Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist die Anerkennung von Aufwendungen für den Einbau eines Treppenliftes als außergewöhnliche Belastung im Streitjahr 2005.
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Die Klägerin ist die Alleinerbin ihres am 14.06.2007 verstorbenen Ehemannes X.
S., mit dem sie im Streitjahr gemäß §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurde.
Ende des Jahres 2005 ließen sich die Klägerin und ihr am 18.11.1914 geborener, zwischenzeitlich verstorbener Ehemann von der U.
GmbH einen Treppenlift in ihr selbst genutztes Einfamilienhaus einbauen. Ausweislich einer Rechnung vom 19.12.2005 ergaben sich hierfür Kosten in Höhe von 18.664,45
EUR. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten sie die Aufwendungen für den Einbau des Treppenliftes als außergewöhnliche Belastung geltend. Hierzu legten sie dem Beklagten mit Schreiben vom 10.10.2006 ein am 5.10.2006 ausgestelltes ärztliches Attest des Internisten und Hausarztes
Dr. E. P., L., vor, in dem dieser ausführt:
"Seit 9/05 besteht bei o.g. [X.
S.] eine weitgehende Einschränkung der Gehfähigkeit. Das Zurücklegen kurzer Strecken ist ohne Hilfsmittel (Rollator oder Rollstuhl) nicht möglich. Mit Hilfsmitteln sind Gehversuche für den Patienten mit starken Schmerzen verbunden. Treppensteigen ist ihm unmöglich.
Die Voraussetzungen für eine Schwerbehinderung mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind gegeben."
Mit Bescheid vom 31.10.2006 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für das Streitjahr auf ........
EUR fest. Dabei berücksichtigte er die Aufwendungen für den Einbau des Treppenliftes nicht. Zudem legte er der Besteuerung sowohl bei der Klägerin als auch bei ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann Rentenbezüge in Höhe von je ........
EUR zugrunde, obwohl in der eingereichten Steuererklärung derartige Bezüge nur für die Klägerin erklärt worden waren.
Mit ihrem Einspruch vom 30.11.2006 wandten sich die Klägerin und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann sowohl gegen die doppelte Erfassung der Rentenbezüge als auch die Nichtberücksichtigung der für den Treppenlift geltend gemachten Aufwendungen. Hierauf teilte der Beklagte mit Schreiben vom 07.12.2006 mit, dass der Einspruch lediglich insoweit begründet sei, als die Rentenbezüge der Klägerin versehentlich doppelt erfasst worden seien. In diesem Punkt sei dem Einspruch zu entsprechen, im Übrigen müsse der Einspruch allerdings ohne Erfolg bleiben. Er - der Beklagte - könne daher dem Antrag nur teilweise entsprechen und den angefochtenen Bescheid nur hinsichtlich der doppelt erfassten Renteneinkünfte ändern. Er forderte die Klägerin und ihren zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann auf, mitzuteilen, ob sie mit der von ihm vorgeschlagenen Änderung einverstanden seien und den Einspruch "insoweit" einschränkten.
Mit Schreiben vom 10.01.2007 teilten die Klägerin und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann auf einem von dem Beklagten hierfür zur Verfügung gestellten Vordruck mit, sie seien mit der von dem Beklagten vorgeschlagenen Änderung einverstanden und schränkten ihren Einspruch "entsprechend" ein.
Daraufhin erließ der Beklagte am 24.01.2007 einen
gem. § 172
Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 der Abgabenordnung (
AO) geänderten Bescheid, mit dem er die Einkommensteuer für das Streitjahr auf ........
EUR herabsetzte. Die Kosten für den Einbau des Treppenliftes berücksichtigte er weiterhin nicht. Einen Hinweis, dass damit der Einspruch vom 30.11.2006 erledigt sei, enthält der Bescheid nicht.
Sodann wiesen die Klägerin und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann mit Schreiben vom 23.02.2007 darauf hin, dass über ihren Einspruch vom 30.11.2006 noch nicht abschließend entschieden worden sei, da der Bescheid vom 24.01.2007 lediglich eine Teilabhilfe darstelle. Sie hätten ihr Einspruchsbegehren nicht hinsichtlich der Anerkennung der Aufwendungen für den Treppenlift zurückgenommen. In den Erläuterungen des Änderungsbescheids werde auf diesen Umstand aber nicht hingewiesen.
