Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. Mai 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen in nicht zu erstatten.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger über Juli 2010 hinaus Rente auf unbestimmte Zeit wegen des Arbeitsunfalls am 06.11.2007 zusteht.
Der 1979 geborene Kläger war bei der Firma H.-S. in M. -Z. als Installateur beschäftigt und stürzte am 06.11.2007 bei der Arbeit eine Treppe hinunter.
Hierbei zog er sich eine Schulterluxation rechts mit Bankartläsion (Abriss des Labrum glenoidale) und Hill-Sachs-Defekt (Einbuchtung im vorderen Pfannenrand des Oberarmgelenkes) zu (Bericht des Krankenhauses M. vom 27.11.2007). Der Kläger wurde vom 23.11. bis 27.11.2007 stationär im Krankenhaus M. behandelt, wo am 23.11.2007 operativ eine endoskopische Labrumrefixation vorgenommen worden war (Bericht des Krankenhauses M. vom 28.12.2007 mit Operationsprotokoll vom 23.11.2007). Nach Durchführung einer Belastungserprobung war der Kläger wieder arbeitsfähig. Arbeitsunfähigkeit bestand vom Unfalltag bis zum 17.02.2008.
Bei Arbeitsfähigkeit (H-Arzt-Bericht von
Dr. A. vom 31.07.2008) stellt sich der Kläger im Juni 2008 wegen Beschwerden (Schmerzen seit
ca. 6 Wochen bei Belastung) im Krankenhaus M. (Bericht vom 16.06.2008) vor. Vom 05.08. bis 08.08.2008 wurde der Kläger erneut stationär unter der Diagnose eines Impingements der rechten Schulter behandelt und am 05.08.2008 eine operative diagnostische Videoarthroskopie mit endoskopischer subacromialer Dekompression und Bursektomie vorgenommen. Unter fortdauernder Arbeitsunfähigkeit (Bericht des Krankenhauses M. vom 29.08.2008) wurde der Kläger durch die orthopädische Praxis
Dr. Schu. - als Belegärzte des O.-Krankenhauses
S. - erneut stationär vom 23.09. bis 27.09.2008 mit Arthroskopie der rechten Schulter am 24.09.2008 behandelt (Bericht von
Dr. Schu. vom 06.10.2008).
Dr. Schu. bescheinigte die Arbeitsfähigkeit des Klägers ab voraussichtlich 18.10.2008 (H-Arztbericht-Bericht von
Dr. Schu. vom 06.10.2008).
Der Kläger befand sich vom 05.11.2008 bis 26.11.2008 in Anschlussheilbehandlung im Gesundheitszentrum Bad W., aus der er mit der Beurteilung entlassen wurde, dass seine letzte Tätigkeit nicht mehr leidensgerecht sei. Bei zuletzt nur noch mäßigen Restbeschwerden ging
Dr. Schu. von einer Arbeitsunfähigkeit bis 31.01.2009 aus (Zwischenberichte von
Dr. Schu. vom 08.12.2008 und 20.01.2009). Auf Veranlassung der Beklagten wurde im Berufsförderungswerk E. in R. vom 25.01. bis 04.02.2009 eine Berufsfindungsmaßnahme durchgeführt (Bericht des Berufsförderungswerkes E. vom 09.02.2009). Mit Bescheid vom 12.06.2009 gewährte die Beklagte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Sie bewilligte die Umschulung zum Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistungen durch Maßnahme vom 05.02.2009 bis voraussichtlich 31.01.2011 und zahlte Übergangsgeld für die Dauer der Maßnahme. Ab 01.02.2011 ist der Kläger bei seiner früheren Firma als Lagerverwalter angestellt.
Auf der Grundlage des Gutachtens von
Dr. Ho. vom 12.06.2009 (diagnostizierte Unfallfolgen: posttraumatische Schultersteife rechts nach Schulterluxation und mehrfachen Operationen, Bewegungseinschränkung der rechten Schulter, Kraftminderung der rechten Schulter; unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (
MdE) um 20 v.H. ab 25.01.2009 bis auf weiteres) gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 08.09.2009 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer
MdE um 20 v.H. ab 05.02.2009 bis auf weiteres.
Zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit veranlasste sie die Begutachtung des Klägers durch Professor
Dr. Li., der den Kläger am 07.06.2010 untersuchte. In seinem Gutachten vom 22.06.2010 beschrieb er als wesentliche Unfallfolgen u.a. noch eine Bewegungseinschränkung, insbesondere bei der Anteversion, und geringe Kraftminderung der rechten Schulter. Die unfallbedingte
MdE betrage 10 v.H.
Mit Bescheid vom 27.07.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente für unbestimmte Zeit ab und entzog die bisher als vorläufige Entschädigung gezahlte Rente mit Ablauf des Monats Juli 2010. Gegen den dem Kläger mit Zustellungsurkunde am 29.07.2010 übersandten Bescheid legte er durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2010 zurückgewiesen wurde. Der Widerspruchsbescheid wurde am 02.11.2010 zur Post gegeben.
Mit der am 03.12.2010 vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren auf Weiterzahlung von Rente weiter.
Das SG hörte den Allgemeinmediziner P. schriftlich als sachverständigen Zeugen (Aussage vom 14.06.2011: einmalige Vorstellung am 05.11.2007 wegen Folgen des Arbeitsunfalles mit Schulterbeschwerden) und holte das orthopädische Gutachten vom 10.10.2011 ein. Darin kam der Sachverständige
Dr. He. zu dem Ergebnis, beim Kläger liege eine schmerzhafte Funktionsstörung der rechten Schulter nach mehrfacher Operation bei Schulterverrenkung vor. Die aktuelle
MdE betrage 20 v.H. Stelle man auf die einschlägige Gutachtenliteratur ab und bewerte allein die Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks, sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt die unfallbedingte
MdE mit
max. 10 v.H. zu bewerten. Diese Vorgehensweise sei aber unzureichend. Endgradige unkontrollierte Bewegungen im Schultergelenk könnten oft zu ausgeprägten Schmerzen oder Teilverrenkungen der Schulter führen. Die gestörte Feinregulierung der Muskulatur führe zu dem Ergebnis, dass Überkopfarbeiten unter Umständen gar nicht oder nur sehr ungeschickt oder kraftlos möglich seien. Der Kläger könne mechanisch besonders belastende Arbeiten mit der rechten Hand dauerhaft und zuverlässig nicht mehr ausüben, weshalb ihm zahlreiche körperlich belastende Tätigkeiten in der Industrie oder im Handwerk, in der Landwirtschaft und in der Forstwirtschaft nicht mehr oder nur noch mit Einschränkungen möglich seien. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der offensichtlich eher unterdurchschnittlich begabte Kläger auch sehr viele körperlich belastende Dienstleistungsaufgaben nicht mehr wahrnehmen könne, weshalb eine
MdE um 20 v.H. gerechtfertigt sei.
Mit Urteil vom 24.05.2012 verurteilte das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, dem Kläger über den 31.07.2010 hinaus Verletztenrente nach einer
MdE von 20 v.H. zu gewähren. In den Entscheidungsgründen stützte es sich auf das Gutachten von
Dr. He. .
