Urteil
Bemessung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls

Gericht:

LSG Sachsen 6. Senat


Aktenzeichen:

L 6 U 92/07


Urteil vom:

23.03.2011


Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über 50 vom Hundert (vH) hinaus zu gewähren ist.

Der 1949 geborene Kläger bezieht seit dem 22. März 1995 nach am 24. Januar 1994 erlittenem Arbeitsunfall mit Polytrauma von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (Rechtsvorgängerin der Beklagten; nachfolgend: die Beklagte) eine Verletztenrente nach einer MdE um 50 vH, wobei folgende Unfallfolgen anerkannt sind: vollständiger Verlust des Geruchssinnes - Einzel-MdE um 10 vH; folgenlos verheilte Rippenserienfraktur links; knöchern fest verheilter Bruch des linken Schulterblattes mit gering eingeschränkter Beweglichkeit im linken Schultergelenk; Zustand nach Kreuzbandplastik rechts mit Instabilität und Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenkes sowie leichter Gonarthrose; knöchern fest verheilter Bruch des rechten Wadenbeines mit Muskelminderung des rechten Ober- und Unterschenkels, Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenkes, Aufhebung der Beweglichkeit des rechten unteren Sprunggelenkes sowie geringe Zehenheberschwäche - Einzel-MdE um 30 vH; leichtes hirnorganisches Psychosyndrom - Einzel-MdE um 20 vH (Ausführungsbescheid vom 11. September 2001 zum Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt [LSG] vom 26. Juli 2001 - L 6 U 92/98).

Grundlagen hierfür waren u.a. das von Prof. Dr. K. und Dipl.-Med. T. (Klinik für Neurologie des Klinikums E.) gefertigte Gutachten vom 5. November 1996, in dem der Verlust des Geruchssinns (Anosmie) mit einer MdE um 10 vH bewertet worden war, die Gutachten der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dres. B. (Institut für Medizinische Begutachtung K.) vom 6. Mai 1997 (erstellt für einen Privatversicherer des Klägers) und G. (Waldklinik B.) vom 15. September 1997, worin beide Sachverständigen als Unfallfolge ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom diagnostiziert hatten, sowie das von den Dres. R. und D. (Zentrum für Rückenmarkverletzte der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. H.) erstattete Gutachten vom 6. August 1998. Die Dres. R. und D. hatten als Unfallfolge eine leichte bis mäßige Lockerung des vorderen Kreuzbandes sowie des medialen Seitenbandapparates mit deutlicher Belastungsminderung des rechten Knies beim Gehen und Stehen, bei einbeiniger Belastung sowie beim Steigen auf Treppen und Leitern mit zusätzlich belastetem Gangbild bei etwaiger Fußheberschwäche festgehalten und mit einer MdE um 30 vH bewertet. Eine Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk sei nicht nachvollziehbar; die Bewegungsminderung des linken Schultergelenkes bedinge eine MdE unter 10 vH. Der Umfang des rechten Beines hatte gegenüber links am Oberschenkel eine maximale Differenz von 4 cm und am Unterschenkel eine solche von 2 cm ausgemacht.

Am 5. November 2002 beantragte der Kläger wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen bei der Beklagten die Neufeststellung der Rente, wobei er der Erforderlichkeit einer nochmaligen neurologisch-psychiatrischen Begutachtung u.a. mit Schreiben vom 16. Januar 2003 ausdrücklich entgegen trat. Bei ihm komme es, wie bei jedem anderen Menschen auch, lediglich zu einer normalen Merkschwäche.

Die Beklagte holte zunächst das von dem Direktor der Universitätsklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der B. Kliniken B. H. Prof. Dr. O. zusammen mit den Dres. W. und H. erstellte Gutachten vom 6. Februar 2003 ein. Die Gutachter schätzt auf Grundlage der ambulanten Untersuchung vom Vortag im Ergebnis ein, dass keine wesentliche Änderung feststellbar und die MdE auf chirurgischem Fachgebiet wie bislang mit einem Grad um 30 vH zu bewerten sei. Es bestehe eine eingeschränkte Beweglichkeit des linken Schultergelenkes ohne relevante Muskelminderung im Seitenvergleich (Armbewegung seitwärts/körperwärts 90-0-20° - rechts 80-0-20°; Armbewegung rückwärts/vorwärts 20-0-160° - rechts 20-0-120°) mit röntgenologisch konsolidierter Scapulahalsfraktur, Humeruskopfhochstand und Omarthrose, wobei sich ein Hochstand des Oberarmknochenkopfes sowie eine Schultergelenkarthrose auch im Bereich der rechten Schulter finde. Der Kläger demonstriere ein vorsichtiges und deutlich hinkendes Gangbild unter Zuhilfenahme zweier Unterarmgehstützen sowie einer vom Fuß bis zur Mitte des rechten Oberschenkels reichenden Orthese, wobei die Stützen gleichzeitig nach vorn gesetzt und das Gewicht anschließend ruckartig nach vorn verlagert werde. Das rechte Kniegelenk weise eine mäßiggradige vordere und hintere Schublade mit stabilen Seitenbändern auf. Die Menisken seien schmerzbedingt nicht sicher beurteilbar. Ein Erguss sei nicht zu finden. Die Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes betrage für die Streckung/Beugung 0-0-120° (links 0-0-50°). An der Außenseite des rechten Oberschenkels befinde sich ein hypästhetisches Hautareal. Im Bereich des stabil bandgeführten linken Kniegelenkes beständen kein Erguss und keine Schwellung. Die Beweglichkeit des rechten oberen Sprunggelenkes sei deutlich eingeschränkt (Heben/Senken 0-0-15°, links 20-0-40°). Auch die Funktion des rechten unteren Sprunggelenkes sei gegenüber links deutlich herabgesetzt (1/5 zu 1). Die linke Beinachse sei im Wesentlichen gerade, wohingegen rechts eine deutliche Varusstellung bestehe. Die Muskulatur des rechten Beines sei im Vergleich zur linken Seite schwächer ausgeprägt (Oberschenkeldifferenz max. 4 cm, Unterschenkel max. 3 cm). Die Patella- und Achillessehnenreflexe seien seitengleich lebhaft auslösbar. Röntgenologisch sei im rechten Kniebereich eine hochgradige Arthrose mit knöchernen Randanbauten, subchondraler Sklerosierung und Verschmächtigung des medialen Gelenkspaltes sowie der Zustand nach vorderer Kreuzbandplastik mit einliegender Interferenzschraube ohne Lockerungszeichen zu erkennen. Die Tibiaschaftfraktur sei knöchern durchbaut.

