Urteil
Kostenübernahme für eine behinderungsgerechte Küche

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen


Aktenzeichen:

L 12 AL 202/03


Urteil vom:

07.01.2004


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.07.2003 abgeändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten des Klägers für eine behindertengerechte Küche übernehmen muss.
Der 1967 geborene Kläger leidet an einer progredienten cerebellären Ataxie bei degenerativem Kleinhirnprozess und ist daher an den Rollstuhl gebunden.

Im Rahmen der Arbeits- und Berufsförderung Behinderter förderte die Beklagte eine Ausbildung des Klägers zum Büropraktiker. Zudem wurden die Kosten für den Erwerb eines Führerscheins übernommen und Leistungen zum Erwerb eines behindertengerechten Fahrzeugs erbracht. Seit Oktober 1990 ist der Kläger als Verwaltungsangestellter beschäftigt.

Im Januar 2002 beantragte der Kläger bei der FürsorgesteIle der Stadt E die Übernahme der Kosten für die Schaffung einer rollstuhlgerechten Küche. Er legte einen Kostenvoranschlag vom 14.01.2002 vor, wonach ein Umbau der vorhandenen Küche unter wirtschaftlichen Aspekten nicht möglich sei. Die Kosten für den Einbau einer behindertengerechten Küche wurden auf 14.597, 70 Euro veranschlagt. Die Stadt E hielt die Zuständigkeit des Arbeitsamts für gegeben und übersandte den Antrag der Beklagten. Mit bindendem Bescheid vom 04.02. 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die beantragte Leistung nicht im Zusammenhang mit einer beruflichen Eingliederung stehe. Die rollstuhlgerechte Küche sei nicht erforderlich, um die Erwerbstätigkeit des Klägers zu erhalten oder zu bessern.

Mit Schreiben vom 22.08.2002 beantragte der Kläger erneut die Kostenübernahme für die Anschaffung einer behindertengerechten Küche. Er teilte mit, dass sich seine Situation geändert habe, da seine Frau sich von ihm getrennt habe und aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei, so dass er für seine Ernährung, die im Wesentlichen der Erhaltung seiner Arbeitskraft diene, selbst sorgen müsse.

Mit Bescheid vom 27.08.2002 lehnte die Beklagte auch diesen Antrag ab.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er meinte, dass eine behindertengerechte Küche im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit stehe. Ohne eine angemessene Ernährung sei er nicht in der Lage, seine Arbeit zu verrichten. Vor Inkrafttreten des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) habe die Hauptfürsorgestelle die Finanzierung eines ähnlichen Umbaus übernommen. Nunmehr liege die Zuständigkeit bei der Bundesanstalt für Arbeit. Es gebe keinen Hinweis, dass solche Umbaumaßnahmen nicht zu den Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben zählten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung nahm sie im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid vom 04.04.2002 Bezug. Durch die Trennung von der Ehefrau habe sich die Rechtslage nicht geändert. Das Berufsleben werde dadurch nicht berührt.

Dagegen hat der Kläger am 31.10.2002 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben.

