Urteil
Soldatenversorgung - Wehrdienstbeschädigung - Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit - nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörung - über 6 Monate hinaus verbleibender Schaden - Schwankungen im Gesundheitszustand - Aufenthalt in einem Krankenhaus

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat


Aktenzeichen:

L 11 VS 65/09


Urteil vom:

10.05.2012


Grundlage:

  • SVG § 81 Abs 1 |
  • SVG § 85 Abs 1 S 1 |
  • BVG § 30 Abs 1 |
  • BVG § 31

Leitsatz:

Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB 9) - hier: Teil A Nr 18 Abs 5 AHP 2005 -

Rechtsweg:

SG Cottbus Urteil vom 09.04.2009 - S 26 VS 77/07

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 9. April 2009 aufgehoben, soweit das Sozialgericht die Beklagte dazu verurteilt hat, dem Kläger einen Ausgleich nach § 85 des Soldatenversorgungsgesetzes nach dem Grad einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 30 v. H. für den Zeitraum vom 29. Mai bis 27. Juli 2005 zu gewähren. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für den gesamten Rechtsstreit zu einem Viertel zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG).

Der 1975 geborene Kläger ist Berufssoldat mit einem voraussichtlichen Entlassungstermin zum 30. Oktober 2029. Vom 28. bis zum 29. Mai 2005 nahm er in F an einem Freifallsprungdienst als besondere Sportausbildung im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit bei der Ausstellung "Unsere Luftwaffe" laut Dienstplan und Befehl Az. teil. Beim Landen mit einem dienstlich gelieferten Gleitfallschirm auf dem befohlenen Landeplatz prallte er mit seinem Gesäß auf den Boden. Anschließend wurde er nach kurzer Behandlung im Kreiskrankenhaus F stationär vom 29. Mai bis zum 15. Juni 2005 in der Klinik und Poliklinik behandelt, wo eine LWK-1-Komressionsfraktur mit Hinterkantenbeteiligung diagnostiziert wurde, die durch eine minimalinvasive Implantation eines monosegmentalen Fixateur interne (Th12-L1) am 2. Juni 2005, eine thorakoskopisch gestützte Bandscheibenresektion Th12/L1, eine ventrale, monosegmentale Spondylodese mit trikortikalem Beckenkammspan Th12/L1 sowie eine Sicherung durch H-Plättchen und eine physiotherapeutische Mobilisation unter Vollbelastung behandelt wurde. Am 15. Juni 2005 wurde der Kläger zur Anschlussheilbehandlung in die M Klinik verlegt, wo er bis zum 27. Juli 2005 behandelt wurde. Hier wurden die bereits gestellten Diagnosen bestätigt und wurde bei ungestörtem Therapieverlauf als objektives Therapieergebnis mitgeteilt, der Kläger zeige ein flüssiges Gangbild ohne Hilfsmittel und Gehstreckenbegrenzung bei Treppensteigen im Wechselschritt; die Aktivitäten des täglichen Lebens gelängen selbständig. Zusammengefasst bestehe folgende Funktion zum Entlassungszeitpunkt: "gut gekräftigte wirbelsäulenstabilisierende Muskulatur, rückengerechte Verhaltensweisen werden umgesetzt, überwiegend schmerzfrei".
Zum 17. August 2005 nahm der Kläger eine ambulante/teilstationäre Rehabilitationsmaßnahme im Zentrum für ambulante Rehabilitation auf, das in einem Brief vom 22. September 2005 mitteilte, bei dem Kläger bestünden noch folgende Beschwerden: Längeres Sitzen über eine Stunde verursache Schmerzen im OP-Bereich; zudem seien fehlende Ausdauer und muskuläre Schwächen sowie Schwierigkeiten beim Heben und Tragen von Lasten festzustellen. Ausweislich eines Arztbriefs der Klinik und Poliklinik vom 19. Oktober 2005 stellte sich der Kläger am 17. Oktober 2005 dort in der Wirbelsäulensprechstunde vor und klagte noch über Schmerzen bei längerem Sitzen sowie über Druckschmerzen im Bereich der unteren linken Fixateurschraube. Die mitgebrachten Röntgenkontrollen hätten eine gute Frakturstellung und eine gute Lage des Osteosynthesematerials gezeigt, die Metallentfernung solle frühestens ein dreiviertel Jahr nach der Operation erfolgen. Dazu werde sich der Kläger im Februar 2006 erneut in der Wirbelsäulensprechstunde vorstellen. Zum 17. März 2006 beendete der Kläger die ambulante Rehabilitationsmaßnahme im Zentrum für ambulante Rehabilitation, wo ausweislich eines Abschlussberichts vom 31. März 2006 festgestellt wurde, dass das Leistungsvermögen für die Tätigkeit als Fallschirmspringer aufgehoben sei, dagegen für den allgemeinen Arbeitsmarkt ein vollschichtiges Leistungsbild für mittelschwere körperliche Tätigkeiten bestehe. In einem Arztbrief der Radiologieabteilung des Bkrankenhauses vom 19. Januar 2006 wurde als Befund eine Streckfehlhaltung der Halswirbelsäule sowie eine geringe rechtskonvexe Skoliose der Halswirbelsäule bei ansonsten unauffälligem knöchernen Halswirbelsäulen-Befund mitgeteilt. In einem weiteren Arztbrief der Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie des Bkrankenhauses vom 19. Januar 2006 wurde als Befund mitgeteilt eine diskret s-förmige Wirbelsäule, Muskulatur paravertebral mit Hartspann, Beweglichkeit des thorakolumbalen Übergangs segmentär fixiert, Metall bei L1 tastbar, reizlose OP-Narbe, mehrere Irritationspunkte paravertebral in Höhe Th12/L1. Die Verwendungsfähigkeit des Klägers sei auf Dauer eingeschränkt, es werde eine dienstliche Umsetzung in den Innenbereich empfohlen. In einem Arztbrief der Klinik und Poliklinik vom 1. Februar 2006 über eine Vorstellung des Klägers in der Wirbelsäulensprechstunde am 30. Januar 2006 wurde mitgeteilt, der Kläger sei im Wesentlichen beschwerdefrei, klage allerdings beim Liegen oder beim Anlehnen an einen Stuhl über eine mechanische Irritation von den Schrauben herrührend. Die mitgeführten Röntgenaufnahmen zeigten nach wie vor eine korrekte Stellung der Wirbelsäule, der ventral eingebrachte Span erscheine knöchern eingeheilt. Es bestehe eine Indikation zur Metallentfernung.