Zugleich legten sie daher "vorsorglich" gegen den Bescheid vom 24.01.2007 Einspruch ein und wiederholten einen schon früher gestellten Antrag,
gem. § 364a
AO eine Erörterung des Sach- und Streitstandes durchzuführen. Zudem überreichten sie mit Schreiben vom 21.05.2007 ein am 09.05.2007 ausgestelltes Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin
Dr. H. S1., L., in dem dieser ausführt:
"Wir haben die Praxis, in der Herr X.
S. behandelt wird, seit 09.01.2006 übernommen. Ich selber arbeite als Hospitant sei Oktober 2005 hier mit. Zu diesem Zeitpunkt war Herr
S. bis auf wenige Schritte bettlägerig. Die zur weitgehenden Gehunfähigkeit und Treppengangunfähigkeit führende Erkrankung ist in der Stellungnahme von
Prof. Dr. med. T., N.-Str. ..... in ..... C. beschrieben.
Somit ist nach Aktenlage eine Gehunfähigkeit für Treppensteigen über mehrere Stufen hinaus ab Sommer 2005 belegt, aus eigener Erkenntnis ab Oktober 2005 sicher."
Mit einer auf den 22.08.2007 datierten und am 10.09.2007 versandten Einspruchsentscheidung wies der Beklagte den am 23.02.2007 gegen den Bescheid vom 24.01.2007 eingelegten Einspruch als unbegründet zurück. Er adressierte die Einspruchsentscheidung sowohl an die Klägerin als auch an ihren zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Ehemann.
Die Klägerin hat daraufhin - für sich selbst und zugleich als Rechtsnachfolgerin ihres zwischenzeitlich verstorbenen Ehemannes - mit Schreiben vom 12.10.2007 Klage erhoben, mit der sie sich ausdrücklich sowohl gegen den Bescheid vom 31.10.2006 als auch gegen die Einspruchsentscheidung vom 22.08.2007 wandte. Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen 14 K 4310/07 E geführt. Nach einem Hinweis des in diesem Verfahren zuständigen Berichterstatters hat der Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2010 die an den zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann der Klägerin gerichtete Einspruchsentscheidung aufgehoben. Außerdem hat er mit Einspruchsentscheidung vom 07.06.2010 den Einspruch der Klägerin vom 30.11.2006, den diese zugleich als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres zwischenzeitlich verstorbenen Ehemannes gegen den Bescheid vom 31.10.2006 in der Fassung des Bescheids vom 24.01.2007 erhoben hatte, als unbegründet zurückgewiesen. Die Einspruchsentscheidung hat er an die Klägerin, zugleich als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns, gerichtet. Zur Erläuterung hat er ausgeführt, er gehe nunmehr ebenfalls davon aus, dass durch den Bescheid vom 24.01.2007 das Einspruchsverfahren nicht vollständig erledigt worden sei. Daraufhin haben die Beteiligten den unter dem Aktenzeichen 14 K 4310/07 E geführten Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Mit ihrer am 09.07.2010 unter dem Aktenzeichen
14 K 2520/10 E erhobenen Klage hat sich die Klägerin - zugleich als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Ehemannes - gegen den Einkommensteuerbescheid 2005 vom 31.10.2006 in der Fassung vom 24.01.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.06.2010 gewendet. Zur Begründung trug sie vor, dass der Einbau des Treppenliftes im Herbst des Jahres 2005 eine zwangsläufige krankheits- und behinderungsbedingte Aufwendung gewesen sei. Dieser sei notwendig gewesen, weil ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann - zum damaligen Zeitpunkt über 90 Jahre alt - schon vor der Anschaffung weitgehend gehunfähig und insbesondere treppengangunfähig gewesen sei. Der Umstand, dass laut Mitteilung des Versorgungsamtes für ihren inzwischen verstorbenen Ehemann lediglich ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt worden sei und ein Merkzeichen "G"
bzw. "aG" fehle, stünde einer Anerkennung nicht entgegen. Aus sachverständiger Sicht wäre eine positive Entscheidung eines entsprechenden Antrages ihres Ehemannes durch das Versorgungsamt zu erwarten gewesen. Dieser habe allein aufgrund seines Alters davon abgesehen, einen entsprechenden Antrag zu stellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Klägerin in der Klageschrift vom 09.07.2010 in dem Verfahren 14 K 2520/10 E, dessen Akten beigezogen worden sind, verwiesen.
