Urteil
Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Wegeunfalles

Gericht:

LSG Bayern 3. Senat


Aktenzeichen:

L 3 U 145/08


Urteil vom:

25.01.2011


Leitsätze:

Erleidet ein Versicherter auf dem Weg zur Arbeit ein Schleudertrauma, weil ein Fahrzeug von hinten auf das Fahrzeug des Versicherten auffährt, resultiert hieraus regelmäßig kein Anspruch auf eine Verletztenrente im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 v.H. wird nur in (hier nicht gegebenen) Ausnahmefällen erreicht.

Rechtsweg:

SG Regensburg Urteil vom 19.02.2008 - S 4 U 186/05

Quelle:

BAYERN.RECHT

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 19.02.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Verletztenrente gemäß § 56 Abs.1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) wegen der Folgen des Wegeunfalles vom 14.02.2001.

Die 1968 geborene Klägerin ist Fertigungsmitarbeiterin bei der Firma S. AG in E-Stadt. Sie hat sich am 14.02.2001 in ihrem Pkw auf dem Weg zur Arbeit befunden, als an einer roten Ampel der nachfolgende Bus ihr von hinten auf den Pkw aufgefahren ist. Dr. B. hat mit Durchgangsarztbericht vom 14.02.2001 mitgeteilt, dass die Klägerin angeschnallt gewesen ist. Beim Eintreffen hat sie unter einem leichten Unfallschock gestanden. Die Kreislaufverhältnisse sind stabil gewesen. Die Klägerin hat über Hinterhauptkopfschmerzen, Nackenschmerzen und ein leichtes Ziehen im Bereich der linken Schulter geklagt. Es hat sich kein Hinweis für eine Commotio cerebri ergeben. Die periphere Durchblutung und Neurologie ist regelrecht gewesen. Brustwirbel- und Lendenwirbelsäule, Thorax, Abdomen und Extremitäten sind unauffällig gewesen. Röntgenaufnahmen des Schädels und der Halswirbelsäule haben keinen Hinweis für eine knöcherne Verletzung ergeben. Dr. B. hat abschließend eine Schädelprellung und eine HWS-Distorsion diagnostiziert sowie eine Zervikalstütze rezeptiert.

Nachdem der Arbeitgeber mit Unfallanzeige vom 03.04.2001 neben einer Prellung der Halswirbelsäule einen Gehörsturz als Unfallfolge geltend gemacht hat, hat die Beklagte Unterlagen der Gemeinschaftspraxis für Radiologie Dr. L., der Gemeinschaftspraxis Dres. N. und N., des Chirurgen und Unfallchirurgen Dr B. sowie des Facharztes für HNO-Heilkunde H. beigezogen. Dr. B. hat mit Zwischenbericht vom 03.05.2001 einen Zustand nach HWS-Distorsion und Schädelprellung mit Tinnitus links beschrieben. Die Patientin klage noch gelegentlich über Kopfschmerzen und Ohrensausen. Nach Rücksprache mit dem Facharzt für HNO-Heilkunde H. habe sich ein weitgehend unauffälliger Status des HNO-Bereiches mit minimalem Tinnitus links gezeigt. Dr. M. hat mit neurologischem Befundbericht vom 12.08.2002 mitgeteilt, dass sich nach Angaben der Klägerin nach dem Unfall ein anhaltender, linksseitiger Tinnitus eingestellt habe. Aus neurologischer Sicht bestehe ein Zustand nach Distorsion der HWS ohne Hinweis für eine posttraumatische Komplikation bzw. zerebrale Beteiligung.

