Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI); diese Vorschrift ist in der der Verurteilung zugrunde liegenden Fassung erst im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens in Kraft getreten.
Der am 19. März 1955 geborene Kläger arbeitete bis Ende 1974 nach seiner Ausbildung als Teiltischler in diesem Beruf. Anschließend war er in verschiedenen anderen Berufen, zuletzt vom 18. Juli bis 11. September 1995 als Bauhelfer beschäftigt. Am 11. September 1995 erlitt er eine Distorsion des linken Knies, die am 19. September 1995 zu einer Innenmeniskusresektion und am 26. Juni 1996 zu einer Tibia-Osteotomie führte. Vom 12. September 1995 bis zum 10. März 1997 bezog der Kläger Krankengeld, anschließend Leistungen von der Bundesanstalt für Arbeit.
Am 13. Januar 1997 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Mit Bescheid vom 24. Juli 1997 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab; der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos ( Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1998).
Das Sozialgericht Magdeburg (SG) hat mit Urteil vom 29. Oktober 2001 die Klage mit der Begründung abgewiesen, Rente stehe weder nach dem bis 31. Dezember 2000 noch nach dem ab 1. Januar 2001 geltenden Recht zu; der Kläger sei noch in der Lage, vollschichtig erwerbstätig zu sein.
Mit seiner Berufung hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Juli 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (
EU) zu gewähren. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (
LSG) hat mit Urteil vom 22. April 2004 die Beklagte verurteilt, Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit für den Zeitraum vom 1. August 2001 bis zum 31. Juli 2004 zu gewähren, und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen.
Zur Begründung hat das
LSG im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger begehre mit seinem im Berufungsverfahren beschränkten Antrag nur Rente wegen
EU ab dem 1. Juli 2000. Da der Kläger somit einen Anspruch geltend mache, der vor dem 1. Januar 2001 entstanden sei, sei noch § 44
SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung anzuwenden. Die danach erforderliche Wartezeit sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (so genannte Drei-Fünftel-Belegung) seien erfüllt, der Kläger sei aber in der Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2000 nicht erwerbsunfähig gewesen. Er habe bis zum 31. Dezember 2000 noch zumindest leichte körperliche Arbeiten - mit Einschränkungen - vollschichtig verrichten können. Dies ergebe sich aus dem vom Berufungssenat eingeholten Gutachten von
Prof. Dr. H. vom 14. Juli 2003. Da der Kläger zumindest leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen habe ausführen können, habe das Restleistungsvermögen noch für leichte Verrichtungen wie zB Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten ausgereicht.
Nach dem Gutachten von
Prof. Dr. H. sei dagegen aufgrund der fortschreitenden Arthrose im Kniegelenk eine rentenberechtigende Erwerbsminderung im Januar 2001 eingetreten. Für die ab 1. Januar 2001 entstandenen Ansprüche sei § 43
SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung (
nF) anzuwenden. Dies gelte auch für noch nicht abgeschlossene Rentenverfahren, in denen der Rentenantrag schon vor Eintritt der Erwerbsminderung und vor dem 1. Januar 2001 gestellt worden sei.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente nach dieser Vorschrift seien erfüllt und der Kläger sei seit Januar 2001 voll erwerbsgemindert. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen
Prof. Dr. H. sei dem Kläger ein kontinuierliches Arbeiten beschwerdefrei nicht möglich, denn auch einförmiges Arbeiten im Sitzen führe zu einer Belastung des venösen Rückflusses bei bestehender Varikose beider Unterschenkel. Angesichts dieses Leistungsbildes sei der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung ab Januar 2001 gegeben. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Möglichkeit, auch bei einer überwiegend im Sitzen ausgeübten Tätigkeit beim regelmäßig zu erwartenden Auftreten von Beschwerden sich immer wieder einmal hinlegen zu können, gehöre nicht zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts. Der Annahme der vollen Erwerbsminderung stehe die vom Kläger bis Anfang August 2001 zeitweise verrichtete geringfügige Beschäftigung bei einem Bewachungsunternehmen nicht entgegen. Nach der glaubhaften Einlassung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung habe er hierbei nur noch unter Schmerzen gearbeitet; es sei daher davon auszugehen, dass diese geringfügige Beschäftigung "auf Kosten der Gesundheit" ausgeübt worden sei.
