Das Gericht konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 124
Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG).
Die Klage hat Erfolg.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2007 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger im Sinne des § 54
Abs. 2
SGG. Er hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, § 43
Abs. 2
SGB VI.
Nach § 43
Abs. 2
SGB VI erhält Rente wegen Erwerbsminderung, wer voll erwerbsgemindert ist und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und die allgemeine Wartezeit nach § 50
SGB VI, nämlich eine Versicherungszeit von fünf Jahren, erfüllt hat.
Voll erwerbsgemindert sind nach der Legaldefinition in § 43
Abs. 2 Satz 2
SGB VI u.a. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die Kammer hat aufgrund des gerichtlich eingeholten Gutachtens von W2 feststellen können, dass der Kläger im Sinne dieser Bestimmungen voll erwerbsgemindert ist.
So liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als wesentliche Gesundheitsstörungen Zustand nach unfallbedingter Amputation der linken Gliedmaßen nahe dem Schulter und Hüftgelenk ohne Möglichkeit der prothetischen Versorgung; Zustand nach im Dezember 2004 aufgetretenem linksseitigem Hirninfarkt mit anhaltender, armbetonter spastischer Lähmung der rechten Gliedmaßen sowie erheblicher Behinderung des Sprechvermögens; Zeitweilige Herzrhythmusstörungen im Sinne des Vorhofflimmerns und der absoluten Arrythmie und seit Frühjahr
bzw. Sommer 2007 eine ausgeprägte depressive Entwicklung als Reaktion auf die im Wesentlichen anhaltenden, seit dem Schlaganfall des Jahres 2004 massiv verschlimmernden, sich nur teilweise zurückbildenden Mehrfachbehinderungen vor. Diese Gesundheitsstörungen wirken sich dahingehend aus, dass der Kläger keine Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr verrichten kann.
Mit diesen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zum Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben folgt die Kammer den schlüssig und überzeugend begründeten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen W2. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass der Kläger mit seinen gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr erwerbsfähig sein kann.
Der Kläger kann auch für die letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nachweisen,
vgl. § 43
Abs. 2
Nr. 2
SGB VI. Dabei folgt die Kammer nicht dem Vorbringen der Beklagten, wonach der Leistungsfall bereits mit dem Hirninfarkt am 13. Dezember 2004 eingetreten sein soll. Die Kammer geht aufgrund der erfolgreich abgeschlossenen Wiedereingliederungsmaßnahme zum 12. Juni 2006 sowie der anschließenden Vollzeittätigkeit des Klägers vom 12. Juni 2006 bis 31. Juli 2006 sowie den Feststellungen des gerichtlich eingeholten Gutachtens von W2 davon aus, dass der (neue) Leistungsfall erst im Frühjahr
bzw. Sommer 2007 durch die reaktive Depression eingetreten ist und ein Rentenanspruch dementsprechend spätestens ab August 2007 besteht (- weil der Leistungsfall spätestens im Juli 2007 eingetreten ist -). Für den Zeitraum davor war kein Raum für die Gewährung einer Rente, weil der Kläger aufgrund der Entlohnung durch seinen ehemaligen Arbeitgeber U-L die Hinzuverdienstgrenzen überschritten hat. Dementsprechend hat der Kläger auch richtigerweise erst eine volle Erwerbsminderungsrente ab August 2007 beantragt.
Zwar war der Kläger sicherlich ab dem 13. Dezember 2004 aufgrund des erlittenen Hirninfarkts mit gravierenden Folgen zeitweise erwerbsunfähig
bzw. erwerbsgemindert. Der Kläger hat jedoch erfolgreich an einer beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme teilgenommen. Dass die Wiedereingliederungsmaßnahme erfolgreich war, ergibt sich zum einen durch die Bestätigung durch den Betriebsarzt von U L, C, und die Bestätigung durch den Hausarzt des Klägers, H. Auch der gerichtlich bestellte Gutachter W2 hat in seinem Gutachten vom 3. April 2009 u.a. ausgeführt, dass der Kläger noch nach dem Hirninfarkt tatsächlich vollschichtig arbeiten konnte und mit Hilfe der Mundsteuerung seinen
PC bedienen konnte und zeitweilig differenzierte
EDV-Probleme bearbeitet hat. Als Ergebnis hat der Gutachter festgehalten: "Im Rahmen intensiver medizinischer und beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen ist die Rückkehr ins Erwerbsleben mit einer Vollzeitbeschäftigung ab Juni 2006 in Heimarbeit unter Nutzung des
PC mittels Mundsteuerung gelungen."
