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Urteil
Anspruch auf Kostenerstattung für höherwertige Hörgeräte, die über die medizinische Grundversorgung hinaus gehen - Bestehende Notwendigkeit im spezifischen Beruf

Gericht:

LSG Sachsen 5. Senat


Aktenzeichen:

L 5 R 286/11


Urteil vom:

07.02.2012


Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. März 2011 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder als Krankenbehandlung die Kosten für zwei digitale Mehrkanalhörgeräte mit Störschallunterdrückung, Spracherkennung und weiteren zahlreichen Zusatzfunktionen in Höhe von 5.209,84 Euro abzüglich des von der Krankenkasse bereits geleisteten Festbetrages zu Vertragsarztpreisen in Höhe von 1.212,80 Euro und abzüglich des gesetzlichen Zuzahlungsbetrages in Höhe von 20,00 Euro, mithin einen Betrag in Höhe von 3.997,04 Euro, zu erstatten.

Die Klägerin ist seit 1997 Trägerin von Hörgeräten. Sie arbeitet seit Februar 1997 im berufsständischen Versorgungswerk der Sächsischen Landesärztekammer in D. Sie wurde im Juni 1999 als stellvertretende Leiterin der Abteilung Melde-, Beitrags- und Leistungswesen eingesetzt. Seit Juli 2007 ist sie Abteilungsleiterin in diesem Bereich. In dieser Funktion obliegt ihr die Anleitung und Schulung sowie Dienstberatung der unterstellten, insgesamt 15 Mitarbeiter. Sie trifft telefonische und innerdienstliche Absprachen mit den berufsständischen Versorgungseinrichtungen, nimmt an den Kammerversammlungen der Sächsischen Landesärztekammer teil, gestaltet regelmäßig Workshops mit anderen Versorgungseinrichtungen und führt zahlreiche Dienstberatungen mit der Geschäftsführung durch.

Nachdem ihre bis zum Jahr 2007 genutzten Hörgeräte nicht mehr hinreichend funktionierten, begab sie sich im Januar 2008 zum Hörgeräteakustik-Meister Dipl.-Ing. D. Dieser zeigte gegenüber der beigeladenen Krankenkasse am 8. Februar 2008 an, dass die Klägerin auf eine erneute beidohrige Versorgung mit Hörgeräten angewiesen sei und legte die entsprechenden ton- und sprachaudiometrischen Messergebnisse vor. Die entsprechende ohrenärztliche Verordnung verschaffte sich die Klägerin am 21. April 2008 bei Dr. P (Fachärztin für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde). Anschließend testete sie beim Hörgeräteakustik-Meister im Zeitraum zwischen Januar und November 2008 verschiedene Hörgerätesysteme, darunter zwei Systeme zu Festbeträgen bzw. zu Vertragsarztpreisen.

Am 28. März 2008 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Zuschuss zu den Hörhilfen, da sie diese aus beruflichen Gründen für die sachgerechte Ausübung ihrer Tätigkeit als Leitern der Abteilung Melde-, Beitrags- und Leistungswesen im berufsständischen Versorgungswerk der Sächsischen Landesärztekammer benötige. Der Antrag, dem sie einen Befundbericht von Dr. P vom 21. April 2008 beifügte, ging bei der Beklagten am 29. April 2008 ein. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Mai 2008 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2008 ab und führte zur Begründung aus: Zwar sei eine Hörhilfe aus medizinischen Gründen notwendig, es handele sich aber um eine Leistung der medizinischen Grundversorgung, weil eine über die Basisversorgung hinausgehende Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten nicht wegen besonderer Anforderungen während der Berufsausübung notwendig sei. Die Klägerin benötige bei jedweder Ausübung einer beruflichen Tätigkeit die begehrten Hörhilfen. Ihre konkrete Berufstätigkeit lasse keine spezifische, berufsbedingte Notwendigkeit der höherwertigen Hörgeräteversorgung erkennen.

Nach Abschluss der Test- und Anpassungsphase beim Hörgeräteakustik-Meister erwarb die Klägerin am 14. November 2008 die angepassten Hörgeräte der Marke "Exelia micro" unter Zahlung der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von 20,00 Euro und des nicht von der Beigeladenen übernommenen Anteils in Höhe von insgesamt 3.997,04 Euro. Den Festbetrag in Höhe von 1.212,80 Euro zahlte die Beigeladene am 17. Dezember 2008.

Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2008 erhob die Klägerin am 27. November 2008 Klage zum Sozialgericht Dresden. Das Sozialgericht Dresden hat mit Beschluss vom 17. Juni 2010 die zuständige Krankenkasse der Klägerin beigeladen und am 2. November 2009 und 24. Juni 2010 Auskünfte des Hörgeräteakustiker-Meisters beigezogen, aus denen sich ergibt, dass die Auswahl des konkret erworbenen Hörgerätes durch die Klägerin wegen ihrer Anforderungen im Berufsleben erfolgt sei, dass sie neben zwei zu Vertragsarztpreisen abgegebenen Hörgeräten weitere vier höherwertige Hörgeräte getestet habe und dass das konkret erworbene Modell "Exelia micro" der Marke Phonak ein 20-kanaliges Gerät mit mehrkanaliger WDRC-Lautstärkeregelung und Störgeräuschunterdrückung sei.

Gestützt auf die Auskünfte und Unterlagen des Hörgeräteakustikers und die Angaben der Klägerin hinsichtlich ihrer konkreten Tätigkeit hat das Sozialgericht Dresden mit Urteil vom 23. März 2011 den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die beidseitige Hörgeräteversorgung mit den Hörgeräten der Marke "Exelia micro" Kosten in Höhe von 3.997,04 Euro zu erstatten, und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin sei als Abteilungsleiterin im berufsständischen Versorgungswerk der Sächsischen Landesärztekammer auf die angeschafften Hörgeräte angewiesen, sodass die Beklagte die höherwertige Hörgeräteversorgung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die Krankenkasse grundsätzlich für die Grundversorgung mit medizinischen Hilfsmitteln zuständig sei und die von der Beigeladenen gewährte Kostenpauschale in Höhe von 1.192,80 Euro im Falle der Klägerin nicht dazu ausreiche, den konkreten Höranforderungen an den Arbeitsplatz der Klägerin zu genügen. Da allein wegen der konkreten Bedingungen am Arbeitsplatz der Klägerin eine Versorgung mit über die von der Beigeladenen bewilligte Grundversorgung hinausgehende Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten erforderlich sei, habe die Beklagte die über die Kostenpauschale hinausgehende Versorgung zu gewähren. Die gewählte Hörgeräteversorgung sei geeignet den Hörverlust der Klägerin auf ihre Arbeitsstelle zu 95 Prozent auszugleichen. Die Tatsache der zwischenzeitlichen Beschaffung der Hörgeräte durch die Klägerin stehe einer Kostenerstattung durch die Beklagte nicht entgegen, weil die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Zwar stehe die Art und Weise der Hörgeräteversorgung im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten. Im vorliegendem Falle liege jedoch eine Ermessungsreduzierung auf Null vor, da die Beklagte sich sowohl der Ausübung des ihr zustehenden Ermessens als auch der sie treffenden Beratungspflicht hinsichtlich der Auswahl eines geeigneten, notwendigen, aber auch ausreichenden Hilfsmittel gänzlich verweigert habe. Im Übrigen gehe aus den Auskünften des Hörgeräteakustikmeister-Meisters Dipl.-Ing. D hervor, dass die Klägerin auf die konkret beschafften Hörgeräte mit den Funktionen einer mehrkanaligen Störgeräuscheunterdrückung, eines adaptiven Richtmikrofons, mehrere Hörprogramme, einer aktiven Rückkopppelungsunterdrückung und eines Ohrpassstückes mit Zusatzbohrung angewiesen sei.

