Die Klage ist begründet.
Die Einspruchsentscheidung vom 12. Juli 2012 und der Einkommensteuerbescheid vom 27. August 2014 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, da außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 65.000
EUR vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung nach § 33 EStG wie von den Klägern beantragt zu berücksichtigen sind.
1. Nach § 33
Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastungen) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33
Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (BFH-Urteile vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 86, BStBl II 1990, 418; aus jüngster Zeit in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458).
a) In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen (BFH-Urteil in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458,
m.w.N.).
b) Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33
Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227,
m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543). Das gilt nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (BFH-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805), also medizinisch indiziert sind (BFH-Urteil vom 19. April 2012 VI R 74/10, BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577).
c) Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (
§§ 2,
23,
31 bis
35 des Sozialgesetzbuches -SGB- Fünftes Buch -V-) ist dieser Nachweis nach § 64
Abs. 1
Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64
Abs. 1
Nr. 2 Satz 1 Buchst. a bis f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in einer abschließenden Aufzählung (
vgl. BFH-Urteile vom 29. März 2012 VI R 21/11, BFHE 237, 93, BStBl II 2012, 574; in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458) vor ein von Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (
§ 275 SGB V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist - aufgrund der in § 84
Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordneten verfassungsrechtlich unbedenklichen rückwirkenden Gestaltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 (BFH-Urteil in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577) - auch im Streitjahr u.a. bei medizinischen Hilfsmitteln, die allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens im Sinne von
§ 33 Abs. 1 SGB V sind (§ 64
Abs. 1
Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), erforderlich (BFH-Urteil in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458).
d) Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.
S. von § 33
Abs. 1
SGB V sind allerdings nur solche technischen Hilfen, die getragen oder mit sich geführt werden können, um sich im jeweiligen Umfeld zu bewegen, zurechtzufinden und die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen (BFH-Urteile in BFHE 237, 93, BStBl II 2012, 574; in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458; Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 6. August 1998
B 3 KR 14/97, SozR 3-2500 § 33
Nr. 30). Fest in ein Haus oder eine Wohnung eingebaute technische Hilfen - wie ein Aufzug oder ein Treppenlift - fallen folglich nicht in den Anwendungsbereich des § 33
Abs. 1
SGB V (
vgl. BSG-Urteil in SozR 3-2500 § 33
Nr. 30).
e) Die Kläger haben die medizinische Notwendigkeit der Aufwendungen für die Anschaffung des Aufzuges zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen.
Dem im Jahr 2009 89 Jahre alten Ehemann der Klägerin zu 3.) wurde ausweislich der bei der Einkommensteuerakte befindlichen Kopie des Schwerbehindertenausweises der Stadt E bereits seit dem 1. Januar 1988 ein Grad der Behinderung von 50 bescheinigt. Die Klägerin zu 3.) vollendete im Jahr 2009 ihr 83. Lebensjahr. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass sich mit zunehmendem Alter der Gesundheitszustand verschlechtert. Darüber hinaus bestätigte der die Klägerin zu 3.) behandelnde Arzt F mit Attest vom 23. November 2012, dass aufgrund einer fortgeschrittenen Herzerkrankung sowie hochgradiger degenerativer Veränderung des Skelettsystems die Klägerin in ihrer Gehfähigkeit deutlich eingeschränkt ist und auf Gehilfen angewiesen ist, sodass der Einbau eines Lifts im Privatwohnhaus medizinisch begründet ist. Ebenso bestätigte mit Attest vom 29. August 2012 der den Ehemann der Klägerin zu 3.) bis zu dessen Tode behandelnde Arzt G, dass der Ehemann der Klägerin zu 3.) krankheitsbedingt schon lange nicht mehr in der Lage war Treppen zu steigen, so dass der Treppenlift eine medizinisch notwendige Einrichtung darstellte, um die Mobilität und Lebensqualität aufrecht zu erhalten. Damit bescheinigen beide Ärzte, dass die Klägerin zu 3.) und ihr verstorbener Ehemann eines medizinischen Hilfsmittels bedurften, um in die oberen Etagen ihres Hauses zu gelangen. Zwar sind diese Atteste lediglich als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen (BFH-Urteile in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966; in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969,
m.w.N.), gleichwohl war der Senat nicht gehalten
ggf. von Amts wegen aufgrund seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung nach § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein Gutachten über die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Maßnahmen einzuholen. Zum einen hat der Schwerbehindertenausweis drittwirkende Beweisfunktion als öffentliche Urkunde i.
S. des § 417 der Zivilprozessordnung auch gegenüber dem Finanzgericht (
vgl. BFH-Beschluss vom 11. März 2014
VI B 95/13, BFHE 244, 436, BStBl II 2014, 525), zum anderen haben die Beteiligten sich im Termin der mündlichen Verhandlung dahingehend verständigt, dass für den verstorbenen Ehemann der Klägerin zu 3.) und die Klägerin zu 3.) die medizinische Notwendigkeit eines technischen Hilfsmittels bestand, um in die obere Etage ihrer Wohnung zu gelangen.
f) Die Aufwendungen der Kläger sind in Höhe von 65.000
EUR für die medizinisch indizierte Anschaffung des Fahrstuhls vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Aufwendungen für medizinisch indizierte Maßnahmen sind typisierend als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33
Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf. Weiter ist zu beachten, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung von der Heilanzeige erfasst wird. Medizinisch indiziert ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist (BFH-Urteil in BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458,
m.w.N.). Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen (BFH-Urteil in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969), es sei denn, es liegt ein offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor (BFH-Urteil in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711,
m.w.N.).
aa) Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt kein für jedermann offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor.
