Urteil
Keine Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft einer an Diabetes mellitus erkrankten Erzieherin

Gericht:

LSG Sachsen-Anhalt 7. Senat


Aktenzeichen:

L 7 SB 52/15


Urteil vom:

25.08.2016


Grundlage:

Leitsatz:

Ein GdB von 50 aufgrund eines Diabetes mellitus erfordert nicht nur mindestens vier Insulininjektionen pro Tag und ein selbstständiges Anpassen der Insulindosis. Zusätzlich müssen gravierende und erhebliche Einschnitte in die Lebensführung vorliegen. Eine solche Feststellung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass dem Betroffenen - insbesondere im Hinblick auf den möglichen Eintritt von Unterzuckerungszuständen - im beruflichen Bereich eine unterstützende "Hilfsperson" ohne vergleichbare berufliche Qualifikation zur Seite gestellt wird, der innerhalb des Arbeitsalltags lediglich eine (deutlich) untergeordnete Funktion zukommt, während die wesentlichen beruflichen Tätigkeiten vom Betroffenen weiterhin regelmäßig selbst ausgeführt werden können.

Rechtsweg:

SG Halle, Urteil vom 05.05.2015 - S 22 SB 65/14

Quelle:

Justiz Sachsen-Anhalt

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 5. Mai 2015 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Die am ... 1964 geborene Klägerin beantragte am 2. Juli 2012 bei dem Beklagten die Feststellung von Behinderungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und machte als gesundheitliche Beeinträchtigung einen Diabetes mellitus Typ I geltend. Der Beklagte holte einen Befundschein des Arztes für Innere Medizin und Diabetologie L. vom 28. Juli 2012 ein. Dieser berichtete über einen primär insulinabhängigen Diabetes mellitus (Typ I) mit sonstigen multiplen - insbesondere neurologischen - Komplikationen, so auch einer diabetischen Polyneuropathie. Die Klägerin müsse viermal täglich ihren Blutzucker messen und mindestens viermal täglich Insulin injizieren, wobei sie die Dosis anpassen müsse. Ein beigefügter Bericht des Krankenhauses St. E. und St. B. in H. vom 3. April 2012 verwies auf einen am 29. März 2012 neu entdeckten Diabetes mellitus Typ I. Aus einer ebenfalls beigefügten Übersicht ergaben sich für den Zeitraum vom 1. Mai bis 3. Mai 2012 Blutzuckerwerte von 4,3 bis 8,8 mmol/l sowie für die Zeit vom 2. Juli bis 4. Juli 2012 von 4,7 bis 9,1 mmol/l. Aus dem nachgereichten Blutzuckertagebuch für den Zeitraum vom 1. Juni bis 31. August 2012 ergaben sich Blutzuckerwerte von 2,4 (12. Juli 2012, 12:00 Uhr) bis 13,2 mmol/l (25. August 2012, 17:00 Uhr). Der Beklagte holte eine prüfärztliche Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin Dr. med. E. vom 9. Oktober 2012 ein, die für die Erkrankung des Diabetes mellitus einen GdB von 40 ansetzte.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2012 stellte der Beklagte daraufhin ab 29. März 2012 einen GdB von 40 wegen Diabetes mellitus fest. Hiergegen erhob die Klägerin am 26. November 2012 Widerspruch.

Mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit H. - vom 20. Juni 2013 - wurde die Klägerin gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Den Widerspruch vom 26. November 2012 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2014 zurück und führte ergänzend aus: Aus dem vorliegenden Befundbericht ergebe sich ein gut eingestellter Diabetes mellitus; der HbA1c-Wert liege bei 5,6%. Aus der von der Klägerin übersandten Dokumentation gingen drei bis vier Blutzuckerselbstkontrollen am Tag, aber keine gelegentlichen Dosisanpassungen hervor. Mit dem Therapieaufwand gelinge eine gute Stoffwechseleinstellung. Die bei der Klägerin gebotene Stoffwechselführung bedürfe keiner besonders hohen Aufmerksamkeit und keines besonderen Therapieaufwandes im täglichen Ablauf; die Einstellungsqualität sei zufriedenstellend. Spürbare Leistungseinbußen infolge wechselnder Blutzuckerwerte und erheblich behindernde Auswirkungen des Diabetes bei der Planung des Tagesablaufes, der Freizeitgestaltung, der Mobilität und der Berufsausübung seien aus den vorliegenden Dokumentationen nicht erkennbar. Die für einen GdB von 50 zu fordernden gravierenden Einschnitte in der Lebensführung infolge der Stoffwechselerkrankung lägen demnach nicht vor.

