Die Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101
Abs. 2
VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet, hat Erfolg.
Sie ist als Verpflichtungsklage gemäß § 42
Abs. 1, 2. Alternative
VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe in Höhe von 236,08
EUR für die Anschaffung des DAISY-Players unter dem 15. Juni 2010 entsprechend der augenärztlichen Verordnung
Prof. Dr. T1. vom 1. Juni 2010. Der entgegenstehende Beihilfebescheid des LBV vom 30. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (
vgl. § 113
Abs. 5 Satz 1
VwGO).
Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 3
Abs. 1
Nr. 1 der Verordnung über Beihilfen in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen (Beihilfenverordnung
NRW - BVO
NRW -) vom 5. November 2009 (GV
NRW S. 224). Danach sind (u.a.) beihilfefähig die notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfange in Krankheitsfällen zur Besserung oder Linderung von Leiden, zur Beseitigung oder zum Ausgleich angeborener oder erworbener Körperschäden. Ausgehend hiervon sind die Aufwendungen für den von der Klägerin beschafften DAISY-Player beihilfefähig, weil dieser dem Ausgleich ihrer Sehbehinderung dient.
Nach § 4
Abs. 1
Nr. 10 Satz 1 BVO umfassen die beihilfefähigen Aufwendungen die Kosten für vom Arzt schriftlich verordnete Hilfsmittel. § 4
Abs. 1
Nr. 10 Satz 10 BVO enthält eine sogenannte Positivliste der beihilfefähigen Hilfsmittel, in welcher der DAISY-Player (und auch die von der Klägerseite genannten "Hilfsmittel für Blinde mit Sprachausgabe") zwar nicht aufgeführt ist. Durch die in dieser Vorschrift gewählte Formulierung "insbesondere" wird jedoch klargestellt, dass dieser Katalog nicht in dem Sinne abschließend ist, dass ein nicht genanntes Hilfsmittel von vornherein nicht beihilfefähig ist.
Vgl. bezogen auf eine insoweit gleichlautende Vorschrift des vormaligen Bundesbeihilfenrechts: Verwaltungsgerichtshof (VGH) für das Land Baden-Württemberg, Urteil vom 26. September 2011 -
2 S 825/11 -, juris,
Rdnr. 17.
Entgegen der Auffassung des beklagten Landes folgt ein Beihilfeausschluss auch nicht aus § 4
Abs. 1
Nr. 10 Satz 9 BVO. Danach gehören zu den Hilfsmitteln nicht Gegenstände, die auch im Rahmen der allgemeinen Lebenshaltung benutzt werden oder die einen Gegenstand der allgemeinen Lebenshaltung ersetzen können. Satz 9 nennt im Anschluss an diese programmatische Aussage in einer Klammeraufzählung beispielhaft Hilfsmittel; auch dort ist der DAISY-Player nicht erwähnt.
Findet sich der DAISY-Player demnach weder in der Positiv- noch in der Negativliste, wäre ein Beihilfeausschluss nur dann gerechtfertigt, wenn es sich bei dem DAISY-Player um einen Gegenstand der allgemeinen Lebensführung im Sinne von § 4
Abs. 1
Nr. 10 Satz 9 BVO handelt. Dies ist entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht der Fall. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (
BVerwG)
vom 14. März 1991 - 2 C 23.89 -, Der öffentliche Dienst (DöD) 1991, 203,
kommt es für die Abgrenzung zwischen Hilfsmittel und Gegenstand, der der allgemeinen Lebensführung dient, darauf an, ob der Gegenstand
bzw. das Mittel spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung dient. Gegenstände, die regelmäßig (Unterstreichung durch die Kammer) auch von Gesunden benutzt werden, sind (auch bei hohen Kosten) grundsätzlich nicht beihilfefähig. Für die Einordnung als Hilfsmittel ist danach die objektive Eigenart und die Beschaffenheit des betreffenden Gegenstandes maßgeblich, nicht dagegen, ob im Einzelfall der Gegenstand auch ohne Erkrankung überhaupt und in gleich teurer Ausführung beschafft worden wäre. Danach sind Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend von diesem Personenkreis benutzt werden, jedenfalls nicht als Gegenstände anzusehen, die der allgemeinen Lebenshaltung unterliegen.
So auch: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. September 2011, a.a.O.
Rdnr. 19, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts (
LSG) Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Februar 2010 -
L 5 KR 146/09 -, juris.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist festzustellen, dass der DAISY-Player vom Hersteller gerade im Hinblick auf die Bedürfnisse blinder
bzw. sehbehinderter Menschen entwickelt worden ist, um diesen einen strukturierten, interaktiven Zugriff auf unterschiedliche schriftliche Medien in einem besonderen, von Blindenbüchereien entwickelten Standard zu ermöglichen. Hierzu heißt es beispielsweise im Internetauftritt des Herstellers des Gerätes (www.Q. .de/rehatechnik/produkte/unterwegs/daisy/ index.html), dass das DAISY-Format speziell für Blinde und Sehbehinderte entwickelt wurde, um ihnen den strukturierten Zugriff
z.B. auf Hörbücher zu ermöglichen. Der Leser könne auf einer DAISY-
CD wie in einem richtigen Buch blättern, es von der ersten bis zur letzten Seite lesen oder einfach von Kapitel zu Kapitel springen. Auch Seiten-
bzw. Satzsuche sei in manchen Büchern möglich. Die Anzahl der Hierarchiestufen sei vom Informationsgehalt des Buches abhängig. Für Sachliteratur,
z.B. Nachschlagwerke oder Kochbücher, würden mehr Suchebenen angeboten als für Romane. Abzuspielen seien DAISY-Bücher auf speziell für den blinden Anwender gestalteten Geräten,
z.B. "Victor Reader".