Gegen das der Beklagten am 08.06.2012 zugestellte Urteil hat sie am 03.07.2012 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung geltend gemacht, der von
Dr. He. erhobene objektive Befund des rechten Schultergelenks mit einer Vorwärtsbeweglichkeit bis 160° und Seitwärtsbeweglichkeit bis 150° rechtfertige nach der unfallmedizinischen Literatur nicht einmal eine
MdE von 10 v.H. Seine Ausführungen zur
MdE bei Instabilität der Schulter könnten zu keiner anderen Beurteilung führen, da er beim Kläger keine Instabilität diagnostiziert habe. Die vom Kläger angegebenen massiven Schulterbeschwerden müssten sich auch in den dokumentierten objektiven Befunden ausdrücken.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24.05.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf seinen Sachvortrag in erster Instanz und auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat der Senat das von
Dr. Ho. erstattete fachchirurgische Gutachten vom 18.03.2013 eingeholt. Der Sachverständige hat die unfallbedingte
MdE mit 20 v.H. ab 01.08.2010 eingeschätzt. Beim Kläger bestehe eine erhebliche Bewegungseinschränkung mit Anteversion bis 100° und Elevation bis 115° und eine erhebliche Kraftminderung der rechten Schulter.
Die Beklagte hat sich zum Gutachten von
Dr. Ho. dahingehend geäußert, dass die von
Dr. Ho. ermittelten Bewegungsmaße nach der medizinischen Literatur keine
MdE von 20 v.H. begründeten.
Dr. He. habe einen deutlich besseren Befund beschrieben. Weshalb nach
Dr. Ho. eine durchgehende
MdE von 20 v.H. ab August 2010 bestehe, werde nicht begründet. Sie verweist zuletzt auf den vorgelegten Zwischenbericht von
Dr. La. vom 02.05.2013, in dem die Elevation der rechten Schulter mit 130° angegeben sei. Der Kläger macht geltend,
Dr. Ho. habe aufgrund der bereits 2009 erfolgten Untersuchung entsprechende Vergleichswerte gehabt, weshalb er eine exakte Einstufung habe vornehmen können.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 13.08.2013 und der Beklagten vom 12.08.2013). Gegen den richterlichen Hinweis vom 14.08.2013, es werde auch nach Eingang des wechselseitigen Vorbringens der Beteiligten von einer unveränderten Prozesslage und der Fortgeltung der Einverständniserklärungen ausgegangen, haben die Beteiligten keine Einwände erhoben.
Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Die form- und fristgerecht (§ 151
SGG) eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung hat entscheiden können (§ 124
Abs. 2
SGG), ist statthaft und insgesamt zulässig.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des SG war aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente über den Monat Juli 2010 hinaus.
Gesetzlich Unfallversicherte - wie der Kläger -, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben gemäß § 56
Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Siebtes Buch - (
SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der
MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62
Abs. 1 Satz 1
SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der
MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62
Abs. 2
SGB VII).
Die
MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56
Abs. 2
SGB VII), d.h. es ist eine abstrakte Bewertung der verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Arbeitsmarkt vorzunehmen und nicht allein auf die Einschränkungen am konkreten Arbeitsplatz abzustellen. Die Bemessung der
MdE ist vom Gericht als Tatsachenfeststellung gemäß § 128
Abs. 1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffen. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (
BSG SozR 4-2700 § 56
Nr. 2;
BSG SozR 3-2200 § 581
Nr. 8, S 36
m.w.N.). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der
MdE geschätzt werden (
BSG SozR 3-2200 § 581
Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der
MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der
MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (
BSG aaO; zuletzt
BSG Urteil vom 22. Juni 2004 -
B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56
Nr. 1).
Nach diesen Grundsätzen steht dem Kläger keine Rente als vorläufige Entschädigung über den 31.07.2010 hinaus und keine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit zu. Zu dieser Überzeugung gelangte der Senat durch die überzeugenden Ausführungen im Gutachten von
Prof. Dr. Li. vom 22.06.2010. Danach lagen beim Kläger am Untersuchungstag, dem 07.06.2010, nur noch Unfallfolgen vor, die nach der unfallmedizinischen Literatur allenfalls eine
MdE um 10 v.H. begründen.
