Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat.
Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheides des Präsidenten des Oberlandesgerichts X vom 13. Oktober 2008 und seines Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2008 verpflichtet, dem Kläger weitere 126,68
EUR für die Anschaffung einer Bildschirmbrille zu bewilligen.
Die Kosten des Verfahrens haben das beklagte Land zu 63% und der Kläger zu 37% zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Kläger verlangt vom Beklagten die Erstattung von Kosten für die Anschaffung einer Bildschirmbrille (Gleitsichtbrille) am 19. Juni 2008. Der Anschaffung liegt eine ärztliche Verordnung vom 18. Juni 2008 zugrunde. Der Rechnungsbetrag der Firma City-Optik beläuft sich auf 526,20
EUR.
Am 1. Juli 2008 beantragte der Kläger die Erstattung der Aufwendungen und nahm auf das Urteil des
BVerwG v. 27.2.2003 (2 C 2.02) Bezug, nach dem private Versicherungsleistungen auf den Erstattungsbetrag nicht angerechnet werden dürften. Mit Schreiben vom 16. Juli 2008 teilte der Präsident des Oberlandesgerichts X dem Kläger mit, erstattungsfähig sei im Hinblick auf die Erlasse des Hessischen Ministers des Innern und für Sport vom 29.10.2003 (7630-I/3-1167/03) und vom 29.6.2004 (7630-I/3-678/04) nur derjenige Betrag, den die
AOK oder die zuständige Betriebskrankenkasse als Sachleistung gewährt hätte. Dieser Betrag belaufe sich nach Auskunft der
AOK auf 131,75
EUR. Anschließend erhielt der Kläger eine Überweisung des entsprechenden Betrages auf sein Konto.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2008 forderte der Kläger das beklagte Land unter Bezug auf § 6 BildscharbV zur Zahlung des Restbetrages auf. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2008 (Bl. 10 d. A.) lehnte der Präsident des Oberlandesgerichts X eine weitere Erstattung ab. Am 22. Oktober 2008 erhob der Kläger Widerspruch und verlangte hilfsweise eine Erstattung von weiteren 126,68
EUR. Dieser Betrag ergibt sich aus der Differenz einer Vergleichsrechnung der
Fa. Apollo-Optik für die Bildschirmbrille des Klägers im Verhältnis zur höheren Rechnung der
Fa. City-Optik.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2008 (Bl. 14 f. d. A.) wies der Präsident des Oberlandesgerichts X den Widerspruch des Klägers zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 17. Dezember 2008 zugestellt.
Mit seiner am 16. Januar 2009 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, wobei er anfangs eine weitere Erstattung von 200,68
EUR verlangte. Diesen Betrag hat der Kläger später auf 126,68
EUR verringert. Er macht geltend, nach der BildscharbV müsse das beklagte den Land eine höhere Erstattung leisten, da es sich nicht auf das Niveau der Sachleistungen beschränken dürfe, wie das
BVerwG entschieden habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides des Präsidenten des Oberlandesgerichts X vom 13. Oktober 2008 und seines Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2008 zu verpflichten, dem Kläger weitere 126,68
EUR für die Anschaffung einer Bildschirmbrille zu bewilligen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bezieht sich auf die ungeachtet des Urteils des
BVerwG vom 27.2.2003 fortgesetzte landesinterne Verwaltungspraxis, die mit der Beschlusslage der Tarifgemeinschaft deutscher Länder übereinstimme. Sie sehe in dem Urteil keinen Anlass für eine Änderung der geübten Praxis.
Ein Heftstreifen Verwaltungsvorgänge hat vorgelegen. Auf seinen Inhalt und den der Gerichtsakte wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen.
Im Einverständnis mit den Beteiligten ergeht die Entscheidung allein durch den Vorsitzenden (§ 87a
Abs. 1
VwGO) und ohne mündliche Verhandlung (§ 101
Abs. 2
VwGO).
Das Verfahren ist gemäß § 92
Abs. 1
VwGO einstellen, soweit der Kläger seine Klage auf einen Erstattungsbetrag von 126,68
EUR anstelle des ursprünglich geltend gemachten Betrages von 200,68
EUR beschränkt hat. In dieser Beschränkung liegt eine teilweise Rücknahme der Klage.
Die zulässige Klage hat hinsichtlich des aufrecht erhaltenen Umfangs des Erstattungsbegehrens Erfolg, da die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind und dem Kläger ein Anspruch auf den im Widerspruchsverfahren hilfsweise geltend gemachten Betrag zusteht (§ 113
Abs. 1
S. 1,
Abs. 5
VwGO).
