Urteil
Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für den Einbau eines Treppenlifts im Haus der verstorbenen Eltern als außergewöhnliche Belastungen

Gericht:

FG Münster 3. Senat


Aktenzeichen:

3 K 1097/14 E


Urteil vom:

11.02.2016


Grundlage:

  • EStG § 33 Abs. 1 |
  • EStG § 33 Abs. 2 S. 1

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 2005 vom 24.01.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.06.2010 wird nach Maßgabe der Entscheidungsgründe geändert.

Die Steuerberechnung wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für den Einbau eines Treppenlifts im Haus der verstorbenen Eltern des Klägers im Jahr 2005 als außergewöhnliche Belastungen. Die Sache befindet sich im dritten Rechtsgang.

Die am 00.00.2015 verstorbene Mutter des Klägers, U 2, war Alleinerbin ihres am 00.00.2007 verstorbenen Ehemannes, U 3, mit dem sie für das Streitjahr 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurde.

Im Dezember des Streitjahres 2005 ließen der 1914 geborene Vater und die Mutter des Klägers einen Treppenlift in ihr selbstgenutztes Einfamilienhaus einbauen. Die Aufwendungen hierfür beliefen sich auf 18.664 Euro, die sie in ihrer Einkommensteuererklärung 2005 als außergewöhnliche Belastungen geltend machten. Hierzu legten sie dem Beklagten ein am 05.10.2006 ausgestelltes ärztliches Attest des Internisten und Hausarztes T vor, in dem dieser ausführt:

"Seit 9/05 besteht bei o.g. eine weitgehende Einschränkung der Gehfähigkeit. Das Zurücklegen kurzer Strecken ist ohne Hilfsmittel (Rollator oder Rollstuhl) nicht möglich. Mit Hilfsmitteln sind Gehversuche für den Patienten mit starken Schmerzen verbunden. Treppensteigen ist ihm unmöglich.

Die Voraussetzungen für eine Schwerbehinderung mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind gegeben."

Der Beklagte berücksichtigte die Aufwendungen bei der Einkommensteuerfestsetzung 2005 gleichwohl nicht. Im Einspruchsverfahren legten die Eltern des Klägers zur Ergänzung ein ärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis T/N vor, das lautet:

"Wir haben die Praxis, in der Herr U 3 behandelt wird, seit 09.01.2006 übernommen. Ich selber arbeite als Hospitant seit Oktober 2005 hier mit. Zu diesem Zeitpunkt war Herr U 3 bis auf wenige Schritte bettlägerig. Die zur weitgehenden Gehunfähigkeit und Treppengangunfähigkeit führende Erkrankung ist in der Stellungnahme von Prof. Dr. med. L, A-Straße 1 in O beschrieben.

Somit ist nach Aktenlage eine Gehunfähigkeit für Treppensteigen über mehrere Stufen hinaus ab Sommer 2005 belegt, aus eigener Erkenntnis ab Oktober 2005 sicher."

Unterzeichnet ist das Attest von N.

Einspruch und Klage (FG Münster, Urteil vom 19.11.2010 14 K 2520/10 E, EFG 2011, 1319) waren erfolglos, da es an einem ausreichenden Nachweis der medizinischen Notwendigkeit für den Einbau des Treppenlifts fehle. Die Bescheinigungen der behandelnden Ärzte reichten insoweit nicht aus. Der Bundesfinanzhof hob das klageabweisende Urteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück (Urteil vom 05.10.2011 VI R 14/11, BFH/NV 2012, 39). Am Erfordernis einer vor der Maßnahme erfolgten amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit halte der Senat nicht länger fest.

Im nachgehenden Verfahren 11 K 3982/11 E wies das Finanzgericht die Klage durch Urteil vom 18.09.2012 erneut ab (EFG 2013, 44). Für die geltend gemachten Aufwendungen sei ein Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor der Maßnahme eingeholtes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung gem. § 64 Abs. 1 Nr. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 erforderlich. Der Bundesfinanzhof hob das klageabweisende Urteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück (Urteil vom 06.02.2014 VI R 61/12, BStBl. II 2014, 458).

