1. Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums C-Stadt vom 14.11.2011 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 20.12.2011 verpflichtet, dem Kläger Beihilfe für zwei Paar zum Kaufpreis von 405,08 Euro erworbene Orthesenschuhe für seinen Sohn D. nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der am ... geborene Kläger gehört als Beamter des Beklagten zu dem beihilfeberechtigten Personenkreis.
Mit Formblatt vom 04.11.2011 beantragte der Kläger unter anderem für zwei Paar ärztlich verordnete Orthesenschuhe für seinen am 29.05.2009 geborenen Sohn D. eine Beihilfe. Mit Bescheid vom 14.11.2011 gewährte das C. dem Kläger eine Beihilfe, wobei es den Rechnungsbetrag für die zwei Paar Orthesenschuhe in Höhe von 405,08 Euro nicht als beihilfefähig anerkannte. Den gegen diesen Bescheid vom Kläger eingelegten "Einspruch" lehnte das C. mit dem Kläger am 22.12.2011 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 20.12.2011 im Wesentlichen mit der Begründung ab, bei den Orthesenschuhen handele es sich um konfektionierte Therapieschuhe, deren Beihilfefähigkeit zu verneinen sei. Konfektionierte Schuhe wie die Orthesenschuhe stellten Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens dar. Der Orthesenschuh werde auch nicht durch die Einpassung der besonderen Schienen und Schuhbügel gebrauchsfähig. Damit sei er nicht als ein unselbständiges Teil der Orthese zu bewerten.
Mit bei Gericht am 20.01.2012 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt vor, Orthesenschuhe seien in Kleinserie speziell für Personen hergestellte Schuhe, die Orthesen im Beinbereich tragen müssten. Die Orthesenschuhe seien entsprechend speziell auf diesen Einsatzzweck hin konstruiert und gefertigt. Ohne die Orthesen passten die Schuhe nicht und könnten weder im Rahmen der allgemeinen Lebenshaltung benutzt werden noch seien sie geeignet, einen Gegenstand der allgemeinen Lebenshaltung zu ersetzen.
Der Kläger beantragt bei sachgerechter Auslegung,
1. den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Regierungspräsidiums C-Stadt vom 14.11.2011 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 20.12.2011 zu verpflichten, dem Kläger eine Beihilfe für zwei Paar aufgrund ärztlicher Verordnung zum Kaufpreis von 405,08 Euro erworbene Orthesenschuhe für seinen Sohn D. nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu gewähren,
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zukünftig Beihilfen für den Kauf ärztlich verordneter Orthesenschuhe für seinen Sohn D. zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, Aufwendungen für Orthesenschuhe seien nicht beihilfefähig, weil diese Schuhe einen Gegenstand der allgemeinen Lebenshaltung ersetzten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte (ein Hefter) Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Das Gericht entscheidet gemäß § 101
Abs. 2
VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
Der Klageantrag zu 2) ist unzulässig.
Für die vom Kläger erhobene Feststellungsklage fehlt das für eine Sachentscheidung gemäß § 43
Abs. 1
VwGO notwendige Feststellungsinteresse. Sollte der Verpflichtungsausspruch in Nummer 1 des Tenors rechtskräftig werden, ist aufgrund der Bindung der öffentlichen Verwaltung an Recht und Gesetz davon auszugehen, dass das C. bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage zukünftig diesbezügliche Beihilfeanträge des Klägers zumindest dem Grunde nach positiv bescheiden wird. Der Kläger hat auch keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen könnten, das C. werde eine zu seinen Gunsten ergangene rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zukünftig ignorieren.
Der Klageantrag zu 1) ist als Verpflichtungsbegehren (§ 42
Abs. 1
VwGO) statthaft, auch im Übrigen zulässig und begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe für die mit seinem Formblattantrag vom 04.11.2011 eingereichte Rechnung der E.
GmbH vom 10.10.2011 über 405,08 Euro betreffend zwei Paar Orthesenschuhe für seinen Sohn D. zu. Soweit der Bescheid des Regierungspräsidiums C-Stadt vom 14.11.2011 und der Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 20.12.2011 diesen Anspruch verneinen, erweisen sie sich als rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (
vgl. § 113
Abs. 1 Satz 1,
Abs. 5
VwGO).
Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich maßgeblich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfen verlangt werden (
vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.2005 - 2 C 35.04 -, ZBR 2006, 195). Hinsichtlich der hier anzuwendenden Bestimmungen hat der Beklagte keine abweichenden Regelungen getroffen. Danach ist die HBeihVO in der Fassung vom 05.12.2001 (GVBl. I
S. 482), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.03.2010 (GVBl. I
S. 114), anzuwenden.
Die Beihilfefähigkeit von Hilfsmitteln richtet sich nach § 6
Abs. 1
Nr. 4 HBeihVO. Diese Vorschrift verweist zu Voraussetzungen und Umfang der Beihilfefähigkeit auf Anlage 3. Diese enthält wiederum unter der Nummer 1 eine so genannte Positivliste, in der Gegenstände aufgezählt werden, bei denen die Beihilfefähigkeit im Grundsatz gegeben ist. In der so genannten Negativliste unter der Nummer 9 der Anlage 3 finden sich Gegenstände, die nicht beihilfefähig sind.
