Urteil
Krankenkasse muss Sportrollstuhl für Jugendliche bezahlen
Gericht:
SG Itzehoe
Aktenzeichen:
S 1 KR 71/04
Urteil vom:
28.09.2005
SG Itzehoe
S 1 KR 71/04
28.09.2005
1. Die Bescheide der Beklagten vom 04. August und 21. August 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2004 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin einen Sportrollstuhl zur Verfügung zu stellen.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem Sportrollstuhl.
Die 1988 geborene und über ihre Mutter bei der Beklagten familienversicherte Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einem offenen Rücken (Spina bifida) sowie einem Hydrocephalus internus (Wasserkopf) mit Shunt - Versorgung. Sie ist ständig auf einen Rollstuhl angewiesen, nutzt allerdings auch ein Handy-Bike. Sie besucht die kooperative Gesamtschule in E.
Der die Klägerin behandelnde Arzt für Innere Medizin Dr. F verordnete am 3. Juli 2003 einen Sportrollstuhl nach Maß. Nach dem beigefügten Kostenvoranschlag für einen Sportrollstuhl "Supor all court" beträgt bzw. betrug der Kaufpreis 2.805,42 EUR. Ebenfalls dem Antrag auf Kostenübernahme beigefügt war eine Bescheinigung des R vom 7. Juli 2003, wonach die Klägerin regelmäßig an den Übungsveranstaltungen des RSC H teilnimmt und zur Erreichung eines guten Trainingserfolges die Beschaffung eines Sportrollstuhls empfohlen wurde.
Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Schleswig-Holstein in einer kurzen Stellungnahme den Sportrollstuhl nicht als Leistung der GKV angesehen hat, ohne diese Auffassung näher zu begründen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. August 2003 die Übernahme der Kosten für den Sportrollstuhl mit der Begründung ab, dieser sei kein zugelassenes Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung und nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet. Dieser Bescheid enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.
Dagegen erhob die gesetzliche Vertreterin der Klägerin am 21. August 2003 Widerspruch und machte geltend, die Klägerin besuche eine Regelschule, auf der sie auch am regelmäßigen Sportunterricht teilnehmen könne, sofern die dies hindernden behinderungsbedingten Nachteile ausgeglichen würden. Dies sei durch den zur Verfügung stehenden Aktivrollstuhl jedoch nicht gegeben und dieser sei zum Gebrauch zum Sport nicht geeignet. Es sei nicht zutreffend, dass der Sportrollstuhl für den Leistungssport benötigt werde. Im Übrigen sei auch der Einwand, der Sportrollstuhl sei im Hilfsmittelverzeichnis nicht gelistet, nicht leistungsausschließend, da das Hilfsmittelverzeichnis nicht abschließend sei.
Mit weiterem Bescheid vom 21. August 2003 blieb die Beklagte bei ihrer bisherigen Rechtsauffassung und ergänzte, nach Auffassung des MDK würden Sportrollstühle nur für den Leistungssport benötigt. Für den Rehabilitationssport reichten auch Aktiv- oder Adaptivrollstühle aus. Eine derartige Stellungnahme des MDK findet sich allerdings nicht in der Verwaltungsakte.
In seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 21. Oktober 2003 bleib der MDK bei seiner Auffassung, die er nunmehr damit begründete, dass von der Krankenkasse lediglich im Rahmen ihrer Leistungspflicht die Grundbedürfnisse ausgeglichen werden müssten und dies mit der Versorgung von zwei Rollstühlen ausreichend und umfassend geschehen sei.
Mit Bescheid vom 30. Januar 2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und ergänzend darauf hin, dass die gesetzliche Krankenversicherung bei dem Verlust der Gehfähigkeit nur für einen Basisausgleich zu sorgen habe und die Krankenkasse nicht den Behinderten durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln in die Lage versetzen müsse, Wegstrecken jeder Art und Länge zurück zu legen.
Dagegen richtet sich die am 26. Februar 2004 bei dem Sozialgericht Itzehoe erhobene Klage. Unter Wiederholung des bisherigen Vorbringens macht die Klägerin ergänzend geltend, dass zu einer möglichst altersgerechten Entwicklung im jugendlichen Alter die Versorgung mit einem Sportrollstuhl für den Sportunterricht erforderlich sei. Darüber hinaus wolle sie mit dem Sportrollstuhl Basketball spielen.
Die Klägerin beantragt schriftsatzgemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 4. August 2003 in der Form des Bescheides vom 21. August 2003 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die begehrten Mittel zur Verfügungstellung eines Sportrollstuhls zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid und wendet ergänzend ein, die beabsichtigte Nutzung des begehrten Sportrollstuhls für das Basketballspiel in der Halle gehöre nicht mehr zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens sondern sei in erster Linie der Freizeit im privaten Bereich zuordnen. Soweit geltend gemacht werde, dass die Klägerin am Sportunterricht in der von ihr besuchten Regelschule teilnehmen wolle, müsse auf das Gutachten des MDK vom 21. Oktober 2003 verwiesen werden. Die Beklagte weist ergänzend darauf hin, dass in diesem Gutachten nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt werde, dass in Regelschulen kein Rollstuhlsport stattfinde und somit das Argument nicht greifen könne.
Die Klägerin hat hierzu eine Stellungnahme der Lehrerin der Kooperativen Gesamtschule E vom 2. Mai 2004 zur Akte gereicht. Die Lehrerin bestätigt die regelmäßige und sehr engagierte Teilnahme an dem integriert durchgeführten Sportunterricht und bestätigt das Erfordernis eines Sportrollis mit der Begründung, dieser würde zu einer deutlich besseren Aktivität und Beweglichkeit der Klägerin bei den Sportspielen führen und die Integrationsmöglichkeiten würden dadurch verbessert. Darüber hinaus sei das Verletzungsrisiko geringer als bei einem herkömmlichen Rollstuhl.
Die Kammer hat zur Aufklärung des Sachverhaltes (§ 106 SGG) Befundberichte der Kinder- und Jugendärztin Dr. L (22. August 2004) und von Dr. F (12. September 2004 mit Arztberichten des Klinikums N vom 29. April 2004 und 1. Juli 2004, des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses H vom 22. Juli 2004 sowie des W Instituts vom 16. August 2004 eingeholt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung um 15. Juni 2005 hat die Klägerin ein im Rahmen der Überprüfung der Pflegebedürftigkeit erstelltes Gutachten des MDK vom 16. Februar 2004 zur Akte gereicht. Die Gutachterin empfiehlt unter 7. 1 des Gutachtens Rollstuhlsport nach ärztlicher Verordnung. Darüber hinaus hat die Klägerin die Ablichtung eines Bewilligungsbescheides des begehrten Sportrollstuhls an eine andere Versicherte durch die Beklagte (Bescheid vom 1. April 2003) zur Akte gereicht.
Unter Berücksichtigung dieser Unterlagen einerseits und des richterlichen Hinweises auf die Rechtsprechung des BSG zum Rollstuhl-Bike für Jugendliche andererseits hat die Beklagte in diesem Termin den geltend gemachten Klageanspruch anerkannt. Sie hat sich allerdings den Widerruf von diesem Anerkenntnis binnen eines Monats nach Zustellung des Protokolls vorbehalten. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses ist das Protokolls der Beklagten am 29. Juni 2005 zugegangen. Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2005 hat die Beklagte das Anerkenntnis widerrufen und auf ihren bisherigen Vortrag Bezug genommen.
In jenem sowie in dem Termin am 28. September 2005 haben die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen. Darauf sowie auf die Gerichtsakte wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.
R/R2155
Informationsstand: 17.02.2006