Urteil
Krankenversicherung - Hörgeräteversorgung - zuständiger Rehabilitationsträger - Weiterleitung des Rehabilitationsantrags nach Bewilligung eines Festbetrags - Kostenerstattungsverfahren - preiswerteres Hilfsmittel

Gericht:

SG Karlsruhe 5. Kammer


Aktenzeichen:

S 5 R 771/16


Urteil vom:

26.09.2016


Grundlage:

Leitsätze:

Sofern ein Versicherter bei seiner Krankenkasse die Versorgung mit Hörgeräten beantragt und die Kasse daraufhin nur einen Festbetrag bewilligt, wegen der weitergehenden Kosten des Hilfsmittels den Antrag hingegen an einen anderen Reha-Träger weiterleitet, so widerspricht diese bloß teilweise Weiterleitung der gesetzlichen Konzeption des § 14 SGB IX. Zuständiger Rehabilitationsträger bleibt daher die erstangegangene Krankenkasse, auch für die Kosten, die über den Festbetrag hinausgehen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Tenor:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.8.2016 wird aufgehoben. Die Beigeladene wird verurteilt, dem Kläger 3.051,99 EUR zu erstatten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte und die Beigeladene haben als Gesamtschuldner dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand:


Streitig ist die Erstattung von Kosten für CROS-Hörgeräte.

Der Kläger arbeitet seit dem Jahre 2003 als Fachreferent für Ergonomie. Infolge eines Akustikus-Neurinoms, das im September 2014 operativ entfernt wurde, ist der Kläger auf dem linken Ohr taub.

Am 10.2.2015 verordnete ihm sein behandelnder HNO-Arzt H. CROS-Hörgeräte.

Mit dieser Verordnung wandte sich der Kläger am 25.2.2015 an die Fa. L. Hörakustik (im Folgenden: Fa. L.). Dort testete er zwei verschiedene Hörgeräte, jeweils in Kombination mit einem CROS-Gerät.

Am 27.2.2015 reichte die Fa. L. bei der Beigeladenen einen Kostenvoranschlag für die Versorgung des Klägers mit einem Hörgerät und einem CROS-Gerät ein. Die voraussichtlichen Kosten bezifferte sie mit 3.833,55 EUR.

Mit Bescheid vom 6.3.2015 bewilligte die Beigeladene dem Kläger für die beantragte Versorgung Festbeträge für das Hörgerät in Höhe von 700 EUR, das CROS-Gerät in Höhe von 140 EUR und zwei Ohrpassstücke in Höhe von jeweils 33,50 EUR (abzüglich einer Zuzahlung in Höhe von 20 EUR).

Im Übrigen, also hinsichtlich der weitergehenden Kosten, leitete die Beigeladene den Antrag mit Schreiben vom 6.3.2015 unter Hinweis auf § 14 SGB IX an die Beklagte weiter. Darin führte sie aus, mit der Bewilligung der Festbeträge sei sie ihrer Pflicht zum Behinderungsausgleich nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nachgekommen. Es gebe indes Anhaltspunkte dafür, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers besondere Anforderungen an sein Hörvermögen stellt. Sie bitte die Beklagte daher um weitere Prüfung.

Mit Schreiben vom 27.3.2015 schickte die Beklagte die Antragsunterlagen zurück an die Beigeladene. Zur Begründung gab sie an, die Beigeladene habe nicht hinreichend geprüft, ob tatsächlich eine spezifisch berufsbedingte Bedarfslage besteht.

Am 17.8.2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die Kosten für die Hilfsmittel als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu übernehmen. Er machte geltend, sein Beruf erfordere viel Kommunikation, z.B. bei Besprechungen, Beratungen in Unternehmen und Seminartätigkeit. All dies sei durch die Taubheit auf dem linken Ohr deutlich erschwert: Wenn ihn jemand von der linken Seite anspreche, habe er Schwierigkeiten, ihn zu verstehen. Probleme bereiteten auch Besprechungen in Gruppen. Mit nur einem hörenden Ohr falle es ihm schwer, festzustellen, aus welcher Richtung ein Geräusch oder eine Stimme kommt. Das sei insbesondere bei der Besichtigung von Arbeitsplätzen in den Betrieben misslich. CROS-Hörgeräte würden diese Defizite im Berufsleben gut ausgleichen. Ohne solche Geräte könne er hingegen seine Erwerbstätigkeit kaum in gewohnter Weise fortführen.

