Urteil
Angelegenheiten nach dem SGB IX (SB) - Voraussetzung der Feststellung eines GdB von 50 bei Diabetes mellitus

Gericht:

LSG Sachsen-Anhalt 7. Senat


Aktenzeichen:

L 7 SB 115/14


Urteil vom:

03.11.2016


Grundlage:

Leitsatz:

Ein GdB von 50 aufgrund eines Diabetes mellitus setzt gravierende und erhebliche Einschnitte in die Lebensführung voraus. Die Aufgabe von sportlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten genügt nicht, wenn keine medizinische Notwendigkeit dafür vorliegt. Vereinzelte erhöhte Blutzuckerwerte und vereinzelte nächtliche Unterzuckerungen prägen nicht das durchschnittlich zu betrachtende Krankheitsbild, wenn daraus keine therapeutischen Konsequenzen gezogen werden.

Rechtsweg:

SG Halle, Urteil vom 23.10.2014 - S 30 SB 74/13

Quelle:

Justiz Sachsen-Anhalt

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Der am ... 1950 geborene Kläger beantragte am 9. November 2010 wegen eines Diabetes mellitus die Feststellung von Behinderungen nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX). Der Beklagte zog einen Befundschein der Fachärztin für Innere Medizin/Diabetologie W. bei, die über einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2 und eine intensivierte Insulintherapie (vier Insulininjektionen, drei bis viermal täglich Blutzuckermessungen mit Dosisanpassung) berichtete. Bisher sei keine Fremdhilfe oder notfallmäßige stationäre Einweisung wegen Blutzuckerentgleisungen nötig gewesen. Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Dezember 2010 bei dem Kläger ab 9. November 2010 einen GdB von 40 fest.

Mit Schreiben vom 9. Januar 2012 begehrte der Kläger die Neufeststellung seines Behinderungsgrades und legte Kopien seines Diabetikertagebuches vor. Der Beklagte zog einen weiteren Befundschein der Ärztin W. vom 17. Januar 2012 bei, die ergänzend über einen HbA1c-Wert von 9,2 % am 6. Dezember 2011 berichtete. Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes (Dr. Hi.) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21. November 2012 die Neufeststellung des GdB ab.

Dagegen legte der Kläger am 5. Dezember 2012 Widerspruch ein und verwies auf seine chronische Erkrankung. Allein aufgrund der exakten Medikation, seiner gesunden Ernährung, seiner sportlichen Betätigung und seiner soliden Lebensweise habe sich sein Gesundheitszustand in den letzten Jahren nicht weiter verschlechtert. Der Beklagte holte einen weiteren Befundschein der Ärztin W. ein, die über einen HbA1c-Wert von 7,6 am 20. September 2012 berichtete. Die bisher folgenlose Diabeteserkrankung werde weiterhin als intensivierte Insulintherapie geführt. Der Beklagte zog eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Internisten, Rheumatologen und Sozialmediziners Dr. Ha. vom 9. Februar 2013 bei, der keinen erhöhten Therapieaufwand, keine wesentlichen Einschnitte in der Lebensführung, keine Hypo- oder Hyperglykämien und keine ärztlich belegten Folgeerkrankungen feststellen konnte. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2013 wies der Beklagte dem folgend den Widerspruch des Klägers zurück.

