Urteil
Keine vergleichende Anpassung von Festbetragshörgeräten durch den Hörgeräteakustiker - Nichtüberschreitung der Grenzen des Wirtschaftlichkeitsgebots bei selbstbeschafftem Hörgerät

Gericht:

LSG Baden-Württemberg 11. Senat


Aktenzeichen:

L 11 KR 2013/15


Urteil vom:

21.06.2016


Leitsätze:

Ist eine vergleichende Anpassung von Festbetragshörgeräten durch den Hörgeräteakustiker nicht erfolgt oder nicht nachgewiesen, kann die Krankenkasse im Regelfall nicht mehr geltend machen, dass die vom Versicherten selbst beschafften Hörgeräte die Grenzen des Wirtschaftlichkeitsgebots überschreiten.

Rechtsweg:

SG Stuttgart Urteil vom 30.03.2015 - S 23 KR 7121/11

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.03.2015 und der Bescheid der Beklagten vom 01.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2011 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Kosten in Höhe von 4.170,60 EUR zu erstatten.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten einer Hörgeräteversorgung.

Der 1951 geborene Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Er leidet an einer mittel- bis hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits. Darüber hinaus liegt eine Sehbehinderung auf beiden Augen zu 100% vor. Er trägt daher Kantenfiltergläser in schwerem Rahmen.

Am 02.03.2011 verordnete der behandelnde Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. D. dem Kläger eine Hörhilfe. Diese Verordnung legte der Kläger der Firma L. Akustik GmbH vor, die am 08.04.2011 eine Versorgungsanzeige gegenüber der Beklagten abgab. Am 13.04.2011 teilte die Beklagte gegenüber der Firma Hörgeräte L. mit, dass der Festbetragspreis für die Hilfsmittelversorgung übernommen werde. Der Kläger war im April und Mai 2011 mehrfach bei der Firma L. Akustik GmbH zur Anprobe (vgl Bl 30/31 Senatsakte). Welche Geräte der Akustiker dem Kläger vorgeführt hat, ist unklar.

Am 09.06.2011 erhielt der Kläger Hörgeräte der Marke Phonak Audeo ZIP IX.

Mit Rechnung vom 16.06.2011 wurde dem Kläger durch den Hörgeräteakustiker ein Betrag in Höhe von 4.170,60 EUR in Rechnung gestellt (Gesamtpreis der Hörgeräte in Höhe von 5.296,42 EUR abzüglich der Übernahme durch den Kostenträger in Höhe von 1.145,82 EUR unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von 20 EUR).

Am 25.06.2011 wandte sich der Kläger an die Beklagte und monierte die Beteiligung von nur rund 1.100 EUR. Da er aufgrund seiner Erblindung mehrfach behindert sei, müsse sich die Beklagte in vollem Umfang an den Kosten beteiligen.

Die Beklagte beauftragte darauf den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Begutachtung des Falles. Dr. P. teilte in seiner Stellungnahme vom 21.07.2011 mit, dass eine Hörgeräteversorgung erforderlich sei. So bestehe tonaudiometrisch ein prozentualer Hörverlust von 38% rechts und 24% links. Sprachaudiometrisch betrage das maximale Einsilbenverstehen rechts bei 80 dB 100%. links bei 65 dB 100%. Die erforderliche Hörhilfenneuversorgung könne im Rahmen der Festbetragsregelung erfolgen. Die entsprechenden Geräte seien ausreichend.

Am 01.08.2011 lehnte die Beklagte daraufhin eine weitergehende Kostenübernahme ab. Hiergegen legte der Kläger am 23.08.2011 Widerspruch ein. Zur Begründung wies er darauf hin, dass die Beklagte nicht ausreichend berücksichtigt habe, dass er nicht nur unter einer Einschränkung des Hörsinns leide, sondern zudem noch hochgradig sehbehindert sei. Daher sei er auf sein Gehör in besonderer Weise angewiesen. Er benötige daher die gewählte Versorgungsart.