Mit Schreiben vom 29.9.2015 wandte sich der Kläger zudem an die Beigeladene und beantragt dort die Übernahme der vollen Kosten für eine Versorgung mit CROS-Hörgeräten. Er machte geltend, durch seine Hörbehinderung werde er im Alltag erheblich beeinträchtigt: Er habe Schwierigkeiten, Gesprächen in akustisch problematischem Umfeld zu folgen, etwa in Gruppen, in großen Räumen oder bei Hintergrundgeräuschen (z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln). Außerdem könne er verschiedene Tonlagen nicht klar unterscheiden (z.B. Frauen- und Männerstimmen), ebenso wenig die Richtung, aus der ein Ton kommt; dies sei insbesondere im Straßenverkehr problematisch. Mit der beantragten Versorgung gehe es ihm um den bestmöglichen Ausgleich an das Hörvermögen von Menschen ohne Hörbehinderung. Dies sei nur mit hochwertigen CROS-Hörgeräten möglich.

Mit Bescheid vom 2.10.2015 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Zur Begründung gab sie an, der Beruf des Klägers stelle keine spezifischen Anforderungen an das Hörvermögen. Gespräche in Gruppen sowie bei störenden Umgebungsgeräuschen kämen bei nahezu jeder Erwerbstätigkeit vor. Eine besondere berufsbedingte Bedarfslage bestehe beim Kläger daher nicht.

Mit Schreiben vom 14.10.2015 antwortete die Beigeladene auf das Schreiben des Klägers vom 29.9.2015 und teilte ihm mit, nicht sie, sondern die Beklagte sei für die Prüfung und Entscheidung zuständig; denn sie habe den Antrag an die Beklagte weitergeleitet. Als zweitangegangener Träger dürfe die Beklagte den Antrag nicht zurückreichen.

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 legte der Kläger am 28.10.2015 Widerspruch ein.

Parallel zum Widerspruchsverfahren testete der Kläger weitere CROS-Hörgerät, nun allerdings nicht mehr bei der Fa. L., sondern bei der Fa. B. Hörgeräteakustik (im Folgenden: Fa. B.).

Zur Begründung seines Widerspruchs machte der Kläger geltend, an ca. 100 Arbeitstagen pro Jahr suche er Betriebe der Holz- und Metallindustrie auf, um die Unternehmen im Hinblick auf eine ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze zu beraten. In den Betriebsstätten seien oft akustische Warnsignale zu beachten (z.B. von zurücksetzenden Fahrzeugen, Transportkränen und startenden Maschinen), ebenso Warnrufe von Mitarbeitern. Diese Warnungen müsse er im Rahmen seiner Betriebsbesuche hören und räumlich zuordnen können, selbst bei Störgeräuschen. Angesichts dessen beständen entgegen der Auffassung der Beklagten im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit sehr wohl besondere Anforderungen an sein Hörvermögen. Im Übrigen sei die Beklage als zweitangegangener Träger zur umfassenden Prüfung seines Antrags verpflichtet, also nicht nur nach den Regelungen des SGB VI, sondern auch denjenigen des SGB V.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1.8.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus, gemäß § 33 Abs. 8 S. 1 Nr. 4 SGB IX gehörten zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch Hilfsmittel - allerdings nur, wenn sie ausschließlich zur Ausübung eines bestimmten Berufs erforderlich sind. Andernfalls sei die Versorgung Aufgabe der Krankenkasse. Die vom Kläger geschilderten Arbeitsbedingungen begründeten Anforderungen an das Hörvermögen, wie sie auch im Alltag und in nahezu jeder anderen Berufstätigkeit aufträten. Eine Förderung seitens des Rentenversicherungsträgers scheide daher aus. Ob die Versorgung durch die zuständige Krankenkasse - also die Beigeladene - ausreiche, könne sie nicht beurteilen.