Entsprechend den Hinweisen der Bevollmächtigten, die die Klägerin im Rahmen der Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gegenüber der A.-Versicherungs-AG vertreten haben, hat die Beklagte einen umfassenden Auszug aus den medizinischen Daten der Gemeinschaftspraxis Dr. S. und B. eingeholt. Diese haben mit Bericht vom Januar 2003 vor allem über persönliche Schwierigkeiten der Klägerin berichtet (Verlust des Freundes, familiäre Problematik, kranke Mutter, psychische Überforderung). Die angeregte Begutachtung bei Dr. M. ist nicht zu Stande gekommen, weil dieser sich gegenüber der Beklagten lediglich mit dem weiterem neurologischem Befundbericht vom 10.12.2003 geäußert hat: Bei der Klägerin bestehe anamnestisch ein Hinweis für eine abgelaufene Distorsion der Halswirbelsäule; vom neurologischem Fachgebiet aus würden sich keine Hinweise für eine durch das Schleudertrauma assoziierte zerebrale oder spinale Läsion ergeben, auch keine Hinweise für ein radikuläres Ausfallmuster. Die von der Klägerin angegebenen Schwindelerscheinungen seien derzeit nicht sicher im Rahmen einer zentrovestibulären Affektion zu interpretieren oder derzeit auch von ihrer Genese her von seinem Fachgebiet aus nicht objektivierbar. Der von HNO-ärztlicher Seite angegebene rechtsseitige Tinnitus sei gutachterlich zu würdigen.

Die Beklagte hat ein Gutachten auf HNO-fachärztlichem Gebiet von Dr. G. eingeholt. Der Sachverständige hat mit Gutachten vom 17.05.2004 ausgeführt, dass auf Grund des Unfallgeschehens ein ständiges Ohrgeräusch links bestehe, das eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 zur Folge habe.

Die Beklagte hat ein nervenärztliches Zusatzgutachten von Dr. D. eingeholt. Dieser ist mit Gutachten vom 21.06.2004 zu dem Ergebnis gekommen, dass sich auf neurologischem Fachgebiet keine Ausfallsymptomatik objektivieren lässt. Es sei von einem HWS-Distorsionstrauma ohne strukturelle Läsionen auszugehen. Der Schwindel sei sicher nicht als paroxysmaler Lagerungsschwindel einzuordnen; auch hätten sich keine Hinweise für eine zerebrale Dysfunktion ergeben.

Die Beklagte hat weiterhin ein unfallchirurgisches Gutachten von Prof. Dr. B. eingeholt. Dieser hat mit Gutachten vom 07.06.2004 die unfallbedingte Distorsion der Halswirbelsäule mit einer MdE von 10 v.H. bewertet. Unter Berücksichtigung der Unfallfolgen auf HNO-ärztlichem Fachgebiet ist für die Zeit ab 26.05.2001 eine MdE von 15 v.H. festgestellt worden.

Dementsprechend hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 08.09.2004 ausgeführt, die noch bestehenden Unfallfolgen "Bewegungseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule mit Muskelhartspannbildung bei Steilstellung der Halswirbelsäule mit glaubhaften subjektiven Beschwerden, linksseitiger Tinnitus sowie Schwindelerscheinungen" hätten eine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 25.03.2001 zur Folge gehabt. Ein Rentenanspruch bestehe jedoch nicht, weil die Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach Eintritt des Arbeitsunfalles nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert sei.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.09.2004 ist mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2005 zurückgewiesen worden.

In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Regensburg die Unfall-Akten der Beklagten und die Röntgenaufnahmen des Dr. B. beigezogen. Gleiches gilt für die Kernspintomographieaufnahmen der Gemeinschaftspraxis Radiologie Dres. G. und Kollegen. Mit Beweisanordnung vom 16.03.2006 ist Dr.K. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur ärztlichen Sachverständigen bestellt worden. Die Gutachterin hat mit nervenärztlichem Gutachten vom 06.07.2006 zusammenfassend ausgeführt, dass bei der Klägerin als Folge des am 14.02.2001 erlittenen Unfalles keine Verletzungen vorliegen würden, die zu dauerhaften Folgen auf nervenärztlichem Fachgebiet geführt hätten.

Der Bevollmächtige der Klägerin hat letztendlich den Neurologen Dr. M. gemäß § 109 SGG benannt. Dr. M. hat mit Kurznachricht vom 10.10.2006 mitgeteilt, dass er sich von einer Begutachtung auf neurologischem Fachgebiet keine neuen Erkenntnisse erwarte. Die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens werde anheimgestellt.

