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Urteil
Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung - Zeitpunkt des Leistungsfalls

Gericht:

SG Düsseldorf


Aktenzeichen:

S 52 (10) R 191/07


Urteil vom:

07.09.2009


Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2007 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 1. August 2007 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der am 00. Januar 1962 geborene Kläger absolvierte von 1978 bis 1981 eine Ausbildung zum Elektriker. Im Jahre 1985 erlitt er einen schweren Motorradunfall, bei dem er den linken Arm und das linke Bein verlor. Zudem erlitt er eine Milzruptur, eine Darmverletzung und Beckenverletzung, Mediainfarkt sowie zahlreiche andere Verletzungen. Seit dem Unfall sitzt er im Rollstuhl und ist schwerbehindert mit einem GdB von 100%. Nach seinem Unfall absolvierte er eine Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann. Von Mai 1990 bis Ende April 1994 arbeitete er sodann als Datenverarbeitungskaufmann und von Mai 1994 bis Januar 2002 war er selbstständig tätig. Seit 1. Februar 2002 arbeitete er in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis als Programmierer bei der Fa. U L zunächst in Vollzeit mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden bis zum 13. Dezember 2004, als er einen schweren Hirninfarkt erlitt. In der Folgezeit war der Kläger lange arbeitsunfähig erkrankt. Nach Durchführung einer Reha-Maßnahme erfolgte von Januar bis Juni 2006 eine stufenweise Wiedereingliederung. Am 12. Juni 2006 schrieben sowohl der Betriebsarzt von U L, C, als auch der Hausarzt des Klägers, H, diesen gesund und erklärten schriftlich, dass dieser ab dem 12. Juni 2006 wieder Vollzeit arbeiten könne. Ab dem 12. Juni bis zum 31. Juli 2006 arbeitete der Kläger von einem Heimarbeitsplatz aus in Vollzeit bei U L. Aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers arbeitete er ab August 2006 wieder in Teilzeit mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden auf dem vom Arbeitgeber eingerichteten Heimarbeitsplatz. Das monatliche Gehalt für die Halbtagstätigkeit betrug zuletzt 1.883,92 EUR (Gehaltsgruppe K5 / B4). In die Gehaltsgruppe K5 sind Angestellte eingruppiert, die ein schwierigeres Tätigkeitsgebiet nach allgemeinen Richtlinien selbständig bearbeiten, wozu gründliche Fachkenntnisse und umfangreiche einschlägige Erfahrungen sowie Übersicht über die Zusammenhänge mit angrenzenden Tätigkeitsgebieten erforderlich sind.

Ausweislich eines von der Beklagten vorgelegten unverschlüsselten Versicherungsverlaufes wurden für die Zeit von 1. Januar 2005 bis 23. Januar 2005 nach der Datenerfassung- und Übermittlungsverordnung (DEÜV) Pflichtbeitragszeiten gemeldet, über die der Arbeitgeber des Klägers einen Nachweis erbracht hatte. Vom 24. Januar 2005 bis 31. Dezember 2005 wurden Pflichtbeitragszeiten aufgrund des Bezuges von Kranken- oder Übergangsgeld u.a. (Sozl.) vorgemerkt; zudem wurde für die Monate Juni und Oktober 2005 jeweils einmalige Pflichtbeitragszeiten nach der DEÜV vorgemerkt. Vom 1. Januar 2006 bis 11. Juni 2006 wurden ebenfalls Pflichtbeitragszeiten (Sozl.) vorgemerkt und vom 12. Juni 2006 bis 31. Oktober 2006 wurden wieder Pflichtbeitragszeiten nach der DEÜV vorgemerkt. In den letzten fünf Jahren vor dem 13. Dezember 2004 sind nach dem unverschlüsselten Versicherungsverlauf der Beklagten vom 28. Februar 2008 nur 34 Monate mit Pflichtbeitragszeiten belegt, in den letzten fünf Jahren vor dem 1. August 2007 sind 52 Monate Pflichtbeiträge geleistet worden; in den letzten fünf Jahren vor dem 1. August 2006 sind 54 Monate mit Pflichtbeitragszeiten belegt.