Außerdem beauftragte die Beklagte den Direktor der Medizinischen Klinik am B. H. Privatdozent (PD) Dr. B. mit der Erstattung des internistischen Zusatzgutachtens vom 13. Februar 2003. Dieser legte dar, dass auf internistischem Gebiet keine MdE durch Unfallfolgen bestehe. Bei der Untersuchung am 5. Februar 2003 hätten sich eine vom rechten Sprunggelenk bis zum Vorfuß ziehende bräunliche Hautverfärbung, eine Corona phlebectatica (kronenartige Veränderung der oberflächlichen Knöchelvenen) beiderseits sowie Venektasien (bläuliche Venenfärbungen) über der ventralen (vorderen) Tibia (Schienbein) beiderseits gezeigt. Unterschenkelödeme fänden sich an beiden Beinen nicht. Die dopplersonographische Gefäßuntersuchung habe ein unauffälliges tiefes Venensystem und einen intakten Klappenbesatz beider Beine gezeigt, so dass keine Hinweise für eine Beinvenenthrombose oder ein postthrombotisches Syndrom zu finden seien.

Schließlich schätzten der Direktor der Universitätsklinik für HNO-Heilkunde H. Prof. Dr. B. und die Oberärzte Dres. R. und K. in dem von der Beklagten zusätzlich veranlassten Gutachten vom 5. Mai 2003 die auf ihrem Fachgebiet bestehende MdE weiterhin um 10 vH ein. Wie bereits im Gutachten vom 5. November 1996 beschrieben, liege beim Kläger nach wie vor eine komplette Anosmie und Ageusie (Geruchs- und Geschmacksverlust) für Olfaktorius- und Trigeminusriechstoffe vor. Aus HNO-ärztlicher Sicht sei keine weitere Nachuntersuchung erforderlich.

Ausgehend hiervon bewerteten die Dres. W., H. und Prof. O. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 30. Mai 2003 die Gesamt-MdE - einschließlich der auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet anzusetzenden Einzel-MdE um 20 vH - mit einem Grad um 45 vH. Zuvor hatten die Dres. W. und H. mit Schreiben vom 23. Mai 2003 ergänzend eingeschätzt, die Unfallfolgen rechtfertigten keine Verordnung eines Rollstuhls. Eine drastische Verschlechterung sei angesichts der mittlerweile chronifizierten Verletzungsfolgen nicht wahrscheinlich.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2003 lehnte die Beklagte daraufhin eine Erhöhung der MdE ab, da sich die dem Urteil des LSG vom 26. Juli 2001 zugrunde liegenden Verhältnisse nicht wesentlich geändert hätten.

Hiergegen erhob der Kläger am 30. Juni 2003 Widerspruch und machte geltend, das Urteil vom 26. Juli 2001 habe zwar seinen damaligen, nicht jedoch seinen jetzigen gesundheitlichen Verhältnissen entsprochen. Seither habe sich seine Gehfähigkeit wesentlich verschlechtert. Er sei auf zwei Armstützen sowie die Nutzung eines Rollstuhls für den Innenbereich angewiesen, wobei eine erwartbare Rollstuhlabhängigkeit ärztlich bestätigt sei. Überdies liege bei ihm ein vollständiger Verlust des Geruchs- und Geschmackssinnes vor.

Am 28. Juli 2003 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da eine Verschlimmerung der Unfallfolgen nicht eingetreten und die Verletztenrente deshalb nicht zu erhöhen sei. Auf HNO-ärztlichem Gebiet bestehe seit dem Unfall unverändert eine komplette Aufhebung des Geruchs- und Geschmackssinns für Riechstoffe, die den Olfaktorius- und Trigeminusnerv sensibilisierten. Diese Unfallfolge sei mit einer MdE um 10 vH zu bemessen. Auch die unfallchirurgischen Unfallfolgen bedingten nach Ansicht der Gutachter weiterhin eine MdE um 30 vH. Die Gesamt-MdE hätten diese einschließlich der auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet zu veranschlagenden MdE um 20 vH mit einem Grad um 45 vH eingeschätzt, so dass eine wesentliche Änderung weder im Sinne einer Besserung noch Verschlimmerung des Gesundheitszustandes zu verzeichnen sei.

Nach entsprechenden Hinweisen hat das SG die Klage nunmehr als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ausgelegt und von dem Facharzt für Chirurgie Dipl.-Med. D. den Befundbericht vom 23. Februar 2004 eingeholt, wonach bei den letzten Praxisbesuchen eine zunehmende muskuläre Schwäche beider Beine, Hüftgelenke sowie der gesamten Wirbelsäule zu bemerken gewesen sei, die durch das völlig unphysiologische Gangbild bedingt sein dürfe.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, wegen der Schädigung des rechten Beines sei es zu einer Überlastung des linken Beines gekommen und insoweit u.a. den Bescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 5. November 2004 betreffend die seit dem 13. September 2004 erfolgte Feststellung der Merkzeichen G und B sowie eines Grades der Behinderung (GdB) von 100 vorgelegt. Danach lägen als Funktionsbeeinträchtigungen eine Funktionseinschränkung beider Beine nach Polytrauma mit Anlage einer Ganzbeinorthese rechts und einer Knieorthese links, eine seelische Gesundheitsstörung und somatische Funktions- und Hirnleistungsstörung, ein Teilverlust des Geruchs- und Geschmackssinnes und eine rezidivierende schmerzhafte Funktionsminderung des linken Armes vor.