Das Sozialgericht Regensburg hat mit Nachricht vom 13.08.2007 um Mitteilung gebeten, ob der Antrag nach § 109 SGG aufrechterhalten werde. Nachdem der Bevollmächtige der Klägerin auch die Erinnerung des Sozialgerichts Regensburg vom 06.09.2007 unbeantwortet gelassen hat, hat das Sozialgericht Regensburg nach entsprechender Ankündigung vom 25.09.2007 die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.02.2008 abgewiesen. Das Unfallereignis selbst sei in keinem Fall geeignet gewesen, erlebnisreaktive Störungen hervorzurufen, was allein schon dadurch ersichtlich werde, dass die Klägerin keine ernsthaften und dauerhaften Verletzungen erlitten habe.

In dem sich anschließenden Berufungsverfahren hat der Senat die Unfall-Akten der Beklagten sowie die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen. Der auch hier letztendlich nach § 109 SGG benannte und beauftragte Sachverständige Dr. S. ist mit psychiatrischem Fachgutachten vom 04.06.2009 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin auf Grund des Arbeitsunfalles vom 14.02.2001 eine posttraumatische Belastungsstörung, eine leichte depressive Episode sowie eine psychisch überlagerte somatische Störung entstanden sei. In Berücksichtigung der psychologischen Faktoren "Tinnitus, Bruxismus, Schwindel und HWS-Schmerzen" betrage die Gesamt-MdE rückblickend ab dem 14.08.2001 40 v.H.

Dr. W. hat mit beratungsärztlicher Stellungnahme vom 24.08.2009 erwidert, dass vor allem entsprechend dem Krankenblatt der Hausärztin Dr. S. für die Zeit von 1992 bis 1999 und den erstinstanzlich eingeholten Gutachten von einem pathologischen Verarbeitungsprozess auf dem Boden einer entsprechenden Persönlichkeitsstruktur auszugehen sei, das heiße von einer unfallunabhängigen Struktur. Die Nervenärztin Dr. K. habe die unfallunabhängige psychopathologisch auffällige Vorgeschichte der Klägerin auch angemessen berücksichtigt, während Dr. S. diese hier zweifellos entscheidende Vorgeschichte nicht herausgearbeitet habe. Dieser habe sich von der Klägerin sagen lassen, dass ihre persönlichen und psychischen Verhältnisse bis zu dem Ereignis vom 14.02.2001 harmonisch verlaufen seien.

In Berücksichtigung der divergierenden ärztlichen Voten hat der Senat Dr. C. gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG zum weiteren ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat mit nervenfachärztlichem Gutachten vom 11.05.2010 ausgeführt, die Klägerin sei seit dem Jahre 1992 wiederholt wegen psychischer Beschwerden behandelt worden und sei auch wiederholt unter der Diagnose eines Erschöpfungssyndroms krankgeschrieben worden (vgl. die hausärztlichen Aufzeichnungen in den Unterlagen). Auch habe Dr. S. unzutreffend die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialem Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" zu Grunde gelegt.

Der nachfolgende Antrag vom 04.08.2010 auf Ablehnung des Gutachters Dr. C. wegen Besorgnis der Befangenheit wurde mit Beschluss des BayLSG vom 06.10.2010 abgelehnt. Unterschiedliche gutachterliche Auffassungen würden weder eine Befangenheit des einen noch des anderen Gutachters aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten bei vernünftiger und objektiver Betrachtungsweise begründen.


In der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2010 stellt der Bevollmächtige der Klägerin den Antrag, die Gutachter Dr. S. und Dr. C. gegenüberzustellen. Er stellt entsprechend der Berufungsschrift vom 27.03.2008 weiterhin den Antrag,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 19.02.2008 aufzuheben und den Bescheid vom 08.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2005 insoweit abzuändern, als die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 30 v.H. zu gewähren.


Der Bevollmächtige der Beklagten beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 19.02.2008 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Regensburg hat die Klage gegen den Bescheid vom 08.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2005 zutreffend mit Gerichtsbescheid vom 19.02.2008 abgewiesen.

Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll", das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, das heißt nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).