Dagegen hat die Klägerin am 21. Februar 2014 Klage beim Sozialgericht (SG) H. erhoben und vorgetragen: Sie müsse täglich mindestens vier Insulininjektionen vornehmen. Dabei variiere die Dosis und sei abhängig vom jeweiligen Blutzuckerwert. Sie unterziehe sich drei täglichen Kurzzeitinsulininjektionen gegen 8:00 Uhr, 12:00 Uhr und 17:00 Uhr; kurz vor dem Schlafengehen führe sie darüber hinaus täglich gegen 22:00 Uhr eine Langzeitinsulininjektion durch. Sie messe im Übrigen mindestens zehnmal täglich ihren Blutzuckerwert. Es könne nicht von einem gut eingestellten Diabetes mellitus ausgegangen werden. Vielmehr komme es zu erheblichen Einschnitten, die sie als Erzieherin in einer H. Kindertagesstätte sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich gravierend in ihrer Lebensführung beeinträchtigten.

Das SG hat einen weiteren Befundbericht des Diabetologen L. vom 15. September 2014 eingeholt. Danach wiege die Klägerin nunmehr bei einer Größe von 1,74 m 73,9 kg. Es sei ein primär insulinabhängiger Diabetes mellitus (Typ I) mit sonstigen multiplen Komplikationen - nicht als entgleist bezeichnet - gesichert; die Behandlung erfolge derzeit ausschließlich mit Insulin. Es sei eine diabetische Polyneuropathie ohne motorische Ausfälle gegeben. Auch lägen keine Organkomplikationen aufgrund des Diabetes mellitus vor. Die Stoffwechsellage sei vergleichsweise stabil (HbA1c-Wert vom 17. Juni 2014: 6,3%). Aufgrund des Therapieaufwands bestehe eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung für die berufliche Tätigkeit, die Teilnahme am Sport und für Reisen, verbunden mit einer gravierenden Beeinträchtigung der Lebensführung.

In Auswertung des Befundberichts hat der Beklagte auf eine weitere prüfärztliche Stellungnahme des ärztlichen Gutachters Dr. med. W. vom 20. Oktober 2014 verwiesen, wonach keine abweichende Beurteilung gerechtfertigt sei. Aus den Befunden gingen keine wesentlichen Stoffwechselentgleisungen hervor; eine gravierende Einschränkung der Lebensführung und Funktionseinschränkungen der Organe seien nicht ersichtlich. In der Gesamtschau ergebe sich kein höherer GdB als 40. Die Klägerin reichte in der Folge eine Blutzuckerdokumentation für den Zeitraum vom 4. Februar bis 4. Mai 2015 ein.

