Urteil
Auch bei Tätigkeiten am PC besteht kein Anspruch auf eine höhere Verletztenrente bei weitgehender Gebrauchsunfähigkeit der linken Hand

Gericht:

LSG Bayern 3. Senat


Aktenzeichen:

L 3 U 142/09


Urteil vom:

13.12.2010


Grundlage:

  • SGB VII § 56 Abs. 2 S. 1 u. 3

Leitsätze:

Ein Bankberater (Firmenkundenbetreuer) hat keinen Anspruch auf eine höhere Verletztenrente gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 und 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung/SGB VII) bei weitgehender Gebrauchsunfähigkeit der linken Hand. Eine besondere berufliche Betroffenheit liegt nicht vor, weil es bei Ausübung dieses Berufes besonders auf die geistigen Fähigkeiten ankommt. Die Einschränkungen bei der Benutzung eines PC's sind hierbei auch dann von untergeordneter Bedeutung, wenn die linke Hand als Gebrauchshand unfallbedingt geschädigt ist.

Rechtsweg:

SG Landshut Urteil vom 21.01.2009 - S 9 U 185/06

Quelle:

BAYERN.RECHT

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.01.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht geltend, dass sich die Folgen des Unfalles vom 05.01.1976 verschlimmert hätten und ihm deswegen höhere Leistungen nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) zustünden.

Der 1958 geborene Kläger hat am 05.01.1976 zur Vermeidung eines Unglücksfalles im Sinne von § 539 Abs.1 Nr.9a der Reichsversicherungsordnung (RVO) geholfen. Bei dem Versuch, einen ins Rutschen gekommenen PKW aufzuhalten, hat er sich eine schwere Quetschverletzung des linken Handgelenkes und des linken Ellenbogengelenkes zugezogen. Gestützt auf die Unterlagen des Kreiskrankenhauses F., das Gutachten des Chirurgen Dr.B. vom 22.03.1977 und des Neurologen Dr.S. vom 11.03.1977 hat die Beklagte mit Bescheid vom 12.05.1977 als Unfallfolgen einen Trümmerbruch des körperfernen Speichenendes links, einen Bruch des Ellengriffelfortsatzes mit Knochenausriss aus dem linken Ellenbogen und eine Durchtrennung des linken Ellennervens festgestellt. Dem Kläger ist eine Rente als vorläufige Leistung ab dem 11.12.1976 nach einer MdE um 20 v.H. bewilligt worden.

Im Rahmen der Nachbegutachtungen durch Dr.B. vom 20.07.1977 und 04.12.1978 ist die MdE von 20 v.H. bestätigt worden. Der Kläger ist mit Bescheid vom 28.10.1985 mit einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. abgefunden worden. Die Abfindungssumme hat sich auf 107.938,30 DM belaufen.

Der Kläger hat mit Neufeststellungsantrag vom 28.03.1993 geltend gemacht, die Verletzungsfolgen hätten sich permanent verschlechtert; insbesondere leide er unter ständigen Schmerzen im Handgelenk. Die Beklagte hat die Unterlagen des Orthopäden Dr.K. beigezogen, der mit ärztlichem Attest vom 26.04.1993 eine posttraumatische Arthrose des linken Handgelenks beschrieben hat. Dr.T. hat mit orthopädischem Gutachten vom 20.09.1993 einen Zustand nach Speichentrümmerbruch und degenerative Veränderungen der Speichengelenkfläche beschrieben; der ehemals abgerissene Ellengriffelfortsatz habe keinen knöchernen Anschluss gefunden. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. hat mit neurologischem Zusatzgutachten vom 20.09.1993 darauf hingewiesen, dass die Gebrauchsfähigkeit der linken Hand deutlich eingeschränkt, aber nicht aufgehoben sei; die neurologische Teil-MdE betrage unverändert 15 v.H. Dementsprechend hat die Beklagte mit Bescheid vom 21.12.1993 den Antrag auf Wiedergewährung einer Verletztenrente nach Abfindung abgelehnt.