Aufgrund des Hirninfarktes wurde eine Reha-Maßnahme vom 15. August 2006 bis 19. September 2006 durchgeführt. Im ärztlichen Entlassungsbericht vom 5. Oktober 2006 heißt es dazu: "Herr X. kam arbeitsfähig zur stationären Aufnahme und wird ebenso entlassen. Der Patient ist als Systemadministrator in Teilzeit (max. 4 Stunden täglich) beschäftigt. Es besteht sowohl für seinen zuletzt ausgeübten Beruf, als auch für leichte, sitzende Tätigkeiten weiterhin teilschichtige und funktionell eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Herr X. stimmte unserer sozialmedizinischen Einschätzung zu."

Am 16. Oktober 2006 stellte der Kläger einen Antrag auf teilweise Erwerbsminderungsrente.

Mit Bescheid vom 21. November 2006 lehnte die Beklagten den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil nach ihrer Ansicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden. Dabei ging die Beklagte vom Eintritt des Leistungsfalls am 13. Dezember 2004 (Zeitpunkt des Hirninfarkts) aus.

Mit weiterem Bescheid vom 23. November 2006 stellte die Beklagte die in einem beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurücklagen, d.h. Zeiten ab dem 31. Dezember 1999, verbindlich fest.

Gegen den Bescheid vom 21. November 2006 legte die Ehefrau des Klägers, die vom Amtsgericht für diesen zeitweise als Betreuerin bestellt wurde, Widerspruch ein. Zur Begründung gab sie an, dass es zwar richtig sei, dass ihr Mann am 13. Dezember 2004 einen Schlaganfall erlitten habe und sodann bis zum 11. Juni 2006 krank geschrieben gewesen sei. Da er schon 1985 infolge eines Motorradunfalls seine linken Gliedmaßen verloren habe und seither zu 100% schwerbehindert gewesen sei, hätten ihn die Folgen des Schlaganfalls um so härter getroffen. Nach dem Schlaganfall sei jedoch später wieder volle Arbeitsfähigkeit erreicht worden. Als Datum für das Schadensereignis könne daher nicht der 13. Dezember 2004 angenommen werden. Im Januar 2006 sei mit einer stufenweisen Wiedereingliederung begonnen worden. Es sei ihm ein Heimarbeitsplatz eingerichtet worden. Die Arbeit hätte ihrem Mann sehr gut getan, da er habe feststellen können, dass er noch leistungsfähig sei. Am 12. Juni 2006 sei ihrem Mann vom Hausarzt und Betriebsarzt volle Arbeitsfähigkeit bescheinigt worden; er habe sodann wieder seine Vollzeittätigkeit aufgenommen. Erst später sei teilweise Erwerbsminderung eingetreten.

Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der Firma U L endete am 30. Juni 2007 durch einen Aufhebungsvertrag mit Abfindung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Beklagte beharrte auf ihre Einschätzung, dass der Leistungsfalls am 13. Dezember 2004 eingetreten sei und deswegen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden.

Der Kläger hat am 19. Juli 2007 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren.

Der Kläger beantragt nunmehr,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2007 ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 1. August 2007 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres klageabweisenden Antrags nimmt die Beklagte auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug. Ergänzend trägt die Beklagte vor: Die berufliche Tätigkeit des Klägers nach dem Hirninfarkt sei vom Heimarbeitsplatz aus mit Hilfe der Ehefrau erfolgt. Es sei somit von einer Tätigkeit in einem geschützten Raum auszugehen. Auf dem freien Arbeitsmarkt hätte der Kläger diese Tätigkeit nicht ausüben können. Ein Indiz dafür sei die Zuerkennung der Pflegestufe III durch die Krankenkasse.

Das Gericht hat Befundberichte eingeholt von W1 vom 27. Juli 2008 (Bl. 34 - 65 der Gerichtsakte), von T vom 19. August 2008 (Bl. 66 - 68 der Gerichtsakte), von H vom 30. August 2008.