Mit Befundbericht vom 23. März 2015 hat der Diabetologe L. eine weiterhin stabile Stoffwechsellage mitgeteilt. Der HbA1c-Wert wurde für den 2. März 2015 mit 6,7% angegeben. Die leichtgradige Polyneuropathie habe sich im Vergleich zu vorhergehenden Untersuchungen ebenfalls nicht verändert.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 5. Mai 2015 hat die Klägerin ausgeführt, dass kleinste Auswirkungen und Anstrengungen während des beruflichen Alltags zu Unterzuckerungen führen könnten; sie sei ständig damit beschäftigt, ihren Blutzucker durch Einnahme zusätzlicher Broteinheiten zu kontrollieren. Durch das Integrationsamt sei eine personelle Unterstützung über den Arbeitgeber gewährt worden. Es handele sich hierbei um Helfer, um sie bei den täglichen Aufgaben zu unterstützen, zum Beispiel beim Anziehen der Kinder oder bei der Betreuung im Freibereich. Im Falle einer Unterzuckerung benötige sie ca. eine dreiviertel Stunde, bis sie körperlich wieder in der Lage sei, ihre Berufstätigkeit auszuüben. Im Freizeitbereich seien die Unterzuckerungssituationen nicht so schwerwiegend wie im beruflichen Bereich; allerdings komme es auch hier - je nach Anstrengung und sportlicher Betätigung - zu Situationen, in denen zusätzliche Broteinheiten eingenommen werden müssten. Eine Unterzuckerung, die einer ärztlichen Notfallbehandlung bedurft hätte, sei bislang noch nicht eingetreten. Manchmal verspüre sie auch nachts Unterzuckerungszustände und müsse mit einem zusätzlichen zweiten Blutzuckermessgerät nächtliche Messungen durchführen. Die nächtlichen Blutzuckermessungen seien in den privaten Aufzeichnungen nicht mit aufgeführt. Sie führe regelmäßig mehr als vier tägliche Blutzuckermessungen durch.

Mit Urteil vom 5. Mai 2015 hat das SG die Beklagte verurteilt, bei der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 23. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2014 ab dem 2. Juli 2012 einen GdB von 50 festzustellen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin führe eine Insulintherapie mit mindestens vier Insulininjektionen unter einer Dosisanpassung der Insulingabe bei durchschnittlich 5,5 täglichen Blutzuckermessungen durch. Zudem bestünden erhebliche Einschnitte, die sich gravierend in ihrer Lebensführung auswirkten. Bei HbA1c-Werten von 5,6 bis 6,3 % sei zwar von einem gut eingestellten Diabetes mellitus auszugehen. Zu schweren hypoglykämischen Entgleisungen, die ärztlicher Fremdhilfe bedurft hätten, sei es bislang nicht gekommen. Die gleichzeitige diabetische Polyneuropathie gehe auch nicht mit motorischen Ausfällen einher. Es seien indes erhebliche Einschränkungen der Berufsausübung erkennbar, die eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erkennen ließen. Die vollschichtig als Kindergärtnerin tätige Klägerin könne diese Tätigkeit aufgrund wesentlicher krankheitsbedingter Einschränkungen allein durch die seitens des Integrationsamtes gewährte personelle Unterstützung ausführen. Da sie bei Unterzuckerungen vielfach für eine dreiviertel Stunde gänzlich als Betreuerin ausfalle, wirkten sich die Einschränkungen auf den beruflichen Kernbereich der Arbeit als Kindererzieherin aus. Dass sie in ihrer Freizeit nicht vergleichbar gravierend eingeschränkt sei, ändere nichts an der Bewertung; es sei für einen GdB von 50 nicht erforderlich, dass die zu einer erheblichen Teilhabebeeinträchtigung führenden Einschnitte mindestens zwei verschiedene Lebensbereiche betreffen müssten.

Gegen das ihm am 12. Mai 2015 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. Juni 2015 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung lasse sich eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung durch erhebliche Einschnitte in der Lebensführung nur unter strengen Voraussetzungen bejahen. Der Klägerin seien Helfer zur personellen Unterstützung zur Seite gestellt worden, die sie im beruflichen Alltag begleiteten, um sie bei den alltäglichen Aufgaben zu unterstützen. Gerade deshalb sei eine erhebliche Einschränkung der Berufsausübung ausgeschlossen; immer wenn sie krankheitsbedingt ihrer Tätigkeit nicht nachgehen könne, erhalte sie umgehend Hilfe, so dass keine erheblichen Nachteile für sie erkennbar seien.


Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 5. Mai 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.


Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch die Ausführungen des Beklagten im Berufungsverfahren seien nicht geeignet, eine abweichende rechtliche Bewertung herbeizuführen.

Der Senat hat einen weiteren Befundbericht des Arztes L. vom 22. Februar 2016 eingeholt, der im Wesentlichen gleich bleibende Befunde mitgeteilt hat. Die Klägerin wiege nunmehr 76,2 kg (Body-mass-Index 25,2). Hinsichtlich einer ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung werde kein Unterschied zu den anderen Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ I gesehen. Die Klägerin habe keine Beschwerden angegeben. Arbeitsunfähigkeitszeiten habe er nicht festgestellt. Der HbA1c-Wert habe am 22. Februar 2016 6,6 % betragen.

