Urteil
Begehr von weiterer Beihilfe - Aufwendungen für die Anschaffung von zwei Hörgeräten

Gericht:

VG Koblenz 2. Kammer


Aktenzeichen:

2 K 729/10.KO


Urteil vom:

02.02.2011


Tenor:

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 8. März 2010 und Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2010 verpflichtet, dem Kläger zu den mit Beihilfeantrag vom 23. Februar 2010 geltend gemachten Aufwendungen für die Anschaffung von zwei Hörgeräten eine weitere Beihilfe in Höhe von 2.228,80 EUR zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, ein Versorgungsempfänger der Beklagten, begehrt die weitergehende Gewährung von Beihilfe.

Mit Beihilfeantrag vom 23. Februar 2010 legte er der Beklagten unter anderem eine Rechnung der Fa. B... H... OHG, K..., vom 22. Februar 2010 über zwei Hörgeräte Widex Mind 9 Komfort à 2.549,-- EUR sowie zwei Maßotoplastiken à 68,-- EUR, insgesamt also 5.234,-- EUR, nebst ohrenärztlicher Verordnung einer beiderseitigen Hörhilfe wegen Innenohrschwerhörigkeit durch die Fachärztin für HNO-Erkrankungen Dr. Ha..., K..., vom 25. August 2009 vor.

Die Beklagte erkannte die entsprechenden Aufwendungen mit Bescheid der Wehrbereichsverwaltung West vom 8. März 2010 in Höhe von 2.050,-- EUR als beihilfefähig an und gewährte dem Kläger insoweit eine Beihilfe von 1.435,-- EUR. Zur Begründung verwies sie darauf, dass nach § 25 Bundesbeihilfeverordnung und der Anlage 5 hierzu Aufwendungen für Hörgeräte nur bis zur Höhe von 1.025,-- EUR je Ohr beihilferechtlich berücksichtigungsfähig seien.

Mit seinem hiergegen am 8. April 2010 erhobenen Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, über Monate verschiedene Hörgeräte ausprobiert und allein mit den sodann angeschafften Geräten eine ausreichende Verbesserung des Hörvermögens, nämlich ein Sprachverstehen von mehr als 80 %, erreicht zu haben.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid der Wehrbereichsverwaltung West vom 11. Mai 2010 unter erneutem Hinweis auf die einschlägigen Regelungen der Bundesbeihilfeverordnung zurück.

Am 11. Juni 2010 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, mit der er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Ergänzend führt er insbesondere aus, dass die ihm nach der Entscheidung der Beklagten für die medizinisch notwendigen Hörgeräte verbleibende Eigenbelastung die beihilfe-rechtlich zumutbare Belastungsgrenze überschreite und deshalb ein Härtefall vor-liege, welcher eine von den festgesetzten Obergrenzen abweichende Entscheidung rechtfertige und erfordere.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Beihilfebescheides vom 8. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2010 zu verpflichten, die im Beihilfeantrag vom 23. Februar 2010 aufgeführten Aufwendungen für Hörgeräte in tatsächlicher Höhe von 5.234,-- EUR als beihilfefähig anzuerkennen

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

IWW - Institut für Wirtschaftspublizistik

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Gewährung weiterer Beihilfe.

Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) sind Aufwendungen für ärztlich verordnete Hilfsmittel u. a. beihilfefähig, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen. Grundsätzlich muss es sich nach § 6 BBhV zudem um notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen handeln. Hörgeräte sind nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BBhV i. V. m. Ziff. 1 der Anlage 5 zur BBhV überdies nur bis zu einer Obergrenze von 1.025,-- EUR je Ohr beihilfefähig.

Dass der Kläger zum Ausgleich einer Hörbehinderung Hörgeräte benötigt, ist durch die vorgelegte ohrenärztliche Verordnung einer Hörhilfe wegen beidseitiger Innenohrschwerhörigkeit mit einem frequenzabhängigen Hörverlust von bis zu 70 bzw. 80 % auf beiden Ohren vom 25. August 2009 belegt. Die Notwendigkeit und wirtschaftliche Angemessenheit der Aufwendungen für die vom Kläger tatsächlich erworbenen Geräte "Widex Mind 9 Komfort" wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt und ist zudem durch die vorgelegte Dokumentation zur Hörgeräteanpassung der Fa. B... H... OHG vom 16. April 2010 (Bl. 17 f. der Verwaltungsakte) ausreichend nachgewiesen. Danach hat der Kläger von August 2009 bis Februar 2010 fünf verschiedene Hörsysteme getestet und dabei vor allem in schwierigen Hörsituationen wie Gesprächen in lauter Umgebung oder mit vielen Nebengeräuschen die beste Akzeptanz mit dem später erworbenen Gerätetyp erreicht. Diese Feststellung wird belegt durch entsprechende Messergebnisse, denen zufolge allein mit den Hörgeräten "Widex Mind 9 Komfort" ein Sprachverstehen von 85 % erreicht werden konnte, während bei den übrigen vier Systemen Werte zwischen 55 und 80 % ermittelt wurden. Dass auch mit dem letztgenannten Wert noch keine ausreichende Kompensation der Hörbehinderung gegeben ist, kann der - von der Kammer als Orientierungshilfe herangezogenen - Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie) in der Neufassung vom 16. Oktober 2008 (Bundesanzeiger 2009, Nr. 61, S. 462) entnommen werden, nach deren § 19 Abs. 2 Satz 2 bei einer Verstehensquote, welche "nicht größer als 80 %" ist, eine Indikation für die Verordnung eines Hörgerätes vorliegt.