Mit Einverständnis des Klägers hat das SG aus dem Verfahren S 1 SB 322/04 außerdem den Befundbericht Dipl.-Med. D.s vom 4. Juni 2005 beigezogen, wonach der Kläger selbst kurze Strecken kaum mehr laufen könne und einen Rollstuhl benutze.

Nachdem der mit Beweisanordnung vom 12. Oktober 2005 als Sachverständiger betraute Arzt für Orthopädie Dr. S. (Institut für Medizinische Begutachtung K.) nach dem Studium der Akten mit Schreiben vom 6. Januar 2006 dargelegt hatte, dass eine höhere Bewertung der Unfallfolgen am Haltungs- und Bewegungsapparat nicht zu rechtfertigen und auch kein Überlastungsschaden zu begründen sei, hat das SG die Beweisanordnung mit Beschluss vom 24. Januar 2006 aufgehoben.

Mit Urteil vom 4. Mai 2007 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt, dass der Kläger mangels wesentlicher Änderung der Verhältnisse keinen Anspruch auf höhere Verletztenrente habe. Im Vergleich zu den Gutachten, auf die sich das LSG in seinem Urteil vom 26. Juli 2001 maßgeblich gestützt habe, liege keine erheblich andere Situation vor. Die Unfallfolgen auf HNO-ärztlichem Gebiet würden nach dem Gutachten vom 5. Mai 2003 nach wie vor mit einer MdE um 10 vH bewertet. Unfallchirurgisch seien als Unfallfolgen im Gutachten vom 6. August 1998 eine deutliche Belastungsminderung für das rechte Kniegelenk beim Gehen, Stehen, bei einbeiniger Belastung und beim Steigen auf Treppen und Leitern, ein belastetes Gangbild sowie eine mäßige Lockerung des vorderen Kreuzbandes und des Seitenbandapparates beschrieben sowie mit einer MdE um 30 vH bewertet worden. Dem entspreche auch der Zustand, der im Gutachten vom 6. Februar 2003 dokumentiert und weiterhin mit einer MdE um 30 vH bemessen worden sei, wie Dr. S. nochmals bestätigt habe. Schließlich seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet veranschlagte MdE um 20 vH geändert habe. Insgesamt sei damit die zuerkannte Gesamt-MdE um 50 vH nicht zu beanstanden.

Gegen das am 28. Juni 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. Juli 2007 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens Berufung eingelegt. Die Unfallfolgen hätten sich wesentlich verschlimmert. Er sei praktisch nicht mehr gehfähig und auf einen Rollstuhl angewiesen. Überdies liege bei ihm ein vollständiger Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns vor.

Der Kläger beantragt seinem Vorbringen nach,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Mai 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2003 sowie den Bescheid vom 23. Februar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 24. Januar 1994 vom 1. November 2002 an eine Verletztenrente nach einer MdE über 50 vH hinaus zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie schließt sich dem Urteil des SG an.

Mit zum Gegenstand des Verfahrens erklärten Bescheid vom 23. Februar 2009 hat die Beklagte den wiederholten Neufeststellungsantrag des Klägers vom 2. November 2006 abgelehnt. Die nochmalige Überprüfung des Anspruchs habe ergeben, dass die Rente nicht zu erhöhen sei. Hierbei hat sie sich auf das von ihr veranlasste Gutachten des Chefarztes der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des Krankenhauses a. R. S. Dr. M. vom 28. November 2008 nach ambulanter Untersuchung durch den Oberarzt H. gestützt.

