Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 100
Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FA hat die streitigen Aufwendungen für die Anschaffung eines Doppelbettes zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastung
i.S.d. § 33
Abs. 1 EStG berücksichtigt.
Nach § 33
Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33
Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (
vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. September 1989 III R 129/86, BStBl II 1990, 418).
Nach der Rechtsprechung erwachsen Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen stets zwangsläufig. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen (
z.B. Urteile des BFH vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BStBl II 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BStBl II 1987, 427, und vom 20. März 1987 III R 150/86, BStBl II 1987, 596).
Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33
Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (Urteile des BFH vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BStBl II 2001, 543, sowie vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BStBl II 1999, 227,
m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (Urteil des BFH vom 1. Februar 2001 III R 22/00, a.a.O.). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen medizinisch indiziert sind (
vgl. des BFH vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BStBl II 1997, 805).
Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in bestimmten Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (
§§ 2,
3,
23,
31 bis
33 SGB V) ist dieser Nachweis nach § 64
Abs. 1
Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen. Bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64
Abs. 1
Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (
§ 275 SGB V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist beispielsweise bei medizinischen Hilfsmitteln, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
i.S.v. § 33
Abs. 1
SGB V anzusehen sind (§ 64
Abs. 1
Nr. 2 Satz 1 e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), erforderlich.
Die Voraussetzungen der qualifizierten Nachweispflicht des § 64
Abs. 1
Nr. 2 e EStDV sind im Streitfall gegeben. Denn bei dem vom Kläger angeschafften Doppelbett handelt es sich um ein Hilfsmittel im weiteren Sinne, das - wie
z.B. ein orthopädischer Stuhl - auch von gesunden Steuerpflichtigen aus Gründen der Vorsorge oder zur Steigerung der Bequemlichkeit genutzt wird. Das vom Kläger genutzte Bett mit motorbetriebenem Einlegerahmen ist wie ein normales, d.h. von einer großen Zahl von Menschen genutztes, Bett ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Sinne von § 33
Abs. 1
SGB V. Die Eigenschaft als Gebrauchsgegenstand ging auch nicht dadurch verloren, dass dieser Gegenstand durch gewisse Veränderungen oder durch eine bestimmte Qualität oder Eigenschaft medizingerecht für Kranke oder Behinderte gestaltet wurde. Dies ist nur dann anders, wenn die Veränderung aus medizinischen Gründen nach Art und Ausmaß so umfassend ist, dass der Gegenstand einem dem gleichen Zweck dienenden Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht mehr gleichgestellt werden kann. Maßgebend für die Abgrenzung ist vor allem, ob der veränderte Gegenstand ausschließlich bei Kranken
bzw. Behinderten Verwendung findet, oder ob er auch von Gesunden benutzt und ohne weiteres gegen einen dem selben Zweck dienenden handelsüblichen Gegenstand ausgetauscht werden kann (
vgl. hierzu Urteil des Bundessozialgerichts -
BSG - vom 25. Januar 1995
3/1 RK 63/93, SoZR 3-2500 § 33
Nr. 13; Neue Zeitschrift für Sozialrecht - NZS - 1995, 412).
Im Streitfall handelt es sich bei dem Doppelbett um einen einheitlichen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der auch von Gesunden zur Befriedigung ihres Ruhe- und Schlafbedürfnisses genutzt wird. Lediglich das Oberkörperteil, das Ober- und Unterschenkelteil sowie das Nackenteil des motorbetriebenen Einlegerahmens sind verstellbar. Ansonsten sind die Bestandteile des Doppelbettes identisch. Insbesondere ist das vom Kläger genutzte Bett nicht in der Höhe verstellbar. Die bloße Verwendung eines motorbetriebenen Einlegerahmens macht das Bett noch nicht zu einem Hilfsmittel, das ausschließlich von kranken oder behinderten Menschen beansprucht wird. Vielmehr ist das Doppelbett auch äußerlich erkennbar auf Grund der gleichen Höhe der beiden Lattenrostrahmen bis zur Matratzenoberkante ein einheitlicher Gegenstand, der auch von Gesunden als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens genutzt wird.
Dem formalisierten Nachweisverlangen des § 64
Abs. 1
Nr. 2 e EStDV ist auch im Streitjahr 2010 zu entsprechen. Denn nach § 84
Abs. 3 f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist § 64
Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in allen Fällen, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden (Urteil des BFH vom 19. April 2012 VI R 74/10, a.a.O.). Die hiergegen vom Kläger erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.
Weder die in § 33
Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der auf ihrer Grundlage ergangene § 64
Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. § 33
Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 ist hinreichend bestimmt und mit § 80
Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (
GG) vereinbar. Auch hat sich der Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung von § 64
Abs. 1 i.d.F. des StVereinfG 2011 im Rahmen seiner Befugnisse gehalten. Die strenge Formalisierung des Nachweises der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall ist nicht unverhältnismäßig. Auf Grund der Neutralität und Unabhängigkeit des Amts- und Vertrauensarztes ist dieses Nachweisverlangen im steuerlichen Massenverfahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um die nach Artikel 3
Abs. 1
GG gebotene Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber beim Nachweis von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln (im engeren Sinne) auf ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten verzichtet und eine vorherige Verordnung durch den behandelnden Arzt oder Heilpraktiker genügen lässt. Denn insoweit wird verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten Rechnung getragen (Geserich, Finanzrundschau 2011, 1067).
Auch die in § 84
Abs. 3 f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist - entgegen der Rechtsauffassung des Klägers - verfassungsrechtlich unbedenklich.