Am 24. Mai 2016 hat eine nichtöffentliche Sitzung des Senats stattgefunden. In dieser hat die Klägerin erklärt: Sie erhalte vom Integrationsamt seit 2013 personelle Unterstützung. Der Helfer sei während der gesamten Zeit ihres Dienstes in der Kindertagesstätte anwesend und müsse dann eingreifen, wenn eine Unterzuckerung eintrete. Dies kündige sich bei ihr regelmäßig durch Sehstörungen, Schwitzen und Zittern an. Die Unterzuckerungszustände dauerten dann etwa 30 bis 45 Minuten und träten mehrmals wöchentlich auf. Dies hänge insbesondere von der körperlichen Belastung ab. Problematisch seien etwa das Fußballspielen mit den Kindern oder Umräumarbeiten, etwa das Ausräumen der Tische vor dem Schlafen der Kinder. Unterzuckerungen könnten auch trotz entsprechender Vorbereitung (Essen) auftreten. Nach dem Berufsbild als Kindererzieherin sei es nicht möglich, ihr nur leichte Tätigkeiten zuzuweisen, welche ohne Unterzuckerungen ausgeführt werden könnten. Unterzuckerungssymptome träten schon ab einem Wert unter 4,5 mmol/l auf. Im privaten Freizeitbereich bereite sie sich (in der Regel mit einem Vorlauf von einer halben bis einer dreiviertel Stunde) durch entsprechende Nahrungsaufnahme beispielsweise auf Spaziergänge vor. Unterzuckerungen könnten dann trotzdem auftreten. Früher sei sie gern und häufig Fahrrad gefahren, zum Beispiel die Strecke von ca. 5 km bis zur Arbeitsstelle. Dies traue sie sich heute nicht mehr zu, da sie befürchte, bei einer Unterzuckerung mit dem Rad umzukippen. Beim Einkaufen werde sie meist von einem Familienmitglied begleitet.

In der mündlichen Verhandlung des Senats am 25. August 2016 hat die Klägerin u. a. ausgeführt: Sie fahre nunmehr stets mit dem Auto zu ihrer Arbeitsstelle in H.-K. Bei weiteren Strecken sitze indes ihr Ehemann am Steuer. Sie schwimme regelmäßig in einem zu ihrem Haus gehörenden Pool. Zuvor messe sie immer den Blutzucker und habe gegebenenfalls Traubenzucker zum Ausgleich dabei. Im Winter gehe sie spazieren. Hinsichtlich der Blutzuckerwerte wirke die Zufuhr von Lebensmitteln in einem Zeitraum von einer dreiviertel Stunde bis zu zwei Stunden. Sie arbeite wöchentlich 34 Stunden und betreue gemeinsam mit einer Kollegin eine Gruppe von 18 zwei- bis vierjährigen Kindern. Jedoch werde die Gruppe nicht immer von beiden Erzieherinnen betreut. Vielmehr arbeite die Klägerin auch oft allein, wobei sie dann von dem Helfer unterstützt werde. In letzter Zeit, seit den Betriebsferien im August, träten sehr häufig - regelmäßig mittags - Unterzuckerungen auf. Im Übrigen sei vor 14 Tagen eine neue Therapieeinstellung vorgenommen worden; sie müsse nunmehr nachmittags eine Zwischenmahlzeit einnehmen und noch einmal zusätzlich spritzen. Insgesamt spritze sie sich inzwischen fünfmal am Tag. Sie sei noch nie wegen der Diabeteserkrankung arbeitsunfähig gewesen. Einmal habe sie einen Karenztag genommen. Bei Unterzuckerungen gehe sie in das Büro der Kindertagesstätte und eine andere Kollegin bzw. der Helfer kümmerten sich um die Kinder.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 25. August 2016 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung (Blatt 254 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte eingelegte und nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung des Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Bescheide des Beklagten abgeändert und die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bejaht.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Antrag der Klägerin auf die Feststellung eines Behinderungsgrades von mindestens 50 ab dem 2. Juli 2012. Hierbei handelt es sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1, 56 SGG).

