I.
Die nach § 64
Abs. 1 und 2
ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66
Abs. 1, 64
Abs. 6
ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520
ZPO form- und fristgerecht eingelegt und hinsichtlich des Antrag zu 1. begründet worden. Sie erweist sich hinsichtlich dieses Antrags auch sonst als zulässig.
Soweit der Kläger im Berufungsverfahren zu 2. beantragt hat, festzustellen, dass keine anderweitigen Beendigungstatbestände bestehen, ist die Berufung unzulässig. Der Kläger hat sich nicht mit dem insoweit klageabweisenden Urteil erster Instanz auseinandergesetzt. Außer der im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Kündigung der Beklagten vom 29.03.2012 sind keine weiteren Beendigungstatbestände mehr im Streit. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde seitens der Beklagten - wie diese vor dem Landesarbeitsgericht ausdrücklich erklärt hat - keine weitere Kündigung ausgesprochen.
II.
In der Sache hatte die Berufung des Klägers hinsichtlich seines Berufungsantrags zu 1. Erfolg. Hinsichtlich dieses Berufungsantrags zu 1. ist die zulässige Klage auch begründet. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch durch die ordentliche krankheitsbedingte Kündigung der Beklagten vom 29.03.2012 nicht beendet worden. Diese Kündigung ist rechtsunwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt ist (
§ 1 Abs. 1, 2 KSchG). Das
KSchG findet auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien Anwendung (§ 1
Abs. 1,
23 Abs. 1 KSchG). Der Kläger hat innerhalb der Frist der
§§ 4,
7 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben.
Nach den vom 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-) Erkrankungen entwickelten Grundsätzen (
vgl. nur
BAG, Urteil vom 13.05.2015 -
2 AZR 565/14 - NZA 2015, 1249 Rz. 12 zu langanhaltenden Erkrankungen; vom 22.11.2014 -
2 AZR 755/13 - NZA 2015, 612, 613 Rz. 15
ff.; vom 23.01.2014 -
2 AZR 582/13 - NZA 2014, 962, 964 Rz. 27, jeweils m. w. N.) ist die Wirksamkeit einer Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen in drei Stufen zu prüfen:
Danach ist zunächst - erste Stufe - eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Sprechen aber schon im Zeitpunkt der Kündigung objektive Umstände für eine Besserung des Gesundheitszustandes, so fehlt es an einer negativen Prognose (
BAG, Urteil vom 07.11.2002 -
2 AZR 599/01 - AP
KSchG 1969 § 1 Krankheit
Nr. 40 m. w. N.). Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen im Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer derartigen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen (
vgl. BAG, Urteil vom 08.11.2007 -
2 AZR 292/06 - NZA 2008, 593; vom 10.11.2005 -
2 AZR 44/05 - NZA 2006, 655; vom 07.11.2002 - 2 AZR 599/01 - AP
KSchG 1969 § 1 Krankheit
Nr. 40). Liegt eine solche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1
Abs. 2
S. 1
KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Entgeltfortzahlungskosten aufzuwenden hatte. Ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten sowie ggfs. eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (
vgl. insbesondere
BAG, Urteil vom 10.11.2005 - 2 AZR 44/05 - NZA 2006, 655, 656 m. w. N.).
Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können auf der ersten Stufe indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind (
BAG, Urteil vom 22.11.2014 -
2 AZR 755/13 - NZA 2015, 612, 613 Rz. 17 m. w. N.). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138
Abs. 2
ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Der Arbeitnehmer muss nicht den Gegenbeweis führen, dass nicht mit weiteren künftigen Erkrankungen zu rechnen sei. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (
BAG, Urteil vom 22.11.2014 - 2 AZR 755/13 - NZA 2015, 612, 613 Rz. 17 m. w. N.).