In dem nachfolgenden Widerspruchsverfahren ist auf der Grundlage der Gutachten von Dres.K. und B. mit Bescheid vom 11.10.1994 ab dem 01.03.1993 eine MdE von 30 v.H. anerkannt worden. Als Folgen des Unfalles vom 05.01.1976 sind nunmehr eine leichtgradige Beugehemmung am linken Ellenbogengelenk, eine Verschlechterung der Drehfähigkeit im linken Unterarm und der Beweglichkeit im linken Handgelenk sowie eine Zunahme der Muskelschwäche des ganzen linken Armes, vor allem der linken Hand berücksichtigt worden.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 07.05.2001 auf eine weitere deutliche Verschlechterung der Unfallfolgen am linken Handgelenk bzw. linken Arm hingewiesen. Der Orthopäde Dr.H. hat mit Arztbrief vom 21.03.2001 eine schmerzhafte Radio-Carpalarthrose links sowie einen Zustand nach Ulnarisläsion links mit posttraumatischer Parese der Handmuskulatur beschrieben. Dr.K. hat mit ärztlicher Bescheinigung vom 03.04.2001 zunehmende Beschwerden und eine zunehmende Bewegungseinschränkung im Bereich der linken Hand attestiert. Gestützt auf das neurologische Zusatzgutachten des Dr.S. vom 25.09.2001 und das orthopädische Hauptgutachten des Dr.H. vom 29.10.2001 hat die Beklagte mit Bescheid vom 23.11.2001 das Vorliegen einer Verschlimmerung der Unfallfolgen anerkannt und mit Wirkung vom 01.01.2001 eine Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. bewilligt. Im Vergleich zu den mit Bescheid vom 11.10.1994 festgestellten Änderungsmerkmalen habe sich die Beweglichkeit des linken Handgelenks bezüglich der Bewegungen handrücken- und hohlhandwärts deutlich eingeschränkt und die Fähigkeit, einen Faustschluss links durchzuführen, vermindert. Ebenso sei es zu einer Zunahme der Radio-Carpalgelenkarthrose sowie der Schmerzzustände im linken Handgelenk gekommen. Darüber hinaus liege ein geringes Streckdefizit im Bereich des linken Ellenbogengelenks vor.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit weiterem Verschlimmerungsantrag vom 13.02.2004 das Attest des Allgemeinarztes Dr.D. vom 27.01.2004 vorgelegt. Die linke Hand des Klägers sei nur noch beschränkt gebrauchsfähig. Es sei zu einer Verschlechterung der Beschwerden gekommen.

Die Beklagte hat erneut Dr.H. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat mit orthopädischem Gutachten vom 10.05.2004 eine weitere Leidensverschlimmerung nicht feststellen können. Die von dem Kläger zum Zeitpunkt des Vorgutachtens geplante Denervierung zur Ausschaltung der Schmerzleitung vom linken Handgelenk sei nicht durchgeführt worden, da der Kläger befürchtet habe, seinen Arbeitsplatz (Bankberater mit zunehmender Arbeit am PC) zu verlieren. Im Folgenden hat es die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 23.06.2004 abgelehnt, dem Antrag auf Rentenerhöhung vom 13.02.2004 zu entsprechen. Es liege keine wesentliche Sachverhaltsveränderung im Sinne von § 48 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) i.V.m. § 73 Abs.3 SGB VII vor.

