Urteil
Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung auf Versorgung mit einer Lichtsignalanlage

Gericht:

LSG Niedersachsen-Bremen


Aktenzeichen:

L 1 KR 201/07


Urteil vom:

25.02.2005


Pressemitteilung:

Eine hochgradig schwerhörige Versicherte hat einen Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung auf Versorgung mit einer Lichtsignalanlage für den Einsatz in ihrer häuslichen Wohnung.

Der 1. Senat des Landessozialgerichts hat eine gesetzliche Krankenkasse in einem kürzlich entschiedenen Fall dazu verpflichtet, bei einer Klägerin die Kosten für eine solche Anlage zu übernehmen, mit der die akustischen Signale von Telefonanlage und Türklingel in Lichtsignale und Vibrationen umgewandelt und damit auch von Gehörlosen wahrgenommen werden können. Die Krankenkasse hatte sich zunächst geweigert mit Hinweis darauf, dass es sich bei der Anlage um eine technische Hilfe zur Anpassung des Wohnumfeldes und nicht um ein Hilfsmittel der Gesetzlichen Krankenversicherung handele.

Das Landessozialgericht hat dieser Ansicht widersprochen und in seinem Urteil ausgeführt, dass die Lichtsignalanlage eine technische Hilfe darstellt, die mit dem Wohngebäude nicht fest verbunden ist, sondern aus beweglichen Einzelteilen (Blitzlampen, Kabel, Vibrationskissen, Sender) besteht, die jederzeit von ihrer Verbindung mit Telefonanlage und Türklingel wieder gelöst werden können und damit zum Ausgleich der Behinderung eines Schwerhörigen in jeder Wohnung geeignet sind. Dieses Hilfsmittel war im konkreten Fall zum Ausgleich der Behinderung der Klägerin auch erforderlich, da es deren gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich fördert. Zur selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung gehört es, so das Landessozialgericht weiter, bestimmten Personen wie Bekannten oder Ärzten jederzeit und selbstständig Einlass gewähren zu können. Die Klägerin könne deshalb auch nicht darauf verwiesen werden, ihre Tür dauerhaft offen stehen zu lassen oder andere Personen mit einem Wohnungsschlüssel auszustatten.

In einem weiteren Fall hat das Landessozialgericht mit Urteil vom gleichen Tage (L 1 KR 151/08) einer gehörlosen Versicherten, die bereits mit einer Lichtsignalanlage ausgestattet ist, die Versorgung mit einer Gehörlosennotrufanlage zugebilligt. Die Klägerin in diesem Verfahren leidet zugleich an einer neurologischen Erkrankung unklarer Ursache mit schweren Gang- und Standunsicherheiten. Ihrem ebenfalls gehörlosen Ehemann kann sich die Klägerin ohne die Notrufanlage bei auftretenden Stürzen nicht bemerkbar machen. Die Notrufanlage überträgt als Erweiterungsset zur Lichtklingelanlage einen Notruf per Funk an einen transportablen Funkempfänger, der diesen durch Lichtblitze und/ oder Vibration wiedergibt. Das Landessozialgericht hat auch in diesem Falle entschieden, dass es sich um ein erforderliches Hilfsmittel im Sinne der Gesetzlichen Krankenversicherung handelt, das dem Ausgleich der Behinderung der Versicherten dient und ihr eine möglichst selbstständige Lebensführung ermöglicht.

In beiden Fällen hat das Landessozialgericht die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen.

Rechtsweg:

SG Aurich, Urteil vom 31.05.2007 - S 8 KR 21/06
BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 3 KR 5/09 R

Quelle:

Justizportal des Landes Niedersachsen

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 31. Mai 2007 und die Bescheide der Beklagten vom 27. Dezember 2005 und 27. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2006 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die Lichtsignalanlage gemäß Kostenvoranschlag der Firma Hörgeräte Kurz vom 22. Dezember 2005 zu übernehmen.

Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine Lichtsignalanlage. Die am 3. Februar 1963 geborene Klägerin leidet an einer hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit bds. Eine ausreichende Wahrnehmung akustischer Signale ist nach Auskunft des behandelnde Facharztes für Hals-Nasen-Ohren (HNO)- Heilkunde Dr. K., L., trotz der Versorgung mit Hörgeräten nicht möglich. Dr. K. verordnete der Klägerin am 29. Dezember 2005 eine Lichtsignalanlage. Die Klägerin legte der Beklagten einen Kostenvoranschlag der Firma M. -Hörgeräte, N., vom 22. Dezember 2005 vor. Darin sind folgende Artikel aufgeführt:

TAE-Dreifachadapter 13,50 Euro

Türklingelkabel galvanisch, 10 Meter 9,20 Euro

lisa time (Universalwecker) 212,00 Euro

Kombisender galvanisch 156,00 Euro

Telefonkabel galvanisch, 10 Meter 7,30 Euro

Vibrationskissen (inkl. 3 Mignon Batterien) 34,00 Euro

3 Blitzlampe Standard 348,00 Euro

- Gesamtpreis 780,-- Euro -.

Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme für die Lichtsignalanlage mit Bescheid vom 27. Dezember 2005 ab, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) technische Hilfen, die der Anpassung des individuellen Umfeldes an die Bedürfnisse der Behinderten dienten, keine Hilfsmittel im Sinne des § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien. Bei dem beantragten Signalruf handele es sich um eine technische Hilfe zur Anpassung des Wohnumfeldes und nicht um ein Hilfsmittel der Gesetzlichen Krankenversicherung ( GKV).

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und zwei Stellungnahmen der Firma M. -Hörsysteme vor. Mit Bescheid vom 27. Januar 2006 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme erneut ab und wies die Klägerin darauf hin, dass die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 SGB V nicht erfüllt seien. Nur solche technischen Hilfen seien als Hilfsmittel im Sinne dieser Vorschrift anzuerkennen, die vom Behinderten getragen oder mitgeführt, bei einem Wohnungswechsel auch mitgenommen und benutzt werden könnten, um sich im jeweiligen Umfeld zu bewegen, zurecht zu finden und die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen. Technische Hilfen, die fest mit einem Gebäude verbunden seien oder der Anpassung des individuellen Umfeldes an die Bedürfnisse des Behinderten dienten, seien keine erforderlichen Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V.

Bei den Lichtsignalanlagen handele es sich um technische Hilfen, die der Anpassung des Wohnumfeldes dienten. Sie seien bezüglich des Behinderungsausgleichs ohne Auswirkung. Die dadurch gewonnene Erleichterung im täglichen Leben erstrecke sich ausschließlich darauf, dass eine passive Kontaktaufnahme durch Besucher an der Wohnungstür ermöglicht werde. Die Ermöglichung der passiven Erreichbarkeit gehöre nicht zu den von den Krankenkassen auszugleichenden Grundbedürfnissen. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2006 - abgesandt am 27. Februar 2006 - wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Hiergegen hat die Klägerin am 28. Februar 2006 Klage vor dem Sozialgericht ( SG) Aurich erhoben. Sie hat vorgetragen, dass die Lichtsignalanlage die fehlende Körperfunktion (das Nichthören der Klingel/des Telefons/ des Weckers) durch Lichtblitze ersetze.

Diese Anlage sei nicht fest mit der Wohnung verbunden und könne problemlos bei einem Umzug mitgenommen werden. An dem Lichtwecker sei erkennbar, wer sie erreichen möchte (Haustür, Fax, Telefon, Babyphon). Die Anlage diene dazu, die Behinderung auszugleichen, sie gäbe Sicherheit im eigenen Haus auch nachts erreichbar zu sein. Das Hilfsmittel diene dem Ausgleich der Folgen der Hörbehinderung. Hierbei handele es sich um ein elementares Grundbedürfnis. Dazu gehöre das selbstständige Wohnen und die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen und Kommunikation mit anderen umfasse. Maßstab sei stets der nicht behinderte Mensch. Zu den Grundbedürfnissen gehöre insbesondere auch die passive Erreichbarkeit durch Menschen aus dem Bereich der Außenwelt. Dem Anspruch stehe das von der Beklagten zitierte Urteil des BSG vom 6. August 1998 nicht entgegen. Zwar enthalte es einen Hinweis auf Klingelleuchten für einen Schwerhörigen, beschränke sich jedoch insoweit auf das Thema "mit dem Gebäude fest verbunden". Die beantragte Lichtsignalanlage sei jedoch nicht fest mit der Wohnung verbunden und könne bei einem Umzug problemlos mit in die neue Wohnung genommen werden. Sender und Empfänger würden einfach in die Steckdose der Hausstromleitung eingesteckt. Es handele sich auch nicht um die "Anpassung des individuellen Umfeldes an die Bedürfnisse des Behinderten".