Prognosegeeignet ist dabei ein Zeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung. Allerdings muss nicht auf einen "starren" Zeitraum dieser Länge abgestellt werden, sondern kann auch ein für die Indizwirkung hinreichend prognosefähiger Zeitlauf, der
ggf. auch kürzer oder - bei einzelnen Fehlzeiten - auch länger sein kann, hinreichen (
BAG, Urteil vom 22.11.2014 - 2 AZR 755/13 - NZA 2015, 612, 613 Rz. 19; vom 10.11.2005 - 2 AZR 44/05 - NZA 2006, 655). Auch frühere Fehlzeiten, die bereits zur Begründung einer früheren krankheitsbedingten Kündigung herangezogen worden sind und die hinsichtlich dieser früheren Kündigung die notwendige negative Gesundheitsprognose noch nicht belegen konnten, können grundsätzlich zur Begründung einer erneuten negativen Gesundheitsprognose und krankheitsbedingten Kündigung herangezogen werden (
vgl. BAG, Urteil vom 10.11.2005 - 2 AZR 44/05 - NZA 2006, 655, 657).
Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert. Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zum Beispiel eine Operation) ergriffen wurden (
BAG, Urteil vom 22.11.2014 - 2 AZR 755/13 - NZA 2015, 612, 613 Rz. 19 m. w. N.).
Nicht zu berücksichtigen sind insbesondere Erkrankungen, die zum Beispiel auf einen Betriebsunfall zurückzuführen sind (
BAG, Urteil vom 14.01.1993 - 2 AZR 343/92 - NZA 1994, 309, 310 m. w. N.), Erkrankungen, die auf einmaligen Ursachen beruhen (
BAG, Urteil vom 14.01.1993 - 2 AZR 343/92 - NZA 1994, 309, 310), sowie Erkrankungen mit Ausnahmecharakter (
vgl. BAG, Urteil vom 29.07.1993 -
2 AZR 155/93 - NZA 1994, 67, 69 zu einer situationsbedingt depressive Verstimmung) und schließlich ausgeheilte Leiden.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahmen erster und zweiter Instanz zur Überzeugung der Kammer nicht fest, dass zum Zeitpunkt der (zweiten) Kündigung vom 29.03.2012 anzunehmen war, der Kläger könne seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen künftig nicht mehr ohne noch erträgliche Belastungen für die Beklagte genügen. Die beklagte Arbeitgeberin hat den von ihr gemäß § 1
Abs. 2
S. 4
KSchG zu führenden Beweis nicht geführt. Aufgrund der drei eingeholten Sachverständigengutachten ist nicht bewiesen, dass der Kläger - abgestellt auf den 29.03.2012 - dauerhaft oder aber über den Kündigungstermin 31.10.2012 hinaus zukünftig wiederholt jährlich 6 Wochen oder länger arbeitsunfähig krank sein werde.
Es bestand im Zeitpunkt der zweiten Kündigung zum einen nicht die Besorgnis, dass der Kläger - etwa infolge der depressiven Erkrankung - dauerhaft arbeitsunfähig sein würde. Zum anderen war auch nicht zu erwarten, dass der Kläger in Zukunft in weitergehendem Umfang arbeitsunfähig sein würde, als in der Vergangenheit.
Die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers in der Vergangenheit vermögen keine negative Prognose zu begründen.
Zwar war der Kläger im Jahr 2009 an 5 Arbeitstagen (sowie 5 Arbeitstagen wegen Betriebsunfalls) arbeitsunfähig, im Jahr 2010 an 66 Tagen (51 Arbeitstagen) zuzüglich 6 Kalendertagen wegen eines Betriebsunfalls, im Jahr 2011 an 123 Arbeitstagen sowie im Jahr 2012 bis zum Ausspruch der Kündigung (mindestens 50 Arbeitstage).
