzelne Programme und gewisse Zeitfenster anzuwählen, um sie gezielt vorlesen zu lassen. Ähnliche Vorteile böten sich etwa beim Studieren von Lexika und Fachbüchern, wenn sie im DAISY-Format vorlägen. Auch bestehe die Möglichkeit, Lesezeichen im Text zu setzen, um das Wiederfinden bestimmter Textstellen zu ermöglichen. Das Abspielen normaler Hörbuch- oder Musik-CDs sei ebenfalls möglich. Von Blindenhörbüchereien gebe es Hörbücher im DAISY-Format, die mit handelsüblichen CD- oder MP3-Playern nicht abgespielt werden könnten. Die Handhabung der DAISY-Abspielgeräte sei speziell auf die Bedürfnisse blinder Nutzer abgestimmt. Die Tasten seien großflächig, mit größerem Abstand zueinander angeordnet und unterschiedlich gestaltet, sodass die zur Verfügung stehenden Funktionen anhand der Tastenposition und der Tastenform besonders gut zu "erfühlen" seien. Hinzu kämen sprachliche Hilfs-, Info-Ansagen und Klänge, die über die jeweilige Funktion Auskunft erteilten.
Durch Urteil vom 18.05.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe nach Maßgabe des § 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm § 33 Abs 1 S 1 SGB V keinen Anspruch auf Versorgung mit einem DAISY-Abspielgerät. Nach den genannten Vorschriften hätten Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit das begehrte Hilfsmittel nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen sei oder nach § 34 Abs 4 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sei. Das begehrte Vorlesegerät werde zwar nicht von der nach § 34 Abs 4 SGB V erlassenen Rechtsverordnung zur Bestimmung von Heil- und Hilfsmitteln von geringem oder umstrittenen therapeutischem Nutzen oder geringem Abgabepreis erfasst. Es bestünden jedoch entgegen der Entscheidung des SG Fulda vom 15.05.2008 (S 4 KR 572/06, juris) erhebliche Zweifel, ob es sich nicht doch um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele. Das Gerät sei zwar ausdrücklich für Sehbehinderte konstruiert und produziert worden, unterscheide sich jedoch nur in wenigen einzelnen Funktionen von handelsüblichen Abspielgeräten. Ungeachtet dessen sei eine Versorgung des Klägers mit dem DAISY-Abspielgerät jedoch unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes des § 12 Abs 1 SGB V ausgeschlossen, weil durch das Gerät die beim Kläger bestehenden Beeinträchtigungen nur in geringem Umfang kompensiert würden und es hierfür im Ergebnis finanziell zu aufwendig sei. Die vorteilhaften Funktionen des DAISY-Players gegenüber handelsüblichen Abspielgeräten seien nur beim Abhören von Schriftstücken im DAISY-Format gegeben. Das Lesen individueller Schriftstücke, etwa einer hinterlassenen Notiz, eines privaten oder behördlichen Schreibens, eines Telefonverzeichnisses, von Rechnungen oder Bankauszügen sowie Medikamentenbeipackzetteln oder einer Bedienungsanleitung, sei hingegen mit dem begehrten Vorlesegerät nicht möglich. Umgekehrt könnten sehbehinderte Menschen heute durch die Vielzahl der angebotenen Audiobücher relativ unproblematisch Literatur und auch Sachbücher mit handelsüblichen Abspielgeräten anhören, sodass ein DAISY-Abspielgerät im Ergebnis nur einen geringen Zusatznutzen eröffne. Erst durch die Versorgung mit einem für Sehbehinderte gängigen Vorlesegerät würde ein deutlicher Zusatznutzen gerade durch die Möglichkeit zur Kenntnisnahme auch von individuellen Texten erreicht. Das SG hat die Berufung in den Entscheidungsgründen seines Urteils zugelassen.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 08.07.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.07.2009 Berufung eingelegt. Er betont, der DAISY-Player biete genau die geeignete Form der Informationsbeschaffung, die er benötige und die durch handelsübliche Abspielgeräte nicht gewährleistet werde. Es sei widersinnig, ihn auf deutlich teurere optische Lesegeräte, für die er keinen Bedarf habe, aus Gründen der Wirtschaftlichkeit zu verweisen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 18.05.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 15.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit einem DAISY-Abspielgerät zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.