Die Beklagte erbat daraufhin beim MDK ein erneutes sozialmedizinisches Gutachten. Im Gutachten vom 27.10.2011 (Bl 41 Verwaltungsakte) führte dieser aus, dass angesichts der Blindheit des Klägers ein Ausgleich der eingeschränkten Hörfähigkeit von besonderer Bedeutung sei. Unklar sei aber, warum der Akustiker eines der aktuell teuersten Hörgerät am Markt abgeben wolle. Soweit eine Versorgung unter Hinweis auf die Brille mit Kantenfiltergläsern begründet worden sei, sei anzumerken, dass der Versicherte auch mit einem Hinter-dem-Ohr-Gerät versorgt werden könne und es auch möglich sei, das Hörgerät in den Brillenbügeln zu integrieren. Schließlich könne auch ein Hörgerät, welches in der Ohrmuschel getragen werde (Concha-Hörgerät) oder ein "In-dem-Ohr-Gerät" (CIC) in Betracht kommen. Warum der Hörgeräteakustiker ein CIC-Gerät abgeben wolle, welches komplett im Gehörgang sitze und für den unvoreingenommenen Betracht unsichtbar sei und damit vor allen Dingen ästhetische Vorteile biete, sei nicht nachvollziehbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) komme vorliegend nicht in Betracht. Der Kläger habe am 09.06.2011 ein Hörgerät der Marke Phonak Audeo ZIP IX erworben, ohne zuvor mit der Beklagten Rücksprache zu halten. Erst danach habe er mit Schreiben vom 25.06.2011 die volle Kostenübernahme der Hörgeräteversorgung beantragt. Insoweit sei der Versorgungsweg nicht eingehalten. Darüber hinaus habe die Beklagte die Leistung jedoch auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Der für das Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag begrenze die Leistungspflicht der Krankenkasse nur dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreiche. Dies sei dem Kläger nicht nachgewiesen. Soweit sich der Kläger auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.12.2009 (Az.: B 3 KR 20/08 R) berufen habe, sei dies nicht einschlägig. Der Kläger sei mit einem fast Ertaubten nicht gleichzusetzen. Im Übrigen seien dort lediglich die im Jahr 2003 festgesetzten Festbeträge beanstandet worden. Diese Problematik bestehe heute nicht mehr, da nach den inzwischen geschlossenen und geltenden Versorgungsverträgen zwischen Akustikern und Krankenkassen digitale Geräte zur Standardversorgung gehörten.

Hiergegen der Kläger am 19.12.2011 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat er die Ausführungen aus dem Widerspruch des Verfahrens wiederholt und vertieft. Es komme es nicht nur auf den unmittelbaren Ausgleich der Höreinschränkung an, sondern auch mittelbar auf den Ausgleich der Seheinschränkung. So sei er dringend auf ein Richtungshören zur Orientierung angewiesen. Da beim Kläger beide Fernsinne beeinträchtigt seien, sei eine besondere Situation gegeben, die eine Einzelversorgung erforderlich mache, um wenigstens einen der beeinträchtigten Orientierungssinne vollständig auszugleichen. Er habe unterschiedliche Hörsysteme erprobt. Dabei sei festgestellt worden, dass eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr mit zuzahlungsfreien Hörgeräten nicht in Betracht komme. Nur mit dem Hörsystem "Phonak" habe eine ausreichende Verständigung erreicht werden können. Der Hörgeräteakustiker habe überdies ihn über den ordnungsgemäßen Ablauf der Versorgung nicht ausreichend informiert.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

Das SG hat den behandelnden Facharzt für Ohrheilkunde Dr. D. als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser gab im Schreiben vom 08.05.2012 (Bl 43 SG-Akte) einerseits an, dass die Auffassung des MDK im sozialmedizinischen Gutachten vom 27.10.2011 grundsätzlich geteilt werde. Andererseits sei die vorliegende Versorgung erfolgt, da das Alternativgerät Audeo ZIP V mit Erreichen von 90 bei 65 dB schlechtere Hörwerte ausgewiesen habe. Neben der Korrektur der Schwerhörigkeit gehe es beim Kläger außerdem um eine Verbesserung des räumlichen Hörens, da wegen der Sehbehinderung die Orientierung stark eingeschränkt sei (verbessertes Richtungshören bei vollem Klangspektrum). Wegen des massiven Brillenbügels sollte eine Tragbarkeit vorzugsweise im Gehörgang gegeben sein.

