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Urteil
Volle Kostenübernahme für neue Hörgeräte - Festbetragsregelung - Keine Leistungspflicht der Krankenkasse bei ausreichender Versorgung mit Festbetragsgeräten

Gericht:

LSG Thüringen 6. Senat


Aktenzeichen:

L 6 KR 1802/11


Urteil vom:

25.03.2014


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 19. September 2011 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten für zwei Hörgeräte vollständig zu übernehmen hat.

Der 1971 geborene Kläger leidet an einer beidseits vorliegenden Innenohrschwerhörigkeit, weswegen ihm durch den Facharzt für HNO-Heilkunde M. am 16. August 2007 Hörhilfen verordnet wurden. Der Kläger wandte sich an die Beklagte und bat diese mit dort am 11. September 2007 eingegangenem Schreiben um Bestätigung, dass "sie auch rückwirkend einen Teil der Kosten übernehmen, welche eventuell über die Zuzahlung der Krankenkassen hinausgehen (laut Hörakustiker bis zu 80 %)". Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 20. September 2007 mit, dass der Gesetzgeber für bestimmte Hilfsmittel Festbeträge eingeführt habe, eine Kostenübernahme über die Festbeträge hinaus sei nicht möglich. Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt das Schreiben nicht.

Der Kläger ließ sich bei der Hörgeräte L. GmbH am 23. Oktober 2007 drei Hörgeräte anpassen, die jedoch alle nicht zum Festbetrag (421,28 EUR) erhältlich waren. Er entschied sich für beide Ohren für das Hörgerät "microeXtra 100 AZ". Die Hörgeräte L. GmbH übersandte der Beklagten einen Kostenvoranschlag vom 22. November 2007, in welchem sie lediglich die Festbeträge geltend machte, insgesamt 808,88 EUR. Die Beklagte zahlte diesen Betrag aus. Die Hörgeräte L. GmbH machte mit Rechnung vom 24. Juni 2008 den verbliebenen Restbetrag in Höhe von 2.263,84 EUR unmittelbar gegenüber dem Kläger geltend. Dieser überwies den ausstehenden Betrag am 1. Juli 2008.

Mit undatiertem Schreiben, bei der Beklagten eingegangen am 3. Juli 2008, erhob der Kläger "Widerspruch gegen die Zahlung des Eigenanteils". Der Kläger machte geltend, dass auf der Internetseite der Beklagten stehe, dass man einen Eigenanteil von 10 % der Kosten, mindestens 5,00 EUR und maximal 10,00 EUR bezahlen müsse. Diesen Eigenanteil habe er gezahlt, weswegen er um Rückerstattung des darüber hinausgehenden und an den Hörgeräteakustiker bereits gezahlten Betrages bitte. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 16. Juli 2008 mit, dass eine Erstattung nicht erfolgen könne. Eine weitergehende Kostenübernahme über die bereits gezahlten Festbeträge hinaus komme nicht in Betracht. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 12. September 2008 mit, dass er seinen Widerspruch nicht zurückziehe, die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2008 zurück.

Das Sozialgericht hat bei Prof. Dr. G.-L. ein HNO-ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 8. Juli 2011 angegeben, dass bei dem Kläger ein mittelgradiger Hörverlust auf beiden Seiten in Form einer mitteltonbetonten Schallempfindungsschwerhörigkeit vorliege. Eine Hörgeräteversorgung sei medizinisch indiziert. Zwar habe der Hörgeräteakustiker eine Anpassung von Hörgeräten zum Festbetrag nicht vorgenommen, es könne aber festgestellt werden, dass die Hörkurven erwarten lassen, dass auch mit einer Hörrehabilitation mit Hörhilfen zum Festbetrag eine ausreichende Besserung des Hörvermögens erreicht werden könne. Hierunter sei zu verstehen, dass das Einsilberverständnis bei 65 Dezibel um mindestens 20 % oder mehr verbessert werden könnte. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. September 2011 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Hörgerät "microeXtra 100 AZ", weswegen eine Kostenerstattung ausscheide. Die Beklagte habe mit der Übernahme des Festbetrages ihrer gesetzlichen Leistungspflicht genügt.

Im Berufungsverfahren macht der Kläger geltend, dass ihm ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch zustehe. Dies folge insbesondere aus dem Internetauftritt der Beklagten, aus welchem der Kläger habe entnehmen können, dass außer der Zuzahlung in Höhe von 10,00 EUR keine weiteren Kosten folgen würden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 19. September 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2010 zu verurteilen, an ihn 2.263,84 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass der Kläger lediglich die Erstattung des Festbetrages verlangen könne. Hierdurch sei eine ausreichende und wirtschaftliche Versorgung gewährleistet.

Der Senat hat bei Prof. Dr. G.-L. eine ergänzende Stellungnahme eingeholt. Hierin hat dieser mitgeteilt, dass aus gutachterlicher Sicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch andere Geräte und auch Geräte zum Festbetrag zu einer Hörrehabilitation geeignet gewesen wären. Bei dem Kläger bestünden keine Besonderheiten in Bezug auf das Hörvermögen bzw. die Anatomie der Ohren, die es von vornherein ohne eine entsprechende Anpassung erforderlich machen würden, mit einer Versorgung mit Hörgeräten außerhalb der Festbetragsregelung zu rechnen. Von vornherein sei keine Bedingung gegeben gewesen, die einer Versorgung mit Festbetragsgeräten entgegengestanden hätte.