Am 7. Februar 2006 wurde auf Antrag des Klägers durch den Sanitätsbereich Fallschirmjägerbataillon der Lkaserne eine erste ärztliche Mitteilung über eine mögliche Wehrdienstbeschädigung gefertigt, die der Wehrbereichsverwaltung Süd am 17. Februar 2006 zuging. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Klägers vom 7. März 2006, die dem Sanitätsbereich Fallschirmjägerbataillon der Lkaserne vorliegenden medizinischen Unterlagen und eine Mitteilung der Krankenkasse des Klägers vom 28. März 2006 über Arbeitsunfähigkeitszeiten ein. Nach Vernehmung des Klägers und Einholung einer Zeugenaussage zog die Beklagte weitere Berichte über die Operationen am 2. und 9. Juni 2005 der Klinik und Poliklinik bei und holte ein truppenärztliches Gutachten des Oberstabsarztes Dr. G vom 31. Mai 2006 und eine versorgungsmedizinische gutachtliche Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. R vom 7. Juli 2006 ein, die als Leidensbezeichnung für eine Wehrdienstbeschädigungsfolge einen operativ behandelten Berstungsbruch des 1. Lendenwirbelkörpers mit noch liegendem Metall vorschlug. Der Grad einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von wenigstens 25 v. H. für die Dauer von mindestens sechs Monaten werde nicht erreicht.