Wie die Beklagte vor dem Hintergrund dieser Feststellungen durch drei unabhängige Ärzte dann zu dem Ergebnis kommt, dass die Wiedereingliederungsmaßnahme letztlich nicht erfolgreich war, vermag sich der Kammer nicht zu erschließen. Es stellt sich dann die Frage, warum die Beklagte von dem Kläger
bzw. seinem Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge entgegengenommen hat, wenn sie nunmehr diese Tätigkeiten in Frage stellt. Unstreitig hat der Kläger zumindest gut sechs Wochen vollschichtig gegen eine angemessene Entlohnung für U L gearbeitet. Allein die Tatsache, dass der Kläger vollschichtig gearbeitet hat und dies laut dem Gutachten von W2 nicht auf Kosten der Gesundheit oder unter Risiken, den Gesundheitszustand zu verschlimmern, zeigt, dass die zwischenzeitlich aufgrund des Hirninfarktes eingetretene Erwerbsunfähigkeit wieder aufgehoben war. Auch das
BSG stellt in ständiger Rechtsprechung fest, dass die tatsächliche Ausübung einer Berufstätigkeit in der Regel einen höheren Beweiswert hat als selbst scheinbar dies ausschließende Befunde (
vgl. nur
BSG SozR 2200 § 1247 VO
Nr. 12 u. BSGE 47, 57
ff.).
Es ist erst später ein neuer Leistungsfall mit der Erkrankung an einer reaktiven Depression eingetreten. Der gerichtlich bestellte Sachverständige W2 hat dazu ausgeführt, dass nicht der Hirninfarkt, sondern die mittlerweile eingetretene und chronifizierte reaktiv-depressive Störung Leistungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr zulassen. Aufgrund der depressiven Störung ist nach dem Sachverständigen auch die Möglichkeit entfallen, Arbeiten am
PC per Mundsteuerung mit ausreichendem Leistungsvermögen auszuüben - wie es der Kläger zuvor noch getan hat. Auch das geistige Leistungsvermögen ist aufgrund der schwergradigen depressiven Störung massiv eingeschränkt - und dies zwar erst in den letzten zwei Jahren vor Gutachtenerstattung, d.h. irgendwann ab April 2007. Es ist für die Entscheidung der Kammer unschädlich, dass W2 letztendlich keinen genauen Zeitpunkt im Jahr 2007 für den Eintritt des Leistungsfalls benannt hat, was auch schwer möglich sein dürfte. Da aber bei einem Leistungsfall im Frühjahr
bzw. Sommer 2007 unstreitig die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es auf den genauen Eintritt des Leistungsfalls insoweit nicht an; zumal jedenfalls für die nunmehr ab August 2007 beantragte volle Erwerbsminderung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Kammer ist überzeugt davon, dass der Leistungsfall irgendwann ab April 2007 bis spätestens im Juli 2007 eingetreten ist, und zwar spätestens mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers bei U L. Der Kläger hat dazu glaubhaft gegenüber dem Gutachter W2 angegeben, dass er der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei U L aufgrund der sich zunehmend entwickelnden Verstimmungszustände zugestimmt habe, danach sich sein Zustand aber nochmals verschlechtert habe. Dies ist von der Ehefrau des Klägers gegenüber dem Gutachter bestätigt worden. Der Gutachter hielt dieses Vorbringen aus medizinischer Sicht für glaubhaft und nachvollziehbar. Deswegen ist die Zahlung einer Rente ab August 2007 auch gerechtfertigt.