Der Beklagte war der Auffassung, Treppenlifte seien medizinische Hilfsmittel im weiteren Sinne, da sie auch von gesunden Personen aus Gründen der Steigerung des Lebensstandards - insbesondere im hohen Alter - angeschafft würden. Zur steuerlichen Berücksichtigung der Anschaffungskosten sei ein vor dem Einbau ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten erforderlich gewesen, wenn kein unmittelbarer Zusammenhang mit einer Krankheit oder Behinderung bestanden habe, welcher durch einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis nachgewiesen worden sei. Die Klägerin hätte jedoch keinen der genannten Nachweise erbracht. Da ein nach dem Einbau des Treppenliftes ausgestelltes Attest nicht anzuerkennen gewesen sei, sei auch nicht ersatzweise die Vernehmung des das Attest ausstellenden Arztes als Zeugen in Betracht gekommen.
Mit Urteil vom 05.10.2011 (Az.
VI R 14/11, BFH/NV 2012, 39) hat der Bundesfinanzhof das die Klage abweisende Urteil des 14. Senates des Finanzgerichts Münster vom 19.11.2010 aufgehoben, und die Sache an den inzwischen zuständig gewordenen 11. Senat des Finanzgerichts Münster zurückverwiesen.
Zur Begründung hat der Bundesfinanzhof ausgeführt, dass das Finanzgericht den Abzug der geltend gemachten Aufwendungen für den Einbau eines Treppenliftes zu Unrecht allein deshalb versagt habe, weil die medizinische Notwendigkeit dieser Maßnahme nicht durch ein zuvor erstelltes amtsärztliches Attest nachgewiesen worden sei. An dem Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12
Nr. 1 EStG) gehören könne, halte der erkennende Senat seit dem Senatsurteil vom 11.11.2010 (Az. VI R 17/09, BStBl II 2011, 969) nicht länger fest.
Eine abschließende Entscheidung sei jedoch noch nicht möglich, da das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang zu prüfen habe, ob der Einbau des Treppenlifts aufgrund der gesundheitlichen Beschwerden des Ehemannes der Klägerin medizinisch angezeigt gewesen sei. Ob es sich bei einem Treppenschräglift um ein medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinne oder um ein Hilfsmittel handele, welches nicht nur von Kranken, sondern - etwa der Bequemlichkeit wegen - auch von Gesunden angeschafft werde, sei insoweit ohne Belang. Zu beachten sei ferner, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung von der Heilanzeige erfasst werde. Medizinisch indiziert (angezeigt) sei vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) sei. Dieser medizinischen Wertung habe die steuerliche Beurteilung zu folgen.
Darüber hinaus habe das Finanzgericht festzustellen, ob die Klägerin und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehegatte zweifelsfrei zu erkennen gegeben hätten, dass sie nach der angekündigten Teilabhilfe an der Fortführung des Verfahrens nicht interessiert gewesen seien.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie - die Klägerin und ihr inzwischen verstorbener Ehemann - gegenüber dem Beklagten erklärt hätten, dass das Einspruchsverfahren nach der erfolgten Teilabhilfe bzgl. der doppelt erfassten Renteneinkünfte noch bzgl. der Aufwendungen für den Treppenlift fortgeführt werden solle und verweisen insoweit auf ihr Schreiben vom 23.02.2007.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 vom 24.01.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.06.2010 zu ändern und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Aufwendungen für den Einbau des Treppenlifts i.H.v. 18.664
EUR als außergewöhnliche Belastungen auf .....
EUR festzusetzen.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Akten der Verfahren 14 K 4310/07 E und 14 K 2520/10 E sowie die vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Das Gericht konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 90
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in Ihren Rechten, § 100
Abs. 1 Satz 1 FGO.
Die Klage ist allerdings nicht etwa deshalb unbegründet, weil möglicherweise die Klägerin ihr ursprüngliches Einspruchsbegehren auf die doppelte Erfassung der Rentenbezüge beschränkt hat. Nach der Auffassung des Senates war das Schreiben des Klägervertreters vom 10.01.2007 nach dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung vielmehr dahingehend zu verstehen, dass der Einspruch bzgl. der Aufwendungen für den Treppenlift aufrecht erhalten werden sollte und eine Einschränkung lediglich wegen der vom Beklagten eingeräumten doppelten Erfassung der Rentenbezüge erfolgen sollte.
Die Auslegung des Schreibens vom 10.01.2007 erfolgt nach dem objektiven Empfängerhorizont
i.S.d. §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Danach sind empfangsbedürftige Willenserklärungen so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste. Neben dem Wortlaut sind dabei auch die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.