Gegen das ihr am 7. April 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Mai 2011 Berufung eingelegt, mit der sie die Abweisung der Klage weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie aus: Das Sozialgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob Hörgeräte im Rahmen der von der Beigeladenen gewährten Kostenpauschale zur Realisierung der elementaren Grundbedürfnisse der Klägerin genügen würden. Unter Berücksichtigung des spezifischen Rehabilitationsauftrages der Rentenversicherung könne eine besondere über die Grundversorgung der Krankenversicherung hinausgehende Hörgeräteausstattung Gegenstand einer Hilfsmittelversorgung durch die Rentenversicherung nur sein, wenn ein Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung nur für einen bestimmten Arbeitsplatz bzw. nur für eine spezielle Form einer Berufsausübung erforderlich sei und dieses Hilfsmittel bei anderweitiger beruflicher Tätigkeit nicht benötigt werde. Die Klägerin sei bei der vorliegenden Kommunikationssituation jedoch bei jeder beruflichen Tätigkeit und auch im Alltag auf das Tragen von Hörgeräten angewiesen, weshalb eine Leistungspflicht der Rentenversicherung nicht bestehe. Hörgeschädigte hätten Anspruch auf einen vollständigen Behinderungsausgleich nach dem Stand der Medizintechnik durch die Krankenversicherung. Dazu gehöre in jedem Fall eine Hörgeräteausstattung, die es ermögliche, Gesprächspartner fehlerfrei zu verstehen. Die Festbeträge der Beigeladenen würden deren Leistungspflicht nicht begrenzen, wenn sie für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreichen würden. Das Sozialgericht habe auch nicht festgestellt, zu welchem Zeitpunkt sich die Klägerin bereits an die Krankenkasse gewandt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. März 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, ist jedoch der Ansicht, dass sowohl das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. März 2011 als auch der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2008 wegen formeller Unzuständigkeit der Beklagten aufzuheben wären. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass sie nur zur Bewilligung der Festbeträge verpflichtet sei. Dieser Pflicht sei sie nachgekommen.

Das Gericht hat die bei der Beigeladenen vorhandenen Unterlagen beigezogen und ein Gutachten auf otologischem Fachgebiet von Dr. F (Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde und Audiologie) am 10. November 2011 erstellen lassen.

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Dresden Urteil vom 23.03.2011 - S 26 R 1696/08

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil das Sozialgericht Dresden die Beklagte im Ergebnis und mit unzutreffender Begründung zu Unrecht verurteilt hat. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2008 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der Klägerin hat weder gegenüber der Beklagten noch gegenüber der Beigeladenen einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die höherwertigen, bereits beschafften, Hörgeräte. Die Ermittlungen ergaben, dass der Anspruch der Klägerin auf Kostenübernahme mit den von der Beigeladenen am 17. Dezember 2008 geleisteten Zahlungen zu "Vertragsarztpreisen/Festbeträgen" in Höhe von 1.212,80 Euro bereits vollständig erfüllt ist.