Mit der am 3.3.2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter.

Nach Klageerhebung, am 27.6.2016, kaufte der Kläger bei der Fa. B. CROS-Hörgeräte des Typs Phonak Audeo V 90 und Phonak CROS II nebst Zubehör zu einem Gesamtpreis von 4.079 EUR. Hiervon übernahm die Beigeladene 1.027,01 EUR. Den Rest von 3.051,99 EUR stellte die Fa. B. dem Kläger in Rechnung.

Der Kläger hat seine Klage nicht begründet.


Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.2.2016 aufzuheben und die Beklagte, hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen, ihm 3.051,99 EUR zu erstatten.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat nicht weiter zur Sache vorgetragen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie trägt vor, der Kläger habe wohl von vornherein abgelehnt, zuzahlungsfreie Geräte zu testen. Es sei praktisch ausgeschlossen, das Hörgeräteakustiker dem Versicherten keine geeigneten zuzahlungsfreien Geräte anbieten. Denn dadurch würden sie gegen vertragliche Vorgaben verstoßen.

Das Gericht hat den Kläger im Rahmen eines Erörterungstermins am 13.6.2016 ergänzend angehört. Außerdem hat es Unterlagen von der Fa. B. beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1) Die kombinierte Anfechtungs- (dazu a) und Leistungsklage (dazu b) ist zulässig und überwiegend begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung von 3.051,99 EUR für selbst beschaffte Hörgeräte - allerdings nicht gegenüber der Beklagten, sondern gegenüber der Beigeladenen. Angesichts dessen war die Leistungsklage abzuweisen, soweit der Kläger eine Verurteilung der Beklagten beantragt hat.

a) Die Anfechtungsklage hat in vollem Umfang Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.8.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid über den Antrag auf Versorgung mit Hörgeräten in der Sache entschieden, obwohl sie hierfür nicht zuständig war.

Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu (§ 14 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX). Wird der Antrag hingegen nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest (§ 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX) - und zwar anhand aller Rechtsgrundlagen, die in der konkreten Bedarfssituation für irgendeinen Rehabilitationsträger in Betracht kommen. Die umfassende Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX hat zur Folge, dass alle anderen Träger ihre Zuständigkeit verlieren. Ein anderer Rehabilitationsträger darf also nicht mehr in der Sache über den Reha-Antrag entscheiden. Tut er es dennoch, ist sein Bescheid mangels Zuständigkeit rechtswidrig und aufzuheben (BSGE 113, 40 Rdnr. 26).

Maßgeblich ist somit, bei welchem Rehabilitationsträger der Versicherte zuerst einen Antrag gestellt hat. Antrag ist jede an den Rehabilitationsträger gerichtete Willenserklärung, aus der sich das Begehren einer bestimmten Leistung durch den Versicherten ergibt. Der Antrag ist formlos möglich, auch durch konkludentes Handeln (BSG, Urteil vom 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rdnr. 32 - nach Juris). Bei der Auslegung des Antrags gilt der Grundsatz der Meistbegünstigung: Im Zweifel will der Versicherte die für ihn günstigste Leistung beantragen (BSG, a.a.O., Rdnr. 30 und 32 - nach Juris). Beantragt er neue Hörgeräte, geht es ihm typischerweise um eine umfassende und bestmögliche Versorgung. Keinesfalls ist ein solcher Antrag in zwei separate Anträge aufzuspalten - also einen Antrag auf Bewilligung des Festbetrags einerseits und einen zweiten Antrag auf Bewilligung einer darüber hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren Versorgung andererseits (BSGE 113, 40 Rdnr. 21). Die Krankenkassen haben die Versorgung mit Hörgeräten weitgehend an die Hörgeräteakustiker übertragen (vgl. BSGE 113, 40 Rdnr. 20; Urteil vom 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rdnr. 39 - nach Juris). Angesichts dessen liegt ein Antrag des Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse regelmäßig schon in dem Moment vor, in dem er die vertragsärztliche Verordnung neuer Hörgeräte an den Hörgeräteakustiker übergibt, spätestens aber dann, wenn der Akustiker der Krankenkasse die Versorgung anzeigt (BSGE 113, 40 Rdnr. 20). Dies gilt insbesondere, wenn der HNO-Arzt seine Verordnung zu Lasten der Krankenkasse ausgestellt hat und es dem Versicherten nach dem Kostenvoranschlag des Hörgeräteakustikers erkennbar auch um den Festbetrag geht (BSG, Urteil vom 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rdnr. 43 - nach Juris).