Darüber hinaus hat das SG die Firma L. Akustik GmbH befragt. Der Akustiker S. hat im Schreiben vom 17.01.2014 (Bl 73 SG-Akte) behauptet, dass der Kläger die Anpassung und Ausprobe eigenanteilsfrei angebotener Hörgeräte von vorneherein abgelehnt habe. Wenn der Kläger die Anpassung und Ausprobe eigenanteilsfreier Hörsysteme nicht abgelehnt hätte, hätten zwei eigenanteilsfreie Hörsysteme angeboten werden können, die die vertragliche Verpflichtung erfüllten, zur Versorgung des jeweiligen Hörverlustes geeignet gewesen und einen angemessenen Ausgleich der Hörbehinderung im Rahmen der Kundenbedürfnisse des täglichen Lebens sichergestellt hätten. Die zuzahlungspflichtigen Angebote hätten vorliegend insbesondere ästhetische und komfortbezogene Vorteile gegenüber eigenanteilsfreien Hörsystemen besessen.

Der Kläger hat hierauf vorgetragen, dass er eine Erprobung von zuzahlungsfreien Hörsystemen nicht abgelehnt habe. Entgegen der Auflistung im Anpassbericht seien auch nicht nur drei, sondern mindestens fünf Hörsysteme erprobt worden. Offenbar solle von Seiten der Firma L. Akustik GmbH verschleiert werden, dass keine ordnungsgemäße Aufklärung erfolgt sei. Es werde wohl nun befürchtet, dass man wegen fehlerhafter Aufklärung und einem damit rechtswidrigen Verhalten auf den Mehrkosten "sitzen bleibe". Bei der Erprobung der zuzahlungsfreien Hörsysteme sei es zu einer unerträglichen Verstärkung der akustischen Reize gekommen. Komfort und ästhetische Gründe hätten entgegen den Ausführungen des Zeugen S. keine Rolle gespielt. Der Kläger hat außerdem ein Schreiben vom 08.07.2011 an die Beklagte vorgelegt (Blatt 80 SG-Akte).

Die Beklagte hat vorgetragen, es sei nicht ersichtlich, weshalb der Akustiker gegenüber dem SG falsche Angaben machen sollte. Vielmehr sei über den Akustiker entsprechend dokumentiert, dass der Kläger über die Möglichkeit der eigenanteilsfreien Versorgung aufgeklärt und informiert worden sei und diese abgelehnt habe. Die angeblichen Erinnerungen des Klägers seien nicht geeignet, die Dokumentation des Akustikers zu entkräften.