I. Zunächst ist - ohne dass es hierauf jedoch entscheidungserheblich ankäme - darauf hinzuweisen, dass - insoweit entgegen den Begründungen und Ausführungen der Beklagten im Berufungsschriftsatz vom 30. Mai 2011 und im Schriftsatz vom 1. August 2011 - vorliegend kein Fall der Verschiebung der sachlichen Zuständigkeit infolge der §§ 14, 15 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) vorliegt, weil "erstangegangener Leistungsträger" hier die beigeladene Krankenkasse ist. Bei ihr ging die Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustik-Meisters am 8. Februar 2008 ein (Bl. 129a bis 129 c der Gerichtsakte = Bl. 3 bis 1 der Verwaltungsakte der Beigeladenen); bei der Beklagten ging der Antrag auf Hörgeräteversorgung erst am 29. April 2008 ein (Bl. I bis II der Verwaltungsakte der Beklagten). Damit sind im vorliegenden Fall die vom erkennenden Senat nunmehr in ständiger Rechtsprechung erkannten Grundsätze (vgl. Urteile vom 5. April 2011 im Verfahren L 5 R 28/08, vom 19. April 2011 im Verfahren L 5 R 48/08, vom 23. August 2011 im Verfahren L 5 R 766/10, vom 4. Oktober 2011 im Verfahren L 5 R 228/11, vom 4. Oktober 2011 im Verfahren L 5 R 132/11 und vom 15. November 2011 im Verfahren L 5 R 445/11; sämtlichst abrufbar sowohl über www.juris.de als auch über www.sozialgerichtsbarkeit.de) nicht übertragbar. Die Versorgungsanzeige des Akustikers gegenüber der Krankenkasse, die dieser namens und im Auftrag der Klägerin mit der Bitte um Bewilligung einreicht, ist als Sozialleistungsantrag zu bewerten, der mit Eingang bei der Krankenkasse anhängig ist (so zutreffend: LSG Berlin/Brandenburg, Urteil vom 25. November 2010 - L 31 R 37/10 - JURIS-Dokument, Rn. 30). Darauf, ob dieser Antrag "vollständig" war und ob die Beigeladene diesem Antrag entnehmen konnte, dass eine über den Festbetrag hinausgehende Versorgung begehrt war, kommt es - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht an (so zutreffend: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. September 2011 - L 4 R 56/10 - JURIS-Dokument, Rn. 33), weil die Beigeladene mit der Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers unmissverständlich davon unterrichtet wird, dass die Klägerin eine Versorgung mit Hörgeräten wünscht und sich der Umfang der Hörgeräteversorgung nicht nach dem Antrag sondern nach Maßgabe der rechtlichen Bestimmungen richtet (§ 40 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch [SGB I]). Als Antrag sind alle Begehren um Leistungen zu verstehen, mit dem ein Antragsteller dem Antragsgegner gegenüber zum Ausdruck bringt, eine Sozialleistung in Anspruch nehmen zu wollen. Soweit die Klägerin - wie sie im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 9. Januar 2012 ausführen ließ - anderer Ansicht ist, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen: Zwar ist der Hörgeräteakustiker als von der Beigeladenen eingeschalteter oder im Vorfeld beauftragter Leistungserbringer keine zur Entgegennahme von Sozialleistungsanträgen befugte Stelle; nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I sind lediglich alle anderen Leistungsträger, alle Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch die amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zur Entgegennahme von Sozialleistungsanträgen befugte Stellen. Der Hörgeräteakustiker ist daher lediglich als Erklärungsbote oder Erklärungsvertreter des Versicherten hinsichtlich der Weiterleitung des Antrages, nicht jedoch als Empfangsbote oder Empfangsvertreter der Krankenkasse anzusehen. Auch wenn in der Übergabe der ohrenärztlichen Verordnung an den Hörgeräteakustiker ein Sozialleistungsantrag zu erblicken sein sollte, entfaltet dieser erst mit der Weiterleitung und dem Eingang bei der Krankenkasse als dem zuständigen Leistungsträger (§ 16 Abs. 1 Satz 1 SGB I) oder bei den in § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I genannten Stellen Rechtswirkungen, wenn das Versorgungsbegehren hinreichend deutlich wird. Dies ergibt sich auch aus dem "Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker KdöR (BIHA) und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. und dem Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V (VdAK/AEV)". Nach § 4 Nr. 1 Satz 2 und 3 sowie Anlage 2 dieses Vertrages wird mit der Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers gegenüber der Krankenkasse mitgeteilt, dass ein bestimmter Versicherter eine Hörgeräteversorgung begehrt und um "Zustimmung" der Versorgung bittet. Mit dem Eingang dieser Versorgungsanzeige bei der Krankenkasse liegt daher ein Antrag beim zuständigen Leistungsträger vor, über den allein die Krankenkasse entscheidet, ohne die erbetene "Zustimmung" zur Hörgeräteversorgung an den Hörgeräteakustiker in irgendeiner Form im Vorfeld delegiert zu haben (vgl. dazu zutreffend: LSG Berlin/Brandenburg, Urteil vom 25. November 2010 - L 31 R 37/10 - JURIS-Dokument, Rn. 30). Die Versorgungsanzeige erfüllt alle Voraussetzungen eines Sozialleistungsantrages. Schließlich ist diese Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers von der Beigeladenen auch tatsächlich als Antrag aufgefasst worden. Denn die Beigeladene hat auf die Anzeige hin letztlich mit der Zahlung des Festbetrages eine Leistung erbracht, die antragsabhängig war (vgl. § 19 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch).