Diese speziell auf die Gruppe der Sehbehinderten und Blinden zugeschnittene Funktionsweise des DAISY-Players hat die Klägerin im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 24. Oktober 2012 anschaulich demonstriert. Das Gerät verfügt gemessen an herkömmlichen MP3-Playern über vergleichsweise große Tasten, die es ermöglichen, auf verschiedene hierarchische Navigationsebenen zugreifen zu können. Der Benutzer kann nicht nur von Kapitel zu Kapitel eines Textes springen, sondern über mehrere Hierarchiestufen vom Kapitel über die Seitenzahl bis zum einzelnen Satz oder einer Fußnote wieder zurückgelangen. Mit dem DAISY-Player sind Sehbehinderte zudem in der Lage, nicht nur die auf dem Markt befindlichen digitalen Hörbücher zu nutzen, sondern - wie von der Klägerin im Erörterungstermin ebenfalls demonstriert - digitale Zeitungen (beispielsweise strukturiert nach Politik-, Sport- oder Kulturteil) und Zeitschriften und sogar Lexika. Dass die Handhabung des DAISY-Players speziell auf die Bedürfnisse blinder Nutzer abgestimmt ist, belegen die großflächigen, mit einem großen Abstand zueinander angeordneten und unterschiedlich gestalteten Tasten. Darüber hinaus macht das Gerät Hilfsansagen, Infoansagen und verschiedene Töne, die über die jeweilige Funktion Auskunft erteilen.
Es bedarf keiner Vertiefung, dass der DAISY-Player auch von Gesunden benutzt werden kann. Doch stellt dies die Einordnung als Hilfsmittel nicht in Frage, wie schon der Blick auf das von dem beklagten Land ins Feld geführte Beispiel des Blindenstocks belegt. Auch dieser kann natürlich von Nichtbehinderten genutzt werden. Schon aus diesem Grund kann es für die Frage der Beantwortung der Hilfsmitteleigenschaft nicht ausschlaggebend darauf ankommen, ob der Gegenstand (möglicherweise) von einem Gesunden benutzt werden kann. Entscheidend ist vielmehr, ob der Gegenstand von einem Gesunden üblicherweise benutzt wird, d.h. dass es sich bei typisierender Betrachtung um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens auch für Gesunde handelt.
Vgl. hierzu: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. September 2011, a.a.O.
Rdnr. 21.
Gemessen daran liegt es geradezu auf der Hand, dass gesunde, nicht sehbehinderte Personen, die beispielsweise ein Hörbuch nutzen wollen, hierfür im Zweifel nicht den unhandlichen und vergleichsweise großformatigen DAISY-Player verwenden. Die heutzutage vorhandenen Abspielmöglichkeiten für MP3-Dateien mittels kleiner, handlicher und mobiler MP3-Player werden nach allgemeiner Lebenserfahrung von diesem Personenkreis hierfür vorzugsweise (wenn nicht ausschließlich) genutzt.
Dem beklagten Land ist zuzugeben, dass die Klägerin u.U. auch mittels eines MP3- oder
CD-Players in der Lage wäre, Hörbücher zu nutzen. Dies stellt jedoch die Angemessenheit des DAISY-Players nicht in Frage. Denn die eingangs erwähnten Geräte sind - jedenfalls im Grunde - nur geeignet für ein durchgängiges Abspielen der Informationen. Sie können nicht etwa gezielt nach Informationen im Text durchsucht werden, es können keine Abschnitte übersprungen oder in sonstiger Weise im Text navigiert werden. Auf Grund der - bereits angesprochenen - geringen Größe solcher Geräte und kleiner Bedienknöpfe oder möglicherweise einer (auf visuelle Wahrnehmung ausgerichteten) Touchscreenbedienung ist die Verwendung dieser Geräte für Blinde oder hochgradig sehbehinderte Menschen - wie die Klägerin - mehr als problematisch. Aus diesen Gründen dürfte es auch nicht angezeigt sein, die betroffenen Beamten oder Versorgungsempfänger auf die Benutzung eines (bereits angeschafften) PC´s oder Laptop mit optischem Vorlesesystem zu verweisen.
Vgl. zu diesem Ansatz:
LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Februar 2010, a.a.O.,
Rdnr. 15.
Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Erörterung, da die Klägerin eigenen glaubhaften Angaben zufolge über solche Geräte nicht verfügt.
Entgegen der Auffassung des beklagten Landes muss das beanspruchte Hilfsmittel (wie auch im Gegensatz zu einer Brille beispielsweise der vom beklagten Land ins Feld geführte Blindenstock) nicht den von der Behinderung betroffenen Körperteil (hier die Augen) rekonstruieren oder die von der Behinderung betroffene Körperfunktion vollständig ersetzen können. Dementsprechend muss es für die Bejahung der Hilfsmitteleigenschaft genügen, dass ein Ausgleich für den entsprechenden Funktionsverlust erfolgt. Hierfür reicht - wie im vorliegenden Fall - ein indirekter Funktionsausgleich durch die akustische Zurverfügungstellung von Texten bei Blindheit oder starker Sehbehinderung.
Vgl. Sozialgericht Fulda, Urteil vom 15. Mai 2008 -
S 4 KR 572/06 -, juris,
Rdnr. 20.
Hinsichtlich der Angemessenheit der hier in Rede stehenden Aufwendungen ist zudem nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die Klägerin auf ein günstigeres, gleich geeignetes Gerät verwiesen werden könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154
Abs. 1
VwGO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 124 a
Abs. 1 Satz 1, 124
Abs. 2
Nr. 3 und 4
VwGO nicht vorliegen.