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Urteil
Hörgerät - Beihilfeanspruch - Höchstsatz - Fürsorgepflicht - Fehlende Härtefallregelung

Gericht:

VG Würzburg 1. Kammer


Aktenzeichen:

W 1 K 11.778 | 1 K 11.778


Urteil vom:

21.03.2012


Grundlage:

  • BBhV § 25 |
  • BBhV § 50 Abs. 1 |
  • GG Art. 33 Abs. 5

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist Beamter im Dienste der Beklagten. Mit Bescheid vom 2. Mai 2011 gewährte ihm die Wehrbereichsverwaltung Süd auf Antrag vom 19. April 2011 hin eine Beihilfe von 1.025,00 EUR zu den Aufwendungen für die Anschaffung zweier Hörgeräte in Höhe von insgesamt 6.699,00 EUR. Hierbei wurde bei einem Beihilfesatz von 50 % für jedes Hörgerät ein beihilfefähiger Höchstsatz von 1.025,00 EUR zugrunde gelegt. Der vom Kläger hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 25. August 2011 unter Verweis auf § 25 BBhV und der hierzu erlassenen Anlage 5 als unbegründet zurückgewiesen.

Am 5. Oktober 2011 ließ der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erheben. Zur Begründung wurde geltend gemacht, der Kläger habe Anspruch auf Anerkennung des gesamten Rechnungsbetrages als dem Grunde nach beihilfefähig. Die medizinische Notwendigkeit und wirtschaftliche Angemessenheit sei durch die vorgelegten ärztlichen Unterlagen nachgewiesen. Ausweislich einer Bescheinigung des Universitätsklinikums Würzburg vom 1. Juli 2011 habe der Kläger rechts 90 % und links 55 % der Wörter richtig verstanden. Der in den Beihilfevorschriften festgeschriebene Höchstbetrag von 1.025,00 EUR pro Ohr verstoße gegen die in Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Unter Berücksichtigung des gegenwärtig praktizierten Mischsystems aus Beihilfe und privater Krankenversicherung könne die pauschale Festlegung von Höchstbeträgen im Einzelfall die finanziellen Möglichkeiten des Beamten erheblich übersteigen, weshalb es einer abstrakt-generellen Härtefallregelung bedürfe. Nach der nunmehrigen normativen Neuregelung des Beihilferechts sei die vom Bundesverwaltungsgericht übergangsweise für anwendbar erklärte Härtefallregelung des § 12 Abs. 2 der früheren Beihilfevorschriften nicht mehr anwendbar. Eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 1 BBhV scheide mangels planwidriger Regelungslücke aus. Zu verweisen sei auf die Rechtsprechung des VG Koblenz (Urteil vom 2. Februar 2011 - 2 K 729/10.KO). Hinzuweisen sei darauf, dass ein alternativ denkbares Implantat erheblich kostenintensiver gewesen wäre.

Der Kläger lässt beantragen:

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 2. Mai 2011 und Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 25. August 2011 verpflichtet, die im Beihilfeantrag vom 19. April 2011 aufgeführten Aufwendungen für Hörgeräte in tatsächlicher Höhe als beihilfefähig anzuerkennen.

Hilfsweise: Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides der Wehrbereichsverwaltung Süd vom 2. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. August 2011 verpflichtet, über den Beihilfeantrag des Klägers vom 19. April 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Wehrbereichsverwaltung Süd beantragt für die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Zu verweisen sei auf die Gründe des Widerspruchsbescheides. Der beihilfefähige Betrag von 1.025,00 EUR müsse auch bei komplizierten Hörproblemen ausreichend sein. Hilfsweise sei es dem Beamten zuzumuten, einen Teil der Hörgerätekosten selbst zu tragen. Bei einer Verschlechterung des Gehörs könnten die Hörgeräte umprogrammiert werden, weshalb es sich voraussichtlich um eine einmalige Anschaffung handele, jedenfalls es selten vorkomme, dass man neue Hörgeräte brauche.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt und haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Verpflichtungsklage unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung der begehrten zusätzlichen Beihilfe zu den Anschaffungskosten zweier Hörgeräte. Die angefochtenen Behördenbescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).

Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung der angefochtenen Bescheide und sieht insoweit von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 117 Abs. 5 VwGO). Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch kann nicht § 25 der Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung - BBhV) vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 329) i.V.m. der hierzu erlassenen Anlage 5 Nr. 1 sein. Vom Kläger wird nicht in Abrede gestellt, dass diese den Beteiligten bekannten Einzelbestimmungen - als Ermächtigungsgrundlage von § 80 Abs. 4 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) gedeckt - die Bewilligung einer Beihilfe vom Wortlaut her ausdrücklich nur in den in den Hinweisen festgelegten Höchstgrenzen zulassen.

