Urteil
Über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs zum Regelungsgegenstand "Krankenrückkehrgespräche"

Gericht:

LAG Köln 9. Kammer


Aktenzeichen:

9 TaBV 16/22


Urteil vom:

02.09.2022


Leitsätze:

1.) Ein Einigungsstellenspruch, der sog. Krankenrückkehrgespräche generell untersagt, ist unwirksam. Denn die Regelung überschreitet den der Einigungsstelle durch § 87 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 BetrVG eröffneten Regelungsspielraum, weil sie auch mitbestimmungsfreie Individualmaßnahmen umfasst, die allein in der Person einzelner Arbeitnehmer begründet sind und die übrige Belegschaft nicht berühren.

2.) Ein solcher Einigungsstellenspruch kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er nur mitbestimmungspflichtige formalisierte Krankenrückkehrgespräche untersagt. Eine solche geltungserhaltende Reduktion ist angesichts des Normencharakters einer Betriebsvereinbarung nicht möglich und widerspräche der Konzeption der Betriebsverfassung, wonach Regelungsfragen in den primären Kompetenzbereich der Einigungsstelle fallen und nicht gegen den Willen eines Beteiligten durch ein Gericht ersetzt werden können.

Rechtsweg:

ArbG Köln, Beschluss vom 21. März 2022 - 4 BV 148/21

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

I. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den am 21.03.2022 verkündeten Beschluss des Arbeitsgerichts Köln- 4 BV 148/21 - wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs zum Regelungsgegenstand "Krankenrückkehrgespräche".

Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen des Textileinzelhandels, betreibt ua. in K am N ein Verkaufsgeschäft. Nachdem sie in Abstimmung mit ihrem Gesamtbetriebsrat einen Leitfaden für Krankenrückkehrgespräche erstellt und im Unternehmensintranet zur Verfügung gestellt hatte, vertrat der Betriebsrat des Geschäfts am N die Auffassung, ihm stehe diesbezüglich ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu. Mit Beschluss vom 28.10.2020 setzte das Arbeitsgericht Köln auf Antrag des Betriebsrats eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Betriebsvereinbarung Krankenrückkehrgespräche" ein. Im Einigungsstellenverfahren erklärten beide Betriebspartner übereinstimmend, dass keine formalisierten Krankenrückkehrgespräche gewünscht seien. Die Arbeitgeberin rügte ua. im Hinblick darauf die fehlende Zuständigkeit der Einigungsstelle.

Am 26.05.2021 stimmte die Einigungsstelle mehrheitlich dem Spruchvorschlag des Betriebsrats zu. In dem Einigungsstellenspruch, der den Beteiligten am 27.05.2021 zugeleitet worden ist, heißt es u.a.:

"§ 2 Begriffsbestimmung

"Formalisierte Krankenrückkehrgespräche" im Sinne dieser Betriebsvereinbarung sind Gespräche, die die Arbeitgeberin, der Storemanager, der Vorgesetzte, eine Führungskraft oder eine sonstige von der Arbeitgeberin beauftragte Person (z.B. Mitarbeiter der Personalabteilung, externe Sozialarbeiter) mit Arbeitnehmern des Betriebs nach deren Rückkehr aus krankheitsbedingten Fehlzeiten führen, und die - möglichweise neben anderen Zielen - auch dem Ziel dienen, die durch die Arbeitgeberin beeinflussbaren Ursachen der krankheitsbedingten Fehlzeiten zu ermitteln und/oder zu senken.

§ 3 Keine Durchführung von formalisierten Krankenrückkehrgesprächen

(1) Im Betrieb werden keine formalisierten Krankenrückkehrgespräche geführt.

(2) Der sog. ,,Leitfaden für Krankenrückkehrgespräche" (Anlage) findet im Betrieb keine Anwendung.

(3) Betriebliche Regelungen zur Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements iSd. § 167 Abs. 2 BetrVG bleiben hiervon unberührt."