II. Gegenüber der Beklagten besteht kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die höherwertigen Hörgeräte, weil die höherwertigen digitalen Hörgeräte nicht ausschließlich aus spezifisch beruflich bedingten Gründen erforderlich waren, da keine besondere berufliche Betroffenheit bei der Klägerin gegeben ist:

Die von der Beklagten im Verfahren mehrfach in den Vordergrund gestellte Frage hinsichtlich der Abgrenzung des Umfangs der Leistungspflicht zwischen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung beantwortet sich nach der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG wie folgt: Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit hat der in § 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) genannte Zweck (ebenso auch: § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) für die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gebotene Hilfsmittelversorgung zwei Ebenen. Im Vordergrund steht der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, Rn. 15).

Ausschließlich berufliche und arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile sind demgemäß für die Hilfsmittelversorgung nach dem SGB V grundsätzlich unbeachtlich. Ist ein Versicherter für die Anforderungen des allgemeinen Alltagslebens ausreichend versorgt, kommt es auf etwaige zusätzliche Nutzungsvorteile im Erwerbsleben für die Beurteilung eines sich aus § 33 SGB V ergebenden Leistungsanspruchs gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse nicht an (BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, Rn. 16-17; im Grundsatz ebenso wohl auch: BSG, 5. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 22-24). Spezifische (objektivierbare) Nutzungsvorteile im Erwerbsleben können allerdings, vorbehaltlich einer durch § 14 Abs. 2 SGB IX bewirkten Zuständigkeitsverlagerung, den Rentenversicherungsträger dazu verpflichten, im Rahmen der medizinischen Rehabilitation (und gegebenenfalls im Ermessenswege) berufsbedingte Mehrkosten für ein einheitliches Hilfsmittel zu übernehmen (BSG, 13. Senat, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 41-45). Die Versorgung mit Hörgeräten dient grundsätzlich dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, weil dadurch das allgemeine Grundbedürfnis des täglichen Lebens in Form des Hörens befriedigt wird.

Nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX in Verbindung mit § 16 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) gehört zu den Rehabilitationsleistungen der Rentenversicherungsträger auch die Übernahme von Kosten für Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sind, es sei denn, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht oder solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können. Auch medizinische Hilfsmittel können dabei als Teilhabeleistungen erbracht werden. Die Abgrenzung zwischen dem Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits hat - wie erwähnt - danach zu erfolgen, ob das Hilfsmittel dem medizinischen Ausgleich der Behinderung dient oder ob es ausschließlich für Verrichtungen bei bestimmten Berufen oder Berufsausbildungen benötigt wird.

Im Fall der Klägerin steht auf Grund der im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen, insbesondere auf Grund des bei Dr. F eingeholten Gutachtens auf otologischem Fachgebiet vom 10. November 2011 fest, dass die digitalen Hörgeräte nicht ausschließlich zum Ausgleich einer Behinderung für eine bestimmte oder die spezielle Berufsausübung der Klägerin erforderlich sind, sondern generell für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit und auch für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben notwendig sind. Eine Notwendigkeit, gerade die streitgegenständlichen Hörhilfen sich ausschließlich aus beruflichen Gründen anzuschaffen, bestand nicht. Die Klägerin mag - ihren subjektiven Bekundungen entsprechend - mit den Hörgeräte vom Typ "Phonak Exelia micro" an ihrem konkreten Arbeitsplatz am Besten zu Recht kommen. Medizinisch objektivierbare Nutzungs- und Gebrauchsvorteile ausschließlich dieser Hörgeräte für die konkrete Berufstätigkeit ließen sich allerdings nicht objektivieren; vielmehr gelangte Dr. F sogar zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin gewählten Geräte für die konkrete Schwerhörigkeit im Sinne einer Optimalversorgung überdimensioniert sind. Hinzukommt, dass ausgehend von der, von der Klägerin konkret verrichteten Tätigkeit die von ihr dabei zu leistende Kommunikation, sei es über persönliche Gespräche, Schulungen, Dienstberatungen, workshop-Teilnahmen oder Telefonate, nicht auf ihren konkreten Arbeitsplatz beschränkt ist, vielmehr findet sie in gleicher oder ähnlicher Form auch in den meisten anderen beruflichen Tätigkeiten statt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin ausschließlich in ihrer konkreten beruflichen Tätigkeit auf eine besondere bzw. spezielle Hörfähigkeit - wie etwa bei akustischen Kontroll- oder Überwachungsarbeiten oder beim feinsinnigen Unterscheiden zwischen bestimmten Tönen und Klängen - angewiesen wäre. Telefonate, Mehrpersonengespräche, Teilnahme an Besprechungen und Beratungen und Verständigung unter Störgeräuschen gehören nahezu zu jeder beruflichen Tätigkeit. Störschall tritt auch in vielen Bereichen des täglichen Lebens, sei es im Straßenverkehr, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Einkaufs- und kulturellen Einrichtungen, auf.