In den Jahren zuvor war der Kläger wie folgt arbeitsunfähig: an 35 Arbeitstagen im Jahr 2002, an 36 Arbeitstagen im Jahr 2003, an 31 Arbeitstagen im Jahr 2004, an 185 Arbeitstagen im Jahr 2005, an 57 Arbeitstagen im Jahr 2006, an 76 Arbeitstagen im Jahr 2007 sowie an 52 Arbeitstagen im Jahr 2008. Von diesen Arbeitsunfähigkeitstagen ist jedoch ein großer Anteil nicht prognosefähig. Das gilt insbesondere für die Arbeitsunfähigkeitszeiten, die auf einem Betriebsunfall beruhten, diejenigen, die auf einem einmaligen Ereignis beruhten, sowie diejenigen, deren zu Grunde liegende Erkrankungen ausgeheilt sind.
Die vom Kläger erlittenen Betriebsunfälle und die auf diese zurückzuführenden Arbeitsunfähigkeitszeiten sind nicht prognoserelevant. Daher sind die auf einen Betriebsunfall zurückzuführenden fünf Arbeitsunfähigkeitstage im Jahr 2009 sowie sechs Arbeitsunfähigkeitstage im Jahr 2010 nicht zu berücksichtigen.
Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, waren hinsichtlich beider Kündigungen aus der Prognoserelevanz die Diabeteserkrankung, eine Herzerkrankung, das Bandscheiben-/Rücken- sowie das Darmleiden herauszunehmen.
Nach dem Jahr 2005 ist es zu keinen Fehlzeiten aufgrund der Diabeteserkrankung des Klägers, die nach seinen Angaben bis zu diesem Zeitpunkt eingestellt worden war, gekommen. Diese Fehlzeiten sind daher nicht prognoserelevant. Auch ein etwaiges Herzleiden des Klägers war in der Vergangenheit nicht erkennbar Ursache von Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers.
Auch aus fachinternistisch-gastroenterologischer Sicht waren - wie sich aus dem Gutachten des
Dr. med. V. W. entnehmen lässt - keine weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten zu erwarten. Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen des Darmleidens wurden danach durch die Operation am 07.12.2007 zunächst einmal beseitigt (Hämorrhoiden, Marisken, submuköse Fistel). Trotz verzögerter Wundheilung ergab sich auch im Zeitpunkt der zweiten Kündigung nicht, dass der Kläger für die Zukunft nicht in der Lage gewesen wäre, die von ihm geforderte Arbeitsleistung zu erbringen. Eine chronische Erkrankung des Klägers, die mittel- oder langfristig weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten hätte erwarten lassen oder die aufgrund der Vorgeschichte zu erwarten gewesen wäre, konnte vom Gutachter ausgeschlossen werden. Die Arbeitsunfähigkeit vom 17.08.2011 bis zum 30.08.2011 sei nach den
Dr. med. V. W. vorliegenden Unterlagen auf eine akute, selbstlimitierende Diarrhoe zurückzuführen. Eine chronische, möglicherweise mit immer wiederkehrenden Arbeitsunfähigkeitszeiten gekoppelte Magen-/Darmerkrankung als mögliche Ursache der rektoanalen Fistel mit immer wiederkehrenden Durchfallepisoden konnte vom Gutachter
Dr. med. W. am 6. März 2014 ausgeschlossen werden.
Das Bandscheiben-/Rückenleiden ist ebenfalls nicht prognoserelevant. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen
Dr. med. U. lag nicht nur zum Zeitpunkt der ersten Kündigung am 10.03.2009, sondern auch bei Gutachtenerstellung ein gut stabilisierter Befund vor, so dass keine häufigen Ausfallzeiten in der Zukunft zu erwarten waren. Auch zum Beurteilungszeitpunkt am 29.03.2012 war - nach einem weiteren Bandscheibenvorfall mit anschließender Rehabilitationsmaßnahme - "aus medizinischer Sicht für die Zukunft nicht ungeschmälert zu erwarten, dass häufige Ausfallzeiten hier die notwendige Regelmäßigkeit einer Leistungserbringung in Frage gestellt sein lassen".