Die hier lediglich erforderliche Nutzung einer Steckdose sei nicht zu verwechseln mit Anpassungen oder Verbesserungen des Wohnumfeldes. Es handele sich nicht um eine bauliche Maßnahme, die zu einer festen Verbindung mit einem Gebäude führe. Hinter dem als Grundbedürfnis anerkannten Bedürfnis selbstständig zu wohnen, stehe das allgemeine Bedürfnis auf Selbstbestimmung. Die Beklagte habe die spezifische Situation der Klägerin nicht berücksichtigt. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 31. Mai 2007 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte die Kostenübernahme für die mit Kostenvoranschlag vom 22. Dezember 2005 beantragte Lichtsignalanlage zu Recht abgelehnt hat. Die Voraussetzungen der § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, § 11 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) lägen nicht vor. Die Hilfsmitteleigenschaft scheitere vorliegend daran, dass die beantragte Lichtsignalanlage von der Klägerin weder getragen, mitgeführt noch bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden könne.

Mit dem Erfordernis, dass es sich um einen beweglichen Gegenstand handeln müsse, knüpfe der Gesetzgeber an die Rechtsprechung des BSG an, wonach technische Hilfen, die fest mit einem Gebäude verbunden seien oder sonst der Anpassung des individuellen Wohnumfeldes an die Bedürfnisse des Behinderten dienten, keine Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung seien. Nur solche technischen Hilfsmittel seien als Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB V anzuerkennen, die von Behinderten getragen oder mitgeführt, bei einem Wohnungswechsel auch mitgenommen und benutzt werden könnten, um sich im jeweiligen Umfeld zu bewegen, zurecht zu finden und die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen. § 40 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) zeige, dass der Gesetzgeber zwischen Hilfsmitteln und Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes unterscheide. Die im Kostenvoranschlag vom 22. Dezember 2005 beschriebene Lichtsignalanlage falle nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.

Eine feste Installation sei insoweit notwendig, als nach der vorgelegten Bedienungsanleitung die Verlegung einer Kabelverbindung vom Sender zur Türklingel erforderlich sei. Zum richtigen Anschluss werde vom Hersteller die Hinzuziehung eines Elektrikers empfohlen. Selbst wenn diese Installation nicht als feste Verbindung mit dem Gebäude angesehen werden könne, handele es sich jedenfalls um eine Anpassung des individuellen Wohnumfeldes. Dies zeige der Kostenvoranschlag, wonach drei Blitzlampen aufgeführt seien, die in verschiedenen Zimmern verwendet werden sollen. Eine Lichtsignalanlage mit drei Blitzlampen benötige die Klägerin nur wegen der individuellen Größe ihrer Wohnung. Für einen Versicherten mit gleicher Behinderung, der in einer kleineren Wohnung wohne, ergäbe sich die Notwendigkeit einer solchen Lichtsignalanlage nicht. Hinsichtlich des Hilfsantrages sei die Klage bereits unzulässig, da hinsichtlich einer drahtlosen Lichtsignalanlage eine Verwaltungsentscheidung bislang nicht ergangen ist. Eine Leistungsklage sei unzulässig, solange die eingeklagte Leistung bei dem beklagten Leistungsträger nicht beantragt und der entsprechende Bescheid abgewartet worden seien. Die angefochtenen Bescheide beträfen ausschließlich die von der Klägerin gemäß Kostenvoranschlag vom 22. Dezember 2005 beantragte Lichtsignalanlage.