Mit Urteil vom 30.03.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf die den Festbetrag übersteigenden Kosten in Höhe von 4.170,60 EUR. Es habe sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt. Die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Alt 2 SGB V würden ebenfalls nicht vorliegen. Dies setze voraus, dass der Kläger einen rechtzeitigen Antrag auf Kostenübernahme gestellt habe und die Versorgung von der Beklagten zu Unrecht abgelehnt worden sei. Zwar liege in der Vorlage der Verordnung bzw der Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers vom April 2011 ein entsprechender Antrag. Jedoch sei der Beschaffungsweg trotzdem nicht eingehalten. Aus der sachverständigen Zeugenaussage des Hörgeräteakustikers ergebe sich, dass der Kläger eine Versorgung mit eigenanteilsfreien Hörgeräten per se abgelehnt und von vornherein eine Versorgung mit Hörgeräten angestrebt habe, die zuzahlungspflichtig seien. Da sich der Kläger bereits vor Leistungsablehnung der Beklagten und damit von vorneherein auf eine Leistung festgelegt habe, sei die Leistungsablehnung unabhängig von der Rechtswidrigkeit nicht mehr kausal. Im Übrigen reiche der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Alt 2 SGB V nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Aus der Stellungnahme des Hörgeräteakustikers ergebe sich, dass eine Versorgung des Klägers zum Festpreis möglich gewesen wäre. Die entsprechenden Hörgeräte hätten den Behinderungsausgleich in entsprechender Weise herbeigeführt. Darüber hinaus bestehe kein Anspruch auf Versorgung mit dem teureren Hörgerät, welches im Wesentlichen ästhetische sowie Komfortvorteile bringe.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 13.04.2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 12.05.2015 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat er auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen und beantragt, die Hörgeräteakustikerin G. als Zeugin zu vernehmen, da diese seinerzeit die Hörgeräteerprobung mit dem Kläger durchgeführt habe.


Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.03.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 01.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Kosten in Höhe von 4.170,60 EUR zu erstatten.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen des SG Bezug.

In einem Erörterungstermin am 16.07.2015 hat der Berichterstatter Beweis erhoben durch die Vernehmung der Frau G. als Zeugin. Diese hat unter anderem erklärt, dass der Akustiker S., der das Schreiben vom 17.01.2014 an das SG verfasst hat, bei der Anprobe der Hörgeräte nicht dabei gewesen sei. Er habe seine Informationen aus Computereintragungen bezogen, die nach den Terminen erstellt worden seien. Die Zeugin hat dem Senat in Mehrfertigung Computerausdrucke der Beratungen des Klägers zur Verfügung gestellt (Blatt 29 ff Senatsakte). Dort ist ua Folgendes aufgeführt:

07.04.2011
Messung und Beratung, aufgrund von hochgradiger Sehbehinderung ist Richtungshören sehr wichtig. Ausprobe High-End, möchte eventuell hinterher IdO.

06.05.2011
Nachkontrolle Mind; Sprache hätte lauter sein dürfen, NG hingegen etwas leiser.

13.05.2011
Anpassung Phonak Audeo ZIP IX, nachdem er Audeo ZIP V getestet hat und sehr zufrieden damit ist, die bessere Technik aber auch noch ausprobieren wollte.

09.06.2011
Er war bei Dr. D. Papiere rübergebracht, da er vorher nicht bei uns war. Anpassbericht schreiben und rüberbringen. RG zuschicken.

06.12.2013
Der Kunde St. hat eine Klage beim Sozialgericht Stuttgart über die volle Kostenübernahme eingereicht. Klasse! Wir haben jetzt Ende Dez. 2013 und die HG’s hatte er im Juni 2006 bekommen. Notizen von Frau G. sind kaum vorhanden. Keine Angaben zur Erprobung von Festbetragsgeräten und sonst auch nicht viel. Herr H. hat mir einen Scan der Versichertenerklärung gemailt. Ich sende jetzt die Anfrage des Sozialgerichts an Herrn H./BiHa. Wir hatten ja erst vor wenigen Wochen drei Anfragen beantwortet.

03.07.2015
Kunde will immer noch die volle Kostenübernahme von seiner Krankenkasse haben. Er ist der Onkel von dem Mann von Frau G., welche die Anpassung dieser Geräte damals in F. vorgenommen hatte. Der Kunde hat wohl jetzt Frau G. als Zeugin bei Gericht angegeben und muss jetzt am 16.05.2015 zu dieser Gerichtsverhandlung erscheinen. Ende 2013 hatte ja das Sozialgericht uns angeschrieben und ich habe zusammen mit der BiHa den Fragebogen ausgefüllt. Kunde wollte damals keine Festbetragsgeräte erproben. Versichertenerklärung ist vorhanden und vom Kunden unterschrieben. Warum bei einem stark sehbehinderten Kunden zwei kleine Standpunkt IOs mit Zehnerbatterie angepasst werden müssen, verstehe ich auch nicht.