Mit der vom
LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 43
SGB VI nF und macht als Verfahrensfehler einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes
SGG) sowie einen Verstoß gegen das Recht auf freie richterliche Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1
SGG) geltend. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Das
LSG habe eine Rente auf Zeit wegen voller Erwerbsminderung nicht zusprechen dürfen. Streitgegenstand sei nach dem eindeutigen Klageantrag, eine Rente wegen
EU ab 1. Juli 2000 zu gewähren, nur das alte Recht. Ein Rentenanspruch nach dem neuen, ab 1. Januar 2001 geltenden Recht könne nicht automatisch in ein laufendes Klageverfahren nach altem Recht einbezogen werden. Die jeweiligen Ansprüche seien an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft. Ohne ein Verwaltungsverfahren mit entsprechendem Verwaltungsakt über das Recht wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung habe das
LSG zulässig nicht über einen Anspruch nach § 43
SGB VI nF entscheiden dürfen. Dem Kläger sei zuzumuten gewesen, nach dem 31. Dezember 2000 einen neuen Rentenantrag zu stellen.
Hilfsweise werde ein Verstoß des
LSG gegen die Amtsermittlungspflicht geltend gemacht. Dem
LSG hätten sich weitere Ermittlungen zum Leistungsvermögen nach dem ab 1. Januar 2001 geltenden Recht aufdrängen müssen. Der Sachverständige
Prof. Dr. H. habe die gestellten Beweisfragen, wie viele Arbeitsstunden täglich dem Kläger konkret zumutbar seien, nicht beantwortet.
Jedenfalls lasse sich den vagen Ausführungen des Gutachters ein unter dreistündiges Leistungsvermögen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht entnehmen.
Indem das
LSG dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43
SGB VI nF zugesprochen habe, obwohl nur eine Rente wegen
EU nach § 44
SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (
aF) beantragt gewesen sei, habe es auch gegen § 123
SGG verstoßen. Das
LSG habe den Streitgegenstand verkannt und über nicht Beantragtes entschieden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 22. April 2004 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. Oktober 2001 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Der Senat konnte über die Revision der Beklagten auch in Abwesenheit des Klägers im Termin vom 17. Februar 2005 verhandeln und entscheiden, weil der Kläger zu dem Termin der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit mit der Ladungsschrift hingewiesen worden ist (vgl § 110 Abs 1 Satz 2
SGG).
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des zweitinstanzlichen Urteils und der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2
SGG). Die Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung an den Kläger beruht auf einem von der Beklagten gerügten Verfahrensfehler.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2
SGB VI nF ab 1. August 2001 bis 31. Juli 2004. Das
LSG hat die Beklagte entsprechend verurteilt; hiergegen richtet sich ihre Revision. Der Kläger hat gegen die Zurückweisung seiner weiter gehenden Berufung kein Rechtsmittel eingelegt.
Entgegen der Ansicht der Beklagten war das
LSG nicht gehindert, über den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung nach geltendem neuen Recht ab dem 1. Januar 2001 zu entscheiden. Der Klageantrag hat sich auf eine entsprechende Verurteilung der Beklagten erstreckt (1); die Klage war auch insoweit zulässig (2). Das Berufungsurteil beruht jedoch auf einer von der Beklagten gerügten Verletzung der in § 103
SGG geregelten Amtsermittlungspflicht (3).
(1) Das
LSG hat mit seiner Verurteilung der Beklagten, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. August 2001 bis zum 31. Juli 2004 zu gewähren, § 123
SGG nicht verletzt. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Diese Regelung gilt über § 153 Abs 1
SGG auch im Berufungsverfahren und war somit vorliegend vom
LSG zu berücksichtigen. Auch wenn das
LSG sich bei seiner Entscheidung, trotz des vom Kläger gestellten Antrags auf Gewährung von Rente wegen
EU ab Juli 2000 ebenfalls den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach dem neuen Recht zu prüfen, sich nicht auf § 123
SGG berufen hat, so hat es im Ergebnis richtig gehandelt.