Dagegen hat der Kläger am 11. März 2013 Klage beim Sozialgericht (SG) Halle erhoben und vorgetragen: Neben der intensivierten Insulintherapie müsse er auch noch orale Diabetesmittel einnehmen. Seine Erkrankung sei dennoch schwer einzustellen und er sei dadurch in seiner Lebensführung beeinträchtigt. Zudem leide er auch an Hypertonie, einer Fettstoffwechselstörung und Wirbelsäulenschäden mit Bewegungseinschränkungen. Er habe nunmehr auch Gefühlseinschränkungen in beiden Beinen. Ergänzend hat er am 7. Februar 2014 vorgetragen: Er habe sich wegen seiner Erkrankung beruflich verändern müssen. Er habe auch seine sportlichen Aktivitäten, welche er viele Jahre im Volleyball ausgeübt habe und wo er Vereinsvorsitzender gewesen sei, aufgegeben. Öffentliche Veranstaltungen besuche er nicht mehr, da es dort in der Regel untersagt sei, Getränke oder Essen mitzuführen. Er habe viele Jahre als Koch gearbeitet und dabei schwer heben und tragen müssen. Die nunmehr bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule seien mindestens mit einem GdB von 20 zu bewerten.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Der Urologe Dipl.-Med. T. hat am 10. Juli 2013 über die letztmalige Behandlung des Klägers im September 2011 berichtet. Dabei hätten keine urologischen Beschwerden vorgelegen. Die Fachärztin für Orthopädie Dr. Hü. hat am 30. Juli 2013 eine rezidivierende Lumboischialgie rechts und ein rezidivierendes Cervicobrachialsyndrom festgestellt. Der Befund habe eine Rotationseinschränkung nach rechts und einen deutlichen Druckschmerz ohne neurologische Ausfälle gezeigt. Die Diabetologin W. hat am 9. September 2013 über HbA1c-Werte von 7 % (Juni 2013) und 7,3 % (November 2013) berichtet. Den Blutdruck habe sie mit 134/90 mmHg festgestellt.

Am 13. Mai 2014 hat eine nichtöffentliche Sitzung des SG stattgefunden. In dieser hat der Kläger mitgeteilt: Er beziehe seit dem 1. Oktober 2013 Altersrente. In seinem Beruf als Koch sei er nicht mehr tätig. Zu Hause führe er den Haushalt, da seine Frau krankheitsbedingt dazu nicht mehr in der Lage sei. Zwei bis drei Stunden wöchentlich engagiere er sich beim Kinderschutzbund in E., indem er einen Kinderkochklub leite. Einmal wöchentlich sei er für ca. zwei Stunden in einem Tischtennisklub aktiv. Die letzte Untersuchung bei seiner Diabetologin habe einen HbA1c-Wert von 8,5 % ergeben. Gelegentlich nachts, in den letzten drei Monaten ca. fünfmal, träten bei ihm Unterzuckerungen auf. Er wirke dem entgegen, indem er Traubenzucker esse oder Cola trinke.

Mit Urteil vom 23. Oktober 2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Beim Kläger liege keine außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellage vor, da die Diabetologin W. für Diabetiker normale HbA1c-Werte angegeben habe. Schwere Hypo- oder Hyperglykämien oder Sekundärschäden aufgrund der Blutzuckererkrankung lägen nicht vor. Im Übrigen bestehe keine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Längere Krankheitszeiten hätten nicht vorgelegen. Der Kläger führe den Haushalt, engagiere sich für den Kinderschutzbund in einem Kochklub und betätige sich zwei Stunden in der Woche sportlich in einem Tischtennisklub. Zu Entgleisungen des Diabetes mellitus, die etwa eine Fremdhilfe oder einen stationären Krankenhausaufenthalt erforderlich gemacht hätten, sei es bislang nicht gekommen. Leichten Unterzuckerungen, wie sie nach seinen Angaben hin und wieder nachts vorkämen, begegne er mit der Einnahme von Cola oder Traubenzucker. Die angegebenen Nachteile seien einschränkend und belastend, jedoch nicht gravierend. Das bestehende Lumboischialgiesyndrom sowie das Cervicobrachialsyndrom seien angesichts einer nur leichten Rotationseinschränkung nach rechts und nicht vorhandenen neurologischen Ausfällen mit einem GdB von 10 wegen der geringen funktionellen Auswirkungen zutreffend bewertet. Dieser GdB von 10 erhöhe nicht den Gesamt-GdB.