Ich habe gerade mit Frau G. telefoniert. Sie kommt aus meiner Sicht nicht drum herum, dass sie zu dem Gerichtstermin erscheinen muss. Sie muss def. dabeibleiben, dass der Kunde keine Festbetragsgeräte erproben wollte, wo diese Möglichkeit bei seinem HV natürlich möglich gewesen wäre. Versorgung erfolgte auf Kundenwunsch!


Der Bevollmächtigte der Beklagten hat im Erörterungstermin mitgeteilt, dass etwa seit dem Jahr 2014 sog Pflegeberater installiert worden seien, da erkannt worden sei, dass es in bestimmten Einzelfällen weitergehende Beratungsbedürfnisse der Versicherten gebe. In Situationen wie beim Kläger könne nunmehr ggf ein Pflegeberater mit zur Hörgeräteprobe gehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft, zulässig und unbegründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten in Höhe von 4.170,60 EUR für die beiden von ihr selbst beschafften Hörgeräte des Typs Phonak Audeo ZIP IX.

Rechtsgrundlage der begehrten Kostenerstattung ist vorliegend § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB IX. Da eine unaufschiebbare Leistung nicht vorgelegen hat, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, kommt eine Kostenerstattung nur in Betracht, wenn dem Kläger Kosten wegen einer zu Unrecht erfolgten Ablehnung entstanden sind. Dies ist hier der Fall.

Zuständiger Träger ist die Beklagte. Bei einer Hörgeräteversorgung handelt es sich um eine Rehabilitationsleistung im Sinne von § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX, vgl BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40, SozR 4-3250 § 14 Nr 19). Die Beklagte ist der für den Kläger im Außenverhältnis (zur Terminologie vgl BSG 26.06.2007, B 1 KR 36/06 R, BSGE 98, 277, SozR 4-2500 § 40 Nr 4, Rn 12) allein zuständige Rehabilitationsträger. Dies folgt unabhängig von der materiell-rechtlichen Zuständigkeit aus § 14 SGB IX. Nach § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX stellt der Rehabilitationsträger, sofern Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu (§ 14 Abs 1 Satz 2 SGB IX). Wird der Antrag - wie im vorliegenden Fall - nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest (§ 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX). Nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX verliert der materiell-rechtlich (eigentlich) zuständige Rehabilitationsträger (§ 6 SGB IX) im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger eine nach § 14 Abs 1 SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist (BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40, SozR 4-3250 § 14 Nr 19 mwN). Sinn dieser Regelung ist es, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und Rehabilitationsträgern schnell und dauerhaft die Zuständigkeit zu klären und so Nachteilen des gegliederten Systems entgegenzuwirken (BSG 24.01.2013 aaO). Diese Zuständigkeit ist ausschließlicher Natur (BSG 24.01.2013 aaO).

Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB IX setzt einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus. Der Erstattungsanspruch reicht, wie in der Rechtsprechung des BSG geklärt ist, nicht weiter als ein entsprechender - primärer - Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, BSGE 105, 170, SozR 4-2500 § 36 Nr 2). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG 17.12.2009, aaO). So liegt es hier, weil die Beklagte ihre Leistungspflicht zu Unrecht auf den Festbetrag begrenzt und die vollständige Erfüllung des gegebenen Leistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt hat, der Kläger sich die geschuldete Leistung selbst beschafft und hierbei die Grenzen des Notwendigen gewahrt hat und es auch an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung nicht fehlt.

