Urteil
Strittige Kostenerstattung einer Vojta-Behandlungsliege
Gericht:
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen:
L 11 KR 1634/04
Urteil vom:
03.05.2005
LSG Baden-Württemberg
L 11 KR 1634/04
03.05.2005
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. März 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung einer Vojta-Liege in Höhe von 2921,95 Euro streitig.
Der am 9. April 2002 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet an Spina bifida ( angeborene Erkrankung des Rückenmarkskanals), wodurch nicht nur die Motorik der Beine und Füße, sondern auch die neurologische Funktion, beispielsweise der Blase und Produktion und der Ablauf des Nervenwassers, nachhaltig gestört sind. Er erhält deswegen seit dem 2. Lebensmonat zweimal wöchentlich Vojta-Therapie bei einem Physiotherapeuten. Zusätzlich führt seine Mutter die Übungen 2 bis 5-mal täglich mit dem Kläger durch.
Am 11. November 2002 verordnete deswegen der behandelnde Kinderarzt Dr. M. einen Vojta - Behandlungstisch, elektrisch höhenverstellbar mit abklappbarem Kopf- und Fußteil. Unter Vorlage eines Kostenvoranschlages des Sanitätshauses Storch und Beller beantragte der Kläger am 2. Dezember 2002, die Kosten für die Therapieliege zu übernehmen.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung nach Aktenlage durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. S. kam zu dem Ergebnis, dass die höhenverstellbare Vojta-Therapieliege nicht als Hilfsmittel zur Abgabe in den häuslichen Bereich geeignet sei, sondern vielmehr als Einrichtungsgegenstand einer Physiotherapeutenpraxis gelte, in der über 8 Stunden Patienten aller Körpergrößen, unterschiedlichen Gewichtes und mit verschiedenen Störungsbildern behandelt würden. Für die Sicherstellung der Vojta-Beturnung im häuslichen Bereich werde im allgemeinen das Vorhandensein einer ausreichend dicken Gymnastikmatte für die Beturnung am Boden, aber auch auf einem Tisch mit entsprechend angepassten Tischbeinen, als ausreichend erachtet. Der Tisch bleibe dann aber ein angepasster Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Vor diesem Hintergrund könne eine Kostenübernahme nicht begründet werden.
Mit Bescheid vom 8. Januar 2003 lehnte die Beklagte darauf den Antrag mit der Begründung ab, die Vojta-Therapie könne auf einem Tisch durchgeführt werden, der als angepasster Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht als Hilfsmittel angesehen werden könne.
Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die Vojta-Übungen auf einer Bodenmatte nicht durchführbar seien, auf einem angepasstem Tisch nur bedingt. Um einen bestmöglichen Erfolg zu gewährleisten, sei eine optimale Position bei den Übungen erforderlich, die man nur mit einer höhenverstellbaren Therapieliege erreichen könne. Andere Familien mit Kindern gleicher Behinderung sei die Therapieliege als Hilfsmittel zur Verfügung gestellt worden. Beigefügt waren Befundberichte des O.-H. S. sowie eine Bescheinigung des Kinderarztes Dr. M., die beide die Notwendigkeit der Fortführung der krankengymnastischen Übungsbehandlung bestätigten.
Der nochmals befragte MDK (Dr. S.) führte aus, dass nur bei Kindern höheren Alters und größeren Körpergewichts die Bezuschussung einer höhenverstellbare Therapieliege zur Sicherstellung der regelmäßigen häuslichen Vojta-Beturnung im Rahmen der Satzungsmöglichkeiten nach § 43 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als ergänzende Leistung zur Rehabilitation denkbar wäre. Ein erst 10 Monate alten Säugling könne aber noch auf einer ausreichend dicken Schaumstoffmatte, aufgelegt auf einem Tisch definierter Höhe, turnen. Die regelmäßige Vojta-Therapie im häuslichen Bereich sei allerdings unabdingbar und könne auch durch eine mehrfache Physiotherapeutenintervention pro Woche nicht ersetzt werden. Denn eine solche könne maximal an 3 bis 5 Tagen in der Woche, nicht aber mehrmals täglich stattfinden.
Gestützt hierauf wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2003 den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Therapieliege nach Vojta sei nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet, so dass eine Kostenübernahme grundsätzlich nicht erfolgen könne. Auch habe die Begutachtung durch den MDK ergeben, dass eine Kostenübernahme nicht empfohlen werden könne. Die notwendigen Übungsmaßnahmen könnten nämlich bei einem ca. 1-jährigen Kind auf einen geeigneten handelsüblichen Tisch mit aufgelegter dicker Schaumstoffmatte ausreichend durchgeführt werden. Insoweit sei auch unerheblich, ob Versicherte anderer Kassen mit dem begehrten Gerät versorgt wurden. Hierbei handele es sich um Einzelfallentscheidungen, auf die man sich nicht berufen könne.
Mit seiner dagegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die erforderlichen 3 bis 5- mal täglichen krankengymnastischen Behandlungen könnten auf einer Bodenmatte nicht optimal durchgeführt werden, denn er müsse möglichst entspannt gelagert werden.
Am 1. Oktober 2003 wurde die Vojta-Liege geliefert und den Eltern des Klägers in Rechnung gestellt.
