Urteil
Orthopädische Hilfsmittel können bei Beamten nach einem Dienstunfall den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit absenken

Gericht:

BVerwG 2. Senat


Aktenzeichen:

BVerwG 2 C 14.14 | 2 C 14.14 | 2 C 14/14


Urteil vom:

25.02.2015


Leitsätze:

1. Bei der Bestimmung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist die Verwendung orthopädischer Hilfsmittel zu berücksichtigen, soweit ihr Einsatz zumutbar ist und tatsächlich zu einer Steigerung der Erwerbsfähigkeit führt.

2. Ein einmal entstandener Anspruch eines früheren Beamten auf einen Unterhaltsbeitrag nach § 38 BeamtVG bleibt auch dann bestehen, wenn der frühere Beamte erneut in ein Beamtenverhältnis berufen wird, und sei es zu demselben Dienstherrn.

3. Richtige Rechtsbehelfe gegen die Änderung der Festsetzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit sind Widerspruch und Anfechtungsklage. Das gilt sowohl bei einer Anpassung aufgrund der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse als auch bei einer (Teil-)Aufhebung gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG.

Pressemitteilung:

(Nr. 10/2016)

Bei der Bestimmung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei einem Beamten ist im Rahmen der Unfallfürsorge auch zu berücksichtigen, inwieweit der Einsatz eines orthopädischen Hilfsmittels die Dienstunfallfolgen kompensiert. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger erlitt im Jahr 2002 beim Dienstsport einen Unfall, der zu einer Fußheberlähmung sowie zu einem weitgehenden Verlust des Fußhebermuskels führte. Der Grad der MdE wurde nach ärztlicher Begutachtung zunächst auf 30 vom Hundert (v.H.) festgesetzt. Auf dieser Grundlage erhielt der Kläger Unfallfürsorgeleistungen, zunächst Unfallausgleich und nach seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis Unterhaltsbeitrag. Nachdem der Beklagte einige Jahre später Kenntnis davon erlangt hatte, dass der Kläger an einem Fußballspiel teilgenommen hatte, veranlasste er eine erneute ärztliche Untersuchung. Diese kam zu dem Ergebnis, dass der Grad der MdE noch immer mit 30 v.H. zu bewerten sei, bei Berücksichtigung der vom Kläger verwendeten Peroneus-Schiene (ein orthopädisches Hilfsmittel, das das "Herabfallen" des Fußes verhindert) jedoch nur mit 15 v.H. Der Beklagte stellte daraufhin fest, dass keine erwerbsmindernden Unfallfolgen beim Kläger vorlägen. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat dagegen den Beklagten verpflichtet, beim Kläger einen Grad der MdE von mindestens 30 v.H. festzustellen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Revision des Beklagten die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Bei der Feststellung des Grades der MdE ist der Einsatz orthopädischer Hilfsmittel zu berücksichtigen, soweit dieser zumutbar ist und Unfallfolgen tatsächlich mindert. Nach den Vorschriften über den Unfallausgleich und den hier relevanten Unterhaltsbeitrag ist der Grad der MdE zu ermitteln, um das Maß der Unfallfürsorgeleistungen zu bestimmen. Der Unterhaltsbeitrag stellt eine Entschädigung dafür dar, dass der frühere Beamte infolge des Dienstunfalls nur noch eingeschränkt in der Lage ist, sich im allgemeinen Arbeitsleben einen Erwerb zu verschaffen. Daraus folgt, dass der zumutbare Einsatz orthopädischer Hilfsmittel den Grad der MdE absenkt, soweit er diese Fähigkeit wieder steigert.

Rechtsweg:

VG Chemnitz Urteil vom 12.03.2010 - 3 K 413/09
OVG Bautzen Urteil vom 11.03. 2014 - OVG 2 A 862/11

Quelle:

Bundesverwaltungsgericht

Tenor:

Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. März 2014 wird aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 12. März 2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.
Der im Jahr 1975 geborene Kläger war im Jahr 2002 Polizeianwärter im Dienste des Beklagten. Im April 2002 erlitt er einen Dienstunfall, in dessen Folge er bis heute unter einer Peroneusparese links (Fußheberlähmung) sowie einem Teiluntergang des Musculus tib. anterior links (Fußhebermuskel) leidet. Der Unfall führte zur Polizeidienstunfähigkeit des Klägers. Am 1. September 2003 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Regierungssekretäranwärter ernannt. Im Anschluss an den Vorbereitungsdienst arbeitete er als Tarifbeschäftigter beim Beklagten. Im Juli 2008 wurde er erneut zum Beamten in Diensten des Beklagten ernannt. Infolge des Dienstunfalls erhielt der Kläger Unfallfürsorgeleistungen, zunächst Unfallausgleich und ab dem 1. September 2003 einen Unterhaltsbeitrag auf Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vom Hundert (v.H.).