Voraussetzung für eine Kostenerstattung nach rechtswidriger Ablehnung der Leistung durch den Reha-Träger ist der notwendige Kausalzusammenhang zwischen der ablehnenden Entscheidung der Verwaltung und der Selbstbeschaffung, der vorliegend gegeben ist. An einem solchen Zusammenhang fehlt es dann, wenn der Reha-Träger vor der Selbstbeschaffung mit dem Leistungsbegehren überhaupt nicht befasst wurde oder der Antragsteller die Entscheidung des Reha-Trägers in einem angemessenen Zeitraum nicht abgewartet hat, obwohl dies ihm möglich und zumutbar gewesen wäre. Die Beklagte wurde am 08.04.2011 und damit ausreichend vor der Beschaffung mit der Versorgungsanzeige des Akustikers in Kenntnis gesetzt. Dies reicht aus.

Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden auf Antrag erbracht, soweit sich aus den Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nichts Abweichendes ergibt (§ 19 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]). Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenbehandlung umfasst u.a. die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V), und zwar nach Maßgabe des § 33 SGB V. Dieser Anspruch ist von der Krankenkasse grundsätzlich in Form einer Sachleistung (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) zu erbringen, wobei sie ihre Leistungspflicht gemäß § 12 Abs 2 SGB V mit dem Festbetrag erfüllt, wenn für die Leistung ein Festbetrag festgesetzt ist (BSG 06.09.2007, B 3 KR 20/06 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 17). Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB V Verträge mit den Leistungserbringern (§ 2 Abs 2 Satz 3 SGB V). Im vorliegenden Fall maßgeblich ist der zwischen der BIHA und damaligen dem VdAK/AEV für die Zeit ab 01.01.2004 geschlossene Vertrag nach §§ 126, 127 SGB V zur Komplettversorgung mit Hörsystemen. Danach erfolgt die Abgabe von Hörhilfen auf der Grundlage einer ärztlichen Verordnung oder einer Bewilligung der Ersatzkassen (§ 4 Nr 1 Satz 1 des Vertrags). Unter der Überschrift "Verfahren bei vorheriger ärztlicher Verordnung" ist ua Folgendes vereinbart worden: "Nach Vorlage der Verordnung durch den Versicherten erstattet der Leistungserbringer eine Versorgungsanzeige (Anl 3) gegenüber der leistungspflichtigen Ersatzkasse. Der Leistungserbringer erhält nach Prüfung der leistungsrechtlichen Voraussetzungen ein Bewilligungsschreiben der Ersatzkasse. Die Versorgung kann abgerechnet werden, wenn die zur Versorgung geeigneten Hörhilfen nach der Anpassung an den Versicherten ausgeliefert sind und der HNO-Arzt eine ausreichende Hörverbesserung und die Zweckmäßigkeit der Hörhilfe bestätigt hat" (§ 4 Nr 1 Satz 2 des Vertrags). Vorliegend ist der Beklagten die Versorgungsanzeige des Akustikers am 08.04.2011 (= Antrag iS des § 14 SGB IX, vgl BSG 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40, SozR 4-3250 § 14 Nr 19) zugegangen, so dass der erforderliche Kausalzusammenhang besteht.

Rechtsgrundlage des Primärleistungsanspruchs ist § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs 4 SGB V aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Demgemäß besteht nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V ein Anspruch auf Hörhilfen, die kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und nicht nach § 34 Abs 4 SGB V aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind und weder der Krankenbehandlung noch der Vorbeugung einer Behinderung dienen, soweit sie im Rahmen des Notwendigen und Wirtschaftlichen (§ 12 Abs 1 SGB V) für den von der Krankenkasse geschuldeten Behinderungsausgleich erforderlich sind (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R aaO und 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R aaO).

Bei dem in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannten Zweck des Behinderungsausgleichs steht im Vordergrund, die ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktionen selbst auszugleichen (sog unmittelbarerer Behinderungsausgleich). Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog mittelbarer Behinderungsausgleich, vgl etwa BSG 29.04.2010, B 3 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 30 mwN). Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion - hier das Hören - selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R aaO). Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V). Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiter entwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist. Das Maß der notwendigen Versorgung würde deshalb verkannt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten Hörgeräte ungeachtet hörgerätetechnischer Verbesserungen nur "zur Verständigung beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache" zur Verfügung stellen müssten (vgl LSG Baden-Württemberg 15.11.2013, L 4 KR 85/12, juris). Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs ist es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Dies schließt je nach Notwendigkeit auch die Versorgung mit digitalen Hörgeräten ein (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R aaO und 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R aaO).