Gegen das ihm am 21. November 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. Dezember 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung auf den hohen festgestellten HbA1c-Wert von 8,5 % hingewiesen. Das SG habe weder die Funktionseinschränkungen durch das Wirbelsäulenleiden noch den Zusammenhang zwischen der Diabeteserkrankung und der Fettstoffwechselstörung sowie den Gefühlseinschränkungen in beiden Beinen berücksichtigt.


Die Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Oktober 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm einen GdB von 50 ab 9. Januar 2012 festzustellen.


Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach seiner Ansicht bedürfe die tägliche Stoffwechselführung keiner besonders hohen Aufmerksamkeit und keines erheblichen Aufwandes. Spürbare Leistungseinbußen infolge wechselnder Blutzuckerwerte und erheblich behindernder Auswirkungen des Diabetes mellitus bei der Planung des Tagesablaufs, der Freizeitgestaltung und der Mobilität seien nicht zu erkennen.

Der Senat hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Die Ärztin W. hat mit Befundbericht vom 25. Juli 2015 folgende HbA1c-Werte mitgeteilt: 25. März 2014: 8,7; 24. Juni 2014: 7,2; 18. Juli 2014: 7,7; 10. Dezember 2014: 8,0; 9. März 2015: 7,3; 8. Juni 2015: 7,3. Eine Befundverschlechterung liege nicht vor. Schwere Hypoglykämien oder Krankenhausaufenthalte seien nicht aufgetreten. Der Kläger könne uneingeschränkt einen PKW führen und Sport ausüben. Die Fettleber des Klägers führe zu keiner Organkomplikation schweren Ausmaßes. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. D. hat am 3. Juli 2015 eine Omarthrose rechts, eine arterielle Hypertonie, einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit Neuropathie und eine Störung des Lipidstoffwechsels diagnostiziert. Der Diabetes mellitus bestehe unverändert fort. Die Schulterprobleme lägen seit August 2014 vor. Die Fettstoffwechselstörung sei unter Medikation gut eingestellt und verursache keine Funktionsstörungen. Auch die Hypertonie führe zu keinen Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere lägen keine Augenhintergrundveränderungen vor. Die kardiologische Untersuchung im Juni 2010 sei unauffällig gewesen. Auch die Nierenfunktionswerte seien unauffällig, sodass weder durch den Hypertonus noch durch den Diabetes mellitus eine sekundäre Organstörung habe festgestellt werden können. Folgende HbA1c-Werte hat die Ärztin angegeben: 27. November 2013: 8,5; März 2014: 9,1; 17. Juni 2014: 7,4; 26. März 2015: 7,3; 25. Juni 2015: 7,3. In Anlage hat die Ärztin einen Radiologiebefund vom 9. Januar 2015 übersandt, wonach eine aktivierte hypertrophe Schultergelenksarthrose mit Begleitbursitis festgestellt worden war. Dr. Hü. hat am 20. Juli 2015 über die Behandlung der Wirbelsäulenbeschwerden bis zum Jahr 2013 berichtet. Danach habe die Schultersymptomatik im Vordergrund gestanden. Im Oktober 2014 habe sie folgende Bewegungsmaße der rechten Schulter festgestellt: Abduktion/Adduktion 80/0/20 Grad nach der Neutral-Null-Methode, Innenrotation/Außenrotation 60/0/60 Grad. Im November 2014 habe sie die Abduktion/Adduktion mit 100/0/20 Grad festgestellt. Soweit einschätzbar, seien die Schmerzsymptomatik und Bewegungseinschränkungen rückläufig. Eine Polyneuropathie sei ihr nicht bekannt. Die Fachärztin für Orthopädie Dipl.-Med. W. hat am 25. November 2015 über die einmalige Behandlung des Klägers am 14. September 2015 berichtet. Danach leide der Kläger unter einem chronischen Cervicobrachialsyndrom rechts. Dadurch sei die Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS) mäßiggradig eingeschränkt. Es hätten keine motorischen und keine sensiblen Ausfälle vorgelegen. Angaben zur Schulter habe der Kläger nicht gemacht.