Das
BVerwG hat zur Rechtsgrundlage in seinem Urteil v. 27.2.2003 (2 C 2.02 - juris) folgendes ausgeführt:
"Nach § 6
Abs. 2 der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Bildschirmarbeitsverordnung - BildscharbV) vom 4. Dezember 1996 (BGBl I
S. 1841 -1843-) sind den Beschäftigten im erforderlichen Umfang spezielle Sehhilfen für ihre Arbeit an Bildschirmgeräten zur Verfügung zu stellen, wenn eine Untersuchung nach
Abs. 1 dieser Vorschrift ergeben hat, dass diese Sehhilfen notwendig und normale Sehhilfen nicht geeignet sind. § 6 BildscharbV dient der Umsetzung von
Art. 9 der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 29. Mai 1990 - 90/270/EWG - (ABlEG
Nr. L 156
S. 14). Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ist § 19 in Verbindung mit § 18
ArbSchG. § 6 BildscharbV gilt auch für Beamte (
vgl. § 2
Abs. 2
Nr. 4 Arbeitsschutzgesetz -
ArbSchG - vom 7. August 1996, BGBl I
S. 1246).
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, dass der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf die Bildschirmarbeitsbrille hat. Zwar haben die Beschäftigten nach dem Wortlaut des § 6
Abs. 2 BildscharbV nur einen Anspruch darauf, dass ihnen der Arbeitgeber
bzw., soweit es um Beamte geht, der Dienstherr eine spezielle Sehhilfe zur Verfügung stellt. Danach ist die Bildschirmarbeitsbrille ein Arbeitsmittel, das der Dienstherr bereitzuhalten hat. Überlässt es der Dienstherr dem Beamten mit dessen Einverständnis, die Bildschirmarbeitsbrille selbst zu beschaffen, entsteht ein Kostenerstattungsanspruch, der an die Stelle des vorrangigen Anspruchs auf Sachausstattung tritt. In diesem Falle ist der Betrag zu erstatten, den der Arbeitgeber für die Anschaffung des erforderlichen Arbeitsmittels hätte aufwenden müssen und der der Höhe nach weiterhin durch die tatsächlich entstandenen Kosten begrenzt wird.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, an die der Senat mangels entsprechender Verfahrensrügen gebunden ist (§ 137
Abs. 2
VwGO), kann der Kläger eine der ärztlichen Verordnung entsprechende Brille für 320 DM auf dem freien Markt erhalten. Dabei sind für das Brillengestell 40 DM und für beide Gläser zusammen 280 DM zu veranschlagen. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht dem Kläger für die Gläser 360 DM zugesprochen. Zwar entspricht auch dieser Betrag noch den durchschnittlichen Erwerbskosten. Dies ergibt sich aus der vom Gutachter vorgelegten Preisübersicht. Bei der Vergleichsberechnung ist der Grundsatz der Sparsamkeit zu beachten. Danach sind der Dienstherr und deshalb ebenso der Kläger gehalten, eine geeignete Sehhilfe zu dem im Durchschnitt niedrigsten Marktpreis zu erwerben. Will sich der Kläger nicht der Mühe eines gegebenenfalls erforderlichen Kostenvergleichs unterziehen, hat er die Möglichkeit, auf seinem Recht gegenüber seinem Dienstherrn zu bestehen, ihm eine Bildschirmarbeitsbrille zur Verfügung zu stellen.
Die vom Kläger begehrte Kostenerstattung ist das Surrogat für den normativ vorgesehenen Anspruch auf Sachausstattung. Dies schließt es aus, dass nur ein Zuschuss zu den tatsächlich entstandenen oder notwendigen Aufwendungen gezahlt wird oder dass anderweitige zweckidentische Zahlungen angerechnet werden. Nach
Art. 9 Satz 2
Nr. 3 der Richtlinie 90/270/EWG darf die Ausstattung der Arbeitnehmer mit der speziellen Sehhilfe in keinem Fall zu einer finanziellen Mehrbelastung der Arbeitnehmer führen. Mit dieser Vorgabe ist es nicht zu vereinbaren, wenn der Arbeitnehmer einen Teil der erforderlichen Aufwendungen im Ergebnis selbst tragen muss.
Der Kostenersatz erfolgt nicht auf der Grundlage der allgemeinen Fürsorgepflicht (§ 79 BBG), die die Gewährung von Beihilfen des Dienstherrn in Krankheitsfällen zusätzlich zu der zumutbaren Eigenbelastung des Beamten vorsieht. Hiervon unterscheidet sich die Pflicht des Dienstherrn, die erforderlichen Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen und für den Schutz des Beamten vor Unfällen und sonstigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz zu sorgen. Diese Schutzpflicht verbietet es auch, die Kosten für die Anschaffung der Bildschirmarbeitsbrille nach beihilferechtlichen Grundsätzen zu erstatten.
Für eine Anrechnung der Zahlungen, die die private Krankenversicherung des Klägers zu der Anschaffung der Brille geleistet hat, bedürfte es einer Rechtsgrundlage. Die Anrechnung würde die Höhe des Anspruchs, wie sie sich aus § 6
Abs. 2 BildscharbV ergibt, mindern. Vermögensleistungen, die Dritte aus Anlass des den gesetzlichen Anspruch begründenden Umstands erbringen, werden angerechnet, wenn dies ausdrücklich vorgeschrieben ist. Eine Anrechnung kommt ferner in Betracht, wenn der Schuldner eine Vermögenslage auszugleichen hat, für die - wie
z.B. für einen Schaden i.