Mit Bescheid vom 11. August 2006 stellte die Beklagte fest, dass die Gesundheitsstörung "operativ behandelter Berstungsbruch des 1. Lendenwirbelkörpers" Folge einer Wehrdienstbeschädigung sei, und zwar hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 81 SVG, lehnte aber die Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG ab, weil kein Grad einer MdE von 25 v. H. für die Dauer von wenigstens sechs Monaten vorliege. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers holte die Beklagte medizinische Unterlagen bei dem Sanitätsbereich Fallschirmjägerbataillon der Lkaserne ein. Dies waren Arztbriefe des Bkrankenhauses vom 10. April und vom 23. Oktober 2006, ein Entlassungsbrief der Klinik und Poliklinik über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 19. bis 24. Juli 2006, wo am 20. Juli 2006 der Fixateur interne entfernt wurde, und ein Operationsbericht hierüber vom 24. Juli 2006, sowie ein kurzer Brief der M Klinik über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 7. bis 25. August 2006. Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des Arztes Dr. N vom 29. Januar 2007 wies die Beklagte die Beschwerde durch Beschwerdebescheid vom 15. Februar 2007 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 15. März 2007 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Befundberichte beim Sanitätszentrum S (Truppenarzt Dr. S) vom 19. Juli 2007 und dem Zentrum für ambulante Rehabilitation vom 27. Juli 2007 (Facharzt für Orthopädie W) eingeholt. Nach Einholung einer versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme der Fachärztin für Anästhesiologie Dr. V vom 12. September 2007 hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2007 ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass sie als Wehrdienstbeschädigung anerkannt hat:

"Minderung der Belastbarkeit und Belastungsbeschwerden in der unteren Rückenpartie und im linken Leistenbereich bei operativ behandeltem Kompressionsbruch des ersten Lendenwirbelkörpers (Einbringung eines inneren BWK-12/LWK-1) und Th-12/L-1 mit anschließender Einbringung eines Beckenkammspans. Narbe rechter Beckenkamm nach Beckenkammspanentnahme mit verbliebenen Schmerzen."

Die Beklagte hat weiter anerkannt, dass der Grad einer MdE 30 v. H. im Zeitraum vom 29. Mai bis zum 31. Dezember 2005 betrage.

Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis mit Schriftsatz vom 9. November 2007 "hinsichtlich der Leidensbezeichnung" angenommen, zugleich aber mitgeteilt, für das Jahr 2006 die Anerkennung eines Grades einer MdE von 25 v. H. zu begehren.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten bei dem Chirurgen, Unfallchirurgen und Sportmediziner Dr. M vom 18. Juni 2008 eingeholt. In diesem nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstellten Gutachten hat der Sachverständige ausgeführt, der Kläger habe am 29. Mai 2005 durch einen Sturz auf Gesäß/Rücken eine instabile Wirbelkörperkompressionsfraktur erlitten, welche eine zweifache operative Stabilisierung erforderlich gemacht habe. Vom 29. Mai 2005 bis zum Entlassungszeitpunkt aus stationärer Rehabilitation habe bei dem Kläger der Grad einer MdE von 100 v. H. bestanden. Denn während dieses Zeitraums sei der Kläger zunächst bettlägerig gewesen, habe der zweifachen Operation bedurft und sei zunehmend während des stationären Aufenthaltes und der direkt anschließenden Rehabilitation mobilisiert worden. Zum 27. Juli 2005 sei bei ihm ein eingeschränktes Bewegungsausmaß der Lendenwirbelsäule mit eingeschränkter Belastbarkeit bescheinigt worden. Der Grad der MdE sei - bezogen auf die Funktionseinschränkung der unteren Brustwirbelsäule und oberen Lendenwirbelsäule mit Versteifung des Segmentes BWK XII/LWK I - vom 28. Juli bis zum 31. Dezember 2005 mit 30 v. H. einzuschätzen. In Anlehnung an einen Arztbrief des Bkrankenhauses vom 23. Oktober 2006 sei für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2006 der Grad der MdE von 25 v. H. anzunehmen. Ab dem 1. Januar 2007 liege nur noch der Grad einer MdE von 20 v. H. auf Dauer vor.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme der Fachärztin für Anästhesiologie Dr. V vom 28. August 2008 übermittelt, die für den Zeitraum vom 29. Mai bis zum 27. Juli 2005 ausgeführt hat, dass es unzulässig sei, insoweit den Grad einer MdE von 100 v. H. festzustellen. Zu dieser Stellungnahme hat der Sachverständige Dr. M unter dem 13. Januar 2009 Stellung genommen. Die Beklagte hat schließlich eine weitere Stellungnahme von Dr. V vom 7. Februar 2009 übermittelt.