Hiervon ausgehend ist in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Voten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 06.07.2006 und des Nervenarztes Dr. C. mit Gutachten vom 11.05.2010 festzustellen, dass auf neurologischem und vor allem psychiatrischem Fachgebiet keine weiteren Gesundheitsstörungen unfallbedingt vorliegen als die mit Bescheid vom 08.09.2004 bereits festgestellten Unfallfolgen. Die gegenteiligen Ausführungen des Dr. S. mit psychiatrischem Fachgutachten vom 04.06.2009 überzeugen nicht. Denn bereits Dr. M. hat mit Befundberichten vom 12.08.2002 und 10.12.2003 ausgeführt, dass bei der Klägerin sich keine Hinweise für eine durch das Schleudertrauma assoziierte zerebrale oder spinale Läsion ergeben hat. Auch bestehen keine Hinweise für ein radikuläres Ausfallmuster. - Vor allem können die von Dr. S. mit psychiatrischem Gutachten vom 04.06.2009 beschriebenen Gesundheitsstörungen "posttraumatische Belastungsstörung, leichte depressive Episode und psychisch überlagerte somatische Störungen" nicht als wesentlich durch den Unfall vom 14.02.2001 mitverursachte Gesundheitsstörungen angesehen werden. Denn bereits Dr. S. hat mit hausärztlichem Auszug aus ihren medizinischen Unterlagen eingehend dargelegt, dass die Klägerin in den Jahren 1992 bis 1999 erheblichen Belastungen ausgesetzt gewesen ist (Verlust des Freundes, familiäre Problematik, kranke Mutter, psychische Überforderung). Wegen des hieraus resultierenden Erschöpfungssyndroms ist die Klägerin wiederholt behandelt und arbeitsunfähig geschrieben worden. Wegen mangelnder Unterhaltszahlungen des geschiedenen Vaters an die kranke Mutter ist die Klägerin und ihr Bruder verpflichtet worden, diese mit 500,00 DM monatlich zu unterstützen. Die Klägerin hat deswegen zeitweilig sogar an drei bis vier Arbeitsstellen gearbeitet und ist von Dr. S. als überarbeitet beschrieben worden.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. S. hat die Angaben der Klägerin völlig unkritisch übernommen, sie habe bis zum Zeitpunkt des Unfalles keine psychischen Beschwerden oder Erkrankungen gehabt und sei nie in nervenärztlicher oder psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung gewesen. - Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, dass sich Dr. S. im Rahmen seines psychiatrischen Fachgutachtens vom 04.06.2009 nicht kritisch mit der Vorgeschichte der Klägerin auseinandergesetzt hat. Insoweit überzeugen vielmehr die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. W. vom 24.08.2009 und die gutachterlichen Ausführungen des Dr. C. mit nervenfachärztlichem Gutachten vom 11.05.2010 und ergänzender Stellungnahme vom 10.09.2010. Bei der Klägerin hat ein pathologischer Verarbeitungsprozess auf dem Boden einer entsprechenden Persönlichkeitsstruktur, also unfallunabhängig stattgefunden. Bereits unter dem Datum 20.05.1992 hat die Klägerin angegeben, dass sie sich seelisch in einem tiefen Loch befinde. Neben einer beruflichen Überlastung hat sie über die Trennung von dem Freund geklagt, den sie eigentlich im August habe heiraten wollen. Die Situation der Mutter, die sich in S. in der psychosomatischen Klinik befunden hat, ist ebenfalls als belastend dokumentiert. Vor allem im Jahr 1995 ist eine "akute Krisenintervention" offenbar auf Grund familiärer Probleme erfolgt. Die Klägerin hat angegeben, dass es "überall Probleme hagele, mit denen sie kaum zurechtkomme". Hausärztlicherseits ist von einer "psychischen Dekompensation" gesprochen worden, wenig später von einem Erschöpfungszustand und von einer depressiven Verstimmung. Wiederum ist eine Krisenintervention erforderlich geworden. Auch im Jahr 1998 ist eine Behandlung wegen eines Erschöpfungssyndroms durchgeführt worden. - Der Senat teilt daher die übereinstimmenden Auffassungen der Dr. K., des Dr. W. und des Dr. C., dass die bei der Klägerin bestehenden Funktionsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet dem Unfallereignis vom 14.02.2001 nicht ursächlich angelastet werden können, auch nicht im Sinne einer wesentlichen Teilursache.

