Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig. Sie erweist sich - zumindest - insoweit als begründet, als - zunächst nur - der Widerspruchsbescheid aufzuheben ist.
Der angefochtene Widerspruchsbescheid ist nicht nichtig, da er nicht offensichtlich ist, dass er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet (§ 40
SGB X). Er ist aber rechtswidrig, weil er nicht rechtmäßig zustande gekommen, da nicht alle zur Entscheidung berufenen Mitglieder des Widerspruchsausschusses mitgewirkt haben. Die Beklagte hat das Vorverfahren daher erneut - und nunmehr ordnungsgemäß - durchzuführen.
Nach § 95
SGG (Sozialgerichtsgesetz) ist - sofern (wie hier) ein Vorverfahren stattgefunden hat - Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, den er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Hieraus ergibt sich - jedenfalls im Grundsatz - die Unzulässigkeit einer - isolierten - Anfechtung (nur) des Widerspruchsbescheides. Da das ( eigentliche) Klageziel (hier die Zahlung einer Rente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls) nur durch Beseitigung sowohl des ablehnenden Bescheides als auch des Widerspruchsbescheides erreicht werden kann, fehlt in der Regel das Rechtsschutzinteresse für eine isolierte Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid. Ausnahmsweise kann aber die alleinige (isolierte) Anfechtung des Widerspruchsbescheides zulässig sein, wenn - und nur insoweit - dieser eine eigene Beschwer enthält (Urteil des
BSG (Bundessozialgericht) - 9 RV 10/95 - vom 15. 08.1996 - jurisRn. 14 - SozR 3-1300 § 24
Nr. 13 = HVBG-INFO 1997, 1562; Urteil des
BSG - 9 SB 14/97 R - vom 25.03.1999 - jurisRn. 18 - SozR 3-1300 § 24
Nr. 14 = HVBG-INFO 1999, 2694; Urteil des
LSG (Landessozialgericht) Bremen - L 3 Vs 48/97 - vom 15.07. 1998 - jurisRn. 24 - HVBG-INFO 1999, 252; Leitherer in: Meyer- Ladewig/Keller/ Leitherer,
SGG, 8. Aufl. 2005, § 95 Rn. 3a).
Die (zusätzliche) eigene Beschwer kann dabei (auch) allein formeller Art sein (Urteil des
BSG - 9 SB 14/97 R - vom 25.03. 1999 - jurisRn. 20 - SozR 3-1300 § 24
Nr. 14 = HVBG-INFO 1999, 2694; Urteil des Bayerischen
LSG - L 19 R 96/05 - vom 26.10. 2005 - jurisRn. 22; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer,
SGG, 8. Aufl. 2005, § 95 Rn. 3c; Binder in: Hk-
SGG, 2. Aufl. 2006, § 95 Rn. 7; Peters/Sautter/Wolff,
SGG, 4. Aufl., 83. Lfg., 4/2004, § 95 Rn. 6).
In einem solchen Fall ist die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides durch ein Teilurteil möglich (Urteil des
LSG Nordrhein-Westfalen - L 7 SB 97/99 - vom 04.11.1999 - jurisRn. 22; Urteil des
LSG Nordrhein-Westfalen - L 6 SB 238/99 - vom 22.02.2000 - jurisRn. 17; Binder in: Hk-
SGG, 2. Aufl. 2006, § 95 Rn. 12).
Im Übrigen ist dann das sozialgerichtliche Verfahren bis zur - ordnungsgemäßen - Nachholung des Vorverfahrens auszusetzen ( Urteil des
LSG Nordrhein-Westfalen - L 6 SB 238/99 - vom 22.02.2000 - jurisRn. 18; Binder in: Hk-
SGG, 2. Aufl. 2006, § 95 Rn. 12).
Nach § 36a
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1
SGB IV kann der Erlass von Widerspruchsbescheiden durch Satzung besonderen Ausschüssen übertragen werden, wobei dann die Satzung nach § 36a
Abs. 2 Satz 1
SGB IV das Nähere regelt, insbesondere die Zusammensetzung der besonderen Ausschüsse und die Bestellung ihrer Mitglieder. Hiervon hat die Beklagte Gebrauch gemacht - § 21 ihrer Satzung - vom 01.01.1997 in der Fassung vom 17.05. 2004 - lautet:
Widerspruchs- und Einspruchsausschüsse
(1) Die Vertreterversammlung bildet gemäß § 85
Abs. 2
Nr. 2
SGG, § 36a
Abs. 1
Nr. 1
SGB IV, § 112
Abs. 2
SGB IV und § 13
Nr. 13 der Satzung Widerspruchs- und Einspruchsausschüsse.
(2) Die Widerspruchs- und Einspruchsausschüsse setzen sich aus je zwei Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber zusammen. Für die Ausschussmitglieder ist jeweils mindestens ein Stellvertreter zu bestellen. Mitglieder der Widerspruchs- und Einspruchsausschüsse können nur Personen sein, die die Voraussetzungen der Wählbarkeit als Organmitglied erfüllen.