Der Beklagte hat in Auswertung dieser Befundberichte auf die versorgungsärztliche Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin S. vom 15. Dezember 2015 verwiesen. Danach sei unverändert von einem GdB von 40 für den Diabetes mellitus auszugehen. Eine elektrophysiologische Untersuchung zur Bestätigung bzw. zum Ausschluss einer Polyneuropathie sei nie durchgeführt worden. Die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule sei weiterhin mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der orthopädische Befund von Dipl.-Med. W. könne keinen höheren GdB begründen. Allein der MRT-Befund des Schultergelenks rechtfertige keinen GdB.

Am 27. April 2016 hat eine nichtöffentliche Sitzung des Senats stattgefunden, in der der Kläger erklärt hat, dass keine wesentliche Veränderung im Krankheitsverlauf des Diabetes mellitus eingetreten sei. Seine berufliche Tätigkeit habe er aufgrund der unregelmäßigen Arbeitszeiten aufgegeben. Tischtennis spiele er nur sporadisch. Er fahre auch in den Urlaub oder zur Kur. Ca. viermal monatlich habe er auch nächtliche Unterzuckerungen.

Mit Schreiben vom 3. Juni 2016 hat sich der Kläger und mit Schreiben vom 13. Juni 2016 der Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung des Senates. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit nach §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Die form- und fristgemäß eingelegte und gemäß § 143 SGG auch statthafte Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte mit Bescheid vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2013 die Neufeststellung des Behinderungsgrades ab 9. Januar 2012 abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft liegen weiterhin nicht vor.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Neufeststellungsantrag des Klägers vom 9. Januar 2012. Hierbei handelt es sich um eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, für die bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitraum vom Neufeststellungsantrag bis zur Entscheidung durch den Senat maßgeblich ist.

Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 28. Dezember 2010 beim Kläger einen GdB von 40 festgestellt und damit über den Behinderungsgrad des Klägers entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 Abs.1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades um wenigstens 10 ergibt. Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheids vom 28. Dezember 2010 vorgelegen haben, ist keine Änderung eingetreten. Die Funktionsstörungen des Klägers rechtfertigen auch weiterhin die Feststellung eines GdB von 40.

Nach § 69 Abs. 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Regelung knüpft materiell-rechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG, Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt.

Soweit der streitigen Bemessung des GdB die GdS-Tabelle der VMG (Teil A) zugrunde zu legen ist, gilt Folgendes: Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil B, Nr. 1) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).

Nach diesem Maßstab ist bei dem Kläger weiterhin ein GdB von 40 ab 9. Januar 2012 bis zum jetzigen Zeitpunkt festzustellen. Dabei stützt sich der Senat auf die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen, die Arztbriefe, die vorgelegten Diabetikertagebücher des Klägers, seine eigenen Angaben sowie die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten.

a) Das zentrale Leiden des Klägers betrifft das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" und wird durch den insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2 geprägt. Auf der Grundlage der Zweiten Verordnung zur Änderung der VMG vom 14. Juli 2010 gilt nach Teil B, Nr. 15.1:

"Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.

Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen."

Das BSG hat mit Urteil vom 2. Dezember 2010 (B 9 SB/09 R, juris) diese Neufassung der VMG für rechtmäßig erklärt (vgl. BSG a.a.O., Rdn. 26) und für die Zeit vor Inkrafttreten der Verordnung unter Hinweis auf das Urteil vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 10/06) bei der Bewertung des Einzel-GdB eines insulineingestellten Diabetes mellitus neben der Einstellungsqualität insbesondere den jeweiligen Therapieaufwand hervorgehoben, soweit sich dieser auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirkt. Hierbei ist der GdB eher niedrig anzusetzen, wenn bei geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht werden kann. Bei einem beeinträchtigenden, wachsenden Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilere Stoffwechsellage) wird der GdB entsprechend höher zu bewerten sein. Dabei sind - im Vergleich zu anderen Behinderungen - die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu prüfen (BSG a.a.O., Rdn. 33). Bei therapiebedingten Einschränkungen in der Lebensführung können z.B. die Planung des Tagesablaufs, die Gestaltung der Freizeit, die Zubereitung der Mahlzeiten, die Berufsausübung und die Mobilität beachtet werden (vgl. Begründung zur Verordnungsänderung, BR-Drucksache 285/10 S. 3 zu Nr. 2).