Nach § 56 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf eine Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 v.H. gemindert ist. Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall. Denn nach den schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. G. vom 17.05.2004, des Neurologen Dr. D. vom 21.06.2004 und des Chirurgen Prof.Dr.B. vom 07.06.2004, bestätigt durch die gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. K. mit Gutachten vom 06.07.2006 und Gutachten des Dr. C. vom 11.05.2010 sind die bei der Klägerin bestehenden Unfallfolgen "Bewegungseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule mit Muskelhartspannbildung bei Steilstellung der Halswirbelsäule mit glaubhaften subjektiven Beschwerden, linksseitiger Tinnitus sowie Schwindelerscheinungen" mit einer MdE von 15 v.H. zutreffend und ausreichend bewertet. Deren Votum entsprechend den im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden "MdE-Erfahrungswerten" (vgl. Kranig in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB VII, Rz.53 ff.; vgl. ‚Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage Rz.8.3.4.2). Dort wird hinsichtlich der Symptome und Befunde im HNO-Bereich nach HWS-Distorsion eine MdE von 30 v.H., wie von Klägerseite gefordert, nur befristet für einen Zeitraum von sechs Monaten angenommen, wenn ein HWS-Schleudertrauma des Schweregrades III vorliegt. Bei einem Schweregrad II ist eine MdE von 20 v.H. für die ersten drei bis sechs Monate, anschließend eine MdE von 10 v.H. für weitere sechs Monate vorgesehen. In Berücksichtigung des bei der Klägerin unfallbedingt bestehenden linksseitigen Tinnitus sowie der Schwindelerscheinungen ist daher eine unfallbedingte MdE von 15 v.H. angemessen.

Dem weit darüber hinaus gehenden Votum des Dr. S. mit psychiatrischem Fachgutachten vom 04.06.2009 ist nicht zu folgen. Denn ausweislich Seite 24 seines Gutachtens hat Dr. S. die MdE nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" bemessen. Nahezu inhaltsgleich sind die "Anhaltspunkte" zwischenzeitlich durch die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung) ersetzt worden. Die im sozialen Entschädigungsrecht (Bundesversorgungsgesetz mit Nebengesetzen) geltende Grundsätze hinsichtlich des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) bzw. des Grades der Behinderung (GdB) unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der GdS nur auf die Schädigungsfolgen (also kausal) und der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Beide Begriffe haben die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebenslagen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt. GdS und GdB sind ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung auf Grund eines Gesundheitsschadens (Teil A Rz. 2a der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung). - Wie von Dr. C. mit nervenfachärztlichem Gutachten vom 11.05.2010 rechtlich zutreffend bemerkt, sind im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch die "MdE-Erfahrungswerte" zu berücksichtigen. Der Begriff der MdE wird im Sinne der abstrakten Schadensbemessung definiert. Positiv ausgedrückt wird mit dem Begriff der MdE eine auf die Tätigkeiten im Erwerbsleben bezogene Funktionsbeurteilung vorgenommen (vgl. Kranig in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB VII, Rz.1 zu § 56 SGB VII m.w.N.).

Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 04.08.2010 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 25.01.2011 beantragt hat, die Gutachter Dr. S. und Dr. C. gegenüberzustellen, ist diesem Antrag nicht stattzugeben gewesen (§§ 116 Satz 2, 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 3 und 4 ZPO).

Denn der Bevollmächtigte der Klägerin hat hierbei weder konkrete Fragen gestellt noch erläuterungsbedürftige Punkte hinreichend konkret benannt. Nur in diesen Fällen hätte der Senat entweder die Sachverständigen schriftlich anhören oder zur mündlichen Verhandlung laden müssen (BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 13 R 170/10 B).

Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 19.02.2008 zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).

Referenznummer:

R/R5546


Informationsstand: 31.05.2013