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Urteil
Beihilferechtliche Prüfung - medizinische Notwendigkeit eines Hörgeräts - Berufliche Anforderungen - Anforderungen im allgemeinen Lebensbereich - Antrag auf Zulassung der Berufung

Gericht:

OVG NRW 1. Senat


Aktenzeichen:

1 A 1249/10 | 1 A 1249.10


Urteil vom:

03.02.2012


Grundlage:

  • VwGO §124 Abs.2 Nr.1, 3 u. 5

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 2.371,60 Euro festgesetzt.

Rechtsweg:

VG Münster - 5 K 1169/07

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 3 und 5 VwGO sind nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen auf der Grundlage der Darlegungen des Klägers nicht vor.

1. An der Richtigkeit des Urteils erster Instanz bestehen keine ernstlichen Zweifel, die eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen. Zweifel solcher Art sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Der die Zulassung der Berufung beantragende Beteiligte hat hierzu gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO die Gründe darzulegen. Eine hinreichende Darlegung in diesem Sinne erfordert es, unter eingehender Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil dessen Fehlerhaftigkeit zu erklären und zu erläutern. Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags die Zulassungsfrage beurteilen können, ohne weitere aufwändige Ermittlungen anstellen zu müssen.

Beschluss des Senats vom 14. März 2011 - 1 A 366/09 -, juris, Rn. 7 f., m. w. N.

Gemessen an diesen Anforderungen sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht gegeben bzw. nicht hinreichend dargelegt.

a) Auf der Grundlage der Darlegungen des Klägers bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Innenhörschwerhörigkeit des Klägers lasse sich im Alltag, ohne Berücksichtigung seiner beruflichen Anforderungen, mit digitalen Hörgerätesystemen ausgleichen, die zu dem von der Beklagten als beihilfefähig anerkannten Höchstbetrag von 1.050 Euro je Hörgerät erworben werden könnten. Insbesondere komme das Hörgerät Phonak Extra 211 AZ in Frage.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht nur alltägliche und nicht auch berufliche Anforderungen an Hörgeräte berücksichtigt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist maßgebend für die Frage der (medizinischen) Notwendigkeit im Beihilferecht nur der allgemeine Lebensbereich, d. h. die gewöhnlichen, im Regelfall vorkommenden Lebensbedürfnisse und Aktivitäten. Hilfsmittel, die ausschließlich durch eine berufliche Tätigkeit erforderlich werden, dienen nicht unmittelbar dem Ausgleich des Körperleidens. Sie fallen nicht in den Regelungsbereich der Beihilfeverordnung, weil sie den von ihr festgelegten Rahmen überschreiten.

BVerwG, Urteile vom 15. Dezember 1983 - 2 C 66.81 -, ZBR 1984, 274 = juris, Rn. 15, und vom 30. Juni 1983 - 2 C 36.81 und 2 C 37.81 -, DVBl. 1984, 429 = juris, Rn. 28, 30.

Dem entspricht auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Versorgung mit Hilfsmitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung.

BSG, Beschluss vom 4. August 2011 - B 3 KR 7/11 B -, juris, Rn. 8, und Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R -, BSGE 105, 170 = juris, Rn. 16 f.

Das Verwaltungsgericht hat sich zur Begründung der Annahme, auch günstigere Hörgeräte genügten für den Kläger, auf ein Sachverständigengutachten einer Hörgeräteakustikerin bezogen.

Diese maß zunächst während einer Vorlesung des Klägers am 27. Oktober 2009 die unterschiedlichen Schallpegel. Am folgenden Tag überprüfte sie die Leistungsfähigkeit des vom Kläger getragenen Systems Phonak Savia Art 311 dSZ anhand des Freiburger Sprachverständnistests nach DIN 45621. Das Hörgerät Phonak Extra 211 AZ stellte sie nach den Audiogrammdaten aus dem Jahre 2007 ein, die auch der Einstellung des Hörgerätes Phonak Savia Art 311 dSZ zugrunde liegen, und untersuchte dann das Hörvermögen des Klägers mit dem Gerät Phonak Extra 211 AZ anhand eines audiometrischen Messverfahrens. Anschließend verglich die Gutachterin die jeweils gemessenen Werte beider Hörgerätesysteme. Dabei stellte sie fest, dass die Messergebnisse in ruhiger Umgebung annähernd gleich waren und mit dem Phonak Extra 211 AZ im Störgeräusch ein um 30% besseres Ergebnis erzielt wurde.