Gegen das am 5. Juni 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28. Juni 2007 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen erhoben. Sie hat zur Begründung vorgetragen, dass die begehrte Lichtsignalanlage bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden könne, sie sei in jeder Wohnung notwendig und zweckmäßig. Es sei entscheidend, dass die Demontage des Gegenstandes mit lösbaren Verbindungen jederzeit möglich sei. Es komme auf das individuelle Umfeld an, so könnten auch Besonderheiten des Wohnortes oder des Wohngebietes z.B. für die Möglichkeit, die Stellen der Alltagsgeschäfte zu erreichen, unterschiedlich sein. Im Übrigen sei das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt.


Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 31. Mai 2007 und die Bescheide der Beklagten vom 27. Dezember 2005 und 27. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2006 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Lichtsignalanlage gemäß Kostenvoranschlag der Firma M. -Hörgeräte vom 22. Dezember 2005 zu übernehmen.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die begehrte Lichtsignalanlage sei eine technische Hilfe, die der Anpassung des individuellen Wohnumfeldes an die Bedürfnisse des Behinderten diene. Insbesondere sei hier eine feste Kabelverbindung für die Anlage erforderlich, deren Installation durch einen Elektriker vorzunehmen sei. Der Senat hat eine Auskunft des Facharztes für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. K., L., vom 16. Dezember 2008 eingeholt, auf die Bezug genommen wird. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung geworden.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig. Sie ist auch begründet. Das Urteil des SG Aurich vom 31. Mai 2007 und die Bescheide der Beklagten vom 27. Dezember 2005 und 26. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2006 sind aufzuheben. Die Klägerin kann die Versorgung mit einer Lichtklingelanlage von der Beklagten verlangen. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung müssen die Leistungen nach § 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Bei dem hier allein in Betracht kommenden Behinderungsausgleich gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Dritte Variante SGB V besteht ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, wenn es erforderlich ist, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen dienen (BSGE 37, 138, 141 = SozR 2200 § 187 Nr. 1; BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn 18, 19; BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 - B 3 KR 12/05 R Rdnr. 18). Der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannte Zweck des Behinderungsausgleichs umfasst auch solche Hilfsmittel, die die direkten oder indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist von der GKV immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. BSGE 93, 176 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 7; BSGE 91, 60 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 3 Rdnr. 10) gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die (elementare) Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines körperlichen Freiraums im Nahbereich der Wohnung und das Bedürfnis bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört u.a. das Aufnehmen von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw. Schulwissens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn. 29 und 46). Nach der Rechtsprechung des BSG gehört zu diesen Grundbedürfnissen auch die passive Erreichbarkeit des Versicherten in seinem Wohnbereich. Hierzu zählt etwa die Wahrnehmung unangekündigter, spontaner Besuche oder von Besuch, der die genaue Uhrzeit seines Erscheinens nicht vorhersagen kann (etwa Arztbesuche) (BSG, Urteil vom 17. September 1986 - 3 RK 5/86 = SozR 2200 § 182b Nr. 33 "Klingelleuchte" S. 91; so auch LSG Nds.-Bremen, Urteil vom 2. Juli 2008 - L 1 KN 12/07 KR). Für Gehörlose ist der lebenswichtige Kontakt mit anderen Menschen jedoch stark eingeschränkt. Deshalb ist für einen Gehörlosen jeder ihm noch mögliche Kontakt mit anderen Menschen besonders wichtig (BSG SozR 2200 § 182 b Nr. 33 S. 92).

Im vorliegenden Fall sind die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens Kommunikation und selbstständiges Wohnen betroffen. Ausweislich der Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. K. vom 16. Dezember 2008 besteht bei der Klägerin eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bds. Trotz der Versorgung mit einem Hörgerät ist der Hörgewinn nur geringgradig, so dass die Klägerin akustische Signale wie eine Türklingel auch mit dem Hörgerät nicht wahrnehmen kann. Die Lichtklingelanlage dient dem Behinderungsausgleich. Durch die Lichtklingelanlage wird die durch die Schwerhörigkeit ausgefallene Funktion des Aufnehmens akustischer Informationen ersetzt (vgl. BSG SozR 2200 § 182b Nr. 33). Ihrer Eignung steht nicht entgegen, dass sie das akustische Signal in ein optisches umformt (vgl. BSG SozR 2200 § 182 b Nr. 33 S. 90; BSG SozR 2200 § 182 b Nr. 26 "Schreibtelefon").