Die Klägerin und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann haben in dem vom Beklagten zugesandten Vordruck die Variante "Wir sind mit der von Ihnen vorgeschlagenen Änderung einverstanden und schränken unseren Einspruch entsprechend ein." angekreuzt. Die vom Beklagten im Vorfeld einzig vorgeschlagene Änderung war jedoch die Korrektur der doppelten Erfassung der Rentenbezüge. Die auch vorhandene Ankreuzmöglichkeit "Ich nehme / wir nehmen den Einspruch/die Einsprüche zurück" wurde nicht gewählt. Weiterhin enthält der mit Datum vom 24.01.2007 geänderte Bescheid, der bzgl. der sonstigen Einkünfte des Ehemannes wie angekündigt geändert worden ist, in den Erläuterungen seitens des Beklagten keinen Hinweis auf die Erledigung des Einspruchs. Spätestens jedoch mit Schreiben vom 23.02.2007 spricht der "höchst vorsorglich" eingelegte Einspruch gegen den Änderungsbescheid mit den Einwendungen gegen die Nichtberücksichtigung der Aufwendungen für den Treppenlift gegen eine Einschränkung des Antrags durch die Klägerin bzgl. dieser Aufwendungen.
Die Klage ist aber unbegründet, weil die Klägerin nicht das für den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen erforderliche amtsärztliche Attest, welches über die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen für den Einbau des Treppenlifts eine Aussage hätte treffen können, eingereicht hat. Ein Treppenlift ist ein medizinisches Hilfsmittel im weiteren Sinne
i.S.d. § 64
Abs. 1
Nr. 2 Buchst. e) der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV), für den die Vorlage eines amts- oder vertrauensärztlichen Attestes Voraussetzung für den Abzug als außergewöhnliche Belastungen ist.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastungen), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in einem bestimmten Umfang ermäßigt, § 33
Abs. 1 EStG. Ein wesensbestimmendes Merkmal der außergewöhnlichen Belastung ist, dass sie zwangsläufig eintritt. Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen dann zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, § 33
Abs. 2 Satz 1 EStG. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht ausweichen kann (
vgl. BFH-Urteil vom 18.04.1990 III R 126/86, BStBl II 1990, 738), der Steuerpflichtige also keine tatsächliche Entschließungsfreiheit hat, bestimmte Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen.
Keine außergewöhnlichen Belastungen werden allerdings durch Aufwendungen für solche Maßnahmen begründet, die nicht unter den Begriff der Heilbehandlung im hier maßgeblichen Sinne fallen. Nur vorbeugende, der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen oder die mit einer Krankheit verbundenen Folgekosten erwachsen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zwangsläufig (BFH-Urteil vom 06.04.1990 III R 60/88, BStBl II 1990, 958).
Bei der Anschaffung von Hilfsmitteln, die, wie Brillen, Hörapparate und Rollstühle, nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft werden und bei denen häufig eine Anpassung an die individuellen Gebrechen des Steuerpflichtigen erforderlich ist (medizinische Hilfsmittel im engeren Sinn), kann typisierend davon ausgegangen werden, dass ihr Kauf medizinisch indiziert ist und deshalb auf eine Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde nach mit Hilfe der vorgenannten Aufklärungsmittel verzichtet werden (BFH-Urteil vom 09.08.1991 III R 54/90, BStBl II 1991, 920).
Medizinische Hilfsmittel im weiteren Sinne hingegen sind solche Gegenstände, die nach der Lebenserfahrung nicht nur von Kranken zur Heilung ihrer Krankheit oder zur Linderung der durch ihre Krankheit verursachten Beschwerden, sondern mitunter auch von gesunden Menschen angeschafft werden, um ihre Gesundheit zu erhalten oder ihren Lebenskomfort zu steigern.
Nach Auffassung des Senates fällt der streitige Treppenlift unter die Hilfsmittel im weiteren Sinne, weil er auch von gesunden Steuerpflichtigen aus Gründen der Steigerung des Lebensstandards vorwiegend im hohen Alter gekauft wird. Weiterhin hat die technische Entwicklung von Antrieben und verschiedenen Modellen in den letzten Jahren aufgrund des demografischen Wandels in erhöhtem Maße den Verkauf von Treppenliften begünstigt, so dass die Anschaffungskosten gesunken sind und Einsatzmöglichkeiten sich in den letzten Jahren vielfach verbessert haben. Insbesondere die Werbung, die von den verschiedenen Firmen für diese Produkte betrieben wird, zielt aus Zwecken der Absatzsteigerung immer mehr auf den Komfortgedanken (
vgl. Urteil des FG Nürnberg vom 04.12.2003
VI 361/2002,
EFG 2004, 735). In vielen Fällen erfolgt ein Einbau, um die Beschwerlichkeiten des Alters zu mildern.