In folgenden Zeiten war der Kläger nach dem 13. Dezember 2004 krankgeschrieben: 13.12.2004 - 11.6.2006 Krankschreibung nach Schlaganfall 15.8.2006 bis 19.9.2006 Zeiten der medizinische Rehabilitation

Sodann hat das Gericht am 23. Januar 2009 eine Beweisanordnung getroffen. Zum Sachverständigen hat das Gericht W2 aus W3 auf dem Fachgebiet Neurologie ernannt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisanordnung wird auf Bl. 82 - 86 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit nervenfachärztlichem Gutachten vom 3. April 2009 hat W2 unter dem Punkt "Psychischer Befund" (Seite 12 des Gutachtens) u.a. Folgendes festgestellt: "Herr X. war von seiner Ehefrau zum Untersuchungsort gefahren worden, im Rollstuhl erschienen, er bot ein gepflegtes Erscheinungsbild, wandte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten zu und war um Beantwortung sämtlicher anamnestischer Fragen bemüht. Es bestanden keine Zweifel am erhaltenen Sprachverständnis. Auffassung-, Reaktionsvermögen, intellektuelles Leistungsvermögen sind nicht eingeschränkt. Der Kläger hat auch nach dem Schlaganfall vom Dezember 2004 eine sehr hohe Motivation zur Rehabilitation einschließlich beruflicher Wiedereingliederung geboten und zumindest zeitweilig unter Mundsteuerung des Computers differenzierte EDV-Probleme bearbeitet. Es besteht bei Herrn X. eine affektive Labilität mit auch während des Vorstellungstermins festzustellenden, depressiv gefärbten Verstimmungszuständen einschließlich entsprechender mimischer Reaktionen."

Auf Seite 16 seines Gutachtens hat W2 unter dem Punkt "Zusammenfassung und Beurteilung" u.a. Folgendes festgestellt: "Im Rahmen intensiver medizinischer und beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen ist die Rückkehr ins Erwerbsleben mit einer Vollzeitbeschäftigung ab Juni 2006 in Heimarbeit und unter Nutzung des PC mittels Mundsteuerung gelungen. Es war für mich im Ergebnis der heutigen Befragung und Untersuchung nachvollziehbar, dass die mittlerweile eingetretene und chronifizierte reaktiv-depressive Störung Leistungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr zulässt."

Er hat zudem festgestellt, dass bei dem Kläger folgende Gesundheitsstörungen vorliegen würden:

1. Zustand nach unfallbedingter Amputation der linken Gliedmaßen nahe dem Schulter und Hüftgelenk ohne Möglichkeit der prothetischen Versorgung.
2. Zustand nach im Dezember 2004 aufgetretenem linksseitigem Hirninfarkt mit anhaltender, armbetonter spastischer Lähmung der rechten Gliedmaßen sowie erheblicher Behinderung des Sprechvermögens.
3. Zeitweilige Herzrhythmusstörungen im Sinne des Vorhofflimmerns und der absoluten Arrythmie.
4. Ausgeprägte depressive Entwicklung als Reaktion auf die im Wesentlichen anhaltenden, seit dem Schlaganfall des Jahres 2004 massiv verschlimmernden, sich nur teilweise zurückbildenden Mehrfachbehinderungen.

Der Gutachter hat sodann weiter ausgeführt, dass der Kläger zu Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr in der Lage sei. Aufgrund der depressiven Störung sei auch die Möglichkeit entfallen, Arbeiten am PC per Mundsteuerung mit ausreichendem Leistungsvermögen auszuüben. Auch das geistige Leistungsvermögen sei aufgrund der schwergradigen depressiven Störung massiv eingeschränkt. Hinsichtlich Nervenkraft, Durchhaltevermögen und Motivation bestünden massive Leistungseinschränkungen. Die der Arbeitskraft entgegenstehende psychische Funktionsstörung könne aus eigener Willenskraft oder mit ärztlicher Hilfe nicht überwunden werden. Die vorgetragenen Beschwerden seien in jeder Hinsicht glaubhaft. Die zeitlich vom 12. Juni bis 31. Juli 2006 verrichtete Vollzeitbeschäftigung sowie die anschließende Teilzeitbeschäftigung habe der Kläger in dieser Zeit nicht nur auf Kosten der Gesundheit oder unter Risiken, den Gesundheitszustand zu verschlimmern, verrichten können. Die vorliegende Leistungseinbuße sei dauerhafter Natur und könne in absehbarer Zeit nicht behoben werden; die in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Die Einschätzungen des Gesundheitszustandes des Klägers in verschiedenen Befundberichten seien im Wesentlichen nachvollziehbar gewesen. Es sei allerdings in den letzten zwei Jahren eine als reaktiv einzuschätzende depressive Entwicklung mit den oben beschriebenen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Klägers im Erwerbsleben eingetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf Bl. 79 bis 100 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Gericht hat die Beteiligten zur Stellungnahme zum Gutachten aufgefordert.

