Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die nach § 64
Abs. 1 und 2
ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66
Abs. 1, 64
Abs. 6
ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520
ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.
II. In der Sache hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. August 2019 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht wirksam beendet. Sie ist nicht gemäß
§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.
1. Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung, die auf eine lang anhaltende Erkrankung gestützt wird, ist in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst - erste Stufe - ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands des erkrankten Arbeitnehmers erforderlich. Bezogen auf den Kündigungszeitpunkt und die bisher ausgeübte Tätigkeit müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer weiteren, längeren Erkrankung rechtfertigen. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen ferner - zweite Stufe - zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Schließlich muss - dritte Stufe - eine vorzunehmende Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (
BAG, Urteil vom 20. November 2014 -
2 AZR 664/13; Urt. v. 30.09.2010,
2 AZR 88/09; Urt. v. 12.07.2007,
2 AZR 716/06).
2. Es konnte offenbleiben, ob eine negative Prognose gegeben war. Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar. Der Arbeitgeber genügt deshalb seiner Darlegungslast für eine negative Prognose zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt (
BAG, Urt. v. 13.5.2015,
2 AZR 565/14). Wie auch das Arbeitsgericht ausgeführt hat, ist in der Regel dann von einer lang anhaltenden Erkrankung, die einer Dauererkrankung gleichgestellt werden kann, auszugehen, wenn der Arbeitnehmer etwa eineinhalb Jahre arbeitsunfähig und ein Ende der Erkrankung nicht abzusehen ist (ErfK/Oetker, 21. Aufl. 2021,
KSchG § 1 Rn. 129). Diese Zeitspanne war im Vorfeld der Kündigung noch nicht abgelaufen.
Gleichwohl gibt das Gesetz keine Auskunft, ob und wenn ja, welche Zeit abzuwarten ist, bevor der Arbeitgeber berechtigt ist, das Arbeitsverhältnis sozial gerechtfertigt zu beenden. Es gibt keine "festen Abwartezeiten", sondern es ist auf die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen (ErfK/Oetker, 21. Aufl. 2021,
KSchG § 1 Rn. 131, 134). Das Arbeitsgericht hat dargelegt, weswegen es in dem vorliegenden Einzelfall die vor Ausspruch der Kündigung liegende Erkrankungszeit als noch nicht ausreichend ansah.
Selbst wenn man aber entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts die Wartezeit vorliegend als genügend betrachten würde, würde sich die Kündigung aus anderen Gründen - der fehlenden Durchführung eines
BEM- als unwirksam erweisen. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt. Daher war es nicht erforderlich, über die erforderliche Abwartezeit zu entscheiden und
ggf. ein Sachverständigengutachten über die negative Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt einzuholen.
3. Die Kündigung erweist sich angesichts der Unterlassung eines
BEM als nicht rechtswirksam.
a. Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176
SGB IV, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).
b. Die Beklagte hat entgegen der Vorgaben des
§ 167 SGB IX ein
BEM unterlassen.
Es war nicht Beweis über die Behauptung der Beklagten zu erheben, der Kläger sei im Jahr 2017 zu einem
BEM eingeladen worden und habe diese Einladung nicht angenommen. Wäre dies der Fall gewesen, hätte dies die Beklagten dennoch nicht von ihrer Verpflichtung gemäß § 167
Abs. 2
SGB IX entlastet, denn die Beklagte war jedenfalls verpflichtet, aufgrund der deutlich mehr als sechs Wochen andauernden Arbeitsunfähigkeit auch im Jahr 2019 dem Kläger vor Ausspruch der Kündigung wiederum ein
BEM gemäß § 167
Abs. 2
SGB IX anzubieten. Diese Verpflichtung trifft die Beklagte immer dann, wenn die im Gesetz angegebenen Arbeitsunfähigkeitszeiten erreicht sind. Dies folgt bereits zum einen aus dem Wortlaut des § 167
Abs. 2
SGB IX, und entspricht im Übrigen auch der gesetzgeberischen Intention, wie sie in der Bundestags-Drucksache 15/1783 zur Einführung des damaligen
§ 84 Abs. 2 SGB IX zum Ausdruck gekommen ist: Der Gesetzgeber hat dort ausdrücklich (Seiten 12 und 15) ausgeführt, dass "kurzfristig" Beschäftigungshindernisse überwunden und der Arbeitsplatz durch Leistungen und Hilfen erhalten werden solle. (
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.01.2017,
8 Sa 359/16;
LAG Hamm (Westfalen), Urteil vom 29. Mai 2018 -
7 Sa 48/18 -, Rn. 58 - 59, juris).
Unstreitig hat die Beklagte im Jahr 2019 kein
BEM angeboten.
c. Dies führt, wie auch das Arbeitsgericht ausgeführt hat, nicht per se zur Unwirksamkeit der Kündigung, jedoch zu einer Erweiterung der Darlegungslast der Beklagten. Die Durchführung des
BEM ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung und für sich genommen auch kein milderes Mittel als diese. § 167
SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des
BEM können mildere Mittel, zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden.
Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes
BEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will der Arbeitgeber sich hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des
BEM darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein
BEM in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten des Arbeitnehmers spürbar vorzubeugen und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Ist es denkbar, dass ein
BEM ein positives Ergebnis erbracht hätte, darf sich der Arbeitgeber nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer. Er muss vielmehr von sich aus mögliche Alternativen würdigen und darlegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz in Betracht kamen (
BAG, Urt. v. 20.11.2014, 2 AZR 664/13; Urt. v. 20.03.2014, 2 AZR 565/13;
LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26.01.2021,
6 Sa 124/20).
d. Diesen Anforderungen ist die Beklagte nicht gerecht geworden.
aa. Sie hat sich darauf berufen, der Kläger habe ihr gegenüber erklärt, er benötige Stabilität am Arbeitsplatz, könne mit kurzfristigen Versetzungen nicht gut umgehen und wolle die Abteilung nicht erneut wechseln. Ein
BEM wäre daher sinnlos gewesen. Dem ist der Kläger substantiiert entgegengetreten. Er hat erläutert, dass er zuvor unangekündigt, für ihn unerwartet und unbegründet versetzt worden sei, was ihn belastet habe. Nur dies habe er der Beklagten mitgeteilt. Dass er eine konkrete Versetzung im Einzelfall beanstandet hat, bedeutet nicht, dass er generell Versetzungen gegenüber nicht offensteht. Nach diesem Sachvortrag der Parteien lässt sich nicht feststellen, dass eine Versetzung unmöglich geworden wäre. Er schließt auch nicht aus, andere Maßnahmen zu erdenken, die dem Kläger eine neue Tätigkeitsaufnahme gesundheitlich möglich machen.
Zudem hat der Kläger selbst, als er sich auf die Wiedereingliederung eingelassen hat, gezeigt, dass er zu einer Überprüfung der Bedingungen der Arbeitstätigkeit bereit ist und hierzu Möglichkeiten sieht. Insofern hat sich eine von der Beklagten beschriebene "Verweigerungshaltung" des Klägers hierdurch, wie es das Arbeitsgericht zutreffend formuliert, "überholt".
bb. Die Fehlzeitengespräche ersetzen auch nicht das
BEM. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ergänzend vorgetragen, wegen der erfolgten Gespräche im Mai und im August 2019 sei ein
BEM im September unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände ausnahmsweise entbehrlich gewesen. Zum einen ist ein Fehlzeitengespräch eine mit einem gesetzlich geregelten
BEM-Verfahren nicht vergleichbare Maßnahme. Das
BEM ist wesentlich umfangreicher. Auch soll hierin um die Zukunft des Arbeitsverhältnisses im Fokus stehen, nicht -wie der Begriff Fehlzeiten vermuten lässt- das Fehlen in der Vergangenheit, wenn auch zwischen diesen beiden Themen sicherlich regelmäßig ein Zusammenhang bestehen mag. Hinzukommt, dass die Fehlzeitengespräche nach unbestrittener Darstellung des Klägers konstruktiv verliefen. Der Kläger schildert ein aus seiner Sicht positives Gespräch mit dem neuen Vorgesetzten, bei dem er seine Sorge um den Erhalt des Arbeitsplatzes zum Ausdruck bringen konnte und insofern beruhigt wurde, so dass ihn die im Anschluss erfolgte Kündigung überraschte.
Gerade da der Kläger an einer psychischen Erkrankung leidet
bzw. gelitten hat, war es im Kündigungszeitpunkt vorstellbar, den Kläger beispielsweise in einem anderen Team oder auch in dem vorherigen Team, das neu personell geleitet war, zu integrieren. Auch sonstige Maßnahmen, die sich in einem
BEM-Gespräch mit dem Kläger hätten aufzeigen können, wären nicht ausgeschlossen gewesen.
Aus diesem Geschichtspunkt erschien das
BEM im September 2019 nicht entbehrlich, sondern hätte vielmehr dazu dienen können, einen Arbeitsplatz für den Kläger, an dem keine erneuten Fehlzeiten in bisherigem Umfang zu erwarten gewesen wären, zu finden. Dass ein
BEM vor diesem Hintergrund ein positives Ergebnis nicht hätte erbringen können, steht nicht fest.
Die Kündigung erweist sich somit nicht als sozial gerechtfertigt
i.S.d. § 1
Abs. 2
KSchG ist.
4. Deswegen kam es auch nicht darauf an, ob eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates vor Kündigungsausspruch gemäß
§ 102 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2 BetrVG erfolgte.
5. Das Urteil des Arbeitsgerichts war nicht abzuändern und die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97
Abs. 1
ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72
Abs. 2
ArbGG sind nicht gegeben.