Er hat beantragt,

den Bescheid vom 27.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Anschaffung einer behindertengerechten Küche zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 18.07.2003 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten für die Anschaffung einer behindertengerechten Küche seien erfüllt. Die Erbringung besonderer Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei erforderlich, da die allgemeinen Leistungen
(§§ 45 ff. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - SGB III -) die für den Kläger konkret erforderliche Leistung nicht vorsähen. Die Lebenssituation des Klägers, der an den Rollstuhl gebunden ist, erfordere die Erbringung einer besonderen Leistung im Sinne des § 33 Abs. 8 Nr. 6 SGB IX.
Die Anschaffung einer rollstuhlgerechten Küche sei erforderlich, um die Erwerbsfähigkeit des Klägers zu erhalten und seine Teilhabe am Arbeitsleben auf Dauer zu sichern. Der Beklagten sei zwar zuzugeben, dass im Rahmen ihrer Zuständigkeit die berufliche Eingliederung im Vordergrund stehe und die von ihr zu erbringenden Leistungen in ihrem spezifischen Systemzusammenhang eingebunden seien. Insofern könnten Zweifel bestehen, ob eine rollstuhlgerechte Küche erforderlich sei, um die Erwerbsfähigkeit des Klägers zu erhalten. So wie beispielsweise die Ausstattung einer Wohnung mit einem Fahrstuhl oder speziellen sanitären Einrichtungen für die Erhaltung eines Arbeitsplatzes notwendig sein könne (vgl. Oppermann in: Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts § 5 Rdnr. 217), sei im Fall des Klägers nach Überzeugung der Kammer die behindertengerechte Ausstattung der Küche für den Erhalt des Arbeitsplatzes erforderlich. Durch die Trennung von seiner Ehefrau sei für ihn eine Situation entstanden, die die Anschaffung einer behindertengerechten Küche erforderlich mache, um selbständig seine Ernährung - die Grundvoraussetzung für den Erhalt der Erwerbstätigkeit ist - sicherstellen zu können. Diese Trennung sei bei der Entscheidung zu berücksichtigen, da die individuelle Lebenssituation der Betroffenen maßgebend sei(vgl. Schimanski in: GK-SGB IX § 1 Rdnr. 25).
Derzeit werde der Kläger von seiner Mutter und von Freunden versorgt, da eine selbständige Versorgung mit der vorhandenen Küche nicht möglich sei. Diese Situation sei für den Kläger nicht zumutbar. Gemäß § 1 SGB IX erhielten behinderte Menschen Leistungen nach dem SGB IX und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben und in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegen zu wirken. Ziel sei es damit, den behinderten Menschen eine eigenverantwortliche menschenwürdige Führung ihres Lebens zu ermöglichen (vgl. Schimanski, a.a.O., § 1 Rdnr. 2, 24). Durch den Einbau einer behindertengerechten Küche werde dem Kläger ermöglicht, sein Leben möglichst eigenverantwortlich und menschenwürdig zu gestalten, da er nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen sei. Es sei angemessen, dass die komplette Anschaffung einer rollstuhlgerechten Küche gefördert werde. Dem vom Kläger eingereichten Kostenvoranschlag sei zu entnehmen, dass der Umbau der vorhandenen Küche unter wirtschaftlichen Aspekten nicht mehr sinnvoll sei.

Das Urteil ist der Beklagten am 08.08.2003 zugestellt worden. Am 25.08.2003 hat sie dagegen Berufung eingelegt, die sie wie folgt begründet: Der Kläger begehre Leistungen nach § 33 Abs. 8 Ziffer 6 SGB IX. Diese Leistungen im Rahmen der Wohnungshilfe würden jedoch nicht generell gewährt, sondern nur als Teil der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Förderrahmen der Beklagten beschränke sich ausschließlich auf die durch die Berufsausübung bzw. Erreichung des Arbeitsplatzes ausgelöste Bedarfslage. Die Leistungen seien darauf ausgerichtet die behinderungsbedingten Erschwernisse auszugleichen, die sich auf die Teilhabe am Arbeitsleben auswirkten. Sie sollten vor allem die Möglichkeit schaffen, den Arbeitsplatz möglichst barrierefrei und selbständig zu erreichen. Voraussetzung sei somit, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Arbeitstätigkeit und der Notwendigkeit dieser spezifischen Hilfen vorliege. Eine allgemeine Wohnungsfürsorge, ohne dass diese mit der Beschäftigung im Zusammenhang steht, könne aus Mitteln der Beklagten nicht erbracht werden. Diese Maßnahmen seien im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ggf. nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.07.2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend und verweist nochmals darauf, dass die Zubereitung von Speisen in einer nicht behindertengerechten Küche so viel Zeit und Kraft erfordere, dass eine vollschichtige Tätigkeit in seinem Beruf unmöglich werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Rechtsweg:

SG Dortmund Urteil vom 18.07.2003 - S 37 AL 257/02 -
BSG Urteil vom 26.10.2004 - B 7 AL 16/04 R -

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagen ist zulässig und auch begründet.

Zwar hat das SG die Klage zu Recht für zulässig erachtet, obwohl der Kläger keinen bezifferten Leistungsantrag gestellt hat. Es konnte auf den entsprechenden Antrag des Klägers ein Grundurteil ergehen, denn der Kostenvoranschlag vom 14.01.2002, der die konkreten Kosten des Umbaus der Küche beziffert, dürfte überholt sein.

Die Klage ist aber entgegen der Auffassung des SG unbegründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 27.08. 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2002 nicht in seinen Rechten im Sinne des § 54 Abs . 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt, denn dieser Bescheid ist rechtmäßig. Es besteht kein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Anschaffung und den Einbau einer behinderungsgerechten Küche.