Die Rechtsprechung des BFH fordert bei der Berücksichtigung von Krankheitskosten im Allgemeinen nicht die Prüfung, ob die Aufwendungen den Umständen nach notwendig waren und einen angemessenen Betrag übersteigen. Beanstandungen sind insoweit nur gerechtfertigt, wenn ein für jedermann offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vorliegt (BFH-Urteil in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711).
Die Beteiligten haben sich im Termin der mündlichen Verhandlung dahingehend tatsächlich verständigt, dass für den Einbau eines Fahrstuhls 65.000
EUR angemessen i.
S. des § 33 EStG sind.
bb) Das Gericht musste auch nicht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis darüber erheben, ob es möglich gewesen wäre in das Haus der Klägerin zu 3.) unter Einhaltung der technischen Vorschriften einen Treppenlift einzubauen. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein solcher Einbau nicht möglich ist.
Das Gericht durfte das am 5. November 2009 erstellte und vom Landgericht E in Auftrag gegebenen Gutachten der Bausachverständigen B & G gemäß § 82 FGO
i.V.m. § 411a
ZPO verwerten.
Nach § 411a, 1. Alt.
ZPO kann die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden.
(1) Aus dem Gutachten ergibt sich, dass der Einbau eines Treppenliftes bereits aufgrund der örtlichen Festlegungen der begutachteten Treppensituation zwischen Unter- und Erdgeschoss nicht möglich ist. Im Erdgeschoss befindet sich unmittelbar an der Vorderkante der obersten Stufe die Türzarge mit Tür in den dahinter liegenden Raum. Das lichte Maß zwischen Wand und Innenkante des Handlaufs beträgt lediglich 860 mm. Das lichte Öffnungsmaß der Tür im Erdgeschoss beträgt 690 mm. Die lichte Treppenbreite wird demnach nach unten gesehen links um
ca. 82 mm und rechts um
ca. 88 mm eingeengt. Die Situation wird auf den Bildern 2 bis 4 des Gutachtens verdeutlicht. Um die Sicherheit des Nutzers eines Treppenliftes zu gewährleisten, ist ein Betrieb eines Treppenliftes nur bei ausgeklapptem Sitz und ausgeklappter Fußstütze zulässig. Der Zeichnung auf Bl. 10 des Gutachtens ist zu entnehmen, dass der Sessel im Erdgeschoss, wenn eine Person auf dem Sitz Platz genommen hat, nicht um 90° drehbar ist, da die Fußstütze nicht an der Vorderkante der Türzarge vorbei schwenken kann. Die Fußstütze kollidiert nach den Feststellungen im Gutachten mit dem Mauerwerk
bzw. der Türzarge. Für die Beine des Nutzers ist kein Platz und es besteht Verletzungsgefahr.
(2) Darüber hinaus wären bei Einbau eines Treppenliftes die Voraussetzungen des § 36
Abs. 5 Bauordnung Nordrhein-Westfalen (BauO NW) nicht erfüllt.
Nach dieser Regelung muss die nutzbare Breite der Treppen und Treppenabsätze notwendiger Treppen mindestens 1 m betragen; in Wohngebäuden mit nicht mehr als zwei Wohnungen genügt eine Breite von 0,8 m.
Das Maß von 0,8 m wird bei Einbau eines Treppenliftes in das Haus der Klägerin zu 3.) deutlich unterschritten. Das Gutachten stellt weiterhin fest, dass bei Einbau eines Treppenliftes die nutzbare Breite einer regelgerechten Treppe zwangsläufig unterschritten wird. Aufgrund der baulichen Situation des auf der Wand vorhandenen Handlaufs und der Einschnürung des lichten Maßes im Bereich der Türzarge ist die Montage einer solchen Konstruktion nur mit großem Wandabstand möglich. Ein gefahrloses Besteigen der Treppe, insbesondere für ältere und gebrechliche Personen ist aus sachverständiger Sicht bei montiertem Treppenlift nicht mehr möglich, denn die erforderliche Nutzbreite wird deutlich von 0,80 m auf 0,51 m unterschritten. Selbst wenn aber der Handlauf, der die nutzbare Breite um 77 mm verringert, demontiert worden wäre, so würde die erforderliche Nutzbreite weiterhin um 0,587 m unterschritten. Darüber hinaus benötigt ein Treppenlift eine Führungsschiene und einen Sitz, für diese bliebe bei dem im Gutachten festgestellten lichten Maß zwischen Wand und Innenkante des Handlaufs von 860 mm lediglich 60 mm Raum. Es steht daher nach Überzeugung des Gerichts wie auch im Gutachten festgestellt fest, dass bei Einbau eines Treppenliftes die nutzbare Breite einer regelgerechten Treppe zwangsläufig unterschritten wird. Der Einbau eines Treppenliftes führt damit zwangsläufig zur Unvereinbarkeit mit der baurechtlichen Bestimmung des § 36
Abs. 5 BauO NW.
2. Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird gemäß § 100
Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen. Hierbei hat er vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung einen Betrag von 65.000
EUR als außergewöhnliche Belastungen i.
S. des § 33
Abs. 1 EStG zu berücksichtigen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136
Abs. 1 Satz 1, 2. Fall FGO.