Die Anträge sind nach § 123
SGG vom Gericht auszulegen. Für die Auslegung des Antrags ist nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen. Die Auslegung eines Antrags hat sich danach zu richten, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen (Bundessozialgericht
BSG, Urteil vom 4. Dezember 1997 - 7 RAr 24/96 -; BSGE 74, 77, 79 = SozR 3-4100 § 104 Nr 11). Hierbei haben die Gerichte zu klären, was der Kläger mit der Klage erreichen will (BSGE 68, 190 = SozR 3-2500 § 95 Nr 1; Meyer-Ladewig,
SGG, 7. Aufl, 2002, § 123 RdNr 3). Im Zweifel haben sie davon auszugehen, dass der Kläger alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (
BSG, Urteil vom 11. November 1987 - 9a RV 22/85).
Auf dieser Grundlage umfasst der im Berufungsverfahren gestellte Antrag des Klägers, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide und des erstinstanzlichen klageabweisenden Urteils zu verurteilen, ihm ab 1. Juli 2000 Rente wegen
EU zu gewähren, auch die vom
LSG ausgesprochene Verurteilung. Denn für den Zeitraum ab 1. Januar 2001 hat das neue Recht der Renten wegen Erwerbsminderung (Art 1 Nr 10, 11
iVm Art 24 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I, 1827)) die alten Regelungen über den Anspruch der Rente wegen
EU abgelöst. Mangels entgegenstehender Hinweise aber begehrt der Kläger die Leistungen nach neuem Recht, sollte ihm die vorrangig begehrte Rente wegen
EU (also noch nach altem Recht) nicht zustehen. Eine andere Annahme wäre lebensfremd. Das Klageziel des Klägers ist auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gerichtet, wobei es für ihn von untergeordneter Bedeutung ist, nach welcher jeweils geltenden Vorschrift diese gewährt werden kann. Ganz entsprechend hatte bereits das SG einen Rentenanspruch sowohl nach dem alten als auch nach dem neuen Recht geprüft (und verneint), und der Kläger hat im Berufungsverfahren nicht zu erkennen gegeben, dass er eine Rente neuen Rechts ablehne und seinen Klageanspruch nur auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach altem Recht beschränken wolle. Im Bemühen um eine sachdienliche Antragstellung (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2
SGG) hätte das
LSG darauf hinwirken können, bereits mit dem vom Kläger gestellten Antrag das eigentliche Klageziel besser zum Ausdruck kommen zu lassen.
(2) Über den so zu verstehenden Klageantrag durfte das
LSG auch in der Sache entscheiden. Es handelt sich insoweit weder um eine unzulässige Klageänderung (a) noch fehlt es an der Zulässigkeitsvoraussetzung des vorgehenden das Klagebegehren ablehnenden Verwaltungsaktes samt Vorverfahren (b).
(a) Die ursprüngliche (bei Klageerhebung im August 1998) auf Rente wegen
EU damaligen Rechts gerichtete Klage hat sich spätestens mit der bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens eingetretenen Rechtsänderung zum 1. Januar 2001 auch auf die Rente wegen Erwerbsminderung neuen Rechts erstreckt (s oben unter (1)). Es kann dahinstehen, ob hierin an sich eine Klageänderung iS des § 99 Abs 1
SGG liegt. Denn nach § 99 Abs 3 Nr 1
SGG ist als Klageänderung nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden. Um eine derartige
Ergänzung der rechtlichen Grundlagen handelt es sich beim Begehren, dass über den Klageantrag nach einer Rechtsänderung auch auf der Grundlage des neuen Rechts entschieden werden möge. Hierin liegt keine Änderung des Klagegrundes, nämlich des Begehrens, Rente aufgrund des Umstandes zu erhalten, wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht mehr (voll) arbeiten zu können. Damit ist auch der Streitgegenstand (vgl
BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 9 S 18 f) umrissen, der sich nicht dadurch ändert, dass sich die den erhobenen Anspruch regelnden Bestimmungen des materiellen Rechts ändern. Der Wesensgehalt
des angefochtenen Bescheids und der begehrten Leistung (vgl hierzu
BSG, Urteil vom 29. September 1987 - 7 RAr 104/85) ist hierdurch nicht berührt worden.