Der Kläger hat seinen Widerspruch mit Schreiben vom 08.09.2004 begründet. Um ein mit seinen Kollegen vergleichbares Arbeitsergebnis abzuliefern müsse er fast permanent Mehrarbeit leisten, was zwischenzeitlich bereits zu deutlichen Stresserscheinungen, Depressionen und Schlaflosigkeit geführt habe. Auch der Gehörsturz mit Tinnitus sei hierauf zurückzuführen. Die Beklagte hat die Unterlagen des Amtes für Versorgung und Familienförderung L. beigezogen. Dort sind nach dem Schwerbehindertenrecht (nunmehr: SGB IX) die Unfallfolgen übernommen worden. Ausweislich des Arztbriefes des HNO-Arztes Dr.E. vom 17.11.2004 hat der Kläger bereits seit 10.11.1997 über störende Geräusche auf beiden Ohren geklagt. Die MRT-Befunde vom 01.02.2000 und 12.07.2002 haben jedoch keinen Hinweis auf ein Akustikusneurinom ergeben. Dr.S. hat mit Befundbericht vom 18.11.2004 mitgeteilt, dass der Kläger auf Grund seiner Unfalldefizite im Bereich der linken Hand körperlich beeinträchtigt und deshalb beruflich überlastet sei; es bestünden stressbedingte Beschwerden in Form von Schwindelerscheinungen, Druckgefühl auf beiden Ohren, Tinnitus, Unruhe und rasche Erschöpfbarkeit. Im Rahmen seines nervenärztlichen Gutachtens vom 28.04.2005 hat Dr.S. die Schlaflosigkeit sowie die depressive Symptomatik nur in indirektem Zusammenhang mit dem Unfall vom 05.01.1976 gesehen. Dr.G. hat mit HNO-ärztlicher Stellungnahme vom 08.07.2005 keinen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Tinnitus erkennen können. Dr.K. hat mit ergänzendem nervenärztlichen Gutachten nach Aktenlage vom 09.11.2005 ausgeführt, aus dem zeitlichen Ablauf der Ereignisse ergebe sich, dass psychosomatische Beschwerden bzw. eine eventuell vorliegende depressive Symptomatik erst nach Manifestation des Tinnitus aufgetreten seien. Nachdem der Tinnitus zweifelsfrei unabhängig sei, seien auch die psychischen Beschwerden unfallunabhängig. Mit ergänzender Stellungnahme vom 30.12.2005 hat Dr.K. an seiner Auffassung festgehalten, dass allein nach Aktenlage der Kausalzusammenhang "Unfall-Tinnitus-Depressionen" eindeutig zu verneinen sei. Dementsprechend ist der Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.06.2004 mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2006 zurückgewiesen worden.

In dem sich anschließenden Klageverfahren hat der Kläger weiterhin eine Verschlimmerung der Unfallfolgen geltend gemacht. Die bestehende Depression und der Tinnitus seien wesentlich ursächlich auf den Unfall vom 05.01.1976 zurückzuführen.

Das Sozialgericht Landshut hat die Unfall-Akten der Beklagten, die Schwerbehinderten-Akten des ZBFS und die Unterlagen der Fachärztin für Allgemeinmedizin K. beigezogen. Der HNO-Arzt Dr.E. und der Facharzt für Neurologie Dr.C. erstellten unter dem 10.12. und 11.12.2007 aktuelle Befundberichte. Dr.K. (MVZ am Klinikum A-Stadt) sowie Prof.Dr.B. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M.) haben ihre handchirurgischen Berichte betreffend den Kläger zur Verfügung gestellt. Das Sozialgericht Landshut hat mit Beweisanordnung vom 13.02.2008 Dr.F. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Für ihn hat Chefarzt Dr.K. mit HNO-ärztlichem Gutachten vom 26.03.2008 ausgeführt, dass die Hörminderung und das Ohrgeräusch nicht auf den Unfall vom 05.01.1976 zurückzuführen seien. Gegen einen kausalen Zusammenhang sprächen fehlende Brückensymptome und ein zu großer zeitlicher Abstand. Auch sei es sehr unwahrscheinlich, dass die Einnahme des Schmerzmittels Ibuprofen Ursache für die Entwicklung der Ohrgeräusche sei.