Bei der von der Klägerin begehrten Lichtklingelanlage handelt es sich auch nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Zur Ermittlung des Vorliegens der Eigenschaft eines Hilfsmittels in der gesetzlichen Krankenversicherung ist maßgeblich auf die Zweckbestimmung des Gegenstandes abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen, selbst wenn sie millionenfach verbreitet sind (Brillen, Hörgeräte). Umgekehrt ist ein Gegenstand auch trotz geringer Verbreitung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke oder Behinderte gedacht ist und für eine Mehrzahl von Menschen unabhängig von Krankheit oder Behinderung unentbehrlich ist (BSGE 77, 209 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 19; BSGE 84, 266 = SozR 3- 2500 § 33 Nrn. 32, 33).

Maßgeblich für die Abgrenzung sind dabei ausschließlich Funktion und Gestaltung des Gegenstandes, wie er konkret beansprucht wird und beschaffen ist (BSG, Urteil vom 15. November 2007 - B 3 P 9/06 R "Einmalservietten" Rdnr. 18). Bei der von der Klägerin begehrten Lichtklingelanlage handelt es sich um einen Gegenstand, der für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden ist und überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt wird. Er ist im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V unter den Positionsnummern 16.99.09 2012, 16.99.09.0040 aufgeführt. Das Urteil des BSG vom 6. August 1998 steht dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Nach dem von der Beklagten zitierten Urteil des BSG vom 6. August 1998 - B 3 KR 14/97 R = SozR 3-2500 § 33 Nr. 30 S. 179 ff ergibt sich aus der Gegenüberstellung der in § 33 Abs. 1 SGB V ausdrücklich genannten Hilfsmittel, Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken und orthopädische Hilfsmitteln einerseits und der nicht näher konkretisierten anderen Hilfsmittel andererseits, dass nur solche technischen Hilfen als Hilfsmittel im Sinne dieser Vorschrift anzuerkennen sind, die vom Behinderten getragen oder mitgeführt, bei einem Wohnungswechsel auch mitgenommen und benutzt werden können, um sich im jeweiligen Umfeld zu bewegen, zurecht zu finden und die elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen.

Das Hilfsmittel soll die Körperfunktionen des Behinderten ersetzen, ergänzen oder verbessern, die für die möglichst selbstständige Durchführung der Alltagsverrichtungen notwendig sind. Der Behinderte wird dadurch den Erfordernissen der Umwelt angepasst, nicht aber das Umfeld an die Bedürfnisse des Behinderten angeglichen. Das BSG hat weiter ausgeführt: "Von daher kann die in der Entscheidung des erkennenden Senats vom 17. September 1986 - 3 RK 5/86 - (SozR 2200 § 182 b Nr. 33) zum insoweit inhaltsgleichen § 182b RVO vertretene Auffassung nicht mehr aufrechterhalten werden, eine Klingelleuchte könne für einen Schwerhörigen selbst dann ein in die Leistungspflicht der KV fallendes Hilfsmittel sein, wenn sie mit dem Gebäude fest verbunden ist" (S. 180). Nicht als Hilfsmittel sind danach jedenfalls solche Gegenstände anzusehen, die fest in ein Gebäude eingebaut werden und bei einem Umzug nicht ohne weiteres mitgenommen werden können (vgl. auch § 31 SGB IX, wonach zur Hilfsmittelversorgung solche Hilfen nicht rechnen, die bei einem Wohnungswechsel "nicht mitgenommen werden können" (vgl. BSG SozR 4-3300 § 40 Nr. 1 "Personenaufzug" Rdnr 3).