III. Gegenüber der Beigeladenen besteht ebenfalls kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die höherwertigen Hörgeräte, weil die höherwertigen digitalen Hörgeräte nicht notwendig sind um das Ausmaß und die Schwere der Hörstörung auszugleichen:

Im Krankenversicherungsrecht hat der Versicherte nach §§ 11 Abs. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen. Ist eine bestimmte Hörhilfe notwendig im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung, so hat der Versicherungsträger die Hörhilfe - von Zuzahlungen abgesehen - in vollem Umfang zu gewähren. Dieser Grundsatz gilt aber nur, wenn eine gegenüber den Festbetragsgeräten höherwertige Hörmittelversorgung medizinisch notwendig ist. Denn grundsätzlich erfüllt die Krankenkasse mit der Zahlung des Festbetrags ihre Leistungspflicht (vgl. § 12 Abs. 2 SGB V). Der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag, der eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots darstellt, begrenzt die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht (dazu ausführlich: BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, Rn. 23-41 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass ein solcher Behinderungsausgleich bei der Klägerin mit Hörgeräten zum festgelegten Festbetrag/zu Vertragsarztpreisen im Sinne mehrkanaliger Hörgeräte der Gruppe 3 zu erreichen ist, weil Geräte dieser Festbetragsgruppe ausreichend und zweckmäßig sind. Dies ergibt sich aus den Ausführungen von Dr. F im eingeholten Gutachten auf otologischem Fachgebiet vom 10. November 2011. Die bei der Klägerin vorhandene beidseitige, mittel- bis hochgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit indiziert zwar Hörgeräte nach den Heil- und Hilfsmittelrichtlinien. Die Art der Hörstörung mit annähernd symmetrischer mediocochleärer Innenohrschwerhörigkeit, mit voller bzw. nahezu voller Einsilberverständlichkeit unterhalb der Unbehaglichkeitsgrenze und mit, auch vom Hörgeräteakustiker bestätigter, nur in mäßigem Umfang eingeschränkter und gleichmäßiger Resthördynamik, stellt jedoch lediglich eine normale Versorgungssituation für Hörgeräte dar. Es liegt bei der Klägerin also gerade kein Fall einer schwierigen Hörgeräteversorgung (z.B. an Taubheit grenzende Hörstörung, Hörkurvensteilabfälle, bleibende größerer Einsilbenverstehverluste, frequenzabhängige sehr schwierige Resthördynamik) vor. Die von der Klägerin gewählten Geräte mit 20 Kanälen, fünf Programmen und den zahlreichen Zusatzfunktionen (SoundFlow Premium, VoiceZoom, WhistleBlock Technologie, NoiseBlock System, EchoBlock System, WindBlock Management, SoundRelax, Real Ear Sound, EasyPhone, EasyFM, QuickSync) sind objektiv überdimensioniert. Die Art und das Ausmaß der Hörstörung der Klägerin erfordern lediglich Hörgeräte mit drei bis sechs variabel programmierbaren Verstärkerkanälen, mit drei bis vier Programmen, mit automatischem oder adaptivem Richtmikrofon, mit einer Störgeräuschunterdrückung und mit Spracherkennung. Soweit Dr. F , darüber hinausgehend, ausführte, für das Arbeitsleben in Leitungsfunktionen seien die Handytauglichkeit und ein extra Telefonprogramm (sog. 4. Kanal) nützlich, folgt daraus keine andere Wertung, weil er eine medizinische Notwendigkeit nicht bestätigen konnte und im Übrigen ausführte, dass auch keine ausreichenden Untersuchungsverfahren für die notwendige objektive Validierung des Nutzens gewählter und gewünschter Zusatzfunktionen existieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R3982


Informationsstand: 05.09.2012