Mit Urteil vom 19. März 2004, der Beklagten zugestellt am 2. April 2004, gab das SG der Klage statt und verurteilte die Beklagte, dem Kläger die entstandenen Kosten durch die Vojta-Liege zu erstatten. Zur Begründung wurde ausgeführt, der beantragten Versorgung stehe nicht entgegen, dass die Vojta-Therapieliege vertragsärztlich nicht verordnet worden sei. Ein Anspruch auf Versorgung mit einem im Hilfsmittelverzeichnis nicht aufgeführten Hilfsmittel bestehe nämlich unabhängig vom Fehlen einer vertragsärztlichen Verordnung, wenn es im Einzelfall geeignet, notwendig und wirtschaftlich sei. Das sei bei dem Kläger der Fall. Bei der Therapieliege handele es sich zwar nicht um ein Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung und es sei auch nicht unmittelbar gegen die Behinderung gerichtet, solle aber - was ausreichend sei - im Einzelfall den Erfolg der Krankenbehandlung sichern. Der Einordnung eines Hilfsmittels stehe auch nicht entgegen, dass die Sicherstellung des Erfolgs der Krankenbehandlung durch Anwendungen durch die Mutter des Versicherten erfolgen solle. Nach dem Hilfsmittelverzeichnis sei insoweit vorgesehen, dass in Einzelfällen Lagerungshilfen auch bei anderen Krankheitsbildern als der Cystischen Fibrose eingesetzt werden könnten. Die Mutter des Klägers habe überzeugend im Termin zur mündlichen Verhandlung dargelegt, aus welchen Gründen zwischenzeitlich die erforderlichen Maßnahmen nicht mehr auf dem Boden oder auf einem handelsüblichen Tisch durchgeführt werden könnten. Dies werde auch durch die Darlegungen des Ergotherapeuten bestätigt.
Zur Begründung ihrer dagegen am 26. April 2004 eingelegten Berufung trägt die Beklagte vor, die Therapie nach Vojta könne nicht von medizinischen Laien durchgeführt werden. Diese würden lediglich angeleitet, bestimmte Elemente der Technik nach Vojta mit zu übernehmen, um den Behandlungserfolg durch Hilfestellungen und Anleitungen zu eigenen Übungen zu gewährleisten. Bei den Behandlungstechniken nach Vojta sei eine Therapieliege nicht zwingend erforderlich. Bei der Vojta-Liege handele es sich auch nicht um ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern um Praxisausstattung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. März 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und lässt ergänzend vortragen, dass die Tatsache, dass das Hilfsmittel nicht im Hilfsmittelkatalog gelistet sei, die Hilfsmitteleigenschaften nicht ausschließe. Denn bei dem Hilfsmittelverzeichnis handele es sich nur um eine unverbindliche Auslegungshilfe, die nicht dazu diene, den Anspruch des Versicherten einzuschränken. Er hat hierzu die ärztliche Verordnung sowie die Rechnung vom 1. Oktober 2003 vorlegen lassen.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der Senat eine Auskunft bei dem IKK-Bundesverband sowie dem Medizinischen Dienst des Spitzenverbände der Krankenkassen IV - Fachbereich Hilfsmittel - (MDS) eingeholt.
Der IKK Bundesverband teilte mit, dass es sich nach Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen bei der Vojta- Behandlungsliege nicht um ein Hilfsmittel im Sinne des § 32 SGB V handle. Denn die Hilfsmitteleigenschaft setzte voraus, dass ein Produkt zur Selbstanwendung durch den Betroffenen im häuslichen Bereich geeignet sei. Die Vojta-Behandlungsliege stelle jedoch ausschließlich eine Erleichterung für denjenigen da, der die gymnastischen Übungen mit dem Betroffenen durchführe. Die anwenderfreundliche Gestaltung eines Produktes begründe aber keine Hilfsmitteleigenschaft. Ein therapeutischer Nutzen für den Betroffenen gehe nämlich von dem Produkt nicht aus. Auch sei die Vojta-Behandlungsliege vornehmlich zum Einsatz in Arztpraxen, physiotherapeutischen und anderen Einrichtungen geeignet. Auch deswegen könne das Produkt grundsätzlich nicht als Hilfsmittel angesehen werden.
Der Chirurg und Sozialmediziner Dr. K. vom MDS hat ausgeführt, dass es sich bei der Vojta-Therapie um ein neurophysiologisch orientiertes Bahnungssystem zur Wiederherstellung physiologischer Bewegungsmuster, die durch angeborene oder erworbene Läsionen des zentralen Nervensystems blockiert seien, handele. Diese Behandlung dürfe deswegen nur von speziell ausgebildeten Physiotherapeuten erbracht werden und zwar in deren Praxis. Die Vojta-Therapieliege sei daher insbesondere für die professionelle Behandlung in der physiotherapeutischen Praxis konzipiert worden. Lediglich ergänzend würden zuhause Übungen durchgeführt. Hierzu würden medizinische Laien angeleitet, bestimmte Elemente der Technik nach Vojta mit zu übernehmen, um den Behandlungserfolg durch Hilfestellungen und Anleitungen zu Eigenübungen zu gewährleisten. Demgegenüber würden bei Mukoviszidose die Patienten - insbesondere bei Atemstörungen - Eigenübungsprogramme (autogene Lagerungsdrainage) selbständig durchführen. Das Hilfsmittelverzeichnis sehe zwar eine Produktart für Therapieliegen zu Mukoviszidosebehandlung vor, in der Praxis verhalte es sich jedoch so, dass bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen bisher von Hilfsmittelherstellern keine Anträge zur Aufnahme von Mukosviszidose-Therapieliegen in das Hilfsmittelverzeichnis gestellt worden wären. Es existierten zwar Produktarten, in der solche Therapieliegen gelistet werden könnten, jedoch seien keine Einzelprodukte verzeichnet. Er hat hierzu Produktbeschreibungen beigefügt.
Am 24. März 2005 wurde ein Erörterungstermin durchgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
R/R2281
Informationsstand: 29.07.2005