Der Senat konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entscheiden (§ 124
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG])
Die allein von der Beklagten eingelegte Berufung ist im Wesentlichen unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte - je nachdem, ob sie den "Zuzahlungsbetrag" gegenüber dem Hörgeräteakustiker bereits beglichen hat oder nicht - einen Anspruch auf Freistellung von der Verbindlichkeit oder auf Erstattung des bereits bezahlten Rechnungsbetrags. Weil nur die Beklagte Berufung eingelegt hat, gehen diese Ansprüche jedoch nicht über den Betrag hinaus, der dem Leistungsausspruch in der angefochtenen Entscheidung entspricht. Ob der Klägerin ein offener Restbetrag möglicherweise deswegen verbleibt, weil der von der Krankenkasse tatsächlich erstattete Betrag geringer ist als der, den der Hörgeräteakustiker als Kassenanteil in seinem Kostenvoranschlag ausgewiesen hatte, kann offen bleiben.
Die Beklagte ist die für Leistungen zur Teilhabe zuständige Leistungsträgerin. Ihre Zuständigkeit ergibt sich gemäß
§ 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Im Besonderen ist nichts dafür ersichtlich, dass an die
AOK Berlin vor Eingang des Leistungsantrags bei der Beklagten am 11. August 2006 eine von der Krankenkasse als Leistungsantrag zu behandelnde Erklärung (s. dazu
BSG SozR 4-3250 § 14
Nr. 7) gerichtet worden ist. Durch die nach § 14
SGB IX begründete Zuständigkeit haben andere Leistungsträger ihre Entscheidungsbefugnis über die Gewährung von Teilhabeleistungen nach den für sie geltenden Leistungsgesetzen verloren (s.
BSG SozR 4-3250 § 14
Nr. 8 und Urteil vom 20. April 2010 -
B 1/3 KR 6/09 R). Daraus ergibt sich die Pflicht der Beklagten, Teilhabeleistungen nach allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen unter Beachtung der besonderen persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der jeweiligen Leistungsgesetze zu prüfen (s. stellvertretend
BSG SozR 4-3250 § 14
Nr. 8). Leistungen außerhalb des Rechts der Teilhabe sind dagegen ohne Belang, somit im besonderen eine Versorgung mit Hörhilfen als Krankenbehandlung (Hilfsmittel) nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (
§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V. mit
§ 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V]). Im Rahmen ihrer Zuständigkeit als Träger von Leistungen zur Teilhabe kommen Ansprüche jedoch nur nach dem für die Beklagte selbst geltenden Leistungsgesetz, dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI], in Betracht. Die Versorgung mit Hilfsmitteln, zu denen Hörgeräte zählen, gehört zum Leistungskatalog der von den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung zu erbringenden medizinischen Rehabilitation (§ 15
Abs. 1 Satz 1
SGB VI i. V. mit §§ 26
Abs. 2
Nr. 6, 31
SGB IX) und, soweit sie nicht als medizinische Leistung erbracht werden können, unter bestimmten Voraussetzungen auch zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (
§ 33 Abs. 8 Nr. 4 i. V. mit Abs. 2 Nr. 1 und 6 SGB IX).
Hilfsmittel werden im Regelfall als Sachleistung erbracht (s.
BSG SozR 4-3250 § 14
Nr. 7). Gemäß
§ 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX ist der Rehabilitationsträger stattdessen aber unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, wenn er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (zur Anwendbarkeit des § 15
Abs. 1
SGB IX für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung s. erneut
BSG SozR 4-3250 § 14
Nr. 8). Hat die Versicherte sich die Leistung bereits beschafft, aber noch nicht bezahlt, geht der Anspruch jedoch auf Freistellung von der Forderung (s.
BSG SozR 4-2500 § 33
Nr. 1 mit Hinweis auf
BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 37).