Durch die Neufassung der VMG zum Diabetes mellitus erfordert die Feststellung eines GdB von 50 nicht nur mindestens vier Insulininjektionen pro Tag und ein selbständiges Anpassen der Insulindosis. Zusätzlich muss es - sei es bedingt durch den konkreten Therapieaufwand, die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger Auswirkungen der Erkrankung (z.B. Folgeerkrankungen) - zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung in der Lebensführung kommen (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012, B 9 SB 2/12 R, juris). Die Formulierung in Teil B, Nr. 15.1 VMG "und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind" ist daher nicht nur therapiebezogen gemeint, sondern dahingehend zu verstehen, dass neben dem eigentlichen Therapieaufwand durch die notwendigen Insulininjektionen und die selbständige Dosisanpassung eine zusätzliche Wertung notwendig ist, um die Schwerbehinderung zu rechtfertigen. Der am insulinpflichtigen Diabetes mellitus Erkrankte muss daher wegen des reinen Therapieaufwandes und/oder den durch die Erkrankung eingetretenen weiteren Begleitfolgen generell gravierende Einschritte in der Lebensführung erleiden. Dass zusätzlich ein gravierender Einschnitt in die Lebensführung festgestellt werden muss, ergibt sich aus den vorhergehenden Formulierungen der VMG für einen GdB von 30 bis 40. Hiernach sind für die Bewertung der Teilhabeeinschränkung der konkrete Therapieaufwand und die jeweilige Stoffwechselqualität von wertungserheblicher Bedeutung. Diese beiden Kriterien müssen entsprechend auch bei der höheren Bewertungsstufe eines GdB von 50 noch bedeutsam sein. Für die besondere Bedeutung der Stoffwechsellage spricht auch, dass nach den VMG außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen allein bereits eine Erhöhung des GdB rechtfertigen können.

Ein GdB von 50 setzt damit mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbständiges Anpassen der Insulindosis und durch erhebliche Einschnitte gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung voraus. Diese Anforderungen für einen GdB von 50 erreicht der Kläger unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls während des gesamten streitbefangenen Zeitraums nicht. Dabei hat der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16. Dezember 2014, B 9 SB 2/13 R, juris) eine Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche angestellt. Der Senat folgt insoweit den Einschätzungen der Versorgungsärzte des Beklagten, die in medizinischer Hinsicht im Einklang mit den Angaben der behandelnden Ärzte des Klägers stehen.

Der Kläger führt nach den Angaben seiner Diabetologin W. und ausweislich seines Diabetikertagebuches eine intensivierte Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen und selbständigen Dosisanpassungen der Insulingabe durch. Hinzu kommen Blutzuckermessungen zu jeder Mahlzeit, sodass regelmäßig drei bis vier tägliche Messungen erfolgen. Allerdings fehlt es bei dem Kläger an erheblichen Einschnitten, die sich so gravierend auf seine Lebensführung auswirken, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt werden kann. Aufgrund der therapie- und erkrankungsbedingten Einschränkungen in der konkreten Lebensführung des Klägers lässt sich eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus nicht erkennen.

Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der Lebensführung auswirken können, lässt sich feststellen, dass gravierende Auswirkungen bei dem Kläger nicht in den Bereichen der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität vorliegen. Die von ihm angegebenen Nachteile durch seine Stoffwechselerkrankung sind insgesamt zwar einschränkend und belastend, jedoch nicht gravierend im Sinne der VMG. Der Kläger kann nach den Angaben seiner Diabetologin W. vom 25. Juli 2015 uneingeschränkt einen PKW führen. Auch unternimmt er regelmäßig Urlaubsreisen und fährt zur Kur. Der Kläger kümmert sich um den gemeinsam mit seiner Ehefrau bewohnten Haushalt. Er kann nach den Ausführungen seiner Ärztin uneingeschränkt Sport ausüben und spielt auch tatsächlich regelmäßig Tischtennis. Für die Aufgabe des Volleyballsports lässt sich daher keine medizinische Notwendigkeit feststellen. Auch der vom Kläger vorgetragene Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen, weil er dort kein Essen und Getränke mitnehmen könne, lässt sich nicht nachvollziehen. Dass ihm als Diabetiker das Mitführen von Traubenzucker bereits einmal untersagt worden sei, hat er nicht vorgetragen. Dem Kläger ist nach Auffassung des Senates die Teilhabe an der Gesellschaft, wenn auch mit einem erhöhten planerischen Aufwand verbunden, jedenfalls zumindest unter erschwerten Bedingungen (weitere Blutzuckermessungen und ggf. Reaktion durch Insulin- bzw. Traubenzuckergaben) möglich. Der Umstand, dass die Insulindosis auf die Mahlzeiten abgestimmt und möglichst exakt eingehalten werden muss, ist Teil der Therapie und nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Auch Zwischenmahlzeiten sind nicht krankheitsbedingt ausgeschlossen, sondern ebenfalls unter Beachtung eines Mehraufwandes möglich.

Auch gravierende Beeinträchtigungen im Bereich der Berufsausübung liegen nicht vor. Der Kläger hat am 1. Oktober 2013 seine berufliche Tätigkeit als Koch durch den Eintritt in die Altersrente beendet. Eine krankheitsbedingte Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bzw. eine Veränderung des Arbeitsbereichs wegen der Diabeteserkrankung ist nicht nachgewiesen. Erhebliche diabetesbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten bzw. maßgebliche Veränderungen der Medikation insbesondere während der beruflichen Tätigkeit sind nicht festzustellen. Die vorlegten Kopien der Blutzuckertagebücher aus den Jahren 2011 und 2012, also noch während der beruflichen Tätigkeit, zeigen viermal täglich gleichbleibende Insulindosen ohne Anpassungen.