Der Senat hat von dem Leiter der Abteilung für Unfall-, Wiederherstellungs- und Orthopädische Chirurgie des H.-Klinikums W. Dipl.-Med. S. das Gutachten vom 12. Dezember 2009 eingeholt. Dieser hat im Ergebnis eingeschätzt, als Unfallfolgen lägen ein fortgeschrittener Verschleiß des rechten Kniegelenkes mit daraus resultierender O-Fehlstellung der Beinachse und Bewegungseinschränkung, eine Minderung der Beinmuskulatur sowie eine anteilige Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenkes vor. Dagegen komme der Unfalleinwirkung im Hinblick auf das jetzt im Bereich der linken Schulter bestehende Engpasssyndrom nicht das Ausmaß einer wenigstens wesentlichen Teilursächlichkeit zu. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die jetzt bestehende Symptomatik auch ohne den Arbeitsunfall zu annähernd gleicher Zeit und Schwere eingetreten wäre, wie die radiologisch nachgewiesenen gleichartigen Veränderungen am rechten Schultergelenk belegten. Hinsichtlich einer fraglichen Schädigung des rechten Wadenbeinnervs sei zudem zu beachten, dass sich der Kläger wegen einer Fußheberschwäche rechts sowie Taubheitsgefühlen am rechten Fußrücken und Großzeh bereits im August 1992 in Behandlung befunden habe. Zuvor hätten zwei Monate Rückenbeschwerden bestanden. Als Ort der Schädigung sei nach den Berichten vom 4. August und 4. September 1992 (1674 VA) der Bereich L5/S1 (zwischen dem fünften Lendenwirbel und dem Kreuzbein) lokalisiert worden. Aus den genannten auf unfallchirurgischem Gebiet bestehenden Unfallfolgen resultiere eine MdE um 30 vH. Unter Einbeziehung der sich überschneidenden MdE-Werte um 10 vH aus HNO-ärztlicher und 20 vH aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ergebe sich eine Gesamt-MdE um 50 vH. Klinisch hat Dipl.-Med. S. für die Untersuchung am 28. August 2009 keine Minderung der Schultergürtel- und Schulterkappenmuskulatur links im Vergleich zu rechts, eine Minderung der Ober- und Unterarmmuskulatur links gegenüber rechts (0,5 bis 1 cm) und eine Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenkes beim Seit- und Vorwärtsheben des linken Armes 0-0-120° bzw. 40-0-110° (rechts 0-0-150° bzw. 40-0-120°) sowie beim Aus- und Einwärtsdrehen 30-0-80° bzw. 50-0-50° (rechts 40-0-80° bzw. 80-0-60°) festgehalten. Die Ober- und Unterschenkelmuskulatur rechts sei im Vergleich zur linken Seite gering gemindert (1 bis 1,5 cm). Die rechte Beinachse weise eine deutliche O-Fehlstellung auf, die auch links beginne. Die Struktur des rechten Kniegelenkes sei mit Weichteilschwellung und Gelenkerguss verstrichen. Die Streck- und Beugefähigkeit sei gegenüber links eingeschränkt (0-10-95° zu 10-0-110°). Der innere und äußere Kapsel-Bandapparat sei stabil; der Lachmann-Test für das vordere Kreuzband sei einfach positiv und der aktive Schubladentest für das hintere Kreuzband negativ ausgefallen. Das linke Kniegelenk sei mit geringer Weichteilschwellung und ohne Erguss weitgehend unauffällig und dessen Kapsel-Bandapparat fest. Demnach liege weder rechts noch links eine derartige Instabilität vor, dass das Tragen von Orthesen erforderlich sei. Überdies liege im Vergleich zu den von den Ärzten für Orthopädie Dres. S. und T. in ihrem für einen Privatversicherer erstellten Gutachten vom 13. März 1997 dokumentierten Umfangmaßen der Arm- und Beinmuskulatur beiderseits eine nahezu identische Situation vor, so dass auch keine durch ständige Verwendung der Hilfsmittel erwartbare Muskelatrophie eingetreten sei. Im Bereich der Unterschenkel fänden sich bräunliche Hautverfärbungen als Zeichen venöser Umlaufstörungen bei deutlicher Krampfaderbildung. Das obere rechte Sprunggelenk sei (passiv) mit 0-5-30° und die Gegenseite (aktiv) mit 15-0-40° beweglich. Röntgenologisch seien den Aufnahmen vom Untersuchungstag ein knöchern verheilter Bruch des linken Schulterblattes ohne Beteiligung der Schultergelenkfläche sowie ein die Altersnorm überschreitender Verschleiß beider Schultergelenke und Schultereckgelenke mit Veränderungen zwischen der Schulterhöhe und dem Oberarmkopf im Sinne eines Engpasssyndroms zu entnehmen. Das rechte Kniegelenk weise einen fortgeschrittenen unfallbedingten Verschleiß mit praktisch aufgehobenem inneren Gelenkspalt auf, was die klinische Beinachsenfehlstellung erkläre. Als Grund der entsprechenden linksseitigen Situation liege auch hier eine altersüberschreitende Abnutzung mit Betroffenheit vor allem der inneren Gelenkflächen vor.

Der Kläger wendet sich gegen das Gutachten und hat zur Frage seiner Gehfähigkeit insbesondere auf das vom LSG im Verfahren L 7 SB 10/06 von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. eingeholte Gutachten vom 4. August 2009 verwiesen. Zudem hat er den Bescheid des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 26. Oktober 2009 übersandt, mit dem auf Grundlage der bereits im Bescheid vom 5. November 2004 bezeichneten Funktionsbeeinträchtigungen mit Wirkung vom 20. August 2008 an zusätzlich zum GdB von 100 und den Merkzeichen G und B das Merkzeichen aG festgestellt worden ist.

Der Senat hat mit Einverständnis des Klägers das Gutachten Dr. S.s vom 4. August 2009 beigezogen. Hierin hatte die Sachverständige als Beschwerdeschilderung des Klägers u.a. wiedergegeben, er trage die Orthese am rechten Kniegelenk aufgrund der Kreuzbandplastik. Veränderungen seien seit Jahren nicht gewesen, jedoch springe das Knie nach vorn; er könne es nicht strecken. Das rechte Bein sei nur noch bedingt und das linke Knie auch nicht mehr belastbar. Ohne Orthese könne er nicht laufen und stürze. Die linke Schulter schmerze unfallbedingt, wobei die Kraft im linken Arm vorhanden sei. Anamnestisch habe der Kläger bei der Exploration am 31. März 2009 u.a. über Schul- und Verhaltensprobleme mit Schulkameraden bereits in der fünften Klasse berichtet. Es sei auch zu tätlichen Übergriffen gekommen. Seine Eltern hätten mit ihm vor erheblichen Erziehungsproblemen gestanden. Er sei sehr ungeduldig gewesen, hätte alles heute und sofort haben wollen und sei immer der Meinung gewesen, alles besser zu können. Er habe sich über alle erhaben gefühlt. Aufgrund seiner Verhaltensauffälligkeiten sei er vom 16. bis zum 19. Lebensjahr in einem Jugendwerkhof gewesen und habe dort die Lehre zum Gesenkschmied beendet. Zu seinen Hobbys befragt habe der Kläger angegeben, Windmühlen zu lieben und sich um seinen Garten zu kümmern, den er gern umbaue. Er beschäftige sich auch gern mit seinem Hund. Manchmal sitze er zwei bis drei Tage am Schreibtisch und studiere die Akten der laufenden Gerichtsverfahren. Anfangs seien es zwei und später sechs Klagen gewesen. Nunmehr habe er acht Verfahren laufen. Er müsse sich mit vielen Gesetzestexten und Unterlagen befassen. Er habe keinen anderen Lebensinhalt mehr. Aus Vorbefunden hatte Dr. S. u.a. Auszüge aus den Feststellungen des Facharztes für Neurologie Dr. K. (Neurologische Universitätsklinik H.) nach neurologischer Begutachtung am 7. Oktober 2005 zitiert. Danach liege beim Kläger u.a. eine hochgradige psychogene Gangstörung vor, die nicht durch unfallbedingte organische Schäden am peripheren oder zentralen Nervensystem bedingt sei. Als eigene Untersuchungsbefunde hatte Dr. S. auf Grundlage der durchgeführten Testverfahren eine durchschnittliche intellektuelle Befähigung des Klägers ohne Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefizite festgestellt. Neurologisch falle eine Atrophie des rechten Ober- und Unterschenkels auf. Ein Wärme- und Kälteempfinden im Unterschenkelbereich habe er ebenso wie ein Vibrationsempfinden im Kniegelenkbereich beiderseits verneint. An beiden Oberschenkelaußenseiten lägen Hypästhesien vor. Ein Standversuch und ein Gehen ohne zwei Unterarmstützen seien nicht möglich gewesen. Der Kläger stütze sich auf beide Gehhilfen und ziehe jeweils das rechte bzw. linke Bein abwechselnd nach. Dieses Gangbild stimme nicht mit den erhobenen neurologischen Befunden überein. Während nämlich im Liegen das Anbeugen beider Knie möglich sei und auch eine diskrete Fußhebung beiderseits beobachtet werden könne, sei dies beim Laufen nicht der Fall. Im Ergebnis war von Dr. S. eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung bei hirnorganischem Psychosyndrom mit konversionsneurotischen Symptomen wie Selbstwertstörungen, Minderwertigkeitsgefühlen und Versagensängsten, verminderter Frustrationstoleranz und erhöhter Kränkbarkeit mit teils überhöhtem Selbstvertrauen und querulatorischem Ansinnen diagnostiziert worden, wobei der Kläger im Rahmen dieser Störungen bereits mit 16 Jahren auffällig geworden sei. Der Unfall von 1994 habe die vorbestehende Persönlichkeitsstruktur des Klägers akzentuiert. Er projiziere eigene Wünsche und Bedürfnisse in Form von körperlichen Beschwerden und verstärke somit die leichtgradigen neurologischen Behinderungen (Femoralisparese rechts sowie Peronaeusparese beiderseits). Dieses Verhalten sei im Laufe der Klageverfahren der bewussten Steuerung entglitten. Psychiatrischen Diagnosen gegenüber sei er uneinsichtig. Aufgrund seiner Gangstörung, die nunmehr ständige Hilfsmittel wie Unterarmstützen und Rollstuhlbenutzung erforderlich mache, sei der Kläger nicht mehr in der Lage, Gehstrecken über 10 m zu bewältigen.