Gemessen hieran hat der Kläger einen Antrag auf Versorgung mit CROS-Hörgeräten zuerst bei der Beigeladenen gestellt: Am 10.2.2015 verordnete ihm der HNO-Arzt H. Hörgeräte - und zwar zu Lasten der Beigeladenen. Diese Verordnung übergab der Kläger sodann am 25.2.2015 an die Fa. L.. Kurz darauf, am 27.2.2015, schickte die Fa. L. einen Kostenvoranschlag für die Versorgung des Klägers mit CROS-Hörgeräten des Typs Phonak Audeo Q 90 und Phonak CROS an die Beigeladene; der Voranschlag war mit der Bemerkung versehen, der Kläger benötige beruflich ein sehr hochwertiges Gerät. Die voraussichtlichen Kosten bezifferte die Fa. L. mit 3.833,55 EUR. Aus der Bezeichnung des (zuzahlungspflichtigen) Hörgeräte-Typs im Kostenvoranschlag und dem angegebenen Preis konnte die Beigeladene erkennen, dass es dem Kläger um die Versorgung mit Hörgeräten geht, deren Kosten den Festbetrag übersteigen. Angesichts dessen hat der Kläger spätestens am 27.2.2015 bei der Beigeladenen einen umfassenden Antrag auf Leistungen zur Teilhabe gestellt.

An die Beklagte hat sich der Kläger hingegen erstmals mit einem Schreiben vom 21.4.2015 gewandt (Seite 20 der Verwaltungsakte), also zu einem deutlich späteren Zeitpunkt. Einen förmlichen Antrag hat er dort sogar erst am 17.8.2015 gestellt.

Den Antrag des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe hat die erstangegangene Beigeladene nicht innerhalb von zwei Wochen wirksam an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet. Wie ausgeführt, darf ein Antrag auf Versorgung mit Hörgeräten nicht aufgespalten werden in einen Antrag auf Bewilligung des Festbetrags einerseits und einen zweiten Antrag auf Bewilligung einer darüber hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren Versorgung andererseits (vgl. BSGE 113, 40 Rdnr. 21). Dies gilt auch für eine etwaige Weiterleitung: Der erstangegangene Rehabilitationsträger darf den Antrag nur ganz weiterleiten - oder eben gar nicht. Demgegenüber hat die Beigeladene dem Kläger mit Bescheid vom 6.3.2015 für die beantragte Versorgung Festbeträge bewilligt und im Übrigen, also hinsichtlich der weitergehenden Kosten, den Antrag mit Schreiben vom gleichen Tag unter Hinweis auf § 14 SGB IX an die Beklagte weitergeleitet. Eine solche bloß teilweise Weiterleitung widerspricht der gesetzlichen Konzeption. Sie ist daher nicht geeignet, die Zuständigkeit von der erstangegangenen Beigeladenen auf die Beklagte zu verlagern.

Seit Ablauf der Zweiwochenfrist ist daher ausschließlich die Beigeladene zuständig. Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte über den Antrag der Klägerin auf Versorgung mit Hörgeräten nicht mehr in der Sache entschieden. Sie hat es dennoch getan. Der Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.8.2016 war daher aufzuheben.

b) Der Kläger hat gegenüber der Beigeladenen einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für CROS-Hörgeräte des Typs Phonak Audeo V 90 und Phonak CROS II nebst Zubehör in Höhe von insgesamt 3.051,99 EUR.

Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 S. 1 SGB V).

So verhält es sich hier:

a) Zu Unrecht hat die Beklagte mit Bescheid vom 6.3.2015 abgelehnt, den Kläger mit Hörgeräten zu versorgen, deren Kosten über den Festbetrag hinausgehen. Denn der Kläger hatte einen Anspruch auf derartige Hörgeräte.

Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen, soweit sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V). Hörgeräte dienen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Im Einzelfall erforderlich sind daher solche Geräte, die nach dem aktuellen Stand des medizinischen und technischen Fortschritts das Funktionsdefizit möglichst weitgehend ausgleichen, also zu einer bestmöglichen Angleichung an das Hörvermögen gesunder Menschen führen (BSGE 105, 170 Rdnr. 15 und 19; BSG, Urteil vom 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rdnr. 47 - nach Juris; so auch § 19 Abs. 1 a) der Hilfsmittel-Richtlinie).

Infolge eines Akustikus-Neurinoms ist der Kläger auf dem linken Ohr taub. Unstreitig benötigte er daher CROS-Hörgeräte. Die Kammer vermag indes nicht zu beantworten, ob der bestmögliche Ausgleich des Hördefizits auch mit zuzahlungsfreien Geräten möglich gewesen wäre: In der Test-Phase bei der Fa. L. und der Fa. B. hat der Kläger ausschließlich Hörgeräte ausprobiert, deren Kosten über den Festbetrag hinausgehen (Phonak Audeo V 30, V 50, V 70 und V 90 sowie Siemens Pior Pure 5 PX, jeweils in Verbindung mit einem CROS-Gerät). Für die Kammer nachvollziehbar hat der Kläger im Erörterungstermin ausgeführt, es gebe für CROS-Geräte nur wenige Anbieter. Die Fa. B. habe ihm auf seine Nachfrage nach Festbetragsgeräten mitgeteilt, sie erhalte derartige Geräte nicht auf Kommission, sondern müsse sie vom Hersteller kaufen; angesichts dessen habe sie keine Festbetragsgeräte zum Testen vorrätig. Mangels Tests mit derartigen Geräten fehlen dem Gericht daher Daten, ob und ggf. inwieweit sie das Hördefizit des Klägers ausgeglichen hätten. Spätestens am 27.6.2016 war die Anpassung abgeschlossen; seither ist der Kläger endgültig mit CROS-Hörgeräten des Typs Phonak Audeo V 90 und Phonak CROS II versorgt. Angesichts dessen ließ sich ein Test mit Festbetragsgeräten im gerichtlichen Verfahren nicht mehr nachholen.

Die fehlende Möglichkeit, den Sachverhalt aufzuklären, geht hier zu Lasten der Beigeladenen:

Zwar erfüllt die Krankenkasse grundsätzlich ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag, wenn für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt ist (§ 12 Abs. 2 SGB V); dies ist für Hörgeräte geschehen. Die Regelung entbindet die Krankenkasse aber nicht von ihrer Pflicht nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V, den Versicherten mit der Sachleistung zu versorgen. Selbst wenn - abstrakt - die Möglichkeit einer ausreichenden Hilfsmittelversorgung zum Festbetrag bestehen sollte, muss demnach die Krankenkasse dem Versicherten den konkreten Weg zu der Leistung aufzeigen (BSGE 105, 170 Rdnr. 35). Dieser Verantwortung kann sie sich nicht dadurch entledigen, dass sie im Wege des "Outsourcing" die Versorgung mit Hörgeräten faktisch weitgehend in die Hände der Hörgeräteakustiker legt (vgl. dazu BSGE 113, 40 Rdnr. 20; Urteil vom 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rdnr. 39 - nach Juris). Bietet der Hörgeräteakustiker dem Versicherten kein Festbetragsgerät an, muss sich die Krankenkasse dieses Versäumnis zurechnen lassen - und zwar selbst dann, wenn der Hörgeräteakustiker damit gegen eine Verpflichtung aus einem Vertrag nach § 127 SGB V verstößt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2013, L 4 KR 85/12, Rdnr. 33 - nach Juris; SG Oldenburg, Urteil vom 21.3.2012, S 61 KR 6/12 ER, Rdnr. 31 und 33 - nach Juris).