S. des § 249
BGB - anerkannt ist, dass sie in ihrem Umfang dadurch bestimmt sein kann, dass das schadenstiftende Ereignis gleichzeitig zu einem Vermögensvorteil für den Geschädigten geführt hat (stRspr,
vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2001 - II ZR 331/99 - NJW-RR 2001, 1450). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
Auch nach dem Rechtscharakter der Leistung, die nach § 6
Abs. 2 BildscharbV zu erbringen ist, verbietet sich eine Anrechnung des von der Versicherung gezahlten Betrages. § 6
Abs. 2 BildscharbV statuiert die Pflicht des Dienstherrn, dem Beamten ein Arbeitsmittel zu verschaffen. Ebenso wenig wie die Pflicht des Dienstherrn zur gegenständlichen Überlassung einer Bildschirmarbeitsbrille dadurch beeinflusst wird, dass der Beamte sich bereits eine derartige,
z.B. für den häuslichen Gebrauch bestimmte Brille auf eigene Kosten angeschafft hat, ist es für die Pflicht zur Erbringung der Surrogatleistung, der Erstattung des Marktpreises der Brille, von Belang, dass der Beamte von Dritten aufgrund seiner speziellen Rechtsbeziehungen zu ihnen ebenfalls eine - partielle - Kostenerstattung erhält.“
Dies zugrunde gelegt, steht dem Kläger ein Erstattungsanspruch jedenfalls in der Höhe zu, wie er sich aus dem im Widerspruchsverfahren Betrag ergibt, den die
Fa. Apollo-Optik für die Brille des Klägers berechnet hätte. Seitens des Beklagten wird nicht geltend gemacht, die Brille sei zu einem noch günstigeren Preis beschaffbar gewesen.
Es ist keine Rechtsgrundlage erkennbar, die es dem Beklagten gestattet, den Umfang des bundes- und gemeinschaftsrechtlich begründeten Leistungsanspruchs auf Festbeträge oder sonst zu begrenzen. Der Verweis auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung geht schon deshalb fehl, weil Beamte üblicherweise nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind und folglich deren Sachleistungen nicht in Anspruch nehmen. Im Übrigen stellen Begrenzungen von Aufwendungen im Bereich der Krankenfürsorge etwas Anderes dar als die Verpflichtung des Dienstherrn zur Stellung einer Bildschirmbrille als notwendiges Hilfsmittel für die Dienstverrichtung, veranlasst durch die vom Dienstherrn zu verantwortende Entscheidung, Computer mit Bildschirmen an den einzelnen Arbeitsplätzen einzusetzen. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Organisationsentscheidung trägt aufgrund der BildscharbV und der zugrunde liegenden RL 90/270/EWG der Arbeitgeber,
d. h. hier der Dienstherr, soweit es um die Bereitstellung notwendiger Sehhilfen geht.
Die BildscharbV und die RL 90/270/EWG enthalten Mindestarbeitsbedingungen, von denen weder durch Tarifvertrag noch durch andere Regelungen wie Erlasse abgewichen werden kann. Selbst wenn man unterstellt, dass das Land nach der Aufhebung von
Art. 75
Abs. 1
Nr. 1
GG künftig selbst für die Regelung des Arbeitsschutzes bei Beamtinnen und Beamten im Geltungsbereich des HBG zuständig sein sollte, wäre es lediglich befugt, die bisherigen bundesrechtlichen Regelungen des Arbeitsschutzes für Beamtinnen und Beamte durch Landesrecht zu ersetzen oder eine Neuregelung dieses Bereichs vorzunehmen. Verwaltungsvorschriften stellen kein solches Landesrecht dar, da es sich nicht um Rechtsnormen handelt.
Die zwingenden Vorgaben der RL 90/270/EWG müssten im Übrigen auch bei einer landesrechtlichen Neuregelung beachtet werden.
Art. 9
Abs. 3 RL 90/270/EWG verpflichtet den Arbeitgeber, den Beschäftigten notwendige Sehhilfen für Bildschirmarbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.
Art. 9
Abs. 4 der RL schließt ausdrücklich jede finanzielle Mehrbelastung der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Erfüllung der dem Arbeitgeber durch die
Art. 9
Abs. 1-3 der RL auferlegten Pflichten aus. Deshalb erweisen sich die Erlasse des Beklagten auch aus diesem Grund als rechtswidrig und können dem Anspruch des Klägers nicht entgegengehalten werden.
Soweit das beklagte Land unterliegt, hat es gemäß § 154
Abs. 1
VwGO die Verfahrenskosten zu tragen. Soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat, muss er nach § 155
Abs. 2
VwGO die Verfahrenskosten tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167
Abs. 2
VwGO i. V. m. §§ 708
Nr. 11, 711
ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich (§§ 124 a
Abs. 1
S. 1, 124
Abs. 2
Nr. 3 oder
Nr. 4
VwGO).