Bewegungseinschränkungen nach Schulterverrenkung begründen bei jeweils freier Rotation in der Vorwärts-/Seitwärtshebung bis 90° eine
MdE um 20 v.H., bei der Vorwärts-/Seitwärtshebung bis 120° eine
MdE um 10 v.H. Eine konzentrische Bewegungseinschränkung um die Hälfte begründet eine
MdE um 25 v.H., die Schultergelenkversteifung in 30° Abduktion bei uneingeschränktem Schultergürtel eine
MdE um 30 v.H. (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl.,
S. 523; Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, Unfallbegutachtung, 13. Aufl.,
S. 169 jeweils
m.w.N.). Eine vollständige Schultergelenkversteifung ist von
Prof. Dr. Li. und auch von den nachfolgenden begutachtenden Ärzten nicht diagnostiziert worden. Bei der Durchbewegung der rechten Schulter fanden sich im Juni 2010 keine Krepitationen, lediglich ein Bewegungsschmerz acromial bei der Vorwärtshebung rechts und eine geringfügige Kraftminderung rechts im Vergleich zu links war zu erheben. Röntgenologisch zeigte sich kein Humeruskopfhochstand rechts, die Muskulatur am Ober- und Unterarm war seitengleich ausgebildet. Die Rotation der rechten Schulter war im Vergleich zur linken nur endgradig, d.h. in der Armauswärts- und -einwärtsdrehung um jeweils 10° im Vergleich zu links, eingeschränkt. Die von
Prof. Li. erhobenen Bewegungsmaße für die Seitwärts- und die Vorwärtshebung der rechten Schulter jeweils bis 140° rechtfertigen daher keine rentenrelevante
MdE um 20 v.H.
Eine im Juni 2010 noch fortbestehende Phase der Anpassung und Gewöhnung, die es erlaubt von den auf den Bezug der Rente auf unbestimmte Zeit ausgerichteten Bewertungsgrundsätzen der unfallmedizinischen Literatur abzuweichen, wurde von
Prof. Dr. Li. nicht angenommen. Dies ist nach den von ihm erhobenen Befunden auch nicht nachgewiesen. Zwar klagte der Kläger im Anschluss an eine langwierige und drei arthroskopische Operationen erfordernde Behandlung bei der Untersuchung durch
Prof. Dr. Li. noch über wetterabhängige Schulterschmerzen und Schmerzen selbst bei geringer Gewichtsbelastung rechts, was eine fortbestehende instabile Befundlage, die eine endgültige Beurteilung der zu erwartenden dauerhaften Funktionseinschränkung nicht zulässt, aber allein nicht belegt. Auch in den zeitlich nachfolgenden Gutachten von
Dr. He. und
Dr. Ho. wird für den restlichen Dreijahreszeitraum nach Juni 2010 im Sinne des § 62
Abs. 1 Satz 1
SGB VII keine
MdE-Bemessung nach den Kriterien einer noch bestehenden Anpassungs- und Gewöhnungsphase vorgeschlagen. Zur Überzeugung des Senats konnte die Beklagte daher aufgrund des überzeugenden Gutachtens von
Prof. Dr. Li. von einer ausreichenden Bewertungsgrundlage für die Bemessung der
MdE unter den Gesichtspunkten einer Rente auf unbestimmte Zeit ausgehen, was den Entzug der als vorläufigen Entschädigung gewährten Rente rechtfertigt. Die insoweit erhobene Anfechtungsklage ist deshalb ebenso unbegründet.
Aus den Gutachten von
Dr. He. vom 10.10.2011 und von
Dr. Ho. vom 18.03.2013, in denen die unfallbedingte
MdE auf 20 v.H. für die Rente auf unbestimmte Zeit eingeschätzt wird, ergeben sich keine Befundtatsachen, die der Bewertung von
Prof. Dr. Li. entgegenstehen.