Dies ist der Fall, wenn der Einbau mit einem wesentlichen Eingriff in die Bausubstanz (z.B. rollstuhlgerechte Türverbreiterung) oder der Ausbau mit erheblichen Substanzverlusten verbunden ist. Kann eine Hilfe hingegen bei einem Wohnungswechsel ohne wesentliche verbleibende Folgen ausgebaut werden oder mit vertretbarem Aufwand in eine neue Wohnung wieder eingebaut werden, steht die Verbindung mit dem Gebäude der Einstufung als Hilfsmittel nicht entgegen (BSG, Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 P 6/07 R Rdnr. 18). Bei der Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob ein Gegenstand zivilrechtlich Bestandteil des Gebäudes geworden ist (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 30 S. 181). Im vorliegenden Fall ist die begehrte Lichtklingelanlage nicht mit dem Wohngebäude fest verbunden. Sie besteht ausweislich der vorliegenden Produktinformation/ Bedienungsanleitung (Bl 60-66 der Gerichtsakte) aus beweglichen Einzelteilen wie den Blitzlampen, den Kabeln, dem Vibrationskissen und dem Sender.

Die Kabel verbinden die Telefonanlage und die Türklingel mit dem Sender, der die akustischen Signale aufnimmt und diese in Funkimpulse umwandelt. Diese werden über die normale Steckdose und das vorhandene Stromnetz zum Empfänger übertragen. Der Empfänger wandelt die Funkimpulse in Lichtsignale um (S. 3 der Bedienungsanleitung). Weder die Klingelkabel noch die Telefonkabel müssen danach fest mit der Wohnung verbunden werden, sondern können jederzeit wieder gelöst werden. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass bei der Installation ein Elektriker hinzugezogen werden sollte, betrifft dies nach der Bedienungsanleitung nur die richtige Belegung der Anschlussdrähte an der Gegensprechanlage (S. 4 der Bedienungsanleitung). Es handelt sich auch nicht um eine von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossene Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes. In seinem Urteil vom 6. August 1998 hat das BSG weiter ausgeführt, dass der Ausschluss fest eingebauter Hilfen aus der Leistungspflicht der Krankenkassen nicht den Umkehrschluss erlaube, dass alle nicht fest eingebauten, also in diesem Sinne "beweglichen" Hilfen zwangsläufig von § 33 Abs. 1 SGB V erfasst würden. Danach bleibt maßgeblich, ob die Hilfe dem "Ausgleich der Behinderung" durch eine Verbesserung oder den Ersatz der Körperfunktion dient. Alle Maßnahmen, die sich im Gegensatz dazu als Beseitigung eines den Behinderten störenden äußeren Hindernisses darstellen, scheiden aus dem Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 SGB V ebenso aus wie Maßnahmen, die sich auf die konkrete Wohnung wegen ihrer besonderen Beschaffenheit beziehen (BSG, aaO., S. 180, 181).

Zu den von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossenen Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes, die sich auf die konkrete Wohnung beziehen, gehören zunächst Hilfen, die mit einer Veränderung der Wohnung selbst verbunden sind (BSG SozR 2200 § 182 b. Nr. 10 "automatische Treppenanlage", SozR 3-2500 § 33 Nr. 30 "Treppenlift";). Dazu gehören Maßnahmen, die eine Anpassung der konkreten Wohnumgebung an die Bedürfnisse des behinderten Menschen bezwecken und deshalb in einer anderen Wohnumgebung nicht notwendig ebenso benötigt werden, z.B. Treppenlifte, Aufzüge, Fenster mit Griffen in rollstuhlgerechter Höhe. Hilfen, die auf die individuelle Wohnsituation zugeschnitten sind, gehören auch dann nicht zu den Hilfsmitteln iSd § 33 SGB V, wenn sie ohne wesentlichen Substanzverlust aus der Wohnung ausgebaut und an anderer Stelle wieder eingebaut werden könne (BSG, Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 P 6/07 R Rdnrn 15, 16). Die Lichtklingelanlage ist zum Ausgleich der Behinderung eines Schwerhörigen in jeder Wohnung geeignet (vgl. BSG SozR 2200 § 182b Nr. 33 S. 91).