Eine Unvereinbarkeit der insoweit maßgeblichen Beihilfevorschriften mit höherrangigem Recht ist nicht festzustellen. Insbesondere kann in der Festlegung von Höchstbeträgen für Hörgeräte kein Verstoß gegen die Systemgerechtigkeit und damit gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 GG) erblickt werden. Das System von Festbeträgen und Höchstgrenzen ist ein gängiges und gerechtfertigtes Mittel zur Kostenbegrenzung und Verwaltungsvereinfachung. Die Beihilfestelle soll gerade von einer aufwändigen Überprüfung der medizinischen Notwendigkeit einer besonders teuren Ausführung bzw. der digitalen Technik im Einzelfall entlastet werden. Die Beihilfevorschriften enthalten eine abschließende Konkretisierung der in § 79 BBG normierten einfachrechtlichen Fürsorgepflicht (z.B. BVerwG v. 21.12.2000 - 2 C 39.99 - BVerwGE 112, 308 ff.), und zwar sowohl für die Ansprüche des Beamten als auch für Einschränkungen dieser Ansprüche (BVerwG v. 16.10.1997 - 2 C 10.97 - ZBR 1998,206). Damit scheidet ein Beihilfeanspruch des Klägers auf dieser einfachrechtlichen Grundlage aus, ohne dass es darauf ankommt, ob die vom Kläger angeschafften Hörgeräte - wie behauptet - als "zwingend medizinisch notwendig" angesehen werden können (a. A. hierzu offenbar VG Ansbach v. 11.06.2008 - AN 15 K 07.02658 - juris; aufgehoben durch BayVGH v. 21.07.2010 - 14 B 09.753 - juris). Da nur tatsächliche Aufwendungen beihilfefähig sein können, kommt es nicht darauf an, ob der Kläger verglichen mit einem Implantat eine kostensgünstigere Alternative gewählt hat.

Der Kläger geht aber zu Recht davon aus, dass entsprechende Leistungsausschlüsse bzw. Einschränkungen auch mit höherrangigem Recht vereinbar sein müssen. Hierbei gelten die Grundsätze, wie sie das Bundesverwaltungsgericht in verschiedenen Entscheidungen in den letzten Jahren entwickelt hat. Als Maßstab kommt insbesondere - wie vom Kläger auch gerügt - die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in Betracht, soweit sie als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht ergänzt die ebenfalls durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Alimentationspflicht des Dienstherrn. Die Fürsorgepflicht fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit sicherstellt. Er muss dafür Sorge tragen, dass Beamte in diesen Lebenslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben, die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten können. Dies ist auf der Grundlage des gegenwärtig praktizierten "Mischsystems" zu beurteilen, in dem zur Eigenvorsorge der Beamten durch Abschluss einer auf die Beihilfevorschriften abgestimmten Versicherung die ergänzende Beihilfegewährung tritt. Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verlangt weder, dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden, noch dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind (vgl. BVerfG v. 07.11. 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 (233); BVerwG v. 03.07.2003 - BVerwG - 2 C 36.02 - BVerwGE 118, 277 (284 f.), v. 20.03.2008 - BVerwG 2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20, v. 28.05.2008 - BVerwG 2 C 24.07 - DVBl 2008, 1193 und v. 26.06.2008 - 2 C 2/07 -, BVerwGE 131, 234). Dass diesem Grundsatz der vorliegend einschlägige teilweise Ausschluss der Beihilfefähigkeit für Aufwendungen zur Anschaffung von Hörgeräten entgegen steht, ist vor diesem Hintergrund nicht anzunehmen. Solche Aufwendungen bewegen sich noch in einem überschaubaren finanziellen Rahmen und fallen in der Regel allenfalls in längeren zeitlichen Abständen an (abhängig von der Entwicklung der Hörfähigkeit); sie sind damit - isoliert betrachtet - grundsätzlich nicht dazu geeignet, die amtsgemäße Lebensführung des Beamten (hierzu BVerfG, B.v. 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 - BVerfGE 83, 89 (100) und v. 07.11.2002 a.a.O. (232)) in Frage zu stellen.

Der Kläger hat sich zwar sinngemäß auf eine solche im Sinne der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht aus Art. 33 Abs. 5 GG relevante wirtschaftliche Notlage berufen. Alleine für diesen Fall wäre zu entscheiden, ob in Übertragung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (BVerwG v. 26.06.2008 - 2 C 2/07 - BVerwGE 131, 234) eine analoge Anwendung der Regelungen über die Belastungsgrenzen (nunmehr § 50 BBhV) notwendig und rechtlich möglich ist. Diese Frage ist indes in einem eigenen Verwaltungsverfahren auf Antrag des Klägers zu entscheiden, das bislang nicht durchgeführt ist. Über den Härteausgleich hat die Beihilfestelle auf Antrag unter Prüfung aller Voraussetzungen und unter Zugrundelegung des Amtsermittlungsprinzips gesondert zu entscheiden. Vor Durchführung dieses Verwaltungsverfahrens erscheint eine Erweiterung der Klage um die Frage eines Härtefallausgleichs nicht sachdienlich, weil dieser von anderen Voraussetzungen abhängig ist als der Anspruch auf Beihilfe selbst (ebenso BayVGH v. 21.07.2010 - 14 B 09.753 - juris). Das Gericht folgt damit nicht der auf den vorliegenden Fall übertragbaren vom Kläger zitierten entgegenstehenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Urteil v. 17.12.2010 - 13 K 7034 - juris; Urteil v. 04.02.2011 - 13 K 904/10 - juris), wonach der grundsätzliche Ausschluss der Beihilfegewährung zu den Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBhV mangels einer Regelung zur Vermeidung unzumutbarer Härten gegen die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verstößt, ein Kläger auch nicht auf ein Antragsverfahren analog § 50 Abs. 1 BBhV verwiesen werden könne und deshalb der begehrte volle Beihilfeanspruch bestehe.

Die Klage ist damit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1, 161 Abs. 2, 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.

Die Berufung war gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die Bedeutung einer fehlenden Härteregelung grundsätzliche Bedeutung hat. Gegen die oben zitierten Entscheidungen des VG Düsseldorf sind nach Kenntnis des Gerichts Berufungsverfahren vor dem OVG Münster (Az. 1 A 334/11 und 1 A 624/11) anhängig.


Beschluss:

Der Streitwert wird auf 2.324,50 EUR festgesetzt.

Referenznummer:

R/R5721


Informationsstand: 12.04.2013