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt, da der festgestellte GdB von 40 rechtmäßig ist. Das Urteil das SG vom 5. Mai 2015 war entsprechend aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene SGB IX über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Rechtsgrundlage für den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den GdB die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Abs. 17 ermächtigt worden ist. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG; Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen.

Der hier streitigen Bemessung des GdB ist die GdS-Tabelle der VMG (Teil B) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil B, Nr. 1 a) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle die Teilhabe beeinträchtigenden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, Nr. 2 f) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).

Nach diesem Maßstab ist für die Funktionseinschränkungen der Klägerin nur ein GdB von 40 gerechtfertigt und die Schwerbehinderteneigenschaft nicht festzustellen. Dabei stützt sich der Senat auf die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen, die vorgelegten Diabetikertagebücher, die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten, die eigenen Angaben der Klägerin und die Aussage des Zeugen G. im Rahmen der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung.

Das Leiden der Klägerin betrifft das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" und wird durch den insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I geprägt. Auf der Grundlage der Zweiten Verordnung zur Änderung der VMG vom 14. Juli 2010 gilt nach Teil B, Nr. 15.1:

"Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.

Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen."

Das BSG hat mit Urteil vom 2. Dezember 2010 (B 9 SB/09 R, juris) diese Neufassung der VMG für rechtmäßig erklärt (vgl. BSG a.a.O. Rdnr. 26) und für die Zeit vor Inkrafttreten der Verordnung unter Hinweis auf das Urteil vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 10/06) bei der Bewertung des Einzel-GdB eines insulineingestellten Diabetes mellitus neben der Einstellungsqualität insbesondere den jeweiligen Therapieaufwand hervorgehoben, soweit sich dieser auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirkt. Hierbei ist der GdB eher niedrig anzusetzen, wenn bei geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht werden kann. Bei einem beeinträchtigenden, wachsenden Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilere Stoffwechsellage) wird der GdB entsprechend höher zu bewerten sein. Dabei sind - im Vergleich zu anderen Behinderungen - die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu prüfen (BSG a.a.O. Rdnr. 33). Bei therapiebedingten Einschränkungen in der Lebensführung können z.B. die Planung des Tagesablaufs, die Gestaltung der Freizeit, die Zubereitung der Mahlzeiten, die Berufsausübung und die Mobilität beachtet werden (vgl. Begründung zur Verordnungsänderung, BR-Drucksache 285/10 S. 3 zu Nr. 2).

Durch die Neufassung der VMG zum Diabetes mellitus erfordert die Feststellung eines GdB von 50 nicht nur mindestens vier Insulininjektionen pro Tag und ein selbständiges Anpassen der Insulindosis. Zusätzlich muss es - sei es bedingt durch den konkreten Therapieaufwand, die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger Auswirkungen der Erkrankung (z.B. Folgeerkrankungen) - zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung in der Lebensführung kommen (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012, B 9 SB 2/12 R, juris). Die Formulierung in Teil B, Nr. 15.1 VMG "und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind" ist daher nicht nur therapiebezogen gemeint, sondern dahingehend zu verstehen, dass neben dem eigentlichen Therapieaufwand durch die notwendigen Insulininjektionen und die selbständige jeweilige Dosisanpassung eine zusätzliche Wertung notwendig ist, um die Schwerbehinderung zu rechtfertigen. Der am insulinpflichtigen Diabetes mellitus Erkrankte muss wegen des reinen Therapieaufwandes und/oder den durch die Erkrankung eingetretenen weiteren Begleitfolgen generell gravierende Einschnitte in der Lebensführung erleiden. Dass zusätzlich ein gravierender Einschnitt in die Lebensführung festgestellt werden muss, ergibt sich aus den vorhergehenden Formulierungen der VMG für einen GdB von 30 bis 40. Hiernach sind für die Bewertung der Teilhabeeinschränkung der konkrete Therapieaufwand und die jeweilige Stoffwechselqualität von wertungserheblicher Bedeutung. Diese beiden Kriterien müssen entsprechend auch bei der höheren Bewertungsstufe eines GdB von 50 noch bedeutsam sein. Für die besondere Bedeutung der Stoffwechsellage spricht auch, dass nach den VMG außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen allein bereits eine Erhöhung des GdB rechtfertigen können.