Darüber hinaus wird - wie es bei Brillen oder Hörgeräten als Beispiele für Hilfsmittel im engeren Sinne der Fall ist - keine individuelle Anpassung des Treppenliftes an die Gebrechen des einzelnen Benutzers vorgenommen. Vielmehr ist der Treppenlift für jeden Nutzer und Besucher des Hauses nutzbar.
Für den Nachweis der Zwangsläufigkeit bei medizinischen Hilfsmitteln im weiteren Sinne ist daher mit der Verabschiedung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 01.11.2011 (veröffentlicht im Bundesgesetzblatt (BGBl.) am 04.11.2011, BGBl. I 2011, 2131) § 33 EStG dahingehend geändert worden, dass folgender Absatz 4 eingefügt wurde (
vgl. Art. 1
Nr. 19 b Steuervereinfachungsgesetz 2011):
"(4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten des Nachweises von Aufwendungen nach Absatz 1 zu bestimmen."
Die auf der Grundlage des § 33
Abs. 4 EStG ergangene Regelung des § 64
Abs. 1
Nr. 2 Buchst. e) EStDV i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 sieht vor, dass der Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens im Sinne von
§ 33 Abs. 1 SGB V anzusehen sind, durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (
§ 275 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) zu erbringen ist.
Nach § 84
Abs. 3 f EStDV (
vgl. Art. 2
Nr. 9 d des Steuervereinfachungsgesetzes 2011) ist die genannte Regelung in allen Fällen, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden.
Der Senat versteht den Verweis des § 64
Abs. 1
Nr. 2 Buchst. e) EStDV auf § 33
Abs. 1
SGB V dahingehend, dass der Verordnungsgeber weiterhin an der von der früheren BFH-Rechtsprechung entwickelten Unterscheidung zwischen Hilfsmitteln im engeren und weiteren Sinne festhalten wollte.
Nach § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach
§ 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Was regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird, fällt nicht in die Leistungspflicht der Krankenkassen. Nicht ausschlaggebend ist, ob der Gegenstand aus Vermarktungsgründen als "medizinisches Hilfsmittel" beworben wird (Urteil des
BSG vom 22.08.2001
B 3 P 13/00 R,
BSG SozR 3-3300 § 40 Nr 7 zum elektrisch verstellbaren Sessel). Zur Ermittlung des Vorliegens der Eigenschaft eines Hilfsmittels der Krankenversicherung ist deshalb allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstands abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist (
BSG-Urteil vom 16.09.1999
B 3 KR 1/99 R,
BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 33 zum Luftreinhaltungsgerät II): Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie herge-stellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen; das gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind (zB Brillen, Hörgeräte). Umgekehrt ist ein Gegenstand auch trotz geringer Verbreitung in der Bevölkerung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegen-stand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist (
vgl. BSG-Urteile vom 16.09.1999
B 3 KR 9/98 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 32 zum Tandem;
B 3 KR 8/98 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 31 zum Rollstuhl-Bike).
Ginge man vom reinen Wortlaut des § 64
Abs. 1
Nr. 2 Buchst. e) EStDV aus, käme man zu dem Ergebnis, dass für den Fall, dass ein medizinisches Hilfsmittel, welches nicht die weitergehenden Anforderungen des § 33
Abs. 1
SGB V erfüllt (zB keine gewisse Transportierbarkeit außerhalb des Hauses aufweist), ein Nachweis der Zwangsläufigkeit für die einkommensteuerrechtliche Betrachtung überhaupt nicht erforderlich sei. Dies kann seitens des Verordnungsgebers nicht Ziel des Verweises auf § 33
Abs. 1
SGB V sein. Vielmehr sollte mit der Neufassung des § 64
Abs. 1 EStDV die bisher gültige Verwaltungsanweisung R 33.4 EStR 2008 als gesetzliche Grundlage kodifiziert werden (
vgl. BT-Drucks. 17/6146 zu
Art. 2
Nr. 7 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011). Bereits im Rahmen der Anwendung der Richtlinie R 33.4 EStR hat jedoch auch der Verordnungsgeber wie die Rechtsprechung die Einteilung von Hilfsmitteln im engeren und weiteren Sinne vorgenommen.