Die Beklagte hat trotz der Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters auf ihrer Einschätzung beharrt, dass der Leistungsfall bereits mit dem Hirninfarkt im Dezember 2004 eingetreten sei und hat ohne nähere Begründung und ohne Auseinandersetzung mit dem Gutachten von W2 ausgeführt, dass ein späterer Leistungsfall aus neurologisch-psychiatrischer Sicht nicht begründet werden könne.

Der Kläger bzw. seine Ehefrau hat sich mit Schriftsatz vom 13. Juni 2009 detailliert mit dem gerichtlich eingeholten Gutachten auseinandergesetzt. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird insoweit auf Bl. 108 - 113 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Klage hat Erfolg.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2007 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Er hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, § 43 Abs. 2 SGB VI.

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI erhält Rente wegen Erwerbsminderung, wer voll erwerbsgemindert ist und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und die allgemeine Wartezeit nach § 50 SGB VI, nämlich eine Versicherungszeit von fünf Jahren, erfüllt hat.

Voll erwerbsgemindert sind nach der Legaldefinition in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI u.a. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Die Kammer hat aufgrund des gerichtlich eingeholten Gutachtens von W2 feststellen können, dass der Kläger im Sinne dieser Bestimmungen voll erwerbsgemindert ist.

So liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als wesentliche Gesundheitsstörungen Zustand nach unfallbedingter Amputation der linken Gliedmaßen nahe dem Schulter und Hüftgelenk ohne Möglichkeit der prothetischen Versorgung; Zustand nach im Dezember 2004 aufgetretenem linksseitigem Hirninfarkt mit anhaltender, armbetonter spastischer Lähmung der rechten Gliedmaßen sowie erheblicher Behinderung des Sprechvermögens; Zeitweilige Herzrhythmusstörungen im Sinne des Vorhofflimmerns und der absoluten Arrythmie und seit Frühjahr bzw. Sommer 2007 eine ausgeprägte depressive Entwicklung als Reaktion auf die im Wesentlichen anhaltenden, seit dem Schlaganfall des Jahres 2004 massiv verschlimmernden, sich nur teilweise zurückbildenden Mehrfachbehinderungen vor. Diese Gesundheitsstörungen wirken sich dahingehend aus, dass der Kläger keine Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr verrichten kann.

Mit diesen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zum Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben folgt die Kammer den schlüssig und überzeugend begründeten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen W2. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass der Kläger mit seinen gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr erwerbsfähig sein kann.

Der Kläger kann auch für die letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nachweisen, vgl. § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI. Dabei folgt die Kammer nicht dem Vorbringen der Beklagten, wonach der Leistungsfall bereits mit dem Hirninfarkt am 13. Dezember 2004 eingetreten sein soll. Die Kammer geht aufgrund der erfolgreich abgeschlossenen Wiedereingliederungsmaßnahme zum 12. Juni 2006 sowie der anschließenden Vollzeittätigkeit des Klägers vom 12. Juni 2006 bis 31. Juli 2006 sowie den Feststellungen des gerichtlich eingeholten Gutachtens von W2 davon aus, dass der (neue) Leistungsfall erst im Frühjahr bzw. Sommer 2007 durch die reaktive Depression eingetreten ist und ein Rentenanspruch dementsprechend spätestens ab August 2007 besteht (- weil der Leistungsfall spätestens im Juli 2007 eingetreten ist -). Für den Zeitraum davor war kein Raum für die Gewährung einer Rente, weil der Kläger aufgrund der Entlohnung durch seinen ehemaligen Arbeitgeber U-L die Hinzuverdienstgrenzen überschritten hat. Dementsprechend hat der Kläger auch richtigerweise erst eine volle Erwerbsminderungsrente ab August 2007 beantragt.

Zwar war der Kläger sicherlich ab dem 13. Dezember 2004 aufgrund des erlittenen Hirninfarkts mit gravierenden Folgen zeitweise erwerbsunfähig bzw. erwerbsgemindert. Der Kläger hat jedoch erfolgreich an einer beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme teilgenommen. Dass die Wiedereingliederungsmaßnahme erfolgreich war, ergibt sich zum einen durch die Bestätigung durch den Betriebsarzt von U L, C, und die Bestätigung durch den Hausarzt des Klägers, H. Auch der gerichtlich bestellte Gutachter W2 hat in seinem Gutachten vom 3. April 2009 u.a. ausgeführt, dass der Kläger noch nach dem Hirninfarkt tatsächlich vollschichtig arbeiten konnte und mit Hilfe der Mundsteuerung seinen PC bedienen konnte und zeitweilig differenzierte EDV-Probleme bearbeitet hat. Als Ergebnis hat der Gutachter festgehalten: "Im Rahmen intensiver medizinischer und beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen ist die Rückkehr ins Erwerbsleben mit einer Vollzeitbeschäftigung ab Juni 2006 in Heimarbeit unter Nutzung des PC mittels Mundsteuerung gelungen."