Der Kläger wird über den einschränkenden Therapieaufwand hinaus nicht zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität in seiner Leistungsfähigkeit und damit in seiner Teilhabefähigkeit erheblich beeinträchtigt. Eine äußert schwer regulierbare Stoffwechsellage ist nicht festzustellen. Der HbA1c-Wert befindet sich, abgesehen von kurzzeitigen Verschlechterungen, weitgehend im Normalbereich für Diabetiker. Im streitbefangenen Zeitraum hat der HbA1c-Wert relativ konstant um 7,5% gelegen. Die nur vereinzelt erhöhten Blutzuckerwerte haben keine therapeutischen Konsequenzen nach sich gezogen. Da auch der Kläger und seine behandelnden Ärzte von einem gleichbleibenden Verlauf der Erkrankung ausgehen, lassen die vereinzelt erhöhten Blutzuckerwerte keine andere Bewertung zu. Denn sie sind nicht für den Krankheitsverlauf prägend. Schwere Hypoglykämien sind nicht aufgetreten. Die mit der Erkrankung üblicherweise einhergehenden Blutzuckerschwankungen und die damit verbundenen Symptome wie Konzentrationsschwankungen, Schwindel und Müdigkeit sind Teil der Erkrankung und damit auch bei der Höhe des GdB nach den VMG bereits berücksichtigt. Darüber hinausgehende erhebliche Blutzuckerschwankungen sowie damit verbundene Symptome lassen sich den Befunden der Diabetologin W. und der anderen behandelnden Ärzte nicht entnehmen. Es werden ausweislich der vorgelegten Diabetestagebücher auch keine regelmäßigen nächtlichen Blutzuckermessungen durchgeführt. Diese Notwendigkeit haben auch die behandelnden Ärzte nicht festgestellt. Die vereinzelt auftretenden nächtlichen Unterzuckerungen, denen der Kläger mit Traubenzucker und Cola entgegenwirkt, spiegeln nicht den regelmäßigen Therapieaufwand bzw. die Einstellungsqualität wider und können daher nicht zu einer GdB-Erhöhung führen. Im Übrigen musste sich der Kläger seit dem Neufeststellungsantrag bis zum heutigen Zeitpunkt keinen weiteren stationären Behandlungen bzw. keinen wesentlichen Therapieanpassungen wegen des Diabetes mellitus unterziehen. Auch dies spricht für eine stabile Einstellung des Diabetes mellitus. Die zusätzliche Einnahme von oralen Diabetesmedikamenten geht nicht mit zusätzlichen Einschränkungen einher, die im Rahmen der GdB-Feststellung durch eine Erhöhung Berücksichtigung finden könnten. Schließlich kann nicht GdB-erhöhend bewertet werden, dass der Kläger die im Wesentlichen stabile Einstellung des Diabetes mellitus neben einer exakten Medikation durch eine gesunde Ernährung, durch sportliche Betätigung und eine solide Lebensweise erreicht. Eine weitergehende Teilhabeeinschränkung ist damit nicht verbunden.

Bei dem Kläger führen nach den Berichten der Ärztin W. und Dr. D. auch keine Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus zu erheblichen Einschnitten in die Lebensführung. Die angegebene Polyneuropathie ist nicht durch eine elektrophysiologische Untersuchung bestätigt worden. Eine mit der Polyneuropathie einhergehende GdB-relevante Beeinträchtigung durch sensible oder motorische Beeinträchtigungen hat auch keiner der behandelnden Ärzte angegeben. Andere Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus liegen nach den Arztberichten nicht vor. Dr. D. hat in diesem Zusammenhang auf den unauffälligen Nierenbefund hingewiesen.

Daher kann nach alledem unter Beachtung der Gesamtumstände für den Diabetes mellitus bei dem Kläger kein höherer GdB als 40 festgestellt werden.

b) Außerdem ist bei dem Kläger ein Einzelbehinderungsgrad von 10 für die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule im Funktionssystem Rumpf festzustellen. Nach Teil B, Nr. 18.9 VMG rechtfertigen Funktionsstörungen geringen Grades einen Einzel-GdB von 10. Erst mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grades, bedingen einen Einzel-GdB von 20. Nach den orthopädischen Befundberichten von Dr. Hü. hat der Kläger bis zum Jahr 2013 an einer rezidivierenden Lumboischialgie rechts und einem rezidivierenden Cervicobrachialsyndrom gelitten. Die von ihr erhobenen Befunde zeigen neben einem deutlichen Druckschmerz aber keine bzw. nur leichte Einschränkungen (Rotationseinschränkung), die als leichte Funktionseinschränkungen nach den VMG maximal mit einem GdB von 10 bewertet werden können. In der Folgezeit hat Dr. Hü. vordergründig die Schulterbeschwerden behandelt, sodass sie keine Angaben mehr zu den Einschränkungen im Wirbelsäulenbereich machen konnte. Dipl.-Med. W. hat aufgrund der einmaligen Behandlung am 14. September 2015 zwar wiederum ein chronisches Cervicobrachialsyndrom diagnostiziert, aber auch nur von einer mäßiggradigen Bewegungseinschränkung berichtet. Auch dieser Befund rechtfertigt nicht die Annahme eines GdB von 20. Da die behandelnden Ärzte auch keine sensiblen oder motorischen Ausfälle festgestellt haben, kommt eine höhere Bewertung als mit einem GdB von 10 nicht in Betracht.