(b) Diese iS des § 99 Abs 3 Nr 1
SGG ergänzte Klage ist auch im Übrigen zulässig. Zwar setzt die vom Kläger erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4
SGG) ua voraus, dass das Leistungsbegehren zunächst durch einen Verwaltungsakt der Beklagten abgelehnt worden (§ 54 Abs 1
SGG) und ein erforderliches Vorverfahren abgeschlossen ist (§ 78 Abs 1 Satz 1
SGG). Hieraus folgt jedoch nicht, dass über einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung neuen Rechts nur dann entschieden werden könnte, wenn auch der angefochtene Bescheid der Beklagten spätestens in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids (§ 95
SGG) bereits zu den Leistungsvoraussetzungen nach neuem Recht Stellung genommen hat. Dies leuchtet unmittelbar für den Beispielsfall ein, dass die Beklagte ein nach neuem Recht zu beurteilendes Leistungsbegehren fälschlicherweise noch nach altem Recht geprüft hat. Nichts anderes gilt aber auch für den vorliegenden Fall einer Änderung der maßgebenden Rechtsvorschriften im Laufe des gerichtlichen Verfahrens, die im Zeitpunkt der Bescheiderteilung noch nicht absehbar war (so im Ergebnis auch Niesel in KasselerKomm, § 43
SGB VI RdNr 3). In beiden Fallkonstellationen handelt es sich bei der Einbeziehung eines von der Beklagten noch nicht berücksichtigten Prüfungsmaßstabs lediglich (s oben zu § 99 Abs 3 Nr 1
SGG) um die Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts. Insoweit bedarf es vor einer entsprechenden Verurteilung der Beklagten allenfalls eines Hinweises des Gerichts, damit sich dieses nicht dem Vorwurf einer Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 62
SGG) durch eine Überraschungsentscheidung ausgesetzt sieht. In dieser Hinsicht hat jedoch die Beklagte im Revisionsverfahren keine Verfahrensrüge erhoben; eine solche läge auch deshalb fern, weil bereits das SG-Urteil die Ansprüche nach neuem Recht geprüft hatte.
Eines neuen Verwaltungsakts der Beklagten unter Befassung mit dem neuen Recht bedurfte es selbst dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass das ab 1. Januar 2001 geltende neue Recht mit den Tatbeständen der teilweisen oder der vollen Erwerbsminderung neue Versicherungsfälle geschaffen hat (so wohl der 4. Senat des
BSG, Urteil vom 6. März 2003, SozR 4-2600 § 313 Nr 1 RdNr 16). Dies kann der Senat ebenso offen lassen wie die Frage, ob in einem solchen Fall grundsätzlich eine neue Verwaltungsentscheidung ergehen müsste. Eine solche ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn mit der Leistungsablehnung nach altem Recht auch (erst recht) das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen nach neuem Recht verneint wurde. Denn dann hat die Beklagte - wenn auch auf nicht (mehr) zutreffender Rechtsgrundlage - bereits die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente neuen Rechts in Abrede gestellt. So aber liegt der Fall hier.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem vor dem 1. Januar 2001 geltenden Recht hat die Beklagte gleichzeitig denknotwendig auch die Voraussetzungen einer Rente nach § 43
SGB VI nF verneint. Das neue Recht stellt nämlich insoweit jedenfalls keine geringeren Anforderungen: Während nach altem Recht zur Bejahung einer ( vollen)
EU ausreichte, dass der Versicherte nicht mehr in der Lage war, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit vollschichtig nachzugehen, verlangt das neue Recht selbst für die teilweise Erwerbsminderung, dass der Versicherte außerstande ist, mindestens sechs Stunden täglich erwerbsfähig zu sein. Folglich enthält die Rentenablehnung der Beklagten (vom 24. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juli 1998) mit der Begründung, es liege weder
EU noch BU vor, auch die Ablehnung der Voraussetzungen des Versicherungsfalls der teilweisen Erwerbsminderung und erst recht desjenigen der vollen Erwerbsminderung nach § 43 Abs 1 und 2
SGB VI nF.