In der so genannten Positivliste unter Nummer 1 der Anlage 3 zu § 6
Abs. 1
Nr. 4 HBeihVO sind Orthesenschuhe nicht aufgeführt. Sie zählen nicht, wie der Kläger einräumt, zu den in dieser Liste genannten orthopädischen Maßschuhen, die nicht serienmäßig herstellbar sind.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich der Ausschluss der Beihilfefähigkeit aber auch nicht aus der so genannten Negativliste in Nummer 9 der Anlage. Danach gehören zu den Hilfsmitteln nicht Gegenstände, die im Rahmen der allgemeinen Lebenshaltung benutzt werden oder die einen Gegenstand der allgemeinen Lebenshaltung ersetzen können. Wie der in Nummer 9 beispielhaft aufgeführte Katalog zeigt, erfasst der Ausschlusstatbestand "Gebrauchsgüter des täglichen Lebens", die typischerweise auch von Gesunden zur Vorbeugung gegen eine etwaige Erkrankung
bzw. zur Erhaltung des Wohlbefindens, zur Erleichterung von Unbequemlichkeiten oder ohne zwingenden Bezug zu einer Erkrankung nutzen (
vgl. Nitze, Hessische Beihilfenverordnung, Erläuterungen zu § 6
Abs. 1
Nr. 4). Diese Kriterien treffen auf Orthesenschuhe anders als etwa auf Gesundheitsschuhe nicht zu. Wie der Geschäftsführer der E.
GmbH F. in seinem Schreiben vom 08.06.2012 nachvollziehbar ausgeführt hat, kann ein Orthesenschuh ausschließlich mit Orthesen verwendet werden. Umgekehrt sei auch eine Orthese in der Regel nur mit einem Orthesenschuh zu verwenden. Von einem Ersatz für den normalen Schuh könne deshalb nicht die Rede sein (
vgl. in diesem Sinne auch Niedersächsisches
OVG, Beschluss vom 21.11.2008 - 5 LA 98/08 -, juris).
Weder die Nummer 1 noch die Nummer 9 der Anlage 3 zu § 6
Abs. 1
Nr. 4 HBeihVO enthalten eine abschließende Aufzählung aller erstattungsfähigen
bzw. nicht erstattungsfähigen Hilfsmittel. Dies folgt zum einen aus dem Wort "beispielsweise"
bzw. dem Kürzel "
z.B." und zum anderen aus der Nummer 10 der Anlage 3. Danach sind notwendige und angemessene Aufwendungen für andere als die in Nummer 1 aufgeführten und nicht nach Nummer 9 von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossenen Hilfsmittel beihilfefähig, wenn diese ebenfalls geeignet sind, die Folgen eines regelwidrigen Körperzustandes zu lindern, zu bessern oder zu beseitigen. Diese Voraussetzungen erfüllen die dem Sohn des Klägers ärztlich verordneten Orthesenschuhe. Ausweislich der fachärztlichen Verordnung vom 16.06.2011 lautet die diesbezügliche Diagnose "Sichelfuß beidseits sowie flexible Plattfüße beidseits". Dieser regelwidrige Körperzustand bedarf nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Klägers der Korrektur durch eine Unterschenkel-Fuß-Orthese. Diese wiederum macht das Tragen von Orthesenschuhen notwendig. Aufgrund der fachärztlichen Verordnung hat der Kläger für seinen Sohn bei einer Fachfirma zwei Paar Orthesenschuhe zum Gesamtkaufpreis von 405,08 Euro erworben. Die Angemessenheit dieses Kaufpreises hat der Beklagte nicht in Frage gestellt. Diesbezügliche Zweifel hegt auch nicht das Gericht.
Ergibt sich die Beihilfefähigkeit der Orthesenschuhe hier aus der Nummer 10 der Anlage 3 zu § 6
Abs. 1
Nr. 4 HBeihVO, kann sich der Beklagte für seine gegenteilige Auffassung auch nicht auf den Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 30.07.2008 stützen. Die hierin vertretene Auffassung, Orthesenschuhe ersetzten einen Gegenstand der allgemeinen Lebenshaltung, wird vom Gericht nicht geteilt.
Dem Kläger sind die geltend gemachten Prozesszinsen gemäß §§ 291, 288
Abs. 1 Satz 2
BGB zuzubilligen (
vgl. BVerwG, Urteil vom 26.07.2012 - 2 C 34.11 -, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155
Abs. 1 Satz 1
VwGO und entspricht dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167
VwGO, 708
Nr. 11, 711
ZPO.
Die Zulassung der Berufung gemäß § 124a
Abs. 1 Satz 1
VwGO kommt nicht in Betracht, da die Gründe des § 124
Abs. 2
Nr. 3 oder
Nr. 4
VwGO nicht vorliegen.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 486,10 Euro festgesetzt.
Die Wertfestsetzung beruht auf § 52
Abs. 1 und 3 GKG. Das Gericht hält es für notwendig, aber auch ausreichend, den sich aus dem Klageantrag zu 1) ergebenden Wert von 243,05 Euro im Hinblick auf den Klageantrag zu 2) zu verdoppeln.