Urteil
Verfassungsmäßigkeit des BVG § 24 a - Gleichheitsprinzip in Durchführungsverordnung - Behindertensport, Versehrtensport - Orthopädische Hilfsmittel - negative Vereinigungsfreiheit - Handlungsfreiheit - Beliehener Unternehmer

Gericht:

BSG 9. Senat


Aktenzeichen:

9 RV 50/80


Urteil vom:

17.11.1981


Grundlage:

  • BVG § 13 Abs 1 |
  • GG Art 3 Abs 1 |
  • GG Art 2 Abs 1 |
  • GG Art 9 Abs 3 |
  • BVG § 11a |
  • BVG § 13 Abs 2 |
  • BVG § 24a |
  • BVG§11Abs3§13DV § 4 Abs 13 S 3 Fassung 1976-08-23 |
  • BVG§11Abs3§13DV § 4 Abs 2 Nr 4 Fassung 1976-08-23 |
  • GG Art 9 Abs 1 |
  • RehaAnglG § 12 Abs 5 |
  • SGB I § 24 Abs 1 |
  • SGB I § 5

Leitsatz:

1. § 4 Abs 13 S 3 der Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs 3 und des § 13 Bundesversorgungsgesetz (BVG § 11 Abs 3 § 13 DV) ist insoweit mit Gesetz nicht vereinbar, als Beschädigte, die regelmäßig nur eine Krücke oder Stockstütze gebrauchen müssen, von der Lieferung gefütterter Lederhandschuhe für den Wintergebrauch ausgeschlossen werden.

2. Die Lieferung orthopädischer Turnschuhe darf von der Teilnahme an Versehrtenleibesübungen abhängig gemacht werden (§ 4 Abs 2 Nr 4 BVG § 11 Abs 3 § 13 DV).

Orientierungssatz:

Verfassungsmäßigkeit des § 24a BVG - Gleichheitsprinzip in Durchführungsverordnung - Behindertensport, Versehrtensport - orthopädische Hilfsmittel - negative Vereinigungsfreiheit Handlungsfreiheit - beliehener Unternehmer:

1. Zur verfassungsrechtlichen Bestimmtheit, Umfang und Begrenzung der gesetzlichen Ermächtigung in § 24a BVG.

2. Zur Wahrung des Gleichheitsprinzips (Art 3 Abs 1 GG) bei der Konkretisierung eines Gesetzes durch eine Durchführungsverordnung (hier: BVG § 11 Abs 3 § 13 DV).

3. Zur Unterscheidung zwischen Behindertensport iS der Sozialversicherung und Versehrtensport.

4. Als orthopädische Hilfsmittel zur Erleichterung der Schädigungsfolgen können nicht schlechthin alle derart wirkenden Gegenstände, die dem technisch-wissenschaftlichen Standard sowie den persönlichen Bedürfnissen des Berechtigten entsprechen und damit den Anforderungen des § 13 Abs 2 BVG genügen, uneingeschränkt beansprucht werden (vgl BSG 1981-03-05 9 RV 47/80 = unveröffentlicht). Das liegt im Prinzip der - begrenzten - sozialen Entschädigung iS der §§ 5 und 24 Abs 1 SGB 1. In gewissem Umfang hat der Beschädigte den Mehraufwand, der ihm durch die Schädigungsfolgen entsteht, aus seiner Grundrente zu finanzieren. Die einkommensunabhängige Grundrente wird unter anderem gerade wegen solcher schädigungsbedingter Mehraufwendungen gewährt (vgl BSG vom 1980-09-10 11 RK 1/80 = SozR 5420 § 2 Nr 20).

5. Zur Aufgabe und Ausrichtung des Versehrtensports.

6. Die durch Art 2 Abs 1 GG grundrechtlich geschützte Handlungsfreiheit wird nicht dadurch verletzt, daß der Staat die kostenlose Lieferung orthopädischer Turnschuhe von der Teilnahme an Versehrtenleibesübungen abhängig macht.

7. Die Bindung der begehrten Leistung an eine organisierte Sportausübung gemäß § 11a BVG verletzt auch nicht die sogenannte negative Vereinigungsfreiheit; sie tastet diese nicht einmal an.

8. Beauftragt der Staat aus vernünftigen praktischen Gründen zur Entlastung seiner Verwaltungskräfte private Sportvereine, als "beliehene Unternehmer" den Versehrtensport zu organisieren, dann kann den Beschädigten, die einen Rechtsanspruch auf diese Versorgungsleistung haben, die Beteiligung an derart geleiteten Veranstaltungen ohne Mitgliedschaft zugemutet werden. Der ausgeübte Druck ist sozialadäquat und verletzt deshalb nicht die negative Koalitionsfreiheit.

Referenznummer:

KSRE01435119


Informationsstand: 01.01.1990