Begrenzt ist der so umrissene Anspruch auf eine Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 SGB V. Die Leistungen müssen danach "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein" und dürfen "das Maß des Notwendigen nicht überschreiten"; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5 SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine kostenaufwändige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R aaO und 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R aaO).

Nach diesen Grundsätzen zur Versorgung Versicherter mit Hilfsmitteln zum Ausgleich von Behinderungen steht dem Klägerin der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V zu.

Der Kläger ist auf die Versorgung mit Hörgeräten angewiesen. Bei ihm besteht eine mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits mit zunehmendem Diskriminationsverlust bzgl der Sprache. Dies ergibt sich aus dem Bericht des Dr. D. gegenüber dem SG. Dr. D. hat auch darauf hingewiesen, dass wegen der Blindheit eine Verbesserung des räumlichen Hörens zur Orientierung notwendig ist. Auch der MDK hat im Gutachten vom 27.10.2011 ausgeführt, dass angesichts der Blindheit des Klägers ein Ausgleich der eingeschränkten Hörfähigkeit von besonderer Bedeutung ist.

Der Senat vermag nicht festzustellen, dass die vom Kläger selbst beschafften Hörgeräte des Typs Phonak Audeo ZIP IX die Grenzen des Wirtschaftlichkeitsgebots überschreiten. Es ist zwar fraglich, ob nur diese Hörgeräte einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizits - hier des Hörens - im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen gewährleisten und ob es nicht kostengünstigere Alternativen gegeben hätte. Es ist jedoch nicht nachgewiesen, dass der Akustiker mit dem Kläger zwei eigenanteilsfreie Hörgeräte getestet und den Kläger ausreichend über die Versorgungsmöglichkeiten informiert und aufgeklärt hat.

Zur Überzeugung des Senats ist erwiesen, dass der Zeuge S. in seiner schriftlichen Angabe vor dem SG falsche Angaben gemacht hat. Der Zeuge hat behauptet, der Kläger habe von vornherein die Versorgung mit Festbetragsgeräten abgelehnt. Diese Behauptung ist unwahr und frei erfunden. Der Zeuge S. ist selbst bei der Anpassung nicht zugegen gewesen. Die bei der Anpassung anwesend gewesene Zeugin G. hat diese Angabe im Erörterungstermin vor dem Senat gerade nicht bestätigt. Sie hat außerdem im Zuge ihrer Vernehmung erklärt, sie wisse nicht mehr, ob dem Kläger überhaupt Festbetragsgeräte anprobiert worden seien. Dies erhellt allerdings den Hintergrund der falschen Angabe des Zeugen S.: Es wurden offenbar nicht in ordnungsgemäßer Weise Festbetragshörgeräte anprobiert und der Zeuge S. versucht, dies dem Kläger anzulasten. Der Kläger hat zwar erklärt, es seien Festbetragsgeräte anprobiert worden, konnte aber keine Einzelheiten nennen, was ihm angesichts seiner Blindheit nicht zum Vorwurf gereichen kann. Die vom Kläger geschilderte "Anpassung", wonach ihm lediglich ein Gerät angelegt und er dann nach draußen gegangen sei und an der Straße Richtungshören ausprobiert habe, lässt keine ausreichende Anpassung erkennen. Es wäre Sache des Leistungserbringers gewesen, die Anpassungsvorgänge sachgerecht zu dokumentieren, was aber nicht geschehen ist. Die Zeugin G. hat weiter mitgeteilt, sie sei vom Zeugen S. "instruiert worden" und ihr drohe der Verlust des Arbeitsplatzes. Sie hat glaubhaft ausgeführt, dass der Zeuge S. seine Angaben aus im Geschäft angefertigten Computereintragungen entnommen habe und hat diese Ausdrucke vorgelegt (Bl 29 ff Senatsakte). Dort gibt es keinerlei Stütze für die Behauptung des Zeugen S., der Kläger habe die Versorgung mit Festbetragsgeräten abgelehnt. Vielmehr hat der Zeuge S. selbst unter dem 06.12.2013 dort eingetragen, er habe eine Anfrage vom Sozialgericht Stuttgart bekommen und es seien kaum Notizen vorhanden, "keine Angaben zur Erprobung von Festbetragsgeräten und sonst auch nicht viel". Der Zeuge S. hat weiter notiert, dass er gemeinsam mit einem Herrn H. von der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (BIHK) ein Antwortschreiben an das SG entwerfen werde, wie er es bereits mehrfach getan habe ("Der hat mir ja erst vor wenigen Wochen 3 Anfragen beantwortet.") Weiter hat der Zeuge S. unter dem 03.07.2015 - kurz vor dem Erörterungstermin beim Senat - festgehalten, dass er die Zeugin G. dahingehend instruiert habe, dass sie im Gerichtstermin erklären müsse, dass der Kläger keine Festbetragsgeräte habe erproben wollen. Dass die Zeugin G. dieser Anstiftung zur Falschaussage nicht nachgekommen ist, hat der Senat mit Respekt zur Kenntnis genommen.