Die Fehlzeiten aufgrund der Halsoperation im Jahr 2011 (22 Arbeitstage) sind nicht prognoserelevant, da es sich bei der Operation um ein einmaliges Ereignis handelt. Dahin stehen kann und nicht mehr durch ein weiteres Sachverständigengutachten geklärt werden muss nach Auffassung der Kammer, ob es sich bei den beiden Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund einer Halsentzündung (vom 16.08.2011 - 20.08.2011 sowie wegen eines Rückfalls einer Halsentzündung in verschlimmerter Form vom 25. oder 26.09.2011 bis zum 14.10.2011) um Erkrankungen handelt, aufgrund derer in Anbetracht der Halsoperation keine Arbeitsunfähigkeitszeiten mehr zu erwarten waren.
Nach Ansicht der Kammer waren nämlich unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen E. jedenfalls nach Ausheilung der depressiven Erkrankung des Klägers im Anschluss an seine Schilddrüsenoperation keine häufigen Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Zukunft wegen einer Depression mehr zu erwarten. Dagegen ergibt sich aus dem vom Arbeitsgericht herangezogenen Gutachten des Medizinischen Dienstes von Ende 2011 nicht, dass auch in Zukunft erneute Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund der depressiven Erkrankung zu erwarten waren. Dem Arbeitsunfähigkeits-Gutachten des MDK Rheinland-Pfalz, erstellt aufgrund der Begutachtung des Klägers am 27.12.2011, kommt nach Auffassung der Kammer nur ein beschränkter Erkenntniswert hinsichtlich der Beurteilung der Zukunftsprognose im Kündigungszeitpunkt, also am 29.03.2012 zu. Das ergibt sich zum einen daraus, dass der Zeitpunkt der Begutachtung der drei Monate vor dem Kündigungsausspruch lag und damit die Entwicklung der letzten drei Monate vor dem Kündigungsausspruch vom MDK nicht berücksichtigen konnte. In diesem Zusammenhang fällt insbesondere auch ins Gewicht, dass der Kläger im Begutachtungszeitpunkt erst seit 11 Tagen (seit dem 16.12.2011) an der diagnostizierten "mittelgradigen depressiven Episode" erkrankt war. Dem steht ein deutlich längerer Zeitraum zwischen der Begutachtung durch den MDK und dem Ausspruch der Kündigung gegenüber. Zum anderen diente das Arbeitsunfähigkeits-Gutachten der Klärung der Frage, ob "tatsächlich AU vor" lag und nicht der Klärung der Zukunftsprognose. Weiter macht das Gutachten auch hinsichtlich des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit ausdrücklich nur Aussagen zu dem Zustand im Begutachtungszeitpunkt. So heißt es im Arbeitsunfähigkeitsgutachten abschließend unter der Überschrift "Sozialmedizinische Beurteilung": "Bei der heutigen Untersuchung bestand ein depressives Syndrom mit Funktionsminderung der Antriebsleistungen, Konzentrationsbelastbarkeit, Affektstabilität und kognitiven Flexibilität. Herr A. ist derzeit nicht in der Lage, seine Tätigkeit als Produktionsarbeiter zu verrichten. Medizinisch begründbare Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen nicht." (Unterstreichungen durch das Gericht).
Der Sachverständige
Dr. med. E. besitzt - wie auch die beiden Mediziner
Dr. med. U. und
Dr. med. W. - die erforderliche Sachkompetenz zur Feststellung der Entwicklung von Krankheiten
bzw. dazu, eine entsprechende Prognose zu stellen. Persönliche Vorbehalte gegen einen der Sachverständigen hat keine der Parteien vorgebracht.