Der Kläger hat die Annahme des Verwaltungsgerichts, günstigere Hörgeräte genügten im Alltag, um seine Schwerhörigkeit auszugleichen, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Er zweifelt zwar daran, dass die Untersuchungsmethoden der Sachverständigen geeignet waren, und stellt das Untersuchungsergebnis in Frage, wonach beide Hörgerätesysteme vergleichbar seien. Es ist jedoch nicht rechtlich relevant, ob günstigere Hörgeräte ein vergleichbar gutes Hören ermöglichen wie die teuren Hörgeräte des Klägers. Maßgeblich ist allein, ob das günstigere Hörgerät ein ausreichendes Hören im Alltag ermöglicht. Diese Annahme des Verwaltungsgerichts hat der Kläger nicht substantiiert angegriffen. Er behauptet insoweit nur pauschal, aller Voraussicht nach, zumindest jedoch möglicherweise wäre festgestellt worden, dass das getestete Vergleichsgerät Phonak Extra 211 AZ nicht in der Lage sei, seine erhebliche Innenohrschwerhörigkeit auszugleichen. Eine solche bloße Vermutung legt aber keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung dar.

Der Kläger rügt weiter, die Hörgeräte Phonak Savia Art 311 dSZ und Phonak Extra 211 AZ seien auch deswegen nicht vergleichbar, weil letzteres in der von der Sachverständigen gewählten Einstellung keine notwendigen Leistungsreserven mehr zur Verfügung gehabt habe. Zur Begründung beruft er sich auf das Schreiben seines Hörgeräteakustikers vom 2. Juni 2010. Danach sollte bei der Versorgung mit Hörsystemen eine Verstärkungsreserve von mindestens 10 dB und höher gewährleistet sein, damit eine eventuelle, spätere Hörverschlechterung nachkorrigiert werden könne.

Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Denn der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, dass eine solche Verstärkungsreserve medizinisch notwendig ist. Weder hat er schlüssig vorgetragen und belegt, dass bei allen Schwerhörigen stets mit einer Hörverschlechterung zu rechnen ist, noch, dass im Mai 2007 bei ihm eine Hörverschlechterung konkret zu befürchten war.

b) Es bestehen weiter keine ernstlichen Zweifel an der Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kläger hätte das günstigere Vergleichsgerät Phonak Extra 211 AZ zum Preis von 1.050 Euro pro Hörgerät kaufen können. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht sich auf eine entsprechende Feststellung der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen bezogen. Diese hat der Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Es ist Sache des Klägers, zur Begründung des behaupteten Beihilfeanspruchs die Notwendigkeit und Angemessenheit der von ihm beschafften, ihrem Preis nach den Höchstbetrag überschreitenden Hörgeräte in geeigneter Weise zu belegen. Ihm obliegt es also, unter durchaus möglicher Vorlage geeigneter Bescheinigungen des Hörgeräteakustikers und/oder des behandelnden Arztes substantiiert vorzutragen, dass ein im Wesentlichen gleich geeignetes, aber preisgünstigeres Hörgerät nicht zur Verfügung steht/gestanden hat.

Beschluss des Senats vom 31. August 2011 - 1 A 1958/09 -, juris, Rn. 7 ff. m. w. N. = NRWE.