Nach mündlicher Verhandlung am 26. August 2010 hat der Senat mit Zustimmung des Klägers vom SG Halle aus dem Verfahren S 3 RJ 558/98 das von dem Arzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie Dr. K. erstellte Gutachten vom 22. September 2000 beigezogen. Hierin war dieser auf Grundlage der am 18. und 25. August 2000 durchgeführten (testpsychologischen) Untersuchungen zum Ergebnis gelangt, dass die psychische Leistungseinschränkung des Klägers nicht auf intellektueller Leistungsschwäche, sondern auf mangelnder Belastbarkeit, emotionaler Instabilität, mangelnder Stresstoleranz sowie massiver Persönlichkeitsakzentuierung mit paranoiden, schizophrenen und selbstunsicheren Aspekten beruhe. Bereits vor dem Arbeitsunfall habe beim Kläger eine Persönlichkeitsstörung mit psychosozialer Fehlentwicklung bestanden, die schließlich zur Einweisung in einen Jugendwerkhof geführt habe. Nachfolgend sei ihm jedoch eine berufliche und soziale Integration ohne gravierende psychosoziale Probleme gelungen. Nach dem Unfall sei es beim Kläger zu einer Wesensänderung gekommen, die die Affektkontrolle, die Kritik-, Umstellungs-, Anpassungs- und soziale Kontaktfähigkeit sowie die Frustrationstoleranz betreffe. Ursächlich hierfür seien die prätraumatische Persönlichkeitsstruktur sowie die hirnorganische Schädigung durch den Unfall, die im Zusammenwirken zu dessen psychoreaktiver Fehlverarbeitung geführt hätten, welche wiederum durch die ausgeprägte emotionale Instabilität des Klägers begünstigt worden sei. Da ihm seine psychische Hilflosigkeit zeitweise bewusst sei und er sich dafür schäme, habe sich der Kläger sozial weitgehend zurückgezogen. Insgesamt handele es sich um ein multifaktorielles und chronifiziertes psychisches Krankheitsbild, das in der vorliegenden Ausprägung seit September 1998 bestehe und als Dauerzustand anzusehen sei.

Schließlich hat der Senat Dr. S. nach Aktenlage mit der Erstellung des Gutachtens vom 28. Dezember 2010 und der ergänzenden Stellungnahme zur Bewertung der Gesamt-MdE vom 8. Februar 2011 betraut. Die Sachverständige hat eingeschätzt, dass der Arbeitsunfall die beim Kläger bestehende schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung mit konversionsneurotischen Symptomen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne eines seit 1994 in jeder Hinsicht zu Tage getretenen distanzgeminderten und teils querulatorischen Verhaltens akzentuiert habe. Der Kläger habe den Unfall als schwere Kränkung erlebt, die mit Hilflosigkeit und der Gefahr drohender Abhängigkeit einher gegangen sei. Die zuvor kompensierte Persönlichkeitsstörung sei der bewussten Steuerung entglitten und habe seit 1994 eine Eigendynamik mit sozialen Rückzugstendenzen sowie eingeschränkter Fähigkeit, den Alltag und die Freizeit zu gestalten, entwickelt. Zum 20. August 2008, als der Kläger stationär in der Klinik für Neurologie der B. Kliniken B. H. behandelt worden sei, sei eine Verschlimmerung des unfallbedingten Psychosyndroms mit sekundärer Somatisierungsstörung eingetreten, die auf psychiatrischem Gebiet eine Bewertung mit einer MdE um maximal 30 vH zulasse. Beim Kläger liege kein seelisches Wiedererleben des Traumas, sondern ein ausuferndes soziales Entschädigungsbegehren zur Existenzsicherung zugrunde. Die Gesamt-MdE belaufe sich auf maximal 60 vH.