Der Sachverständige
Dr. E. ist davon ausgegangen, dass nach Gutachten des MDK Ende Dezember 2011 eine eher mittelschwere depressive Symptomatik vorgelegen hat, deren Verlauf erfahrungsgemäß in den ersten Wochen, vor allem bei erstem Auftreten, nicht sicher eingeschätzt werden kann. So soll in diesem Zeitraum eine Chronifizierung ebenso denkbar sein wie rasche Besserung bis zur kompletten Remission. Er hat weiter ausgeführt, dass in der gegebenen Situation eine Entlastung durch den Rückhalt der Familie und eine medikamentös gebesserte Schlaflosigkeit bei subjektiv empfundener Existenzgefährdung sicherlich geeignet sei, die depressive Symptomatik - auch rasch - günstig zu beeinflussen. Der Sachverständige hat weiter einen möglicherweise wichtigen Triggerfaktor für eine vorübergehende depressive Symptomatik gesehen. Die vorangehende Schilddrüsenerkrankung einschließlich -operation sei geeignet, eine vorübergehende, auch eine schwere seelische, zum Beispiel depressive Symptomatik, auszulösen. Weitere Risikofaktoren für das Wiederauftreten einer depressiven Erkrankung hat der Gutachter nicht gesehen. Zwar hat die Beklagte hinsichtlich des Gutachtens eingewandt, der Gutachter habe ignoriert, dass die Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.04.2012 angedauert habe. Die Beklagte hat diesen Umstand jedoch erst nach Gutachtenerstattung vorgetragen. Weiter hat die Beklagte beanstandet, der Gutachter hätte die nach April 2012 wieder umfangreich eingetretenen Fehltage unberücksichtigt gelassen. Nach dem Ausspruch der Kündigung vom 29. März 2012 kam es im Jahr 2012 nach den von der Beklagten erst im zweiten Kammertermin vor dem Landesarbeitsgericht zur Gerichtsakte gereichten Aufstellung jedoch nur noch zu 4 Arbeitsunfähigkeitstagen in der Zeit vom 20.10.2012 bis zum 02.11.2012 und 3 Arbeitsunfähigkeitstagen vom 17.12.2012 bis zum 19.12.2012 aufgrund eines Betriebsunfalls. Im Jahr 2013 hat der Kläger danach vom 09.01.2013 bis zum 11.01.2012 (3 Arbeitstage) vom 21.01.2013 bis zum 01.02.2013 (2 Arbeitstage), vom 05.02.2013 bis zum 10.02.2013 (4 Arbeitstage) sowie vom 16.05.2013 bis 18.05.2013 (2 Arbeitstage) krankheitsbedingt gefehlt. Seine Fehlzeit ab dem 05.09.2013 bis zum 27.06.2014 wurde unstreitig durch einen Arbeitsunfall ausgelöst, ebenso eine Fehlzeit vom 20.11.2014 bis zum 03.12.2014. Umfangreiche Fehltage in der Zeit ab April 2012, die auf einer depressiven Erkrankung beruhen könnten und die der Gutachter hätte berücksichtigen können oder müssen, liegen daher nicht vor.
Hinsichtlich der Depression wäre es der Beklagten im Übrigen zuzumuten gewesen, das Ergebnis einer - nach Angaben des Klägers - im Frühjahr 2012 noch für Ende des Frühjahrs geplanten Reha-Maßnahme abzuwarten (
vgl. LAG Hamm, Urteil vom 28.04.2010 - 3 Sa 1383/09 - BeckRS 2010, 71837).
Insgesamt fielen - gleichermaßen wenn man auf die letzten drei Jahre vor dem Kündigungszeitpunkt oder auf den Zeitraum seit dem Jahr 2002 abstellt - Kurzzeiterkrankungen und grippale Infekte lediglich in einem unter 30 Arbeitstagen jährlich liegenden und für die Zukunftsprognose nicht repräsentativem Umfang an, nämlich im Jahr 2009 5 Arbeitstage, im Jahr 2010 22 Arbeitstage und im Jahr 2011 maximal 28 Arbeitstage. In den vorangegangenen Jahren verblieben folgende zu berücksichtigende Arbeitstage mit Arbeitsunfähigkeit: 2005 4 Arbeitstage (07.01. - 08-01.2005), 2006 14 Arbeitstage (04.04. - 08.04.2006, 21.06. - 30.06.2006, 04.08. - 07.08.2006), 2007 7 Arbeitstage (06.02. - 13.02.2007, 22.09.2007) und im Jahr 2008 maximal 22 Arbeitstage (15.05. - 31.05.2008 und 27.11. - 29.12.2008, sofern man das "Einklemmen" der lumbosakralen Nevenwurzel im Rückenbereich und den zusätzlichen normalen Infekt mitberücksichtigt).