Dr. He. räumt vielmehr in seinem Gutachten ein, dass nach den von ihm erhobenen Bewegungsmaßen für die Vorwärts- und Seitwärtshebung der rechten Schulter (160°
bzw. 150°) nach der unfallmedizinischen Literatur maximal eine
MdE um 10 v.H. zu begründen ist. Dies gilt zur Überzeugung des Senats trotz des Umstandes, dass die von
Dr. He. erhobenen Bewegungsmaße von ihm als "passive" Bewegungsausmaße bezeichnet werden. Soweit
Dr. He. die Bewegungsausschläge durch assistierte Bewegungsmessung ermittelt hat, gibt dies bei der vorliegenden Verletzungsart einer knöchernen Gelenksverletzung durch Abriss des Gelenkpfannenrands des Oberarms keine verfälschten Bewegungsmaße wider, sondern lässt das weniger von der Mitarbeit des Untersuchten abhängige, tatsächliche Bewegungsausmaß des verletzten, aber nicht bandinstabilen Gelenks erkennen. Seine von den unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätzen abweichende
MdE-Bewertung stützt
Dr. He. auf die Überlegungen, endgradig unkontrollierte Bewegungen im Schultergelenk führten oft zu ausgeprägten Schmerzen und empfindlichen Störungen der Feinregulierung der Muskulatur, dadurch seien beispielsweise Überkopfarbeiten gar nicht oder nur ungeschickt oder kraftlos möglich. Dem Kläger sei deshalb ein Teil des Arbeitsmarktes verschlossen. Diese Begründung zur Abweichung von den allgemein anerkannten Erfahrungssätzen bei der Bemessung der
MdE hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätze sind als Grundlage für die gleiche und gerechte Bewertung in allen Parallelfällen heranzuziehen (
vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, a.a.O.), denn diese allgemein anerkannten arbeitsmedizinischen Erfahrungssätze bewirken nach dem grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebot über die daraus folgende Selbstbindung der Verwaltung die gebotene Gleichbehandlung aller Versicherten in allen Zweigen der gesetzlichen Unfallversicherung. Abweichungen von den zulässigerweise pauschalisierten Bewertungskriterien sind rechtlich nur dann geboten, wenn die zu bewertende funktionelle Beeinträchtigung des verletzten Organs von dem in der versicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur vorgegebenen, einschlägigen Bewertungsansatz nicht oder nicht vollständig erfasst wird.
Die nach einer Schulterverrenkung in Betracht kommenden Verletzungsmuster werden in der unfallmedizinischen Literatur, wie oben dargestellt, pauschalisierend mit der noch möglichen Restbeweglichkeit funktionell erfasst. Wegen der vielfältigen dreidimensionalen Bewegungseinschränkung ist die Schultervorhebung als Hauptkriterium zu werten (
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.), was in allen entsprechenden Bewertungstabellen berücksichtigt ist. Erfasst werden nach allgemeiner Übereinkunft in diesen Bewertungsansätzen die mit dem Grad der Bewegungseinschränkung üblicherweise verbundenen Schmerzen und die damit typischerweise einhergehende Kraftminderung. Hiervon ausgehend war für den Senat nicht ersichtlich, dass
Dr. He. funktionelle Beeinträchtigungen der rechten Schulter des Klägers in seine
MdE-Einschätzung eingestellt hat, die nicht bereits in dem Bewertungsansatz der unfallmedizinischen Literatur für die Bewegungseinschränkung der Vorwärts- und Seitwärtshebung der Schulter erfasst ist. Wenn endgradige Bewegungseinschränkungen der Schulterhebung, wie sie von
Dr. He. mit Bewegungsausschlägen bis 150°
bzw. 160° erhoben worden sind, sogar oft - so ausdrücklich