Wie die Beklagte vor dem Hintergrund dieser Feststellungen durch drei unabhängige Ärzte dann zu dem Ergebnis kommt, dass die Wiedereingliederungsmaßnahme letztlich nicht erfolgreich war, vermag sich der Kammer nicht zu erschließen. Es stellt sich dann die Frage, warum die Beklagte von dem Kläger bzw. seinem Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge entgegengenommen hat, wenn sie nunmehr diese Tätigkeiten in Frage stellt. Unstreitig hat der Kläger zumindest gut sechs Wochen vollschichtig gegen eine angemessene Entlohnung für U L gearbeitet. Allein die Tatsache, dass der Kläger vollschichtig gearbeitet hat und dies laut dem Gutachten von W2 nicht auf Kosten der Gesundheit oder unter Risiken, den Gesundheitszustand zu verschlimmern, zeigt, dass die zwischenzeitlich aufgrund des Hirninfarktes eingetretene Erwerbsunfähigkeit wieder aufgehoben war. Auch das BSG stellt in ständiger Rechtsprechung fest, dass die tatsächliche Ausübung einer Berufstätigkeit in der Regel einen höheren Beweiswert hat als selbst scheinbar dies ausschließende Befunde (vgl. nur BSG SozR 2200 § 1247 VO Nr. 12 u. BSGE 47, 57 ff.).

Es ist erst später ein neuer Leistungsfall mit der Erkrankung an einer reaktiven Depression eingetreten. Der gerichtlich bestellte Sachverständige W2 hat dazu ausgeführt, dass nicht der Hirninfarkt, sondern die mittlerweile eingetretene und chronifizierte reaktiv-depressive Störung Leistungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr zulassen. Aufgrund der depressiven Störung ist nach dem Sachverständigen auch die Möglichkeit entfallen, Arbeiten am PC per Mundsteuerung mit ausreichendem Leistungsvermögen auszuüben - wie es der Kläger zuvor noch getan hat. Auch das geistige Leistungsvermögen ist aufgrund der schwergradigen depressiven Störung massiv eingeschränkt - und dies zwar erst in den letzten zwei Jahren vor Gutachtenerstattung, d.h. irgendwann ab April 2007. Es ist für die Entscheidung der Kammer unschädlich, dass W2 letztendlich keinen genauen Zeitpunkt im Jahr 2007 für den Eintritt des Leistungsfalls benannt hat, was auch schwer möglich sein dürfte. Da aber bei einem Leistungsfall im Frühjahr bzw. Sommer 2007 unstreitig die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es auf den genauen Eintritt des Leistungsfalls insoweit nicht an; zumal jedenfalls für die nunmehr ab August 2007 beantragte volle Erwerbsminderung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Kammer ist überzeugt davon, dass der Leistungsfall irgendwann ab April 2007 bis spätestens im Juli 2007 eingetreten ist, und zwar spätestens mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers bei U L. Der Kläger hat dazu glaubhaft gegenüber dem Gutachter W2 angegeben, dass er der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei U L aufgrund der sich zunehmend entwickelnden Verstimmungszustände zugestimmt habe, danach sich sein Zustand aber nochmals verschlechtert habe. Dies ist von der Ehefrau des Klägers gegenüber dem Gutachter bestätigt worden. Der Gutachter hielt dieses Vorbringen aus medizinischer Sicht für glaubhaft und nachvollziehbar. Deswegen ist die Zahlung einer Rente ab August 2007 auch gerechtfertigt.