Sie dient weder der Beseitigung eines den Behinderten störenden äußeren Hindernisses noch kommt es auf eine Änderung des individuellen Wohnumfeldes wegen der besonderen Beschaffenheit der konkreten Wohnung an. Vielmehr würde dieses Hilfsmittel bei einem Wohnungswechsel nicht funktionslos und könnte grundsätzlich in jeder anderen Wohnung in gleicher Weise und mit im Wesentlichen unveränderter Ausführung eingesetzt werden. Dabei geht der Senat davon aus, dass die Ausstattung mit drei Blitzlampen nicht unverhältnismäßig ist und für jede andere Dreizimmerwohnung geeignet ist. Die Lichtklingelanlage dient auch nicht dazu, einen ordnungsgemäßen baulichen Zustand oder einen höheren Wohnstandard zu erreichen, sondern dient allein dem besonderen Zweck, die Taubheit der Klägerin auszugleichen. Das Hilfsmittel ist zum Ausgleich der Behinderung der Klägerin erforderlich. Während die ältere Rechtsprechung des BSG darauf abgestellt hat, ob das Hilfsmittel für die in Abs 1 Satz 1 des § 33 SGB V genannten Zwecke unentbehrlich oder unverzichtbar war (vgl BSG SozR 2200 § 182 b Nrn 25, 26,30, 33), wird es jetzt für ausreichend gehalten, dass das Hilfsmittel die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich fördert (vgl. BSG SozR 3- 2500 § 33 Nr. 46, S. 259; BSG SozR 4- 2500 § 33 Nr. 10 Rdnr. 16).

Zwar haben Versicherte keinen Anspruch auf optimale Hilfsmittelversorgung, es ist jedoch ein wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung, dass behinderte Menschen nach Möglichkeit von der Hilfe anderer Menschen unabhängig, zumindest aber deutlich weniger abhängig werden (BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 - B 3 KR 12/05 R Rdnr. 20). Nach der Rechtsprechung des BSG ist es die spezielle Pflicht der Krankenkassen, behinderten Menschen durch eine angemessenen Hilfsmittelversorgung eine möglichst selbstständige Lebensführung zu erhalten und ihnen zu ermöglichen, ein selbst bestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht (BSG, Urteil vom 15. November 2007 - 3 P 9/06 R "Einmalservietten"). Zur selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung gehört es, bestimmten Personen ( Bekannte, Ärzte) jederzeit und selbstständig Einlass gewähren zu können (so BSG SozR 3 - 3300 § 40 Nr. 6 S. 32 "Gegensprechanlage"). Nach § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sind die "nachfolgenden sozialen Rechte" bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuches und bei der Ausübung des Ermessens zu beachten, dabei ist sicher zu stellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Der Bereich der Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen ist speziell in § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB I angesprochen, wonach Versicherte im Rahmen der GKV ein Recht auf die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Verbesserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit haben. Darüber hinaus ist § 33 SGB I zu beachten, worin es heißt: " Ist der Inhalt von Rechten und Pflichten nach Art und Umfang nicht im Einzelnen bestimmt, sind bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen.

Aus § 4 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ergibt sich, dass die notwendigen Sozialleistungen die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbstständige und selbst bestimmte Lebensführung zu ermöglichen und zu erleichtern haben. Nach § 9 Abs. 3 SGB IX sollen die Leistungen den Leistungsberechtigten viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände lassen und die Selbstständigkeit fördern. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Klägerin mit der Lichtklingelanlage auszustatten. Bei ihr besteht eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Sie kann nach den Ausführungen des behandelnden Arztes Dr. K. akustische Klingelsignale nicht wahrnehmen. Die Klingelanlage ist daher zum Ausgleich der bei der Klägerin vorliegenden Behinderung in Hinblick auf das Ziel einer möglichst selbstbestimmten Lebensführung erforderlich. Die Klägerin kann auch nicht darauf verwiesen werden, ihre Tür dauerhaft offen stehen zu lassen oder andere Personen mit einem Wohnungsschlüssel auszustatten (vgl. dazu BSG SozR 3 - 3300 § 40 Nr. 6 S. 32).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen.

Referenznummer:

R/R4165


Informationsstand: 17.06.2009