Soweit es um die Bestätigung
bzw. Widerlegung einer einmal gestellten Prognose geht, ist es außerdem nicht ausgeschlossen, auch die spätere Entwicklung des Gesundheitszustandes der Klägerin mit zu berücksichtigen. Es kommt zwar grundsätzlich auf die Prognose im Kündigungszeitpunkt an. Jeder Prognose haftet jedoch - dem Prognosecharakter entsprechend - notwendigerweise eine gewisse Unsicherheit an. Zu ein und derselben Frage lassen sich durchaus mehrere (unterschiedliche) Prognosen vertreten. Aus diesem Grunde macht es Sinn, nach näherer Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch die spätere Entwicklung mit zu bewerten. Der dogmatische Ansatz, dass es für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs ankommt, schließt es - wenn dem Kündigungsgrund wie hier ein prognostisches Element innewohnt - nicht aus, dass der tatsächliche Eintritt der prognostizierten Entwicklung Rückschlüsse auf die Plausibilität der Prognose zulässt. In diesem Sinne kann die Entwicklung nach der Kündigung durchaus berücksichtigt werden, soweit sie die Prognose bestätigt (
BAG, Urteil vom 23.01.2014 -
2 AZR 582/13 - NZA 2014, 962, 965 Rz. 32; vom 27.11.2003 - 2 AZR 48/03 - NZA 2004, 477, 478;
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.05.2011 - 3 Sa 17/11 - BeckRS 2011, 7530). Der Kläger hat im Sinne einer Prognose ausgeführt, dass er davon ausgehe, er nach Durchführung einer Reha-Maßnahme, die für Ende Frühjahr 2012 geplant sei, seine Arbeit wieder aufnehmen zu können. Dies war tatsächlich der Fall. Zu der von dem Kläger erwarteten Arbeitsaufnahme ist es am 23.04.2012 gekommen, obwohl keine Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt worden ist. Zu weiteren Ausfällen des Klägers wegen einer depressiven Erkrankung ist es nach dem Vortrag der Parteien bislang nicht gekommen. Diese Entwicklung bestätigt die Annahme
bzw. Prognose des Klägers, dass am 29.03.2012 keine weiteren häufigen Kurzerkrankungen aufgrund der Depression mehr zu erwarten waren.
Auch eine konstitutionelle Schwächung und damit eine besondere Krankheitsanfälligkeit des Klägers ergibt sich aus dem gesamten Krankheitsbild nicht. Insbesondere hat der Kläger nicht an wiederholten Erkältungs- oder Entzündungskrankheiten gelitten, die auf eine besondere Krankheitsanfälligkeit hindeuten würden (
vgl. hierzu
BAG, Urteil vom 10.11.2005 - 2 AZR 44/05 - NZA 2006, 655, 657).
Da sich hiernach (bereits) auf der ersten Prüfungsstufe keine negative Gesundheitsprognose stellen lässt, lässt sich weiter - auf den weiteren Prüfungsstufen - nicht feststellen, dass im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs Betriebsablaufstörungen und/oder wirtschaftliche Belastungen zu besorgen waren, die die Beklagte billigerweise nicht hinnehmen musste. Zudem begründen das Lebensalter des am 01.05.1957 geborenen Klägers, seine Unterhaltspflichten ebenso wie die sehr lange Dauer seiner Betriebszugehörigkeit seit dem 2. Juli 1990 eine gesteigerte soziale Schutzbedürftigkeit und deswegen ein besonderes Interesse des Klägers am Erhalt seines Arbeitsplatzes.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46
Abs. 2
ArbGG in Verbindung mit § 92
Abs. 2
Nr. 1
ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72
Abs. 2
ArbGG sind nicht erfüllt.