Ein GdB von 50 setzt also mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbstständiges Anpassen der Insulindosis und durch erhebliche Einschnitte gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung voraus.

Diese Anforderungen für einen GdB von 50 erreicht die Klägerin unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht. Dabei hat der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16. Dezember 2014, B 9 SB 2/13 R, juris) eine Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche angestellt. Der Senat folgt insoweit den Einschätzungen der Versorgungsärzte des Beklagten.

Die Klägerin führt nach ihren eigenen und den Angaben ihres behandelnden Diabetologen L. eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen mit selbstständigen Dosisanpassungen der Insulingabe durch. Im Einzelnen hat sie sich bis Anfang August 2016 mindestens drei täglichen Kurzzeitinsulininjektionen gegen 8:00 Uhr, 12:00 Uhr und 17:00 Uhr unterzogen; kurz vor dem Schlafengehen hat sie darüber hinaus täglich gegen 22:00 Uhr eine Langzeitinsulininjektion durchgeführt. Seit Anfang August 2016 ist eine neue Einstellung vorgenommen worden; die Klägerin muss nunmehr nachmittags eine (zusätzliche) Zwischenmahlzeit einnehmen und eine fünfte tägliche Insulininjektion vornehmen. Dabei ist - insbesondere in Abhängigkeit vom gemessenen Blutzuckerwert - die Insulindosis zu variieren. Hinzu kommen aktuell regelmäßig etwa fünf bis elf Blutzuckermessungen, wobei zusätzliche Messungen vor besonderen körperlichen Aktivitäten, etwa sportlichen Betätigungen (Schwimmen), erforderlich sind.

Allerdings fehlt es bei der Klägerin an erheblichen Einschnitten, die sich so gravierend auf ihre Lebensführung auswirken, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt werden kann. Aufgrund der therapie- und erkrankungsbedingten Einschränkungen in der konkreten Lebensführung der Klägerin lässt sich eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus nicht erkennen.

Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der Lebensführung auswirken können, lässt sich feststellen, dass gravierende Auswirkungen bei der Klägerin nicht in hinreichendem Umfang in den Bereichen der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität vorliegen. Die von ihr angegebenen Nachteile sind zwar insgesamt einschränkend und belastend, jedoch nicht gravierend im Sinne der VMG. Zwar fährt die Klägerin aus Sorge vor Unterzuckerungen nicht mehr mit dem Fahrrad zu ihrer Arbeitsstätte, legt die Strecke indes mit dem eigenen Pkw zurück. Auch wenn sie bei weiteren Strecken (etwa auf Urlaubsreisen) lediglich Beifahrerin ihres Ehemannes ist, ist sie mithin in ihrer Mobilität nicht gravierend eingeschränkt. Sportliche und sonstige Freizeitaktivitäten sind - wenn auch mit erhöhtem Vorbereitungs-, Planungs- und Kontrollaufwand - weiterhin möglich. Die Klägerin schwimmt im hauseigenen Pool, unternimmt Spaziergänge und Urlaubsreisen, so dass ihr Freizeitverhalten durch die Erkrankung keine gravierenden Einschränkungen erfährt. Der Umstand, dass die Insulindosis auf die Mahlzeiten abgestimmt werden muss, ist Teil der Therapie und nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Gleiches gilt für den damit verbundenen zeitlichen Aufwand, den alle an Diabetes Erkrankten mit intensivierter Insulintherapie haben. Ein - im Vergleich zu anderen an Diabetes mellitus erkrankten Personen - außergewöhnlicher Aufwand bei der Zubereitung der Mahlzeiten ist weder dem Vortrag der Klägerin zu entnehmen noch sonst ersichtlich.