Das Sozialgericht Landshut hat mit weiterer Beweisanordnung vom 15.04.2008 Dr.Dr.W. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. Dieser hat mit nervenfachärztlichem Gutachten vom 05.08.2008 darauf hingewiesen, es bestehe eine nicht chronifizierte Dysthymie von moderater Ausprägung. Ein Zusammenhang zum Unfallgeschehen könne jetzt 32 Jahre nach dem Unfallereignis kausal nicht mehr hergestellt werden. Nach einer kompletten Nervendurchtrennung mit nachfolgendem ergebnislosem Transplantationsbedürfnis hätten sich die Folgen einer kompletten Denervierung mit sämtlichen daraus resultierenden Funktionseinschränkungen relativ rasch gezeigt. Der Kläger habe aber jetzt berichtet, die depressive Diathese erstmals im Jahr 2000, also 24 Jahre nach dem Ereignis, bemerkt und im Jahr 2002 erstmals eine Behandlung abgerufen zu haben. Die depressive Störung sei auf Grund der Wahrnehmung entstanden, mit dem Arm nunmehr gesicherterweise "nichts mehr anfangen zu können". Ein solcher Zeitverlauf als Ausdruck eines Psychotraumas mit Erstmanifestation 24 Jahre nach dem Ereignis und der Erstbehandlung 26 Jahre danach wirke aus psychiatrischer Sicht schwerlich überzeugend. Für die letztlich entscheidende Frage (Höhe der MdE) sei wesentlich, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers weder durch die Folgen des Unfallereignisses (vor allem: Ulnarisschaden) noch durch die jetzt geltend gemachte depressive Diathese gefährdet werde. Der Kläger arbeite in seinem Beruf als Bankberater nach wie vor vollschichtig. Der angegebene und aktenkundige Zeitverlauf spräche gegen das Vorliegen eines unfallbedingten Psychotraumas. - Der weitere nach § 106 Abs.3 Nr.5 SGG beauftragte Sachverständige Dr.M. hat mit chirurgischem Gutachten vom 31.10.2008 eine geringfügige Verschlechterung der Beugefähigkeit im linken Ellenbogengelenk bestätigt, die jedoch zu keiner relevanten funktionellen Einschränkung geführt habe. Eine Erhöhung der MdE von 40 v.H. resultiere hieraus nicht, zumal eine leichte Verbesserung der Handgelenksbeweglichkeit eingetreten sei.

Das Sozialgericht Landshut hat die Klage gegen den Bescheid vom 23.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2006 mit Urteil vom 21.01.2009 abgewiesen und sich hierbei auf die Gutachten des Dr.K. vom 26.03.2008, des Dr.Dr.W. vom 05.08.2008 und des Dr.M. vom 31.10.2008 gestützt.

Im Rahmen des sich anschließenden Berufungsverfahrens hat der Senat die Unfall-Akten der Beklagten sowie die Streitakten des Sozialgerichts Landshut mit den zugehörigen Röntgenaufnahmen beigezogen. Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Berufung vom 07.04.2009 hervorgehoben, der Sachverhalt sei auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet weiter aufzuklären. Der nach § 109 SGG benannte und beauftragte Sachverständige Dr.D. kam mit psychiatrischem Sachverständigengutachten vom 19.10.2009 zu dem Ergebnis, nach dem Bekunden des Klägers sei etwa seit dem Jahr 2002 durch die Folgen des Unfalles unter Einbeziehung der Funktionsstörung der linken Hand eine MdE von 50 v.H. angemessen. Nur mit Mühe vermöge der Kläger bei zunehmender Denkeinengung einerseits und Belastung durch die Schmerzen bei zunehmender Computerarbeit andererseits die Leistungsfähigkeit in der Bank aufrechtzuerhalten. Im Vordergrund stehe nunmehr das Enttäuschungsthema (Verlust von Möglichkeiten, wie z.B. der, Musik studieren zu können). Das Gefühl der Entmächtigung habe die kompensatorische Abwehrstruktur des Probanden zusammenbrechen lassen und habe einer regressiv-depressiven Entwicklung Raum gegeben, verbunden schließlich mit einem primären und sekundären Krankheitsgewinn. Auch der Begutachtungskampf über die Jahre sei Zeichen eines hoch pathogenen Musters, in dem der Kläger versucht habe, die Frustration über das Erlittene und die dadurch entgangenen Zukunftspläne zu verarbeiten. Das Unfallereignis sei in seiner situativen Bedeutung eine notwendige Bedingung gewesen, um die Krankheit auszulösen. Ohne das Unfallereignis wäre wohl die Persönlichkeitsstruktur des Klägers nicht zusammengebrochen. Insoweit sei der Unfall vom 05.01.1976 ursächlich für die aktuell vorhandene mittelgradig depressive Episode.