Dass eine vergleichende Anpassung mit Festbetragshörgeräten nicht erfolgt bzw nicht nachgewiesen ist, geht nicht zu Lasten des Klägers (vgl zu einem ähnlichen Sachverhalt LSG Baden-Württemberg 15.11.2013, L 4 KR 85/12, juris Rd Nr 32 ff).

Die Festbetragsregelung entbindet die Krankenkassen nicht von ihrer Pflicht, im Rahmen der Sachleistungsverantwortung (§ 2 Abs 1 Satz 1 SGB V) für die ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Es hat folglich der Beklagten oblegen, sicherzustellen, dass der Hörgeräte-Akustiker dem Kläger zwei eigenanteilsfreie Hörgeräte anbietet, anlegt und in einer den individuellen Bedürfnissen des behinderten Menschen entsprechenden Weise ausprobiert. Das dies nicht geschehen ist, geht nicht zu Lasten des Klägers, sondern wird der Beklagten zugerechnet (eingehend hierzu LSG Baden-Württemberg 15.11.2013, L 4 KR 85/12, juris Rn 33; LSG Niedersachsen-Bremen 04.11.2013, L 2 R 438/13 ER, juris Rn 52 ff). Aus der dargelegten Verpflichtung der KK können gesteigerte Obhuts- und Informationspflichten erwachsen, wenn vor allem bei anpassungsbedürftigen Hilfsmitteln der notwendige Überblick über die Marktlage, die auch durch ein hohes Maß an Intransparenz gekennzeichnet ist, und geeignete Angebote auch bei zumutbarer Anstrengung für Versicherte schwierig zu erlangen ist (LSG Baden-Württemberg 15.11.2013, L 4 KR 85/12). Für den blinden Kläger war der Überblick über die Angebotslage schwieriger zu erhalten, als einem "nur" hörgeschädigten Versicherten; hinzu kommt das intransparente Agieren des Hörgeräteakustikers S., bei dem nach den dargelegten Umständen nicht ausgeschlossen werden kann, dass er aus Eigeninteresse eine Versorgung mit höherpreisigen Geräten anstrebt. Dass vorliegend ein Beratungsdefizit bestand, da der blinde Kläger bei der Auswahl der Hörgeräte besonderer Unterstützung bedurfte, hat die Beklagte nunmehr auch erkannt und durch die Einführung besonderer Begleitpersonen bei einem bestehenden Unterstützungsbedarf entsprechend reagiert. Im Jahr 2011 hat dieses Defizit aber noch bestanden, was gleichfalls nicht zu Lasten des Versicherten gehen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.

Referenznummer:

R/R7066


Informationsstand: 25.10.2016