Die Klägerin gehört dem Grunde nach zum Personenkreis der Leistungsberechtigten der medizinischen Rehabilitation und der Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 10, 11
SGB VI). Dies wird von den Beteiligten auch nicht in Frage gestellt. Die Klägerin hat auch konkret Anspruch auf Versorgung mit einem (digitalen) Hörgerät als Leistung zur Teilhabe. Nach § 15
Abs. 1 Satz 1
SGB VI i.V. mit
§§ 26 Abs. 2 Nr. 6 und
31 SGB IX werden als Leistungen zur medizinischen Rehabilitation unter anderem Hilfsmittel zur Verfügung gestellt. Nach § 16
SGB VI werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit unter anderem behinderter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Zu den Leistungen gehören insbesondere Hilfen zur Erlangung oder Erhaltung eines Arbeitsplatzes einschließlich der Kosten für Hilfsmittel, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung unter anderem zur Berufsausübung oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg von und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sind, es sei denn, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht oder solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können (
§ 33 Abs. 3 Nr. 1 i.V. mit Abs. 8 Nr. 4 SGB IX). Die streitige Versorgung mit digitalen Hörgeräten stellt keine Verpflichtung des Arbeitgebers dar. Ob sie eine medizinische Leistung zur Rehabilitation darstellt (so das
BSG, SozR 4-3250 § 14
Nr. 7 und 8) oder eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, kann letztlich dahinstehen. Es handelt sich jedenfalls nicht um eine Versorgung im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin leidet an einer Hörminderung, die sich spezifisch im Bereich der Berufsausübung auswirkt; Gebrauchsvorteile für die Berufsausübung sind für die Hilfsmittelgewährung in der gesetzlichen Krankenversicherung aber unbeachtlich (s. dazu vor allem
BSG SozR 4-2500 § 36
Nr. 2). Den Angaben der Arbeitgeberin, die sie vor allem in ihrer Auskunft gegenüber dem Sozialgericht ausführlich gemacht hat, ist zu entnehmen, dass die Klägerin an Orten mit berufsbedingt besonderen akustischen Bedingungen tätig wird. Sie lassen sich nicht mit Situationen vergleichen, denen auch jede Privatperson ausgesetzt sein kann. Zwar können Stimmengewirr und zusätzliche Hintergrundgeräusche auch im Privatbereich oder in öffentlichen Räumen auftreten. Kennzeichnend für den außerberuflichen Bereich ist aber, dass akustische Situationen entweder durch das Verhalten anderer oder der Hörbehinderten selbst so geordnet werden können, dass eine Verständigungsmöglichkeit hergestellt werden kann, oder dass sie von Hörbehinderten vermieden werden können. Diese Möglichkeiten scheiden hier aus: Die Klägerin ist in Arbeitsprozesse eingebunden, in denen sie prinzipiell unter denselben Bedingungen ihre Aufgaben erledigen muss wie ein nicht behinderter Mensch; sie besetzt keinen "Schonarbeitsplatz". Sie muss deshalb auch unter ungünstigen akustischen Bedingungen wie ein nicht hörbehinderter Mensch mündliche Mitteilungen oder Anweisungen sicher erkennen.
Die Beklagte hat in der Folge auch das ihr zustehende pflichtgemäße Ermessen, Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen und
ggf. die Rehabilitationseinrichtung unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Einzelfall zu bestimmen (§ 13
Abs. 1
SGB VI) bei ihrer Verwaltungsentscheidung verletzt. Sie trifft insofern die Folge davon, dass sie der Klägerin kein Hörgerät konkret benannt und zur Verfügung gestellt hat, durch das sie ihre Sachleistungspflicht erfüllt hätte. Die Beklagte trifft eine Leistungspflicht unabhängig davon, ob die gesetzliche Krankenkasse den Anteil, der auf die "Grundversorgung" nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung entfällt, durch die von ihr gewährte Pauschale rechtlich ausreichend übernommen hat (s. in diesem Zusammenhang
BSG SozR 4-2500 § 36
Nr. 2 m.w.Nachw.).
Die Leistung "Hörgerät" ist - als Sachleistung - tatsächlich nicht teilbar, und die teilhabeberechtigte Person soll gerade nicht darauf verwiesen werden, sich mit verschiedenen Leistungsträgern auseinandersetzen zu müssen. Der Umfang der Freistellungs-
bzw. Erstattungspflicht folgt angesichts dessen dem Umfang des Sachleistungsanspruchs, wie bereits ausgeführt jedoch grundsätzlich begrenzt auf den vom Sozialgericht ausgesprochenen Leistungsbetrag. Ob ein darüber hinausgehender Anspruch auf Freistellung
bzw. Erstattung besteht, muss nicht entschieden werden. Erfolg hat die Berufung lediglich insoweit, als eine Leistungspflicht in keinem Fall für das Trockenetui (35
EUR) besteht. Dieses ist keine notwendige Versorgung und daher von der Klägerin aus eigenen Mitteln zu erwerben. Weil der Leistungsanspruch primär auf Freistellung von der Verbindlichkeit gerichtet und nicht ersichtlich ist, ob die Klägerin den Rechnungsbetrag des Hörgeräteakustikers bereits beglichen hat, war außerdem alternativ die Verpflichtung der Beklagten zur Freistellung oder zur Erstattung auszusprechen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und berücksichtigt, dass der Anteil, mit dem die Berufung der Beklagten erfolgreich war, wirtschaftlich nicht ins Gewicht fällt.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160
Abs. 2
SGG), liegen nicht vor.