Dr. He. - zu ausgeprägten Schmerzen und Störung der Feinregulierung der Muskulatur führt, ist dies als typische Begleiterscheinung von dem
MdE-Ansatz erfasst. In dem Bewertungsansatz für eine
MdE um 10 v.H. wegen einer Bewegungseinschränkung bis 120° ist notwendigerweise auch die Unmöglichkeit oder Erschwernis von Überkopfarbeiten berücksichtigt, da Überkopfarbeit jedenfalls eine deutliche Annäherung der Beweglichkeit an den Normalwert der Schulterhebung bis 180° erfordert. Die von
Dr. He. aufgezählten Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen des Arbeitsmarktes, die dem Kläger wegen dieser Funktionsbeeinträchtigung verschlossen seien, sind daher typischerweise in der Erwerbsminderung um 10 v.H. berücksichtigt, was Ausdruck der durch die funktionelle Beeinträchtigung verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Arbeitsmarkt ist. Dass dies nicht mehr dem Zuschnitt des Arbeitsmarkts im Hinblick auf die Notwendigkeit, Überkopfarbeiten verrichten zu können, entspricht, wird von
Dr. He. nicht behauptet. Vielmehr ist durch die Ausweitung des Dienstleistungssektors und der zunehmenden, verstärkt auch digitalisierten Automatisierung selbst in handwerklich geprägten Tätigkeitsfeldern eher ein Rückgang der Tätigkeitsanforderung für Überkopfarbeiten zu vermuten, was vorliegend aber nicht abschließend geklärt werden muss. Das Abstellen von
Dr. He. auf die individuelle Begabung zur beruflichen Neuorientierung, die vorliegend durch Unfalleinwirkung gar nicht verändert wurde, ist kein Faktor zur Bestimmung der maßgebenden
MdE. Die persönliche Begabung als Wettbewerbsvorteil oder -nachteil gehört zu den individuellen Eigenschaften, wie
z.B. auch die Schmerzempfindlichkeit, körperliche Fitness etc, die in der Bandbreite der noch normalen, allgemein für alle Versicherten geltenden üblichen Bedingungen liegen, welche bei der gebotenen abstrakten Schadensermittlung für die
MdE ohne Belang sind. Ansonsten würden gleiche Verletzungen, je nach individuellen und nicht krankheitswertigen Eigenschaften des Verletzten unterschiedliche
MdE-Werte begründen. Dessen ungeachtet hat ausweislich der in der beigezogenen Verwaltungsakte enthaltenen Beurteilungen des Berufsförderungswerkes E. der Kläger durchgehend gute Leistungen erzielt.
Ebenso wenig überzeugt die
MdE-Bewertung von
Dr. Ho. in seinem Gutachten vom 18.03.2013. Danach war dem Kläger bei der Untersuchung am 15.02.2013 die Seitwärtshebung des rechten Arms nur bis 115° und die Vorwärtshebung nur bis 100° möglich. Gegenüber den auch von
Dr. Ho. am 08.05.2009 erhobenen, in seinem Gutachten vom 12.06.2009 beschriebenen Bewegungsmaßen mit 110° und 120° wäre danach nur eine geringfügige Verbesserung um 5°
bzw. bei der Anteversion sogar eine Verschlechterung um 20° eingetreten. Die von
Dr. Ho. im Februar 2013 erhobenen Bewegungsmaße weichen damit deutlich von den zuvor von
Prof. Dr. Li. und
Dr. He. ermittelten, weitaus besseren Bewegungsmaßen ab. Die Abweichung wird von
Dr. Ho. auch nicht gutachtlich erläutert. Hierzu hätte bereits deshalb Anlass bestanden, weil seit den im Mai 2009 von
Dr. Ho. selbst erhobenen Bewegungsmaßen eine kontinuierliche Verbesserung der Untersuchungsergebnisse bis zur Untersuchung bei
Dr. He. im Oktober 2011 zu erkennen ist. Gründe für die verschlechterte Beweglichkeit des rechten Schultergelenks sind den von