Die Beklagte erwiderte mit Schriftsatz vom 30.11.2009, dass Dr.D. die im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsnormen völlig außer Acht gelassen habe. In den vorausgegangenen Begutachtungen sei der Tinnitus als unfallunabhängig bewertet worden. Dr.D. habe unzutreffend auch Einschränkungen der allgemeinen Befindlichkeit (Frustration), Verlust an Freizeitmöglichkeiten, verpasste Zukunftschancen und einen sekundären Krankheitsgewinn sowie konkrete Auswirkungen im ausgeübten Beruf als Firmenkundenbetreuer berücksichtigt.

Die Bevollmächtigten des Klägers beriefen sich mit Schriftsatz vom 14.01.2010 auf die gutachterlichen Ausführungen des Dr.D..


In der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2010 beantragt der Bevollmächtige des Klägers entsprechend seinem Schriftsatz vom 07.04.2009,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.01.2009 sowie den Bescheid vom 23.06.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 13.02.2004 eine Rente nach einer MdE von mindestens 50 v.H. zu gewähren.


Der Bevollmächtige der Beklagten beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.01.2009 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gegen das am 20.03.2009 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.01.2009 am 08.04.2009 eingegangene Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Landshut hat die Klage gegen den Bescheid vom 23.06.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2006 zutreffend abgewiesen. Die Funktionsstörungen Tinnitus und depressive Diathese stellen keine weiteren Folgen des Unfalles vom 05.01.1976 dar. Der Kläger hat gemäß § 56 Abs.1 SGB VII keinen Anspruch auf eine höhere Verletztenrente als die bereits bewilligte.

Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll", das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichender Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann, und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, das heißt nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).

Hiervon ausgehend ist in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Ausführungen der Nervenärztin Dr.K. vom 20.09.1993, des Nervenarztes Dr.K. vom 01.08.1994 und 22.07.1994, des HNO-Arztes Dr.K. vom 26.03.2008 und des Nervenarztes Dr.Dr.W. vom 05.08.2008 festzustellen, dass der bei dem Kläger bestehende Tinnitus nicht ursächlich auf den Unfall vom 05.01.1976 zurückzuführen ist. Denn bereits Dr.G. hat mit HNO-beratungsärztlicher Stellungnahme vom 25.07.2005 darauf hingewiesen, dass das den Kläger belastende Ohrgeräusch erst seit dem Hörsturz viele Jahre nach dem Unfall vom 05.01.1976 aufgetreten ist. Das Auftreten eines Hörsturzes bzw. auch ein Ohrgeräusch Jahrzehnte nach einem Unfallereignis, wobei es zudem nicht zu einem Schädeltrauma gekommen ist, steht nicht mit dem Unfall im Zusammenhang. Vielmehr hat auch der HNO-Arzt Dr.E. mit Befundbericht vom 17.11.2004 in Auswertung der MRT-Befunde vom 01.02.2000 und 12.07.2002 attestiert, dass kein Hinweis auf ein Akustikusneurinom bestanden hat. Vor allem hat Dr.K. mit Gutachten vom 09.11.2005 schlüssig und überzeugend dargestellt, dass der Kläger erstmalig am 10.11.1997 über in Ruhe störende Geräusche auf beiden Ohren geklagt hat, diese jedoch nicht unfallursächlich sind. Denn entsprechend den HNO-ärztlichen Befunden hat es sich um einen Tinnitus gehandelt, der nach einem akuten Hörsturz aufgetreten ist, wobei die Angaben über den Hörsturz zum Jahreswechsel 1999/2000 dürftig sind (vgl. Bericht der Gemeinschaftspraxis Radiologie A-Stadt vom 01.02.2000). - Dr.Dr.W. hat mit nervenärztlichem Gutachten vom 05.08.2008 insoweit die Ausführungen seiner Vorgutachter übernommen. Auch der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr.D. hat mit psychiatrischem Gutachten vom 19.10.2009 die diesbezüglichen Ausführungen hinsichtlich des Tinnitus nicht beanstandet.