Sie ist von der Ermächtigung des § 33
Abs. 4 i.d.F. des StVereinfG 2011 gedeckt und deshalb
gem. Art. 80
Abs. 1
GG verfassungsrechtlich zulässig. Artikel 80
Abs. 1
GG verbietet dem Gesetzgeber nicht, Ermächtigungen zum Erlass rückwirkender Verordnungen zu erteilen. Dabei reicht es aus, wenn sich die Ermächtigung dazu aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -
BVerfG - vom 8. Juni 1977 2 BvR 499/74 sowie 1042/75, Sammlung der Entscheidungen des
BVerfG - BVerfGE - 45, 142). Davon ist vorliegend auszugehen. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Anwendungsregelung sicherstellen, dass die vor den Entscheidungen des BFH vom 11. November 2010 VI R 16/09 sowie VI R 17/09 (BStBl II 2011, 966, 969) geübte Rechtspraxis ohne zeitliche Lücke aufrechterhalten wird (Bundestags-Drucksache 17/6146,
S. 17). Überdies hat er selbst und nicht der Verordnungsgeber die rückwirkende Geltung des formalisierten Nachweisverlangens
gem. § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in Artikel 2
Nr. 9 des StVereinfG 2011 angeordnet (Urteil des BFH vom 19. April 2012 VI R 74/10, a.a.O.).
§ 84
Abs. 3 f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 verstößt auch im Übrigen nicht gegen Verfassungsrecht. Zwar ist eine echte Rückwirkung, die hier insoweit vorliegt, als die Änderung der EStDV durch das StVereinfG 2011 - wie vorliegend - Veranlagungszeiträume betrifft, die vor dem Zeitpunkt der Verkündung des StVereinfG 2011 bereits abgeschlossen waren und für die die Steuer bereits entstanden ist (§ 36
Abs. 1 EStG), nach der Rechtsprechung des
BVerfG unzulässig (
vgl. Beschluss des
BVerfG vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2010, 1098). Der von einem Gesetz Betroffene muss grundsätzlich darauf vertrauen können, dass eine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgeanordnung nachteilig verändert wird (
vgl. Beschluss des
BVerfG vom 22. März 1983 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343, 353; Urteil des
BVerfG vom 27. September 2005 2 BvR 1387/02, BVerfGE 114, 258, 300).
In der Rechtsprechung des
BVerfG ist jedoch anerkannt, dass das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot unterbrochen werden kann (
vgl. Urteil vom 23. November 1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239, 263). So tritt das Rückwirkungsverbot namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, etwa weil die Rechtslage unklar oder verworren war oder eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer bestimmten Steuerrechtsfrage nach Änderung der Rechtsanwendungspraxis rückwirkend gesetzlich festgeschrieben wird.
Hiernach durfte der Verordnungsgeber das formalisierte Nachweisverlangen rückwirkend anordnen. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Urteile des BFH vom 11. November 2010 VI R 16/09 sowie VI R 17/09 (a.a.O.) einer gefestigten Rechtsprechung (Urteile des BFH vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BStBl II 1980, 295; vom 11. Januar 1991 III R 70/88, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1991, 386 vom 11. Dezember 1987 III R 95/85, BStBl II 1988, 275; vom 9. August 1991 III R 54/90, BStBl II 1991, 920; vom 9. August 2001 III R 6/01, BStBl II 2002, 240; vom 23. Mai 2002 III R 52/99, BStBl II 2002, 592; sowie vom 15. März 2007 III R 28/06, BFH/NV 2007, 1841) und der einheitlichen Praxis der Finanzverwaltung und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis auch auf Seiten der Steuerpflichtigen entsprach. Ein berechtigtes Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage konnten die Steuerpflichtigen, so auch der Kläger, jedenfalls bei einer Anschaffung des Hilfsmittel im Januar 2010, d.h. vor der Rechtsprechungsänderung, nicht bilden.
Es widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip noch dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert, die auf der Grundlage der seinerzeit bestehenden Gesetzeslage erfolgt ist, deren Ergebnis er aber für nicht sachgerecht hält. Nicht die Rücksicht auf die rechtsprechende Gewalt und deren Befugnis zur Letztentscheidung über die bestehende Gesetzeslage, sondern nur das sonstige Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte der Steuerpflichtigen, begrenzt hier die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers bei der Bestätigung der alten Rechtspraxis durch entsprechende gesetzliche Klarstellung (Urteil des BFH vom 19. April 2012 VI R 74/10, a.a.O.,
m.w.N.).
Der Kläger vermag auch nicht mit Erfolg einzuwenden, es sei ihm auf Grund der Dringlichkeit der Anschaffung des Bettes nicht möglich gewesen, den erforderlichen qualifizierten Nachweis zu erbringen. Denn er hätte den Amtsarzt
bzw. den Medizinischen Dienst der Krankenkasse um kurzfristige Prüfung der Hilfsmitteleigenschaft des von ihm ausgesuchten Bettes bitten können. Notfalls hätte der Kläger die erforderliche Prüfungszeit durch Nutzung eines Mietbettes überbrücken können.
Die zwischen den Beteiligten ebenfalls streitige Frage, ob im Erwerbszeitpunkt des Bettes im Januar 2010 bereits eine entsprechende ärztliche Verordnung vorlag, bedarf demnach keiner Entscheidung mehr.
Nach alledem ist die Entscheidung des FA, die Aufwendungen nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zuzulassen, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO.
Die Revision ist nicht wie hilfsweise beantragt zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115
Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Insbesondere sind die hier streitigen Rechtsfragen - wie nachgewiesen - bereits höchstrichterlich geklärt.