Dr. Ho. insoweit nicht näher kommentierten Befunden vom März 2013 auch nicht zu entnehmen. Zwar führt der Sachverständige als Ergebnis seiner Inspektion der Oberarmmuskulatur aus, dass eine erhebliche Verminderung bei deutlich höher stehender rechter Schulter zu erkennen sei. Gleichwohl ist in dem seinem Gutachten beigefügten Messblatt der Muskelumfang 15
cm oberhalb des äußeren Oberarmknorrens mit 35
cm rechts und 36
cm links angegeben, was noch im Bereich der normalen Abweichungen bei paarigen Organen liegt, jedenfalls aber keine erhebliche, auf Schonung zurückzuführende Muskelverschmächtigung belegt. Auch
Dr. He. fand die schulterumfassende Muskulatur als nicht offenkundig verschmächtigt. Diskrete Zeichen einer Schultergelenksarthrose im Vergleich zur verletzten Gegenseite, wie von
Dr. Ho. beschrieben, fanden sich bereits im Röntgenbefund von
Prof. Dr. Li. . Soweit
Dr. Ho. eine Kraftminderung um ein Drittel gegenüber dem linken Arm beschreibt, steht dieser mitarbeitsbedingte Befund nicht in deutlichem Widerspruch zu den bisher erhobenen Befunden. Auch
Prof. Dr. Li. hatte eine geringgradig herabgesetzte Widerstandskraft beim Heben und Senken des Oberarmes rechts diagnostiziert. Soweit nunmehr erstmals ein deutlicher Humeruskopfhochstand von
Dr. Ho. gesehen wird, wird nicht erläutert, inwieweit dies unfallbedingt ist und sich hieraus die verschlechterte Beweglichkeit des rechten Schultergelenks ergibt. Sonstige Veränderungen in der objektiven Befundlage gegenüber den zuvor erhobenen Befunden sind dem Gutachten von
Dr. Ho. nicht zu entnehmen. In der später erfolgten Nachuntersuchung am 02.05.2013 durch
Dr. La. war die Schulterelevation rechts wieder bis 130° möglich, was mit den Vorbefunden von Professor
Dr. Li. und
Dr. He. korreliert. Die im chirurgischen Gutachten von
Dr. Ho. nicht näher erläuterten verschlechterten Bewegungsmaße sind für den Senat daher nicht nachvollziehbar, weshalb er dem überzeugenderen Gutachten von
Prof. Dr. Li., der zudem als Unfallchirurg die höhere Fachkompetenz besitzt, folgt. Das Gutachten von Professor
Dr. Li. wird auch durch die Untersuchungsergebnisse von
Dr. He. und zuletzt von
Dr. La. bestätigt.
Darüber hinaus sind funktionelle Einschränkungen der rechten Schulter, die nach den maßgebenden unfallmedizinischen Bewertungskriterien eine
MdE um 20 v.H. begründen würden, auch unter Zugrundelegung der von
Dr. Ho. ermittelten Bewegungsmaße nicht plausibel dargelegt. Das Hauptkriterium der Vorwärts- und Seitwärtshebung des Arms im Schultergelenk nur bis 90° rechtfertigt bei freier Rotation eine
MdE um 20 v.H. Dieser Bewegungsausschlag wurde bei der Untersuchung im Februar 2013 mit 115° und 100° noch überschritten, so dass die Bewegungseinschränkung der Bewertungsstufe einer
MdE um 10 v.H. für die Beweglichkeit bis 120° (ab mehr als 90°) zuzuordnen ist. Die Einschränkung der Auswärts- und Einwärtsdrehung mit 30/0/80 rechts und 60/0/90 links war nicht insgesamt um die Hälfte eingeschränkt, was allein für sich genommen eine
MdE um 25 v.H. rechtfertigen könnte. Die Rotationsbeeinträchtigung des Klägers erzwingt jedoch im Vergleich zu diesem, eine
MdE von 25 v.H. ergebenden Verletzungsmuster keine Erhöhung der
MdE von 10 v.H. auf 20 v.H. in der Gesamtschau, ebenso wenig die von
Dr. Ho. dargelegte Kraftminderung. Es ist nicht ersichtlich und wird von
Dr. Ho. auch nicht begründet, dass die Kraftminderung über die vom Verletzungsmuster mit einer
MdE bis 10 v.H. noch erfasste typische Funktionseinschränkung hinausgeht.
Auf die Berufung der Beklagten war daher das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.