Damit ist aber der vorliegende Fall nicht anders zu behandeln als jene Fälle der Anfechtungs- und Leistungsklage, in denen - ohne dass zusätzlich eine Rechtsänderung eingetreten wäre - nach Abschluss des Verwaltungs- (Vor-)Verfahrens durch eine Verschlechterung des Gesundheitszustands die rentenberechtigende Erwerbsminderung erst während des Gerichtsverfahrens eintritt. Eine solche - rein tatsächliche - Änderung aber ist nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG im Gerichtsverfahren beachtlich; ihr ist durch ein (teilweise) zusprechendes Urteil Rechnung zu tragen: Bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage die letzte mündliche Verhandlung der Tatsacheninstanz, wenn Verwaltungsakte mit Dauerwirkung im Streit sind, die laufende Leistungen betreffen und somit auch bei Bescheiderteilung in der Zukunft liegende Bewilligungszeiträume erfassen (vgl
BSG SozR 3-3100 § 35 Nr 6; SozR 3-2700 § 44 Nr 1; s auch bereits
BSG SozR Nr 4 zu § 1293 RVO
aF; aA Girardi, SGb 1986, 448 f; Hasenpusch, SGb 1994, 319 f).
Hierfür spricht bereits, dass der Gesetzgeber in § 54 Abs 4
SGG ausdrücklich die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage als eigenständige Klageform zugelassen hat und damit innerhalb eines Klageverfahrens nicht nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts, sondern auch die des erhobenen Leistungsanspruchs durch die angegangenen Gerichte ausdrücklich vorsieht. Wollte man gleichwohl für die Begründetheit der Klage allein auf den Erlass des angegriffenen Verwaltungsakts als maßgeblichen Zeitpunkt abstellen, so würde ein wesentliches Merkmal der damit verbundenen Leistungsklage verloren gehen, weil für diese - wie erwähnt - immer als maßgeblicher Zeitpunkt die letzte mündliche Verhandlung zugrunde zu legen ist. Zwar ist der Erlass eines Verwaltungsakts Prozessvoraussetzung für Klagen im Über- und Unterordnungsverhältnis (Meyer-Ladewig, aaO, § 54 RdNr 37a) und ein Betroffener ist zunächst auf die Durchführung des Verwaltungsverfahrens verwiesen. Gleichwohl ist die Aufhebung des beschwerenden Verwaltungsakts nicht das eigentliche Klageziel, sondern ein eher "technisches Ingredienz" (Meyer-Ladewig, aaO, § 54 RdNr 38; vgl auch Ulmer in Hennig,
SGG, § 54 RdNr 113, Stand Juni 2003). Damit ergibt sich insbesondere aus der Sicht des Betroffenen, aber auch bei objektiver Betrachtung, dass die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage vor allem dem Ziel dient, den geltend gemachten Anspruch durchzusetzen und die Verwaltung zur Leistung zu verurteilen, wenn der Anspruch begründet ist (so schon Niemann, SozVers 1961, 350, 352). Dies kann zur Folge haben, dass trotz rechtmäßiger Ablehnung einer Leistung durch die Verwaltung im anschließenden Gerichtsverfahren eine Verurteilung zur Leistung erfolgen kann, wenn sich maßgebliche Änderungen in der Sach- und Rechtslage während des anhängigen Gerichtsverfahrens ergeben haben (
BSG, Urteil vom 28. April 1960, BSGE 12, 127 = SozR Nr 72 zu § 54
SGG; Peters/Sautter/Wolff,
SGG-Komm, Bd 2, § 54 RdNr 366, 4. Aufl (69. Lfg, 7/99)). Zudem ist die Verwaltung ihrerseits in keinem Stadium des Verfahrens gehindert, einer neuen Sach- und Rechtslage zu Gunsten des Betroffenen während eines anhängigen Gerichtsverfahrens durch entsprechende Prozesserklärungen (Vergleichsangebot, (Teil-) Anerkenntnis) Rechnung zu tragen. Insoweit ist sie auch in laufenden Gerichtsverfahren nicht von aller Verantwortung entbunden (s hierzu schon Enz, NJW 1966, 535, 536).