Um die Aussage einer Sachverständigen zum Preis von Hörgeräten in Zweifel zu ziehen, genügt es vor dem Hintergrund allgemein bekannter, mitunter erheblicher Preisdifferenzen nicht, lediglich ein Schreiben des eigenen Hörgeräteakustikers vorzulegen, wonach das genannte Hörgerät im Mai 2007 ohne die zusätzlich nötigen Ohrpassstücke 1.350 Euro pro Stück gekostet habe. Denn aus diesem Schreiben ergibt sich nur, dass dieser Preis damals bei diesem Hörgeräteakustiker bestand, aber nicht, dass das Gerät im Mai 2007 überall gleich teuer gewesen wäre.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird, und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung des Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. Ist die aufgeworfene Frage eine Rechtsfrage, so ist ihre Klärungsbedürftigkeit nicht schon allein deshalb zu bejahen, weil sie bislang nicht obergerichtlich oder höchstrichterlich entschieden ist. Nach der Zielsetzung des Zulassungsrechts ist vielmehr Voraussetzung, dass aus Gründen der Einheit oder Fortentwicklung des Rechts eine obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidung geboten ist. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt deshalb, wenn sich die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsmethoden und auf der Basis der bereits vorliegenden Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt.

Vgl. Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2011 - 1 A 1925/09 -, juris, Rn. 31 m. w. N. = NRWE.

In Anwendung dieser Grundsätze greift das dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugeordnete Zulassungsvorbringen nicht durch.

a) Die zunächst als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,

"ob und gegebenenfalls inwieweit besondere berufliche Vorgaben, die erhöhte Anforderungen an das Hörvermögen stellen und demzufolge die Prüfung mit einem höherwertigen Hörgerätesystem nötig machen, bei der Prüfung der Aufwendungen i. S. d. § 3 Abs. 1 BVO NRW zu berücksichtigen sind",

hat keine grundsätzliche Bedeutung. Wie unter 1. dargelegt, lässt sie sich aufgrund der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne Weiteres verneinen.

b) Die weiter aufgeworfene Frage der Angemessenheit des aktuell beihilfefähigen Höchstbetrages für Hörgeräte von 1.050 Euro pro Ohr hat hier ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Denn sie war für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungsrelevant. Die Einzelrichterin ist auf Seite 11 des angefochtenen Urteils davon ausgegangen, dass der Kläger ein medizinisch ausreichend gutes Hörgerät zu diesem Preis hätte kaufen können. Daher stellt sich hier nicht die Frage der Angemessenheit des Höchstbetrages.

c) Soweit der Kläger meint, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung aufgrund des Urteils des Bundessozialgerichts vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - und der darin enthaltenen Wertung, genügen seine Ausführungen schon nicht den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung i. S. d. §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Er hat in Bezug auf das genannte Urteil keine Frage ausformuliert und substantiiert ausgeführt, warum er sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich hält und aus welchen Gründen er ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zumisst.

3. Die Berufung ist schließlich nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensmängel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Solche Verfahrensmängel liegen nicht vor. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe gegen die Amtsermittlungspflicht in § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, ist unbegründet.

Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht hätte die Frage, wie viel das Hörgerät Phonak Extra 211 AZ im Mai 2007 gekostet hätte, weiter aufklären und die Sachverständige ergänzend befragen müssen. Außerdem hätte das Verwaltungsgericht die Frage der tatsächlichen Vergleichbarkeit der Hörgeräte im Alltag weiter aufklären müssen.

Die Einzelrichterin hat nicht dadurch einen Verfahrensfehler begangen, dass sie diese Fragen nicht weiter aufgeklärt, sondern sich auf das vorliegende Sachverständigengutachten gestützt hat. Seiner schriftsätzlichen Beweisanregung brauchte das Verwaltungsgericht aus den unter 1. genannten Gründen nicht nachzugehen. Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, mit welchen anderen Methoden als den audiometrischen untersucht werden könnte, ob ein Hörgerät eine Schwerhörigkeit ausgleicht. Immerhin sind solche Methoden in den §§ 19 Abs. 1, 21 und 24 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie) vom 16. Oktober 2008 (Bundesanzeiger 2009, Nr. 61, S. 462) vorgesehen, um eine Schwerhörigkeit zu indizieren und ein Hörgerät anzupassen. Dasselbe ergibt sich aus den Ziffern 62.1, 63 und 66 der Hilfsmittel-Richtlinie in der zuvor geltenden Fassung (Bundesanzeiger 1992, Nr. 183 b, und Bundesanzeiger 2005, Nr. 2, S. 89).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich der Streitwertfestsetzung gemäß den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Referenznummer:

R/R5365


Informationsstand: 28.02.2013