Das Sozialgericht hat der Klage, die darauf gerichtet gewesen ist, die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom "17. Juli 2006" in der Gestalt des Beschwerdebescheides vom 15. Februar 2007 "über das Teilanerkenntnis" vom 1. Oktober 2007 hinaus zu verurteilen, dem Kläger einen Ausgleich nach § 85 SVG nach dem Grad einer MdE von 100 v. H. für den Zeitraum vom 29. Mai bis 27. Juli 2005, von 30 v. H. für den Zeitraum vom 28. Juli bis 31. Dezember 2005 und von 25 v. H. für das Jahr 2006 zu gewähren, durch Urteil vom 9. April 2009 insoweit stattgegeben, als es die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger über das abgegebene Teilanerkenntnis hinaus einen Ausgleich nach § 85 SVG für die Zeit vom 29. Mai 2005 bis zum 27. Juli 2005 nach dem Grad einer MdE von 100 v. H. zu gewähren. Der Grad der MdE sei für diesen Zeitraum aus medizinischen Gründen mit 100 v. H. zu bemessen. Einer entsprechenden Feststellung stehe auch nicht Teil A Nr. 18 Abs. 5 der "Anhaltpunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) entgegen, wonach für die Bemessung eines Grades einer MdE über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten bestehende Gesundheitsstörungen vorausgesetzt würden. Denn bei dem Kläger habe durch die erlittene Wehrdienstbeschädigung zunächst ein akuter Zustand bestanden, der mit Abschluss der Anschlussrehabilitation beendet gewesen sei. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Namentlich folge es dem Sachverständigen Dr. M nicht, soweit er den Grad der MdE ab dem 1. Januar 2006 mit 25 v. H. bemesse. Insoweit sei der Grad der MdE nur mit 20 v. H. festzustellen. Das Sozialgericht hat die Beklagte im Übrigen dazu verurteilt, dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zur Hälfte zu erstatten.

Gegen das ihr am 16. Juni 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13. Juli 2009 Berufung eingelegt. Die Zuerkennung eines Ausgleichs auf der Grundlage des Grades einer MdE von 100 v. H. für den Zeitraum vom 29. Mai bis 27. Juli 2005 widerspreche Teil A Nr. 18 Abs. 5 der AHP.

Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2012 hat die Beklagte ausgeführt, ihr Anerkenntnis vom 1. Oktober 2007 nicht mit Bescheid umgesetzt zu haben, und weiter erklärt, dass das Anerkenntnis ungeachtet der Tatsache, dass der Kläger das Anerkenntnis nicht angenommen habe, gültig bleibe.


Die Beklagte beantragt schriftlich,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 9. April 2009 aufzuheben, soweit das Sozialgericht die Beklagte dazu verurteilt hat, dem Kläger einen Ausgleich nach § 85 des Soldatenversorgungsgesetzes nach dem Grad einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 30 v. H. für den Zeitraum vom 29. Mai bis 27. Juli 2005 zu gewähren, und die Klage insoweit abzuweisen.


Der Kläger beantragt schriftlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2012 hat er das Teilanerkenntnis des Beklagten vom 1. Oktober 2007 ausdrücklich angenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (vgl. § 153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 29. Mai 2005 bis zum 27. Juli 2005 einen Ausgleich nach § 85 SVG nach einem höheren Grad einer MdE als 30 v. H. zu gewähren.

Dabei ist mindestens nach den klarstellenden Prozesserklärungen der Beteiligten vom 24. Januar und 1. Februar 2012 unstreitig - und ist prozessual nach § 101 Abs. 2 des SGG auch insoweit Erledigung eingetreten -, dass der Grad der MdE für den hier allein in Rede stehenden Zeitraum vom 29. Mai bis zum 27. Juli 2005 jedenfalls mit 30 v. H. auf der Grundlage der von der Beklagten im Schriftsatz vom 1. Oktober 2007 mitgeteilten Leidensbezeichnungen festzustellen und dem Kläger hieraus auch ein Ausgleich nach § 85 SVG zu gewähren ist.

Des Weiteren sind der klägerische Antrag und das Urteil des Sozialgerichts so auszulegen, als streitig nicht ein Bescheid vom 17. Juli 2006 ist, der dem Kläger nach Aktenlage nicht bekannt gegeben werden konnte, sondern der Bescheid vom 11. August 2006. Dieser Bescheid ist in der Fassung des Beschwerdebescheides vom 15. Februar 2007 und des angenommenen Teilanerkenntnisses rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Ein Anspruch auf Ausgleich nach dem Grad einer MdE von mehr als 30 v. H. steht dem Kläger für den hier allein streitigen Zeitraum nicht zu. Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat während seines Wehrdienstes wegen der Folgen einer Wehrdienstbeschädigung einen Ausgleich in Höhe der Grundrente und der Schwerbeschädigtenzulage nach § 30 Abs. 1 und § 31 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Wehrdienstbeschädigung ist nach § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Dienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Unstreitig hat der Kläger eine Wehrdienstbeschädigung erlitten. Im Ansatz unstreitig ist auch, dass ihm für den hier allein streitigen Zeitraum daraus ein Ausgleich zu gewähren ist. Streitig ist allein, auf der Grundlage welchen Grades einer MdE dem Kläger der Ausgleich nach § 85 SVG zu gewähren ist.