Zwar gehört gem. § 33 Abs. 8 Nr. 6 SGB iVm § 33 Abs. 1 und 3 SGB IX auch die Übernahme von Kosten der Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behinderungsgerechten Wohnung im angemessenen Umfang zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, für die die Beklagte nach den §§ 5 Nr. 2, 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX zuständig ist.

Allgemeine Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist jedoch gem § 33 Abs. 1 SGB IX, dass die Leistung erforderlich ist, um die Erwerbsfähigkeit des behinderten Menschen entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und seine Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Dies bedeutet, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Arbeitstätigkeit und Notwendigkeit der Leistung bestehen muss. Ein solcher Zusammenhang ist nach Auffassung des Senats nur dann gegeben, wenn eine Wohnung nicht zur Verfügung steht oder ihre Nutzung insgesamt gefährdet ist. Nur dann besteht nämlich die Gefahr, dass die Erwerbstätigkeit nicht weiter verrichtet werden kann, falls die Arbeitsstelle für den behinderten Menschen - auch von einer alternativen Wohnstätte aus - nicht zumutbar zu erreichen ist. Für diese eingrenzende Auslegung spricht im Übrigen, dass durch die Neuregelung im SGB IX die Regelung in § 114 SGB III abgelöst worden ist. § 114 SGB III regelte die Übernahme von Wohnkosten im Zusammenhang mit der Kfz-Hilfe und ermöglichte diese Übernahme neben der Kfz-Hilfe nur in Ausnahmefällen (vgl. dazu Lauterbach in Gagel, Vor § 114 SGB III, Rdnr. 1 f, 8). Die Übernahme von Wohnkosten sollte also nach dieser alten Regelung nur im Hinblick auf die Erreichbarkeit einer Arbeitstelle in Betracht kommen. Es ist nicht ersichtlich, dass durch das SGB IX insoweit eine Leistungserweiterung beabsichtigt gewesen sein könnte, zumal Wohnkosten in einem weiteren Umfang auch im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 55 SGB IX) übernommen werden können. In diesem Rahmen wäre im Übrigen auch die vom SG angesprochene individuelle Lebenssituation des Klägers zu würdigen.

Vorliegend besteht keine Gefährdung der Erwerbstätigkeit dadurch, dass der Kläger seine Wohnung nicht mehr nutzen könnte. Die erschwerte Nutzung der Küche schließt nämlich die Nutzung der Wohnung nicht aus, so dass der Kläger seinen Arbeitsplatz auch in Zukunft erreichen kann. Es ist auch keine Gefährdung der Fähigkeit des Klägers am Arbeitsleben teilzunehmen darin zu sehen, dass er nicht selbst kochen kann. Es bestehen zahlreiche alternative Möglichkeiten sich zu verpflegen, beispielsweise in einer Kantine, in Gaststätten oder durch Dienste, die Essen bringen. Es dürfte auch eine Vielzahl Erwerbstätiger geben, die nie selbst kochen, weil sie keine Möglichkeit dazu haben, beispielsweise jene, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht oder auf eine doppelte Haushaltsführung angewiesen sind.

Schließlich ist mit Blick auf die Rechtsprechung zur Unfallversicherung darauf hinzuweisen, dass die Nahrungsaufnahme im Allgemeinen als eigenwirtschaftliche Tätigkeit angesehen wird, also dem privaten Interesse des Versicherten zuzurechnen ist (vgl Kasseler Kommentar-Ricke, § 8 SGB VII Rdnr. 41, 72 mwN). Sie dient eben nicht allein oder überwiegend der Erhaltung der Arbeitskraft, sondern entspringt einem elementaren Grundbedürfnis. Auch aus diesem Grunde erscheint hier eine Förderung durch die Beklagte nicht gerechtfertigt.

Nach alledem ist es unverständlich, dass die Stadt E die Zuständigkeit der Beklagten angenommen und nicht selbst darüber entschieden hat, ob dem Kläger eine Wohnungshilfe im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gewährt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, weil der Streitsache grundsätzliche Bedeutung zukommt im Hinblick auf die Abgrenzung der Zuständigkeiten verschiedener Leistungsträger.

Referenznummer:

R/R2840


Informationsstand: 22.02.2008