Die sonach gegebene Beihilfefähigkeit der streitgegenständlichen Aufwendungen ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht rechtswirksam auf den in der Anlage 5 zur Bundesbeihilfeverordnung festgeschriebenen Höchstbetrag von 1.025,-- EUR je Ohr beschränkt, da die entsprechende Begrenzung gegen die durch Art. 33 Absatz 5 des Grundgesetzes gewährleistete Fürsorgepflicht des Dienstherrn und damit gegen höherrangiges Recht verstößt.

Die Fürsorgepflicht fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit sicherstellt. Er muss dafür Sorge tragen, dass Beamte in diesen Lebenslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben, die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten können. Dies ist auf der Grundlage des gegenwärtig praktizierten "Mischsystems" zu beurteilen, in dem zur Eigenvorsorge der Beamten durch Abschluss einer auf die Beihilfevorschriften abgestimmten Versicherung die ergänzende Beihilfegewährung tritt. Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verlangt weder, dass Aufwendungen der Beamten in Krankheitsfällen durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende Beihilfen vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002, 2 BvR 1053/98, NVwZ 2003, 720, 721; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003, 2 C 36.02, NJW 2004, 308).

Unter Geltung des gegenwärtig praktizierten "Mischsystems" aus Beihilfe und darauf abgestimmter Eigenvorsorge kann die pauschale Festlegung von Höchstbeträgen aber in Einzelfällen die finanziellen Möglichkeiten des Beamten erheblich übersteigen. Für derartige Fallgestaltungen muss der Dienstherr normative Vorkehrungen in Form einer abstrakt-generellen Härtefallregelung treffen, damit dem Beamten nicht erhebliche Aufwendungen verbleiben, die im Hinblick auf die Höhe der Alimentation nicht mehr zumutbar sind (BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2008, 2 C 2.07, 26. August 2009, 2 C 62.08, und 5. Mai 2010, 2 C 12.10, alle in juris).

An einer solchen abstrakt-generellen Regelung zur Vermeidung unzumutbarer Härten fehlt es indessen in Bezug auf den in der Anlage 5 zur Bundesbeihilfeverordnung für Hörgeräte festgeschriebenen beihilfefähigen Höchstbetrag von 1.025,-- EUR je Ohr.

Auch lässt sich die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte Härtefallregelung analog § 12 Abs. 2 der früheren Beihilfevorschriften (BhV) der Beklagten nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Die entsprechende Anwendung der Regelungen über die Belastungsgrenzen galt ausdrücklich nur für den Übergangszeitraum bis zur gebotenen normativen Neuregelung des Beihilferechts des Bundes, also bis zum Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung vom 13. Februar 2009 (BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2008, 26. August 2009 und 5. Mai 2010, a. a. O.).

Ebenso wenig kommt insoweit eine analoge Anwendung der Belastungsgrenzen des § 50 Abs. 1 BBhV in Betracht. Hierfür fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke in Bezug auf eine Härtefallregelung für den Leistungsausschluss nach § 25 BBhV i. V. m. der Anlage 5. Da das Bundesverwaltungsgericht das Erfordernis einer abstrakt-generellen Härtefallregelung bereits in seiner Entscheidung vom 26. Juni 2008, also lange vor Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung vom 13. Februar 2009, festgestellt hat, kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass die Aufnahme einer derartigen Regelung in die Bundesbeihilfeverordnung vom Verordnungsgeber schlichtweg übersehen worden ist (ebenso - zum grundsätzlichen Ausschluss der Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Beihilfefähigkeit durch § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBhV - auch VG Düsseldorf, Urteil vom 17. Dezember 2010, 13 K 7034/09, juris).

Die dem Kläger sonach zu gewährende weitere Beihilfe beläuft sich auf 2.228,80 EUR als Differenzbetrag zwischen der beihilferechtlich geschuldeten Leistung in Höhe von 3.663,80 EUR (5.234,-- EUR x 70 %; § 46 Abs. 2 Nr. 2 BBhV) und der bereits gewährten Beihilfe von 1.435,-- EUR.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 ZPO.

Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Referenznummer:

R/R5724


Informationsstand: 12.04.2013