c) Das Bluthochdruckleiden des Klägers führt nach dem Befundbericht von Dr. D. zu keinen Funktionsbeeinträchtigungen, sodass nach Teil B, Nr. 9.3 VMG von einer leichten Form der Hypertonie mit einem Bewertungsrahmen von 0 bis 10 auszugehen ist. Da beim Kläger keine kardiale Leistungsbeeinträchtigung besteht und auch keine Augenhintergrundveränderungen vorliegen, kann maximal ein GdB von 10 festgestellt werden.

d) Die weiteren von den behandelnden Ärzten des Klägers mitgeteilten Erkrankungen waren Behandlungsleiden bzw. rechtfertigen keinen Einzel-GdB.

Für das im Jahr 2014 erstmals diagnostizierte Schultergelenksleiden kann kein GdB festgestellt werden. Allein die bildtechnisch durch den Radiologiebefund vom Januar 2015 nachgewiesenen degenerativen Veränderungen (aktivierte hypertrophe Schultergelenksarthrose mit Begleitbursitis) rechtfertigen nicht die Annahme eines GdB (VMG, Teil B, Nr. 18.1). Die von Dr. Hü. im Oktober und November 2014 erhobenen Bewegungsmaße der rechten Schulter führen auch nicht zur Feststellung eines Einzel-GdB. Insoweit ist nicht von einer dauerhaften GdB-relevanten Bewegungseinschränkung auszugehen, da die Ärztin im Juli 2015 berichtet hat, dass die Schmerzsymptomatik und die Bewegungseinschränkungen rückläufig seien. Die nach dem Umzug des Klägers nach W. konsultierte Orthopädin Dipl.-Med. W. konnte am 25. November 2015 nach der einmaligen Behandlung des Klägers keine Angaben zu einem Schulterleiden machen. Da der Kläger ihr gegenüber diese Leiden nicht einmal erwähnt hat, kann jedenfalls keine dauerhaft bestehende GdB-relevante Funktionseinschränkung festgestellt werden.

Eine urologische Funktionseinschränkung hat Dipl.-Med. T. mit Befundbericht vom 10. Juli 2013 ausgeschlossen. Schließlich kann aufgrund der Fettstoffwechselstörung kein Einzel-GdB festgestellt werden. Diese Labordiagnose ist nach den Angaben von Dr. D. unter Medikation gut eingestellt und nicht mit Funktionseinschränkungen verbunden. Auch hat die Ärztin W. keine GdB-relevanten Funktionsbehinderungen aufgrund der Fettleber mitgeteilt.

e) Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der VMG anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Danach kommt ausgehend von dem Einzel-GdB von 40 für das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" keine weitere Erhöhung aufgrund der weiteren Funktionsstörungen in Betracht. Die mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Funktionseinschränkungen (Wirbelsäule, Bluthochdruck) erhöhen nicht das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung (dazu VMG, Teil A, Nr. 3 ee). Für einen Ausnahmefall, der bei einem Einzel-GdB von nur 10 auch den Gesamtbehinderungsgrad erhöht, liegen hier keine Anhaltspunkte vor.

Letztlich widerspräche die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bei dem zwar krankheitsbedingt eingeschränkten, aber voll im gesellschaftlichen und zuvor auch beruflichen Leben integrierten Kläger dem nach Teil A, Nr. 3 VMG zu berücksichtigenden Vergleichsmaßstab. So spricht gegen die Annahme einer Schwerbehinderung ein wertungsmäßiger Vergleich mit anderen Erkrankungsgruppen, für die ein Einzel-GdB von 50 festgestellt werden kann. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden, wenn die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigen. Eine derartig schwere Funktionsstörung liegt bei dem Kläger nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegt nicht vor.

Referenznummer:

R/R7452


Informationsstand: 23.01.2018