(3) Die §§ 12, 18 und 20
Abs. 2 und
Abs. 3 der Satzung gelten entsprechend. Weder in einer der ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärten noch in einer anderen Satzungsbestimmung sind Regelungen zur Ladung der Ausschussmitglieder oder zur Beschlussfähigkeit der besonderen Ausschüsse zu finden.
Soweit die Beklagten - unter Verweis auf die Mitteilung des BMA (Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung) vom 19.02. 1982 (unter dem Geschäftszeichen
IV a 6 - 40537/3) - annimmt, § 64
SGB IV - wonach für die Beschlussfähigkeit die ordnungsgemäße Ladung der Mitglieder und die Anwesenheit der Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder genügt - sei auch auf die Beschlussfassung der besonderen Ausschüsse anwendbar, unterliegt sie nach Auffassung des Gerichts einem - vermeidbaren - Irrtum. Diese Vorschrift gilt gerade nicht für Widerspruchsausschüsse nach § 36a
SGB IV, sondern - wie bereits der Wortlaut eindeutig offenbart - nur für die Selbstverwaltungsorgane. Welche dies sind ist - ebenso klar - in § 31
SGB IV gesetzlich geregelt. Die besonderen Ausschüsse sind dort (aber) nicht aufgeführt.
Anders als vom Gesetzgeber bei den Erledigungsausschüssen nach § 66
SGB IV in
Abs. 2 angeordnet, ist für die besonderen Ausschüsse in § 36a
SGB IV auch keine entsprechende Anwendbarkeit der für die Selbstverwaltungsorgane geltenden Norm des § 64
SGB IV gesetzlich vorgesehen. Ob die Beklagte dies - im Hinblick auf die in § 36a
Abs. 2 Satz 1
SGB IV ausgesprochene Ermächtigung - in ihrer Satzung hätte regeln können (hiervon ist nach Auffassung des Gerichts auszugehen), kann hier dahingestellt bleiben. Die Beklagte hat eine solche Regelung jedenfalls nicht in ihrer Satzung getroffen.
Soweit die Kommentarliteratur von einem "Organcharakter" (Schneider-Danwitz in: jurisPK-SGB
IV, § 36a Rn. 12)
bzw. einer "organähnlichen Stellung" der besonderen Ausschüsse ausgeht (Maier in: Kasseler Kommentar, § 36a
SGB IV Rn. 2; Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Lfg. 2/07,
SGB IV § 36a Rn.1)
bzw. ihnen eine "rechtliche Organeigenschaft" zuspricht (Hauck in Hauck/Noftz,
SGB IV, 22. Lfg. II.97, § 36a Rn. 6; Becher, Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherung, 15. Lfg. VI.98, § 36a
SGB IV Erl. 1
S. 2; a.A. Jansen in Jahn: Sozialgesetzbuch für die Praxis,
SGB IV (Stand 15.10.2000), § 36a Rn. 3; kritisch auch Vömel, Zweifelsfragen zu den besonderen Ausschüssen nach § 36a
SGB IV, DRV 1982, 339 (346/347)), folgt daraus allein ohnehin nicht bereits die - entsprechende oder analoge - Anwendbarkeit des § 64
SGB IV.
Die entsprechende Geltung ist vom Gesetzgeber gerade nicht angeordnet worden und für eine Analogie ist mangels erkennbarer Gesetzeslücke - sowohl in
Abs. 1 Satz 2 als auch in
Abs. 3 des § 36a
SGB IV sind detaillierte Regelungen hinsichtlich entsprechend anwendbarer Normen getroffen und im Übrigen ist eine Regelung durch Satzung möglich (
Abs. 2 Satz 1) - auch kein Raum. Soweit sich die Rechtsprechung - sofern dieses Problem überhaupt angesprochen worden ist - bislang der Auffassung der beklagten Berufsgenossenschaft angeschlossen hat, ist - soweit hier ersichtlich - eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der vorliegenden Problematik überhaupt nicht erfolgt. Die Kammer folgt dem ausdrücklich nicht (mehr) und hebt daher den - rechtswidrigen - Widerspruchsbescheid auf und setzt das Verfahren im Übrigen bis zur ordnungsgemäßen Nachholung des Vorverfahrens aus, da es nicht anstelle des Widerspruchsausschusses entscheiden kann, weil dieser neben der Rechtmäßigkeit - anders als das Gericht - (auch) über die Zweckmäßigkeit zu befinden hat (§ 78
Abs. 1 Satz 1
SGG).
Zumal eine höchstrichterliche Entscheidung fehlt, wird die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 161
Abs. 2 Satz 1
SGG i. V.m. § 160
Abs. 2
Nr. 1
SGG).