Mit ihrem am 09.06.2021 bei dem Arbeitsgericht Köln anhängig gemachten Antrag begehrt Arbeitgeberin die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs vom 26.05.2021. Sie hat die Auffassung vertreten, die Einigungsstelle sei für den Spruch nicht zuständig gewesen, da in dem Betrieb K -N keine formalisierten, sondern lediglich im Einzelfall individuelle und somit mitbestimmungsfreie Krankenrückkehrgespräche geführt würden. Die Einigungsstelle habe in § 2 den unbestimmten Rechtsbegriff des formalisierten Krankenrückkehrgesprächs gesetzeswidrig über den von der Rechtsprechung gesetzten Rahmen hinaus auf mitbestimmungsfreie Gespräche anlässlich einer Rückkehr ausgedehnt. Jedenfalls aber sei der Einigungsstellenspruch wegen grober Überschreitung der Ermessensgrenzen fehlerhaft, weil die Einigungsstelle einseitig die Belange des Betriebsrats berücksichtigt habe.


Die Arbeitgeberin hat beantragt,

festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 26.05.2021 betreffend einer Betriebsvereinbarung über "Krankenrückkehrgespräche" für den Betrieb K -N unwirksam ist.


Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat behauptet, dass in der Vergangenheit formalisierte Krankenrückkehrgespräche geführt worden seien, und die Ansicht vertreten, dass der Spruch der Einigungsstelle nicht rechtsfehlerhaft sei. Die Begriffsbestimmung in § 2 orientiere sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach der Begriff der formalisierten Krankenrückkehrgespräche weit zu fassen sei und nicht nur solche Gespräche erfasse, die nach einem festgelegten Schema erfolgten. Vielmehr sei auch auf den Zweck der Gespräche sowie die Auswahl der Arbeitnehmer abzustellen, wie dies in § 2 des Einigungsstellenspruchs der Fall sei.

Das Arbeitsgericht hat mit einem am 21.03.2022 verkündeten Beschluss festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 26.05.2021 betreffend eine Betriebsvereinbarung über "Krankenrückkehrgespräche" für den Betrieb K -N unwirksam ist. Zur Begründung hat es ua. ausgeführt, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam sei, weil er Rechtsfehler aufweise. Die Begriffsbestimmung in § 2 erfasse auch ein mitbestimmungsfreies Verhalten der Arbeitgeberseite ohne kollektiven Bezug.

Gegen diesen ihm am 24.03.2022 zugestellten Beschluss richtet sich die am 14.04.2022 eingelegte Beschwerde des Betriebsrats, die er nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 24.06.2022 mit einem an diesem Tag bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Er meint, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts verneint. Die Arbeitgeberin habe nicht in Abrede gestellt, dass in der Vergangenheit Krankenrückkehrgespräche durchgeführt worden seien und diese mit etwa fünf Gesprächen pro Jahr beziffert. Dass es sich hierbei nicht um formalisierte Krankenrückkehrgespräche gehandelt habe, sei nicht nur fernliegend, sondern widerspreche auch dem Umstand, dass nach dem Leitfaden Rückkehrgespräche nach jeder Rückkehr aus langandauernden krankheitsbedingten Fehlzeiten oder bei häufigen Kurzerkrankungen geführt werden sollten. Die Arbeitgeberin störe sich nunmehr an der im Spruch enthaltenen Definition der formalisierten Krankenrückkehrgespräche. Dabei handele es sich jedoch um eine korrekte rechtliche Einordnung.


Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 10.01.2022, Az.: 4 BV 148/21 aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.


Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Vertiefung ihres Sachvortrags. Die Krankenrückkehrgespräche erfolgten weder zur Aufklärung eines überdurchschnittlichen Krankenstands noch mit einer nach abstrakten Kriterien ermittelten Anzahl von Arbeitnehmern, sondern stets individuell ohne konkreten Ablaufplan oder Vorgaben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht den Spruch der Einigungsstelle vom 26.05.2021 für unwirksam erklärt. Denn die Einigungsstelle hat ihren durch § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG vorgegebenen Regelungsrahmen überschritten, indem sie alle Gespräche, die seitens der Arbeitgeberin mit Arbeitnehmern nach deren Rückkehr aus krankheitsbedingten Fehlzeiten geführt werden und die auch dem Ziel dienen, die durch die Arbeitgeberin beeinflussbaren Ursachen der krankheitsbedingten Fehlzeiten zu ermitteln und/oder zu senken, untersagt hat.

1.) Es unterliegt der unbeschränkten Rechtskontrolle, ob sich eine Einigungsstelle bei ihrem Spruch im Rahmen ihrer Zuständigkeit gehalten hat. Denn eine Einigungsstelle kann gegen den Willen eines der Betriebspartner nur im Rahmen eines bestehenden Mitbestimmungsrechts eine Entscheidung treffen (Fitting, 31. Aufl. 2022, § 76 BetrVG, Rn. 151)

a) Die Führung formalisierter Krankenrückkehrgespräche zur Aufklärung eines überdurchschnittlichen Krankenstandes mit einer nach abstrakten Kriterien ermittelten Mehrzahl von Arbeitnehmern ist zwar gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Denn es geht dabei um das Verhalten der Arbeitnehmer in Bezug auf die betriebliche Ordnung und nicht um das Verhalten bei der Arbeitsleistung selbst. Bei solchen Gesprächen handelt es sich um einen kollektiven Tatbestand, der einer generellen Regelung zugänglich ist und die Mitbestimmung des Betriebsrats erforderlich macht. (BAG, Beschluss vom 8. November 1994 - 1 ABR 22/94 -, BAGE 78, 224-230, Rn. 19-21).

b) Eine mitbestimmungsfreie Individualmaßnahme liegt jedoch vor, wenn sie allein durch Umstände veranlasst ist, die in der Person einzelner Arbeitnehmer begründet sind, ohne die übrige Belegschaft zu berühren (BAG, Beschluss vom 8. November 1994 - 1 ABR 22/94 -, BAGE 78, 224-230, Rn. 21). Die Definition der "formalisierten Krankenrückkehrgespräche" in § 2 und ihre Untersagung durch § 3 Abs. 1 des Spruchs erfasst auch solche mitbestimmungsfreien Krankenrückkehrgespräche. Damit hat die Einigungsstelle den ihr durch § 87 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 BetrVG eröffneten Regelungsspielraum überschritten.

2.) Der Einigungsstellenspruch kann nicht mit der Zielsetzung der Erhaltung einer Teilwirksamkeit dahingehend ausgelegt werden, dass er nur mitbestimmungspflichtige formalisierte Krankenrückkehrgespräche untersagt. Eine solche geltungserhaltende Reduktion ist schon angesichts des Normencharakters einer Betriebsvereinbarung nicht möglich (BAG, Beschluss vom 19. Oktober 2011 - 4 ABR 116/09 -, Rn. 34, juris). Zudem wäre sie nicht von dem übereinstimmenden Willen beider Beteiligter gedeckt, da die Arbeitgeberin überhaupt keine Regelung von Krankenrückkehrgesprächen für nötig hält. Eine geltungserhaltende Auslegung des Einigungsstellenspruchs widerspräche damit der Konzeption der Betriebsverfassung, wonach Regelungsfragen in den primären Kompetenzbereich der Einigungsstelle fallen und wonach allein der verbindliche Spruch einer Einigungsstelle das Regelungsermessen der Betriebspartner gegen den Willen eines Beteiligten ersetzen kann (vgl. Helmbold, NZA 2022, 155, 159), nicht hingegen die den Wortlaut eines Spruchs einengende Auslegung durch ein Gericht.

III.

Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des vorliegenden Falles beruht und die entscheidungserheblichen Rechtsfragen durch das Bundesarbeitsgericht geklärt sind.

Referenznummer:

R/R9602


Informationsstand: 26.06.2023