Der Senat legt den Verweis in § 64
Abs. 1
Nr. 2 Buchst. e) EStDV daher nach Sinn und Zweck dahingehend aus, dass weiterhin für solche medizinischen Hilfsmittel, die sowohl von kranken als auch von gesunden Menschen angeschafft werden und bei denen daher die medizinische Indikation dieser Anschaffung in Abgrenzung zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten gemäß § 12
Nr. 1 EStG schwer zu beurteilen ist, ein amtsärztliches Attest vor der Anschaffung des Hilfsmittels notwendig ist. Nur so kann einkommensteuerrecht-lich die Zwangsläufigkeit des jeweiligen Hilfsmittels für den jeweiligen Steuerpflichtigen sicher nachgewiesen werden.
Die Anwendung dieser aufgrund des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 geänderten Regelung auch für das Streitjahr 2005 begegnet darüber hinaus keinen rechtstaatlichen Bedenken (
vgl. BFH-Urteil vom 19.04.2012 VI R 74/10, BFH/NV 2012, 1373).
Gemessen an den Grundsätzen zur Rückwirkung von Gesetzen durfte der Verordnungsgeber das formalisierte Nachweisverlangen rückwirkend anordnen. Der Gesetzgeber hat die Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Urteile des BFH vom 11.11.2010 (VI R 16/09, BStBl II 2011, 966 und VI R 17/09, a.a.O.) einer gefestigten Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 14.02.1980 VI R 218/77, BStBl II 1980, 295; vom 11.01.1991 III R 70/88, BFH/NV 1991, 386; vom 11.12.1987 III R 95/85, BStBl II 1988, 275; vom 09.08.1991 III R 54/90, BStBl II 1991, 920; vom 09.08.2001 III R 6/01, BStBl II 2002, 240; vom 23.05.2002 III R 52/99, BStBl II 2002, 592; vom 21.04.2005 III R 45/03, BStBl II 2005, 602; vom 15.03.2007 III R 28/06, BFH/NV 2007, 1841; BFH-Beschlüsse vom 10.12.2004 III B 56/04, juris; vom 24.11.2006 III B 57/06, BFH/NV 2007, 438, und vom 15.11.2007 III B 205/06, BFH/NV 2008, 368) und der einhelligen Praxis der Finanzverwaltung (R 33.4
Abs. 1 EStR) und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis auch auf Seiten der Steuerpflichtigen entsprochen hat. Ein berechtigtes Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage haben die Steuerpflichtigen jedenfalls vor der Rechtsprechungsänderung nicht bilden können. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen und zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Urteilsgründe des Urteils vom 19.04.2012 (VI R 74/10, a.a.O.) verwiesen.
Der Senat ist bzgl. der Forderung eines amtsärztlichen Attestes für den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen nicht an die rechtlichen Ausführungen des Bundesfinanzhofes aus seinem Urteil vom 05.10.2011 (Az. VI R 14/11, a.a.O.) gebunden.
Aufgrund einer Änderung der Rechtslage durch das Inkrafttreten eines neuen Gesetzes, das entscheidungserheblich ist und dem
ggf. - zulässigerweise - rückwirkende Geltung beigelegt wird, erlischt die Bindungswirkung des § 126
Abs. 5 FGO (
vgl. BFH-Urteil vom 22.02.2006 I B 145/05, BStBl II 2006, 546; Seer in Tipke / Kruse, FGO, § 126 Rz. 88). Denn mit der Gesetzesänderung wird der rechtlichen Beurteilung des Bundesfinanzhofes in dem aufhebenden Urteil die Grundlage entzogen. Das Finanzgericht muss das Gesetz anwenden, das im Zeitpunkt seiner Entscheidung gültig ist (
vgl. Seer in Tipke / Kruse FGO, § 126 Rz. 88).
Die genannten Regelungen des § 33
Abs. 4 EStG
i.V.m. § 64 EStDV sind gemäß
Art. 18
Abs. 2 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 am Tag nach Ihrer Verkündung am 05.11.2011 - und somit nach Ergehen des Urteils des Bundesfinanzhofes vom 05.10.2011 in Kraft getreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135
Abs. 1, 143
Abs. 2 FGO.
Die Revision wird gemäß § 115
Abs. 2
Nr. 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bzgl. der Qualifikation des Treppenliftes als medizinisches Hilfsmittel im weiteren Sinne zugelassen.