Im nunmehr 3. Rechtsgang hat der Kläger weitere ärztliche Bescheinigungen bzw. Äußerungen der seinen Vater behandelnden Ärzte vorgelegt, im Einzelnen die Arztbriefe von Prof. Dr. med. C, Internist und Kardiologe, vom 09.01.2001 (Blatt 15 ff der Gerichtsakte), vom 13.03.2003 (Blatt 18 ff der Gerichtsakte), vom 13.04.2005 (Blatt 21 ff der Gerichtsakte) und vom 07.04.2015 (Blatt 68 ff der Gerichtsakte), von Dr. D vom 07.06.2005 (Blatt 54 ff der Gerichtsakte) und von Prof. Dr. L, Facharzt für Orthopädie, vom 31.10.2015.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid vom 24.01.2007 und die Einspruchsentscheidung vom 07.06.2010 zu ändern und außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 18.664 Euro zu berücksichtigen,

hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

Der Senat hat in der Sache am 11.02.2016 mündlich verhandelt und Herrn Prof. Dr. med. C als sachverständigen Zeugen und Frau Dr. med. R als Sachverständige gehört. Zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Rechtsweg:

FG Münster, Urteil vom 19.11.2010 - 14 K 2520/10 E
BFH, Urteil vom 05.10.2011 - VI R 14/11
FG Münster, Urteil vom 18.09.2012 - 11 K 3982/11 E
BFH, Urteil vom 06.02.2014 - VI R 61/12
FG Münster, Urteil vom 11.02.2016 - 3 K 1097/14 E

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO). Die für den Einbau des Treppenlifts angefallenen Aufwendungen in unstreitiger Höhe von 18.664 Euro sind als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

Nach § 33 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastungen) erwachsen. Zwangsläufig sind Aufwendungen dann, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (vgl. BFH, Urteil vom 06.02.2014 VI R 61/12, BStBl. II 2014, 458 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).

In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Es werden aber nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zu Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen (z.B. Rollstuhl).

Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf. Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden, also medizinisch indiziert sind. Dabei ist nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung medizinisch indiziert ist, sondern vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung im Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist. Der medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen (vgl. BFH, Urteil vom 06.02.2014 - VI R 61/12, BStBl. II 2014, 458 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung). Besonderer formalisierter Nachweise bedarf es dazu im vorliegenden Fall nicht; jedoch ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofs ein Gutachten des behandelnden Arztes als Parteigutachten nicht zum Nachweis geeignet (vgl. BFH in BStBl. II 2014, 458).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Senat nach dem Inhalt der vorliegenden ärztlichen Gutachten und Bescheinigungen sowie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass der Einbau des Treppenlifts zur Linderung der Krankheiten des Vaters des Klägers angezeigt und damit medizinisch indiziert war.

So hat der Kläger bekundet, dass sein Vater in den letzten Lebensjahren große Schwierigkeiten gehabt habe sich zu bewegen, und im Streitjahr bereits für den Weg vom Bett zur Toilette seine Gehhilfe oder auch seinen Rollator habe benutzen müssen.

Der Vater des Klägers war darüber hinaus nach Auffassung der ihn behandelnden Ärzte Prof. Dr. med. L und Prof. Dr. med. C, deren Beurteilung anzuzweifeln der Senat keinen Anlass hat, nicht nur durch seine orthopädischen Leiden, insbesondere die Spinalkanalstenose, in seiner Treppengehfähigkeit behindert, sondern, wie sich aus der Aussage des Prof. Dr. med. C in der mündlichen Verhandlung ergibt, zusätzlich durch seine Luftnot des Schweregrads III (Luftnot bei geringer Belastung) nicht in der Lage, die Treppe vom Erdgeschoss des Hauses in den ersten Stock zu bewältigen.

Die Sachverständige hat sich zur Gesamtheit der vorliegenden Arztbriefe und Bescheinigungen und auch zu der Zeugenaussage dahingehend geäußert, dass zum Zeitpunkt des Einbaus des Treppenlifts Ende 2005 davon auszugehen sei, dass dieser zur Linderung der Krankheiten des Klägers erforderlich gewesen sei, und sich der Wertung der behandelnden Ärzte für das Streitjahr angeschlossen. Sie hat dabei darauf hingewiesen, dass zwar aus den weiter zurückliegenden Arztbriefen sich diese Wertung hinsichtlich der internistischen Sicht noch nicht zwingend ergeben habe, dass sich aber der Gesundheitszustand des Vaters des Klägers im weiteren Verlauf, insbesondere nach den noch im Frühjahr und Sommer 2005 erstellten Arztbriefen wesentlich verschlechtert habe. Eine rapide Verschlechterung des Krankheitsbildes sei möglich. Dass eine derartige Verschlechterung eingetreten sei, sei auch aus den zeitnah zum Streitjahr erstellten hausärztlichen Bescheinigungen ersichtlich, auf die sie ihre Wertung ebenfalls stütze.

Der Senat folgt der Wertung der behandelnden Ärzte und der Sachverständigen.

Die Steuerberechnung wird dem Beklagten gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1, § 143 Abs. 2 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionsgründe im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Der Senat hat unter Anwendung der vom Bundesfinanzhof entwickelten Grundsätze die für den vorliegenden Einzelfall festgestellten Tatsachen gewürdigt.

Referenznummer:

R/R9053


Informationsstand: 28.05.2020