Aus dem von Dr. S. übersandten Bericht der Klinik für Neurologie der B. Kliniken B. H. vom 26. August 2008 geht u.a. hervor, dass die zur Diagnostik und Therapie eines neuropathisch anmutenden Schmerzsyndroms am 20. August 2008 eingeleitete Behandlung des Klägers wegen Ablehnung durch diesen nicht über den 26. August 2008 hinaus durchgeführt werden konnte. Er habe wechselnde und zum Teil widersprüchliche Angaben zur Schmerzcharakteristik gemacht und sei distanzgemindert, verbal aggressiv sowie affektlabil erschienen. Eine Krankheitseinsicht fehle.

Nach Meinung des Klägers werde die Berechtigung des von Dr. S. bezeichneten Entschädigungsbegehrens durch die Ablehnungen und Verweigerungen der Beklagten hinreichend belegt. Sein Verhalten in der Jugend spiele vorliegend eine untergeordnete Rolle, da es in den Bereich "Vergangenheit" einzuordnen sei.

Die Beklagte wendet gegen die Ausführungen Dr. S.s vor allem ein, dem Krankenhausbericht vom 26. August 2008 seien keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Verschlimmerung der auf psychiatrischem Gebiet vorliegenden Unfallfolgen zu entnehmen. Ausschlaggebend für die von der Sachverständigen gesehenen Änderung sei bei bereits vorbestehender deutlicher Persönlichkeitsstörung auch nach deren eigenen Darlegungen ein ausuferndes unfallunabhängiges Entschädigungsbegehren. Selbst wenn jedoch auf psychiatrischem Gebiet von einer MdE um 30 vH ausgegangen werde, resultiere daraus keine Erhöhung der Gesamt-MdE von 50 auf 60 vH.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Rechtsweg:

SG Halle (Saale), Urteil vom 04.05.2007 - S 6 U 155/03

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2003 sowie der Bescheid vom 23. Februar 2009, mit dem eine höhere Verletztenrente weiterhin abgelehnt worden und der nach den §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG Verfahrensgegenstand geworden ist, beschweren den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Er hat deshalb keinen Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE über 50 vH hinaus, weil sich die Unfallfolgen nicht wesentlich geändert haben.

Anspruch auf Neufeststellung einer Verletztenrente besteht dann, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei ihrer Feststellung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist (§ 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X). Nach den §§ 214 Abs. 3 Satz 2, 73 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) ist bei der Feststellung der MdE eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nur wesentlich, wenn sich ihr Ausmaß um mehr als 5 vH ändert und diese Veränderung länger als drei Monate andauert.

Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, da sich die beim Kläger anerkannte MdE um 50 vH nicht um mehr als 5 vH verändert hat.

Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft, die in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst sind (siehe etwa bei Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand September 2010, K § 56, Anhang V). Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (siehe nur Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 RVO Nr. 8; Urteil vom 18. März 2003 - B 2 U 31/02 R - Breithaupt 2003, 565 ff.; Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Ausgehend hiervon lassen die Unfallfolgen keine Bemessung mit einer MdE über 50 vH hinaus zu. Dabei folgt der Senat im Ergebnis den Einschätzungen der eingeschalteten Sachverständigen Dres. W., H. und Prof. O. sowie Dipl.-Med. S., deren in der Sache übereinstimmende Empfehlungen sich in der Bandbreite der etablierten Erfahrungswerte bewegen.

Nach diesen wird für eine Bewegungseinschränkung der Schulter vorwärts/seitwärts bis 90° eine MdE um 20 vH genannt. Eine über diesen Grad hinaus mögliche Beweglichkeit wird mit einer MdE unter bzw. um maximal 10 vH bewertet (siehe Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Abschn. 8.4.7, S. 523; Kranig, a.a.O., K § 56, S. 56). Beim Kläger liegt nach den von Dipl.-Med. S. am 28. August 2009 erhobenen Untersuchungsbefunden eine Bewegungsfähigkeit bis 110 bzw. 120° und keine Minderung der Schultergürtel- und Schulterkappenmuskulatur links im Vergleich zu rechts vor. Anlässlich der Voruntersuchung am 5. Februar 2003 haben die Dres. W., H. und Prof. O. eine Beweglichkeit der linken Schulter bis 160° bzw. 90° dokumentiert. Schließlich hatten die Dres. R. und D. am 22. Juni 1998 eine Bewegungsfähigkeit der linken Schulter vorwärts/seitwärts bis 110 bzw. 130° festgestellt. Demnach haben sich die tatsächlichen Verhältnisse im Hinblick auf die im Bereich der linken Schulter bestehende Unfallfolge über viele Jahre hinweg nicht relevant geändert und ist die insoweit abgegebene gutachtliche Einschätzung der MdE um unter 10 vH nachvollziehbar, zumal durchgehend ein knöchern konsolidierter Zustand der Scapulahalsfraktur ohne Gelenkbeteiligung beschrieben ist. Überdies haben sowohl die Dres. W., H. und Prof. O. als auch Dipl.-Med. S. die bildgebenden Veränderungen (Humeruskopfhochstand, Schultergelenkarthrose und Engpasssyndrom) ebenso im Bereich der rechten Schulter gefunden.