Im vorliegenden Fall hatte die Fa. B. dem Kläger mitgeteilt, sie könne ihm keine aufzahlungsfreien Geräte zum Testen anbieten. Als Laie hatte der Kläger keinen Anlass, an dieser Auskunft zu zweifeln. Vielmehr wäre es Sache der Beklagten gewesen, dem Kläger konkrete Versorgungsalternativen aufzuzeigen: Sie hätte ihm (ggf. nach Beratung durch den MDK) mitteilen müssen, mit welchen aufzahlungsfreien Festbetragsgeräten sich sein Hördefizit bestmöglich an das Hörvermögen gesunder Menschen angleichen lässt. Dies hat sie indes nicht getan. Vielmehr hat sie sich darauf beschränkt, mit Bescheid vom 6.3.2015 Festbeträge zu bewilligen und ihn im Übrigen (u.a. mit Schreiben vom 14.10.2015) an die Beklagte verwiesen.

b) Die Kosten sind dem Kläger "dadurch" entstanden, dass die Beigeladene die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.

Zwischen der Ablehnung der Leistung und der Kostenbelastung des Versicherten muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn sich der Versicherte schon auf eine bestimmte Leistung festgelegt hat, bevor die Krankenkasse hierüber - ablehnend - entscheidet (BSGE 113, 40 Rdnr. 43). Relevant ist indes nur eine solche Festlegung des Versicherten, die mit einer rechtlichen Verpflichtung einhergeht (z.B. der Abschluss eines Kaufvertrags). Bindet sich hingegen der Versicherte noch nicht endgültig, sondern trifft er nur eine vorläufige Auswahlentscheidung, stellt dies den erforderlichen Kausalzusammenhang nicht in Frage. So verhält es sich oftmals bei der Versorgung mit Hörgeräten. Denn dem Leistungsantrag geht in der Regel eine Hörgeräte-Anpassung voraus, die zu einer vorläufigen Präferenz führt (BSG, a.a.O., Rdnr. 44).

Im vorliegenden Fall bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, der Kläger habe sich bereits vor dem Bescheid der Beklagten vom 6.3.2015 gegenüber einem Hörgeräteakustiker verpflichtet, ganz bestimmte Geräte zu kaufen. Vielmehr hat er sich die CROS-Hörgeräten des Typs Phonak Audeo V 90 und Phonak CROS II erst am 27.6.2016 gekauft.

c) Die Höhe der Erstattungsforderung ist nicht zu beanstanden.

Zwar ist die Krankenkasse gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V nur zur Kostenerstattung verpflichtet, "soweit die Leistung notwendig war". Hat sie indes - wie hier - die Versorgung mit einem Hilfsmittel zu Unrecht abgelehnt, ist ihr im Erstattungsverfahren in der Regel der Einwand abgeschnitten, der Versicherte hätte sich ein preiswerteres Hilfsmittel anschaffen können, das in gleicher Weise geeignet gewesen wäre (BSGE 101, 207 Rdnr. 26).

Nach den Angaben des Klägers im Erörterungstermin ließ sich sein Hördefizit am besten durch die von ihm letztlich ausgewählten CROS-Hörgeräten des Typs Phonak Audeo V 90 und Phonak CROS II ausgleichen. Waren die vier anderen getesteten Geräte also nicht in gleicher Weise zum Behinderungsausgleich geeignet, kann dahingestellt bleiben, ob eines von ihnen preiswerter gewesen wäre.

Die CROS-Hörgeräte kosteten insgesamt 4.079 EUR. Hiervon hat die Beigeladene bisher 1.027,01 EUR übernommen. Dem Kläger stehen daher noch die von ihm beantragten 3.051,99 EUR zu.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 i.V.m. § 194 S. 2 SGG. Zwar war die Leistungsklage teilweise abzuweisen - nämlich insoweit, als der Kläger eine Verurteilung der Beklagten (statt der Beigeladenen) beantragt hat. Im Ergebnis hat der Kläger aber die begehrte Leistung erhalten. Angesichts dessen sind ihm die außergerichtlichen Kosten nicht nur teilweise, sondern voll zu erstatten.

Referenznummer:

R/R7875


Informationsstand: 02.01.2019