Urteil
Kostenübernahme für orthopädische Turnschuhe

Gericht:

SG Düsseldorf


Aktenzeichen:

S 8 KR 158/06


Urteil vom:

14.06.2007


Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 06. und 18.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05. 2006 verurteilt, die Kosten für ein Paar orthopädische Turnschuhe zu übernehmen. Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage der Kostenübernahme für orthopädische Turnschuhe in Höhe von ca. 1.200 Euro.

Die 1947 geborene Klägerin leidet unter anderem an eine hereditären Neuropathie, insbesondere mit einer fortschreitenden Muskelatrophie im Unterschenkelbereich und der kleinen Fußmuskeln.

Im September 2005 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für ein Paar orthopädische Maßsportschuhe unter Vorlage einer Verordnung des Orthopäden X sowie eines entsprechenden Kostenvoranschlags in Höhe von 1.190,74 Euro. Zunächst mit Bescheid vom 06.10.2005 und dann erneut mit Bescheid vom 18.10.2005 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Sie führte aus, dass bereits eine Versorgung mit orthopädischen Straßenschuhen und Hausschuhen erfolgt sei. Sportliche Aktivitäten würden in den Bereich der Eigenverantwortung der Versicherten fallen.

Gegen diese Bescheide erhob die Klägerin Widerspruch, mit dem sie unter Vorlage eines Attestes des X ausführlich darlegte, dass handelsübliche Turnschuhe und orthopädische Straßenschuhe zur medizinisch notwendigen Sportausübung ungeeignet seien. Die mit den Straßenschuhen verwendete Peronaeusschiene stabilisiere zwar einerseits die Beine beim Gehen, fördere andererseits dagegen den Muskelabbau.

Der von der Beklagten angehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam nach einer Untersuchung der Klägerin unter anderem zu der Einschätzung, dass eine Verwendung mit hochschaftigen, breiten, konfektionierten Turnschuhen ausreichend sei. Daraufhin wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.05. 2006 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Behinderungsausgleich durch die gesetzlichen Krankenkassen nur im Bereich der Grundbedürfnisse zu erfolgen habe. Darüber hinaus wirke nach der Einschätzung des MDK das beantragte Hilfsmittel in seiner Funktion und seinem Effekt den bereits eingesetzten Hilfsmitteln entgegen.

Die Klägerin hat gegen die ablehnenden Bescheide Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren unter Vorlage einer Bescheinigung der behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, E, weiterverfolgt. Sie macht geltend, dass die sportlichen Aktivitäten,. zu deren schmerzfreier Ausübung sie die orthopädischen Turnschuhe benötige, zur Verhinderung bzw. Verzögerung eines weiteren Muskelabbaus erforderlich seien. Sie betreibe Gymnastik, Rückenschule, regelmäßiges Fahrradfahren, TaiChi und QiGong. Das Tragen von Konfektionsturnschuhen, auch spezieller Markenschuhe, führe zu Schmerzen in den Gelenken, so sei deren teure Eigenanschaffung umsonst gewesen. Ihr Sanitätshaus sei auch nicht mehr zu weiteren Versuchen bereit, diese Turnschuhe zu weiten. Die Klägerin führt darüber hinaus aus, dass maßgefertigte orthopädische Turnschuhe allein aufgrund der krankheitsbedingt vorliegenden Fußveränderungen mit unterschiedlichen Schuhgrößen (39 und 41) erforderlich seien. Insgesamt habe sie sich während des Verwaltungs- und Klageverfahrens eine deutliche Verschlechterung ihrer Gehfähigkeit ergeben, da sie die erforderlichen Sportübungen nicht mehr habe im erforderlichen Umfang ausführen können, und auch eine kürzlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme habe nicht den möglichen Erfolg erbracht.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 06. und 18.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05. 2006 zu verurteilen, die Kosten für ein Paar Orthopädische Turnschuhe zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig.

Das Gericht hat zur Ermittlung des Sachverhalts Befundberichte des X einschließlich beigefügter Arztbriefe und der E eingeholt. Zur weiteren Sachdarstellung wird auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Rechtsweg:

LSG Nordrhein-Westfalen - L 11 KR 58/07

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, da der Klägerin ein Anspruch mit Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel, orthopädische Turnschuhe, zusteht, wie in § 27 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) sowie § 33 SGB V festgelegt.

Entgegen dem Standpunkt der Beklagten, fällt die Versorgung mit einem orthopädischen Turnschuh zur Ausübung sportlicher Aktivitäten - jedenfalls wie vorliegend behinderungsausgleichender Sportübungen - nicht in den Eigenverantwortungsbereich der Versicherten (Landessozialgericht NRW, Urteile vom 05. Februar 2004 - L 16 KR 102/03 - und vom 15. September 2005 - L 16 KR 77/05 - (Versorgung mit einer wasserfesten Prothese)); eine gegenteilige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist nicht ersichtlich).

Darüber hinaus ist die medizinische Einschätzung des MDK nicht nur durch den Vortrag der Klägerin, sondern auch durch die Befunderhebungen der behandelnden Ärzte und die zwischenzeitlich eingetretene Gesundheitsentwicklung der Klägerin widerlegt: So hat der von der behandelnden Neurologin E bestätigte Krankheitsverlauf und die damit verbundene Erfahrung ergeben, dass der Einsatz eines Markenturnschuhs - nach den Angaben der Neurologin eines Orthotec stabil II - keinen Erfolg gebracht, obwohl die Klägerin hiermit eigenverantwortlich ihre Bereitschaft gezeigt hat, zur Aufrechterhaltung des behinderungsausgleichenden Sports nicht unerhebliche Ausgaben zu tragen. Auch die Ausführung des MDK, dass die beantragten Turnschuhe ohne Peronaeusschiene einen gegenläufigen Effekt zu den bereits zur Verfügung gestellten orthopädischen Straßenschuhen hätten, kann bereits nach der eigenen Darlegung der Klägerin aber auch gegenüber den ausführlichen Darstellungen der behandelnden Ärzte E und X nicht durchgreifen. Denn es erscheint plausibel und nachvollziehbar, dass die Peronaeusschiene allein dazu eingesetzt wird, mittels Stabilisierung eine notwendige Gangsicherheit zu gewährleisten, ohne jedoch dem zu Grunde liegenden Krankheitsproblem des Muskelabbaus entgegenzuwirken und - durch die stabilisierende Schonung - diesen sogar zu fördern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Referenznummer:

R/R2936


Informationsstand: 09.04.2008