Eine gravierende Beeinträchtigung käme demnach lediglich noch im beruflichen Bereich in Betracht, ist im Ergebnis aber auch dort nicht gegeben.

Auch die Einschränkungen im Bereich der Berufsausübung sind nach Art und Umfang nicht derart ausgeprägt, dass hieraus im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung eine gravierende Beeinträchtigung resultieren könnte. Die Klägerin ist als Kindererzieherin in einer H. Kindertagesstätte tätig und übt diesen Beruf mit 34 Wochenstunden in einer - nach den einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen - Vollzeitbeschäftigung aus. Ihre Tätigkeit unterscheidet sich dabei nicht wesentlich von der ihrer Kolleginnen; im Termin vom 24. Mai 2016 hat sie angegeben, dass es nach dem Berufsbild der Kindererzieherin auch gar nicht möglich wäre, ihr etwa nur besonders leichte Tätigkeiten zuzuweisen, die nicht die Gefahr des Eintritts von Unterzuckerungensituationen nach sich ziehen würden. Zwar wird ihr über das Integrationsamt ein Helfer zur Seite gestellt, der die Klägerin insbesondere bei Tätigkeiten mit stärkerer körperlicher Belastung unterstützt. Aus einer Gesamtbetrachtung der eigenen Angaben der Klägerin sowie der Aussage des Zeugen G. in der mündlichen Verhandlung am 25. August 2016 lässt sich für den Senat nicht ableiten, dass der Umstand der "Bereitstellung" einer Unterstützungsperson für die Klägerin zu einer erheblichen Beeinträchtigung in ihrem beruflichen Wirkungskreis führen würde. Der sowohl von ihr selbst als auch vom Zeugen G. geschilderte Ablauf des Arbeitsalltags weist keine wesentlichen Abweichungen vom typischen Berufsbild einer Kindererzieherin bzw. Kindergärtnerin auf. Dass die Klägerin den Zeugen G. während der Dauer seiner unterstützenden Tätigkeit bei schwereren körperlichen Arbeiten hinzugezogen hat, stellt keine wesentliche Beeinträchtigung des Arbeitsalltags als Folge der Diabeteserkrankung dar. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass der Zeuge G. - ebenso wie nunmehr die neue Assistentin, Frau M. - weder die Ausbildung noch die konkrete Aufgabenzuweisung hatten bzw. haben, die Klägerin in solchen Situationen gewissermaßen "gleichwertig" zu ersetzen. Vielmehr werden die von der Klägerin betreuten Kinder dann grundsätzlich von einer hinzu gerufenen Kollegin mit betreut. Die Auswirkungen der Tätigkeit der Unterstützungspersonen sind mithin sowohl in Bezug auf den allgemeinen Arbeitsablauf in der Kindertagesstätte als auch im Hinblick auf den konkreten beruflichen Wirkungskreis der Klägerin begrenzt. Schon aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation, über die weder Herr G. noch Frau M. verfügen, wird die Klägerin durch diese Unterstützungspersonen auch nicht in ihrer gestaltenden Einflussnahme auf den Tagesablauf in der Kindertagesstätte beeinträchtigt. Aufgrund der gegebenen Umstände werden somit weder die Betätigungs- und Entfaltungsmöglichkeiten der Klägerin noch ihre Stellung innerhalb des Kollegiums in wesentlicher Hinsicht berührt. Dies ergibt sich letztlich auch aus der Aussage des Zeugen G., der bekundet hat, dass er die Klägerin als sehr engagiert erlebt habe; sie habe sich Angebote für die Kinder ausgedacht und Feste organisiert; der Beruf mache ihr sehr viel Freude. Die Klägerin ist durch die Tätigkeit der Unterstützungspersonen auch nicht etwa insofern erheblich beeinträchtigt, dass hierdurch ein "Übergreifen" in die persönliche Sphäre der Klägerin erfolgen würde. Der Kontakt mit dem Zeugen G. und Frau M. ist hinsichtlich der Intensität mit der üblichen Zusammenarbeit mit den "normalen" Kolleginnen vergleichbar, zumal die berufliche Kooperation gleichermaßen von der Klägerin wie auch vom Zeugen G. als sehr angenehm empfunden worden ist.