Die Beurteilung des Grades der MdE erfolgt nach Maßgabe der AHP, hier in der Fassung von 2005. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R -, bestätigt in BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 4/10 R - beide bei juris), weshalb sich auch der Senat auf die genannten AHP stützt.

Nach Teil A Nr. 18 Abs. 5 AHP 2005 können die Folgen der Wehrdienstbeschädigung im streitigen Zeitraum nicht nach einem höheren Grad einer MdE als 30 v. H. festgestellt werden. Der Grad der MdE setzt danach eine nicht nur vorübergehende und damit eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung voraus. Dementsprechend ist bei abklingenden Gesundheitsstörungen der Wert festzusetzen, der dem über sechs Monate hinaus verbliebenen - oder voraussichtlich verbleibenden - Schaden entspricht.

Nach Teil A Nr. 18 Abs. 5 Satz 3 bis 5 AHP 2005 ist Schwankungen im Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen. Dies bedeutet: Wenn bei einem Leiden - über einen Zeitraum von sechs Monaten nach Krankheitsbeginn hinaus - der Verlauf durch sich wiederholende Besserungen und Verschlechterungen des Gesundheitszustandes geprägt ist (Beispiele: Magengeschwürsleiden, chronische Bronchitis, Hautkrankheiten, Anfallsleiden), dann können die zeitweiligen Verschlechterungen - im Hinblick auf die dann anhaltenden Auswirkungen auf die gesamte Lebensführung - nicht als vorübergehende Gesundheitsstörungen betrachtet werden. Dementsprechend muss in solchen Fällen bei der GdB/MdE-Beurteilung von dem "durchschnittlichen" Ausmaß der Beeinträchtigung ausgegangen werden.

Hier liegt im Sinne des zweiten Satzes von Teil A Nr. 18 Abs. 5 AHP 2005 eine abklingende Gesundheitsstörung vor, so dass (nur) der über sechs Monate hinaus verbliebene Schaden - hier der Grad einer MdE von 30 v. H. - festzustellen ist. Umstände, die sich aus einem akuten, kurzfristigen körperlichen oder geistigen Befinden ergeben, wie das zeitweilige Unvermögen, einen Arbeitsplatz auszufüllen, oder der Aufenthalt in einem Krankenhaus, sind regelmäßig nicht dem Begriff des Grades der MdE unterzuordnen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1976 - 9 RV 136/75 - juris). Mit der MdE wird die anerkannte oder anzuerkennende Schädigungsfolge, der Leidenszustand selbst, bemessen. Da auf "Zustände von gewisser Dauer" abzustellen ist, schlägt sich nicht jeder Wechsel oder jedes Schwanken eines dynamischen Krankheitsgeschehens in einem Wert der MdE unmittelbar nieder.

Gewendet auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass auch für den Zeitraum der stationären Krankenhausbehandlung wie auch der anschließenden Rehabilitation der Grad der MdE nur in der Höhe bemessen werden kann wie er sich nach sechs Monaten nach dem schädigenden Ereignis - hier dem Unfall am 29. Mai 2005 - darstellt, hier also 30 v. H. An die gegenteiligen Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dr. M ist der Senat nicht gebunden, weil die Subsumtion unter die AHP 2005 Ergebnis einer rechtlichen Würdigung und damit Aufgabe des Senats ist. Im Übrigen ist Dr. M auf die Problematik des Erfordernisses einer nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörung im Sinne des Teils A Nr. 18 Abs. 5 AHP 2005 nicht eingegangen und zwar auch nicht in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. Januar 2009, obgleich die Fachärztin für Anästhesiologie Dr. V in ihrer Stellungnahme vom 28. August 2008 diesen ganz wesentlichen Punkt erörtert hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben sind.

Referenznummer:

R/R3948


Informationsstand: 06.07.2012