Die bei dem Kläger bestehende depressive Diathese ist dem Unfallereignis vom 05.01.1976 ebenfalls nicht ursächlich anzulasten. Soweit Dr.D. mit Gutachten vom 19.10.2009 ausgeführt hat, das Unfallereignis sei in seiner situativen Bedeutung eine notwendige Bedingung gewesen, um die Krankheit auszulösen, ohne das Unfallereignis wäre die Persönlichkeitsstruktur des Klägers wohl nicht zusammengebrochen, handelt es sich nur um einen auslösenden Faktor. Auslösende oder Gelegenheitsursachen stellen jedoch nicht die wesentliche Ursache oder Mitursache im Rahmen der zu beachtenden sozialrechtlichen Kausalitätsnorm dar. Hierauf hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.11.2009 zutreffend hingewiesen. Weiterhin hat Dr.D. unzutreffend mitberücksichtigt, dass der Kläger auch an Einschränkungen der allgemeinen Befindlichkeit leidet (Frustration), Verlust an Freizeitmöglichkeiten (z.B. Musik auszuüben) und verpasste Zukunftschancen beklagt sowie ein primärer und sekundärer Krankheitsgewinn besteht. Diese Umstände fallen jedoch nicht mehr in den Risikobereich der gesetzlichen Unfallversicherung, für die die Beklagte einzustehen hat. Denn der hier lediglich mittelbare Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 05.01.1976 genügt nicht, um einen Ursachenzusammenhang im sozial- oder unfallrechtlichen Sinn begründen zu können.

Nach § 48 Abs.1 SGB X i.V.m. § 73 Abs.3 SGB VII ist bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) eine Änderung nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt; bei Renten auf unbestimmte Zeit muss die Veränderung der MdE länger als drei Monate andauern. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall. Denn wie vorstehend dargelegt sind keine weiteren Unfallfolgen auf HNO-ärztlichem oder nervenärztlichem Gebiet anzuerkennen. Hinsichtlich des chirurgischen Fachgebiets hat Dr.M. mit Gutachten vom 31.10.2008 schlüssig und überzeugend ausgeführt, dass es zu einer geringfügigen Verschlechterung der Beugefähigkeit im linken Ellenbogengelenk gekommen ist, welche jedoch durch die Verbesserung der Handgelenksbeweglichkeit teilweise wieder aufgewogen wird. Es verbleibt daher bei einer MdE von 40 v.H.

In diesem Zusammenhang verkennt der Senat nicht, dass der Kläger in seinem ausgeübten Beruf als Firmenkundenbetreuer wegen der Notwendigkeit der Benutzung eines PCs konkret betroffen ist. Gemäß § 56 Abs.2 Satz 1 und 3 SGB VII wird der Begriff der MdE entsprechend der Rechtsprechung jedoch im Sinne einer abstrakten Schadensbemessung definiert. Positiv ausgedrückt wird mit dem Begriff der MdE eine auf die Tätigkeiten im Erwerbsleben allgemein bezogene Funktionsbeurteilung vorgenommen (Kranig in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung, Rz.1 zu § 56 SGB VII). Eine besondere berufliche Betroffenheit liegt im Falle des Klägers nicht vor, weil es besonders auf seine geistigen Fähigkeiten als Firmenkundenbetreuer ankommt. Nachdem noch eine gewisse Handgelenksbeweglichkeit links besteht, sind die Einschränkungen bei der Benutzung des PCs von untergeordneter Bedeutung, zumal der Kläger seine rechte Hand hierfür im Wesentlichen einsetzen kann, auch wenn er Linkshänder ist.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.01.2009 zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).

Referenznummer:

R/R5551


Informationsstand: 06.06.2013