Der Senat hat durch seinen ehemaligen Berichterstatter am 6. Dezember 2013 einen Erörterungstermin durchgeführt. Zum genauen Inhalt wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 139f. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Rechtsweg:

SG Altenburg Urteil vom 19.09.2011 - S 30 KR 4242/08

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte aufgrund des ausdrücklich erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 2.263,84 EUR hat.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach gilt: Hat die Krankenkasse "eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". Der Erstattungsanspruch reicht, wie in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geklärt ist, nicht weiter als ein entsprechender - primärer - Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 - Az.: B 1 KR 24/06 R, nach juris Rn. 11 m.w.N.). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - Az.: B 1 KR 2/08 R, Rn. 25).

Der Senat kann im Ergebnis offen lassen, ob die Beklagte bereits mit Schreiben vom 20. September 2007 oder - wovon das Sozialgericht ausgegangen ist - erst mit Schreiben vom 16. Juli 2008 die Versorgung des Klägers mit den Hörgeräten der Marke "microeXtra 100 AZ" insoweit abgelehnt hat, als Ansprüche nur im Rahmen der Festbetragsversorgung bestünden. Ein Anspruch kommt in beiden Fällen bereits deswegen nicht in Betracht, weil die Entscheidung der Beklagten rechtmäßig ist.

Rechtsgrundlage des primär verfolgten Leistungsanspruchs ist § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, wenn sie erstens nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V aus der Versorgung ausgeschlossen und zweitens im Einzelfall erforderlich sind, um entweder den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Demgemäß besteht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Anspruch auf Hörhilfen, soweit sie im Rahmen des Notwendigen und Wirtschaftlichen (§ 12 Abs. 1 SGB V) für den von der Krankenkasse geschuldeten Behinderungsausgleich erforderlich sind.

Der unstreitig bestehende grundsätzliche Anspruch des Klägers auf Hörhilfen wird hier durch das Wirtschaftlichkeitsgebot begrenzt. Nach § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Die hier geltende und auf § 36 SGB V beruhende Festbetragsregelung stellt eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar, die zwar nicht zur Einschränkung des Leistungskatalogs berechtigt, wohl aber zur Leistungsbegrenzung im Hinblick auf die Kostengünstigkeit der Versorgung (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - Az: B 3 KR 20/08 R, nach juris Rn. 28). Eine solche Festbetragsregelung ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 17. Dezember 2002 - Az.: 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95, nach juris).

Grundsätzlich genügt die Krankenkasse ihrer Leistungspflicht im Geltungsbereich einer Festbetragsfestsetzung durch den und bis zu dem jeweiligen Festbetrag. Demgemäß erfüllt sie ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag, wenn für eine Leistung ein solcher festgesetzt ist. Eine Festbetragsfestsetzung ist aber nicht rechtmäßig und dann unbeachtlich, wenn eine objektiv ausreichende Versorgung zum Festbetrag unmöglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - Az: B 3 KR 20/08 R, nach juris Rn. 30). Objektiv ausreichend ist der Festbetrag, wenn die Vergütung - von atypischen Ausnahmefällen abgesehen - die erforderliche Versorgung prinzipiell jedes betroffenen Versicherten abdeckt (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 32). Maßgebend für die gerichtliche Beurteilung des Festbetrages in tatsächlicher Hinsicht ist der Versorgungsbedarf, wie er von dem zu entscheidenden Einzelfall ausgehend für jeden Betroffenen in vergleichbarer Lage allgemein besteht. Maßgeblich ist insoweit nicht die Möglichkeit der ausreichenden Versorgung im konkreten Einzelfall, sondern die ausreichende Bemessung des Festbetrages zur Erfüllung des Versorgungsbedarfes, wie er sich in diesem Rechtsstreit allgemein darstellt (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 37).

Der Senat kann offen lassen, ob die Festbetragsregelung im Allgemeinen rechtmäßig ist. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, stünde dem Kläger kein weitergehender Anspruch zu, da zumindest er nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. G.-L. mit Festbetragshörgeräten ausreichend versorgt gewesen wäre, auch wenn eine Anpassung durch den Hörgeräteakustiker tatsächlich nicht erfolgt ist. Der Kläger weist keine Besonderheiten in Bezug auf das Hörvermögen bzw. die Anatomie der Ohren auf, die einer Versorgung mit Festbetragsgeräten entgegenstehen. Auch ist unter Berücksichtigung der Hörkurven des Klägers eine ausreichende Verbesserung des Einsilberverständnis bei 65 Dezibel zu erwarten.

Der Kläger kann letztlich auch keine Ansprüche aus dem Umstand herleiten, dass die Beklagte auf ihrer Internetseite angegeben hat, dass eine Zuzahlung von maximal 10 EUR zu entrichten ist. Es ging hier ersichtlich nur um die reguläre Zuzahlung. Außerdem ergibt sich insbesondere aus dem Schreiben des Klägers vom 11. September 2007, dass ihm sehr wohl bewusst war, dass es einen erheblichen Kostenanteil geben kann, der nicht durch die Beklagte gedeckt wird. Dies hat die Beklagte ihm auch im Schreiben vom 20. September 2007 unmissverständlich mitgeteilt. Ein schutzwürdiges Vertrauen hat bei dem Kläger nicht bestanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R6267


Informationsstand: 07.08.2014