Mit dieser Beurteilung sieht sich der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des
BSG zum Übergang des alten Rechts der Invalidenrente zur Rente wegen BU/
EU mit der Rentenreform 1957; bereits damals hatte der 4. Senat des
BSG entschieden, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch dann über die Ansprüche auf die neuen Renten wegen BU/
EU zu befinden hatten, wenn die Versicherungsträger vor Inkrafttreten des neuen Rechts nur über den Anspruch auf Invalidenrente entschieden hatten (Urteil vom 5. März 1959, BSGE 9, 192; s auch Urteil vom 17. Dezember 1957 - SozR Nr 5 zu § 1293 RVO
aF; vgl allgemein zur
Anwendung alten und neuen Rechts nach Inkrafttreten des ArVNG zum 1. Januar 1957: Etmer, AVG, Stand: 1. Januar 1972, Bd II, § 6 Anm 3; Etmer, RVO, 4. Buch, Bd I, Stand: 89. ErgLfg, § 1246, Anm 2). Entsprechend hat auch der 5. Senat des
BSG bereits mehrfach zu den neuen Renten nach § 43
SGB VI nF ausgesprochen, dass hierüber im sozialgerichtlichen Verfahren (nur) dann zu entscheiden ist, wenn dem Kläger nicht aufgrund seines noch nach altem Recht gestellten Antrags bereits Rente wegen BU/
EU zusteht; irgendwelche zusätzlichen Voraussetzungen (zB Erteilung eines neuen Bescheids) hat er insoweit nicht
aufgestellt (vgl Urteile vom 9. April 2003 - B 5 RJ 34/02 R und B 5 RJ 38/02 R - sowie vom 10. Dezember 2003 - B 5 RJ 24/03 R; entsprechend auch der erkennende Senat vgl Urteile vom 14. August 2003 -
B 13 RJ 4/03 R - und vom 19. Mai 2004 - B 13 RJ 4/04 R).
Das Argument, durch die Verlagerung von evtl notwendigen neuen oder weiteren Ermittlungen in das Gerichtsverfahren werde in unzulässiger Weise das Gebot der Gewaltentrennung missachtet (Hasenpusch, aaO, 322; Girardi, aaO, 450), kann hiergegen nicht durchgreifen (s BSGE 8, 108, 111). Durch die den Sozialgerichten auferlegte Pflicht zur Sachaufklärung sind die Gerichte ohnehin zu weiteren Ermittlungen verpflichtet, wenn - beispielsweise - die Verwaltung (aus welchen Gründen auch immer) ihrer eigenen Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 20 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch) nicht
nachgekommen ist (
BSG, Urteil vom 2. September 2004 - B 7 AL 88/03 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 5 mwN). Den Gerichten ist auch in diesen Fällen eine Rückverweisung an die Verwaltung zur weiteren Sachaufklärung nicht gestattet gewesen, so dass in derartigen Fällen originäre Verwaltungsaufgaben in - beschränktem - Umfang ohnehin auf die Gerichte verlagert werden. Gegen diese Aufgabenzuweisung, die sich aus der Amtsermittlungspflicht ergibt, sind ernstliche Bedenken nicht zu erkennen. Die Richtigkeit dieser Auffassung hat mit der Neuregelung des § 131 Abs 5
SGG durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004 (BGBl I, 2198) ihre Bestätigung gefunden. Danach ist es den Gerichten im Rahmen des ihnen eingeräumten Ermessens unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufzuheben, ohne selbst in der Sache zu entscheiden. Im Umkehrschluss ergibt sich aus dieser Regelung, dass den Gerichten auch unter den in § 131 Abs 5
SGG genannten Voraussetzungen eigene Ermittlungen nicht verwehrt sind und dass sie, wenn ein Fall des § 131 Abs 5
SGG nicht gegeben ist, weiterhin gehalten sind, die noch erforderlichen Ermittlungen selbst durchzuführen.