Entsprechendes gilt für den gelegentlichen (etwa halb- bis dreiviertelstündigen) "Ausfall" der Klägerin bei Unterzuckerungen. Diese gelegentlichen Ausfälle, ca. ein- bis zweimal pro Woche, führen nicht zu prägenden Beeinträchtigungen im Arbeitsalltag, sondern können regelmäßig durch Kollegen kompensiert werden.

Gegen eine einschneidende Beeinträchtigung innerhalb des beruflichen Bereichs spricht darüber hinaus, dass keine Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin infolge der Diabeteserkrankung gegeben sind.

Der Senat folgt nach alledem nicht der Einschätzung des SG, dass sich die krankheitsbedingten Einschränkungen auf den beruflichen Kernbereich der Arbeit als Kindererzieherin auswirkten.

Die Klägerin wird (bislang) über den einschränkenden Therapieaufwand hinaus auch nicht zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität in ihrer Leistungsfähigkeit und damit in ihrer Teilhabefähigkeit am Leben erheblich beeinträchtigt. Der Senat folgt auch insoweit den prüfärztlichen Stellungnahmen des Beklagten. Eine äußerst schwer regulierbare Stoffwechsellage ist jedenfalls bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht gegeben gewesen. Zwar hat die Klägerin angegeben, sie habe seit 14 Tagen eine neue Einstellung, müsse jetzt nachmittags eine Zwischenmahlzeit einnehmen und noch einmal zusätzlich spritzen. Nach dem kurzen Zeitraum lassen sich hieraus aber jedenfalls noch keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine dauerhafte Veränderung der Stoffwechsellage entnehmen. Auch die aus den Blutzuckertagebüchern hervorgehenden Werte weichen nicht in signifikanter Weise von denjenigen zahlreicher anderer an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus erkrankten Patienten ab. Der behandelnde Diabetologe L. hat zuletzt mit Befundbericht vom 22. Februar 2016 angegeben, bezüglich der Frage einer ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung werde kein Unterschied zu den anderen Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ I gesehen; die Klägerin selbst habe keine Beschwerden angegeben. Bereits mit Befundbericht vom 15. September 2014 hatte der Arzt auf eine vergleichsweise stabile Stoffwechsellage hingewiesen. Ebenso wenig ist es bei der Klägerin bislang zu schweren hypoglykämischen Entgleisungen mit dem Erfordernis ärztlicher Fremdhilfe gekommen. Auch wesentliche Folgeschäden sind durch den Diabetes mellitus noch nicht eingetreten. Die Polyneuropathie wird in den Befundberichten vom 15. September 2014 und 23. März 2015 ausdrücklich als leichtgradig beschrieben; motorische Ausfälle werden verneint. Gravierende psychische Belastungen als Folge der Erkrankung sind nach dem Vorbringen der Klägerin ebenfalls nicht erkennbar. Dementsprechend hat der behandelnde Arzt L. der Klägerin auch keine (diabetesbedingten) Arbeitsunfähigkeitszeiten attestiert.

Die Klägerin leidet nach den vorliegenden Befunden und ihrem eigenen Sachvortrag unter keinen weiteren Erkrankungen, die einen weiteren (Einzel-)GdB begründen könnten, so dass für eine Erhöhung des GdB aufgrund von Behinderungen in einem weiteren Funktionssystem kein Raum verbleibt.

Letztlich widerspräche die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bei der Klägerin dem nach Teil A, Nr. 3 VMG zu berücksichtigenden Vergleichsmaßstab. So spricht gegen die Annahme einer Schwerbehinderung ein wertungsmäßiger Vergleich mit anderen Erkrankungsgruppen, für die ein Einzel-GdB von 50 festgestellt werden kann. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden, wenn die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung der Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigen. Eine derartig schwere Funktionsstörung liegt bei der Klägerin nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG ist nicht gegeben.

Referenznummer:

R/R7454


Informationsstand: 15.11.2017