Sofern die Beklagte dem entgegen hält, dass es sich bei der vom Kläger verrichteten Heimarbeit um eine Tätigkeit im geschützten Raum gehandelt habe und der Kläger auf dem freien Arbeitsmarkt diese Tätigkeit nicht hätte ausüben können und als Indiz dafür die Unterstützung durch die Ehefrau sowie die Einstufung in Pflegestufe III anführt, sind diese Ausführungen nach Auffassung der Kammer nicht nur widersprüchlich, sondern werten die Arbeit vom Behinderten pauschal als unqualifiziert herab. Der Kläger hat für U L, ein großes Unternehmen, auf dem freien Arbeitsmarkt aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages von 2002 bis Juni 2007 gearbeitet, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist - d.h. dies bereits auch vor dem Hirninfarkt im Dezember 2004, den die Beklagte zu Unrecht als Zeitpunkt des Leistungsfalls annimmt. Wie man dann zu dem gegenteiligen Schluss kommt, d.h. dass es sich bei Heimarbeit für die Firma U L um keine Beschäftigungen des freien Arbeitsmarktes handelt, ist der Kammer unerfindlich, zumal der Kläger in dieser Zeit auch sehr gut verdient - für die zuletzt ausgeübte Halbtagstätigkeit erhielt er die Lohngruppe K5, d.h. ein Bruttogehalt von 1.883,92 EUR. Es ist dem Gericht zudem nicht bekannt, dass die Beklagte neuerdings jegliche Heimarbeit von Behinderten nicht als Tätigkeiten auf dem freien Arbeitsmarkt wertet und dann keine Sozialversicherungsbeiträge erhebt. Jeder Mensch kann nun einmal nur entsprechend seinen (gesundheitlichen) Einschränkungen arbeiten - behindert oder nicht behindert. Wenn ein behinderter Mensch für ein großes Industrieunternehmen versicherungspflichtig beschäftigt ist, werden Sozialversicherungsbeiträge erhoben und an die Versicherungsträger abgeführt, was nur bedeuten kann, dass es anerkannte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind. Diese Tätigkeiten von Behinderten dann aber als unwertig herabzuqualifizieren und nicht mehr anzuerkennen wollen, obwohl hier unzweifelhaft vom Kläger differenzierte EDV-Probleme für U L im Rahmen einer 40-Stunden-Woche bearbeitet worden sind und als Konsequenz für einen Leistungsfall auf einen Zeitpunkt vor Eintritt der Behinderung, einer neuen Erkrankung oder Verschlimmerung von Krankheiten abzustellen, stellt eine Diskriminierung von behinderten Versicherten dar, die mit dem Grundgesetz nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG unvereinbar ist. Nach dieser Vorschrift darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Es ist aber eine solche von der Verfassung verbotene Benachteiligung, wie die Beklagte hier die unstreitig zumindest zeitweise verrichtete vollschichtige Tätigkeit des Klägers für U L in der Zeit vom 12. Juni bis 31. Juli 2006, für die auch Sozialversicherungsbeiträge bezahlt wurden, herabqualifiziert hat. Nach Auffassung der Kammer zeigt die vollschichtige Tätigkeit des Klägers für U L im obigen Zeitraum, dass er in dieser Zeit wieder vollschichtig einsatzfähig war, wie es auch durch den Betriebsarzt, den Hausarzt und den gerichtlichen Gutachter W2 bestätigt wurde.

Der Kläger hat dementsprechend die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, da bei Eintritt des Leistungsfalls im Juli 2007 insgesamt mehr als 35 Monate, d.h. hier sogar 52 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt waren. Auch bei einem Leistungsfall im April 2007 wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Dies ergibt sich aus dem unverschlüsselten Versicherungsverlauf der Beklagten vom 28. Februar 2008 und ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig.

Der Kläger hat zudem auch die allgemeine Wartezeit nach §§ 43 Abs. 2 Nr. 3, 50 Abs. 1 SGB VI von fünf Jahren erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich ebenfalls aus dem unverschlüsselten Versicherungsverlauf.

Die eingetretene Leistungseinbuße ist auch auf Dauer, so dass dem Kläger eine Dauerrente nach § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI zuzusprechen war. Die Kammer folgt insoweit ebenfalls den schlüssigen Ausführungen des Gutachters W2, der dazu ausgeführt hat, dass die vorliegende Leistungseinbuße beim Kläger dauerhafter Natur ist und in absehbarer Zeit nicht behoben werden kann. Zudem sind die in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten nach Auffassung des Gutachters ausgeschöpft.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Referenznummer:

R/R3413


Informationsstand: 21.01.2011