Sofern die Beklagte dem entgegen hält, dass es sich bei der vom Kläger verrichteten Heimarbeit um eine Tätigkeit im geschützten Raum gehandelt habe und der Kläger auf dem freien Arbeitsmarkt diese Tätigkeit nicht hätte ausüben können und als Indiz dafür die Unterstützung durch die Ehefrau sowie die Einstufung in Pflegestufe III anführt, sind diese Ausführungen nach Auffassung der Kammer nicht nur widersprüchlich, sondern werten die Arbeit vom Behinderten pauschal als unqualifiziert herab. Der Kläger hat für U L, ein großes Unternehmen, auf dem freien Arbeitsmarkt aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages von 2002 bis Juni 2007 gearbeitet, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist - d.h. dies bereits auch vor dem Hirninfarkt im Dezember 2004, den die Beklagte zu Unrecht als Zeitpunkt des Leistungsfalls annimmt. Wie man dann zu dem gegenteiligen Schluss kommt, d.h. dass es sich bei Heimarbeit für die Firma U L um keine Beschäftigungen des freien Arbeitsmarktes handelt, ist der Kammer unerfindlich, zumal der Kläger in dieser Zeit auch sehr gut verdient - für die zuletzt ausgeübte Halbtagstätigkeit erhielt er die Lohngruppe K5, d.h. ein Bruttogehalt von 1.883,92
EUR. Es ist dem Gericht zudem nicht bekannt, dass die Beklagte neuerdings jegliche Heimarbeit von Behinderten nicht als Tätigkeiten auf dem freien Arbeitsmarkt wertet und dann keine Sozialversicherungsbeiträge erhebt. Jeder Mensch kann nun einmal nur entsprechend seinen (gesundheitlichen) Einschränkungen arbeiten - behindert oder nicht behindert. Wenn ein behinderter Mensch für ein großes Industrieunternehmen versicherungspflichtig beschäftigt ist, werden Sozialversicherungsbeiträge erhoben und an die Versicherungsträger abgeführt, was nur bedeuten kann, dass es anerkannte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind. Diese Tätigkeiten von Behinderten dann aber als unwertig herabzuqualifizieren und nicht mehr anzuerkennen wollen, obwohl hier unzweifelhaft vom Kläger differenzierte
EDV-Probleme für U L im Rahmen einer 40-Stunden-Woche bearbeitet worden sind und als Konsequenz für einen Leistungsfall auf einen Zeitpunkt vor Eintritt der Behinderung, einer neuen Erkrankung oder Verschlimmerung von Krankheiten abzustellen, stellt eine Diskriminierung von behinderten Versicherten dar, die mit dem Grundgesetz nach
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG unvereinbar ist. Nach dieser Vorschrift darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Es ist aber eine solche von der Verfassung verbotene Benachteiligung, wie die Beklagte hier die unstreitig zumindest zeitweise verrichtete vollschichtige Tätigkeit des Klägers für U L in der Zeit vom 12. Juni bis 31. Juli 2006, für die auch Sozialversicherungsbeiträge bezahlt wurden, herabqualifiziert hat. Nach Auffassung der Kammer zeigt die vollschichtige Tätigkeit des Klägers für U L im obigen Zeitraum, dass er in dieser Zeit wieder vollschichtig einsatzfähig war, wie es auch durch den Betriebsarzt, den Hausarzt und den gerichtlichen Gutachter W2 bestätigt wurde.
Der Kläger hat dementsprechend die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, da bei Eintritt des Leistungsfalls im Juli 2007 insgesamt mehr als 35 Monate, d.h. hier sogar 52 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt waren. Auch bei einem Leistungsfall im April 2007 wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Dies ergibt sich aus dem unverschlüsselten Versicherungsverlauf der Beklagten vom 28. Februar 2008 und ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig.
Der Kläger hat zudem auch die allgemeine Wartezeit nach §§ 43
Abs. 2
Nr. 3, 50
Abs. 1
SGB VI von fünf Jahren erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich ebenfalls aus dem unverschlüsselten Versicherungsverlauf.
Die eingetretene Leistungseinbuße ist auch auf Dauer, so dass dem Kläger eine Dauerrente nach § 102
Abs. 2 Satz 4
SGB VI zuzusprechen war. Die Kammer folgt insoweit ebenfalls den schlüssigen Ausführungen des Gutachters W2, der dazu ausgeführt hat, dass die vorliegende Leistungseinbuße beim Kläger dauerhafter Natur ist und in absehbarer Zeit nicht behoben werden kann. Zudem sind die in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten nach Auffassung des Gutachters ausgeschöpft.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193
SGG.