Auch die von allen Gutachtern übereinstimmend mit einer MdE um 30 vH bewertete unfallbedingte Schädigung des rechten Beines ist nicht zu beanstanden, wobei dem Senat eine näherungsweise Orientierung an einer Bewegungseinschränkung von 0-10-90°, einer muskulär nicht kompensierten Lockerung des Kniebandapparates mit Gangunsicherheit bzw. einer Arthrose in Abhängigkeit von der damit verbundenen Funktionseinschränkung, die jeweils eine MdE um 20 vH bedingen (Schönberger/Mehrtens/ Valentin, a.a.O., Abschn. 8.10.11, S. 654 f.; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010, S. 165; Kranig, a.a.O., S. 60), angemessen erscheint. So hat Dipl.-Med. S. eine verstrichene Struktur des rechten Kniegelenkes mit Weichteilschwellung und Gelenkerguss sowie eine Einschränkung der Streck- und Beugefähigkeit auf 0-10-95° vorgefunden. Daneben hat er einen stabilen inneren und äußeren Kapsel-Bandapparat, eine mäßige Lockerung des vorderen Kreuzbandes sowie eine geringe Minderung der rechten Ober- und Unterschenkelmuskulatur um 1 bis 1,5 cm im Vergleich zum linken Bein festgestellt. Die rechte Beinachse weise eine deutliche O-Fehlstellung auf, die auch links beginne. Röntgenologisch ist neben der nach wie vor knöchern durchbauten Tibiaschaftfraktur ein fortgeschrittener Verschleiß des rechten Knies mit praktisch aufgehobenem innerem Gelenkspalt belegt, der die Beinachsenfehlstellung erklärt. Dies bildet im Wesentlichen auch diejenige Situation ab, die schon die Dres. W., H. und Prof. O. zuvor für das rechte Bein wiedergegeben haben (z.B. mäßiggradige vordere und hintere Schublade mit stabilen Seitenbändern, deutliche Varusstellung der rechten Beinachse). Zwar war die Muskulaturminderung des rechten Beines im Vergleich zur linken Seite mit max. 4 cm im Oberschenkel- und max. 3 cm im Unterschenkelbereich (was nahezu den von den Dres. R. und D. am 22. Juni 1998 gemessenen Werten entspricht) seinerzeit noch deutlicher ausgeprägt. Dafür war das rechte Knie jedoch noch bis 120° beweglich. Danach ist es nachvollziehbar, wenn Dipl.-Med. S., die Dres. W., H. und Prof. O. sowie die Dres. R. und D. die im Bereich des rechten Beines bestehenden unfallbedingten Funktionsstörungen in der Sache als deutliche Belastungsminderung beim Gehen, Stehen sowie bei einbeiniger Belastung zusammenfassen und hierfür eine Bemessung mit einer MdE um 30 vH empfehlen. Enthalten ist hierin insbesondere auch die als Unfallfolge anerkannte Funktionsstörung des oberen und unteren rechten Sprunggelenkes einschließlich Zehenheberschwäche, wenngleich insoweit nicht erst die Dres. R. und D. beachtliche Zweifel angemeldet hatten und auch Dipl.-Med. S. sowie Dr. S. hierfür auf ihren Fachgebieten jeweils kein morphologisches Korrelat gesehen haben.

Soweit die Dres. R. und D. seinerzeit die Möglichkeit einer Überlastung der linken unteren Extremität durch die zuvor aufgeführten rechtsseitigen Unfallfolgen zur Diskussion gestellt hatten, kann keine Berücksichtigung bei der Bemessung der MdE erfolgen. Denn ein - hier allein in Frage kommender - mittelbarer Unfallzusammenhang ist nach dem insoweit maßgeblichen Beweismaßstab nicht hinreichend wahrscheinlich. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt nämlich nur vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt dagegen nicht, wobei im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die "Theorie der wesentlichen Bedingung" maßgeblich ist (siehe BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 15; Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Ernste Zweifel an dem vom Kläger angeschuldigen Zusammenhang werden beim Senat zunächst dadurch hervorgerufen, dass weder die Dres. W., H. und Prof. O. noch Dipl.-Med. S. diese Überlegung ihrer Kollegen aufgegriffen, sondern eine Betroffenheit des linken Beines übereinstimmend nicht als Unfallfolge diagnostiziert haben. Dr. S. ist dem Überlastungsargument ebenfalls ausdrücklich entgegengetreten. Gerade auch seiner Einschätzung kommt Gewicht zu, da er die vorausgegangene Diskussion nicht nur aus dem Aktenstudium kennt, sondern den Kläger zwecks Erstellung des Gutachtens vom 20. März 1997 am 13. März 1997 auch selbst untersucht hatte. Hinzu kommt, dass eine unfallunabhängige Erklärung der vom Kläger als Folge der Überlastung gesehenen Einschränkung seiner Gehfähigkeit nahe liegt. Denn durch Dr. K., dessen Befunde von Dr. S. in ihrem Gutachten vom 4. August 2009 wiedergegeben worden sind, wird die Gangstörung ausdrücklich als nicht auf unfallbedingte organische Schäden beruhende psychogene Symptomatik eingeordnet. Dieser Beurteilung ist in der Sache auch Dr. S. beigetreten, die gleichfalls keine im Wesentlichen mit dem Unfallereignis im Zusammenhang stehenden organischen Schäden am peripheren oder zentralen Nervensystem erkennen konnte. Ihre Einschätzung, der Kläger projiziere eigene Wünsche und Bedürfnisse in Form von körperlichen Beschwerden, lässt sich nämlich nur in diese Richtung, nicht aber im Sinne einer durch die Unfallfolgen im Bereich des rechten Beines mittelbar verursachten Überlastungsschädigung verstehen.

Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. Juli 2001 dargelegt hat, liegt beim Kläger auf psychiatrischem Gebiet als Unfallfolge ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom bzw. eine sekundäre Somatisierungsstörung vor. Dies hat auch Dr. S. nochmals bestätigt. Insoweit hatte bereits Dr. G. in seinem Gutachten vom 15. September 1997 die Bewertung mit einer MdE um 20 vH empfohlen, was auch den einschlägigen Erfahrungswerten entspricht. Nach diesen wird für eine Hirnschädigung mit leichter Leistungsbeeinträchtigung eine MdE um 10 bis 20 vH veranschlagt. Ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom mit Wesensänderung kann eine MdE um 20 bis 40 vH rechtfertigen (Mehrhoff/Meindl/Muhr, a.a.O., S. 142 f.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 5.3.11.2, S. 186). Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass für die genannte Unfallfolge nunmehr ein Grad der MdE über 20 vH angesetzt werden müsste, liegen nicht vor. Insbesondere vermag der Senat der von Dr. S. ab dem 20. August 2008 gesehenen Verschlimmerung mit daraus folgender Erhöhung der MdE auf 30 vH nicht zu folgen. Aus dem von ihr zur Begründung herangezogenen Krankenhausbericht vom 26. August 2008 lassen sich nämlich keine relevanten Hinweise für eine gerade ab diesem Zeitpunkt eingetretene wesentliche Änderung in Richtung einer zuvor nicht vorhandenen neuen Entwicklung entnehmen, wie die Beklagte zutreffend hervorhebt. Dass dem Kläger die Einsicht in die Pathogenese der bei ihm bestehenden psychischen Erkrankung fehlt und er sich distanzgemindert sowie affektlabil verhält, ist keine neue Tatsache, sondern wurde bereits durch Dr. K. im Gutachten vom 22. September 2000 dargelegt. Nach ihm ist es beim Kläger unfallbedingt zu einer Dekompensation seiner bereits vor dem Arbeitsunfall bestehenden Persönlichkeitsstörung im Sinne einer die Affektkontrolle, Kritik-, Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie die Frustrationstoleranz betreffenden Akzentuierung mit weitgehender sozialer Rückzugstendenz gekommen. Das hierdurch gekennzeichnete Krankheitsbild hat sich seit 1994 entwickelt und besteht laut Dr. K. in der von ihm im August 2000 vorgefundenen Ausprägung als chronischer Dauerzustand seit September 1998. Dass es sich entscheidend von demjenigen unfallbedingten Psychosyndrom unterscheidet, welches Dr. S. im Rahmen ihrer am 31. März 2009 gutachtlich erhobenen Exploration festgestellt hat, ist nicht ersichtlich. Denn ebenso wie zuvor schon Dr. K. hebt Dr. S. unabhängig und unbeeinflusst von diesem nur nochmals die seit 1994 zu verzeichnende Persönlichkeitsakzentuierung mit distanzgeminderter, querulatorischer und von sozialem Rückzug geprägter Eigendynamik hervor. Zwar mag sich diese mittlerweile weiter entwickelt haben. Wesentlicher Hintergrund hierfür ist nach den gutachtlichen Ausführungen Dr. S.s vom 28. Dezember 2010 jedoch nicht der Unfall, sondern ein ausuferndes Entschädigungsbegehren, welches Dr. K. in der Sache als in der unfallunabhängigen Persönlichkeitsstruktur des Klägers angelegte Fehlverarbeitung aufgrund ausgeprägter emotionaler Instabilität erklärt hat. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die von Dr. K. als psychogen eingeordnete Gangstörung. Weder Dr. K. noch Dr. S. haben das vom Kläger demonstrierte Gangbild (zumindest anteilig) der unfallbedingten Somatisierungsstörung zugerechnet, sondern diese übereinstimmend (nur) auf die Affektkontrolle, Kritik-, Anpassungs- und soziale Kontaktfähigkeit sowie die Frustrationstoleranz bezogen. Damit fehlt ein ausreichender Ansatz für eine davon abweichende Annahme, zumal Dipl.-Med. S. bei seiner Untersuchung Ende August 2009 im Verhältnis zur Situation im März 1997 keine durch die Verwendung der vom Kläger benutzten Hilfsmittel nahe gelegte Muskelatrophie vorgefunden hat. Insgesamt hält der Senat deshalb daran fest, die durch die unfallbedingte Persönlichkeitsakzentuierung hervorgerufene psychische Symptomatik nach wie vor mit einer MdE um 20 vH zu bemessen.

Schließlich besteht beim Kläger als Unfallfolge eine komplette Aufhebung des Geruchs- und Geschmackssinns für Riechstoffe, die den Olfaktorius- und Trigeminusnerv sensibilisieren. Dies sieht auch die Beklagte nicht anders, wie aus dem Widerspruchsbescheid vom 9. September 2003 ausdrücklich hervorgeht. Hierfür haben die Dres. R., K. und Prof. B. eine MdE um 10 vH vorgeschlagen, was dem zuvor von Prof. Dr. K. und Dipl.-Med. T. angesetzten Wert entspricht. Diese gleichlautende Empfehlung bewegt sich in der Bandbreite der Erfahrungswerte, nach denen für eine Schädigung des Riech- bzw. Schmeckvermögens mit psychovegetativen Folgeerscheinungen eine MdE bis 10 vH, den Verlust der Geruchs- und Geschmacksempfindung ein Grad um 10 vH bzw. den völligen Verlust des gesamten Riech- und Schmecksinns eine MdE um 15 bis 20 vH angegeben wird (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 5.12, S. 263; Mehrhoff/Meindl/Muhr, a.a.O., S. 153).

Unter Berücksichtigung des danach bestehenden Gesamtbildes der unfallbedingten Funktionseinschränkungen ist es demnach im Ergebnis vertretbar, wenn Dipl.-Med. S. für die Bemessung der Gesamt-MdE einen Grad um 50 vH vorschlägt bzw. Dr. S. keinen Spielraum für einen Vergleich mit der Amputation eines Beines im Oberschenkel sieht, die nach den Erfahrungswerten eine MdE um 60 vH rechtfertigt (siehe nur Kranig, a.a.O., S. 57).

Gegen die Bemessung der Unfallfolgen mit einer Gesamt-MdE um 50 vH spricht auch nicht der Umstand, dass dem Kläger ein GdB von 100 zuerkannt ist. Durch den GdB wird etwas anderes ausgedrückt und er wird deshalb auch anders bemessen als die MdE. Im Unterschied zu den einschlägigen Grundsätzen des Schwerbehindertenrechts (Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen), wonach es für die Feststellung des GdB unerheblich ist, auf welcher Ursache die durch Krankheit oder Behinderung bedingten körperlichen und/oder geistigen Funktionsstörungen beruhen, werden im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nur die durch den Versicherungsfall (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) verursachen Gesundheitsstörungen entschädigt, wobei für die Bemessung der MdE allein die insoweit bestehenden Funktionsseinschränkungen von Bedeutung sind.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R3799


Informationsstand: 22.02.2012