(3) Die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2
SGB VI nF ab 1. August 2001 bis zum 31. Juli 2004 an den Kläger beruht jedoch auf der von der Beklagten gerügten Verletzung des § 103
SGG.
Der Rüge von Verfahrensfehlern steht nicht entgegen, dass das
LSG die Revision nur wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Denn mit der Zulassung ist die Revision in vollem Umfang eröffnet, so dass der Revisionsführer auch Verfahrensfehler rügen kann (
BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 12). Nach § 103
SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Diese Vorschrift ist verletzt, wenn sich das
LSG auf der Grundlage seines eigenen materiell-rechtlichen Standpunkts zu einer weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr, zB
BSG, Urteil vom 7. Juni 1956, SozR Nr 7 zu § 103
SGG). So aber liegt der Fall hier.
Das
LSG ist davon ausgegangen, dass der Kläger ab 1. Januar 2001 voll erwerbsgemindert, also wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs 2 Satz 1 Nr 1
iVm Satz 2
SGB VI nF) . Es hat sich insoweit auf das von ihm eingeholte orthopädische Gutachten von
Prof. Dr. H. bezogen. Hieraus hat es hergeleitet, der Kläger könne nicht mehr zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts beschäftigt werden. Denn er müsse sich "auch bei einer überwiegend im Sitzen ausgeübten Tätigkeit beim regelmäßig zu erwartenden Auftreten von Beschwerden immer wieder einmal hinlegen ... können".
Die Beklagte rügt zu Recht, dass sich diese Feststellung dem Gutachten nicht entnehmen lässt.
Prof. Dr. H. führt insoweit vielmehr lediglich aus:
"Arbeiten im Gehen und Stehen sind zu vermeiden. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass ein kontinuierliches Arbeiten im Sitzen für Herrn B. Probleme bereiten dürfte, da das Herunterhängen der Beine wegen der venösen Durchblutungsstörungen zu Schwellungserscheinungen führen wird, so dass ich hier insofern ein Problem erkenne, dass eine Kontinuität in der Belastung für Herrn B. problematisch sich darstellt."
Damit ist allenfalls gesagt, dass dem Kläger (uU) ein kontinuierliches Arbeiten im Sitzen mit einem Herunterhängen der Beine aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist; nicht ableiten lässt sich jedoch, dass eine Abhilfe lediglich durch ein "Hinlegen" - und nicht etwa durch ein zeitweises Hochlagern der Beine, das mit den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts vereinbar sein könnte - denkbar wäre. Das
LSG hätte sich bei dieser Ausgangslage also zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Diese wird es nachzuholen haben. Einzelheiten (zB Rückfrage bei
Prof. Dr. H. oder Einholung eines gefäßchirurgischen Gutachtens) müssen der Entscheidung des Berufungsgerichts vorbehalten bleiben.
Da bereits der genannte Verfahrensfehler zur Zurückverweisung führt, ist auf die übrigen Rügen der Beklagten nicht einzugehen. Insbesondere kann dahinstehen, ob die tatsächlichen Feststellungen des
LSG zur Tätigkeit des Klägers in dem Bewachungsunternehmen den Schluss tragen, dass es sich hierbei um eine geringfügige Beschäftigung gehandelt habe und diese auch nur auf Kosten der Gesundheit des Klägers ausgeübt worden sei.
Das
LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.