Der Kläger trägt als Folge des Dienstunfalls eine sog. Peroneus-Schiene, ein orthopädisches Hilfsmittel, das den Fuß stabilisiert und dessen "Herabhängen" verhindert. Nachdem der Beklagte Kenntnis davon erlangt hatte, dass der Kläger mit dieser Schiene in der Lage war, an einem Fußballspiel teilzunehmen, setzte er die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Null fest. Es sei von einer Verbesserung der dienstunfallbedingten Beschwerden auszugehen. In dem daraufhin erstellten ärztlichen Gutachten wurde ausgeführt, dass keine rechtlich wesentliche Änderung gegenüber dem letzten Gutachten eingetreten, die festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit weiterhin berechtigt sei. Auf ergänzende Nachfrage führte der Gutachter aus, dass durch die Nutzung orthopädischer Hilfsmittel (hier durch die Peroneus-Schiene) die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers nur noch 15 v.H. betrage. Daraufhin stellte der Beklagte fest, dass erwerbsmindernde Folgen im Sinne des § 35 BeamtVG nicht vorlägen.

Der hiergegen gerichtete Widerspruch sowie die Klage vor dem Verwaltungsgericht blieben erfolglos. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, als Folgen des Dienstunfalls beim Kläger eine Erwerbsminderung in Höhe von 30 v.H. anzuerkennen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei nach der Minderung der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Bei der Bewertung sei eine Funktionsverbesserung durch Heil- oder Hilfsmittel nicht zu berücksichtigen.

Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision beantragt der Beklagte,

das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. März 2014 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 12. März 2010 zurückzuweisen.


Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.


II.

Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass der Beklagte verpflichtet sei, für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis zum 11. März 2014 einen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H. anzuerkennen.

1. Die im Kern des Streits stehende Bestimmung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers stellt eine Tatbestandsvoraussetzung für die der Sache nach vom Kläger beanspruchte Leistung eines Unterhaltsbeitrags dar. Maßgebliche Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Zeitraum ist § 38 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3926), welche - soweit hier von Bedeutung - den nachfolgenden Fassungen entspricht. Mit Wirkung vom 1. April 2014 ist diese Vorschrift durch § 41 Sächsisches Beamtenversorgungsgesetz (SächsBeamtVG) in der Fassung vom 18. Dezember 2013 (SächsGVBl. S. 970, 1045) ersetzt worden.

Während der Unfallausgleich gemäß § 35 BeamtVG eine Unfallfürsorgeleistung für im Dienst stehende oder in den Ruhestand getretene Beamte darstellt, erhält ein durch einen Dienstunfall verletzter früherer Beamter, dessen Beamtenverhältnis nicht durch Eintritt in den Ruhestand geendet hat, gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG einen Unterhaltsbeitrag für die Dauer einer durch den Dienstunfall verursachten Erwerbsbeschränkung. Voraussetzung hierfür ist gemäß § 38 Abs. 2 Nr. 2 BeamtVG, dass bei dem früheren Beamten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigsten 20 v.H. gegeben ist.

Die Rechtsnatur des einmal entstandenen Anspruchs auf einen Unterhaltsbeitrag ändert sich auch dann nicht, wenn der frühere Beamte erneut in ein Beamtenverhältnis berufen wird, und sei es - wie hier - in ein Beamtenverhältnis zu demselben Dienstherrn. Namentlich wandelt sich der Anspruch nicht zurück in einen ursprünglich gegebenen Anspruch auf Unfallausgleich gemäß § 35 BeamtVG. Das folgt aus dem Charakter des Unterhaltsbeitrags, der eine Entschädigungsleistung dafür darstellt, dass der Beamte infolge der Beendigung des Beamtenverhältnisses keine weiteren Leistungen der Unfallfürsorge für sich in Anspruch nehmen kann (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 53.66 - Buchholz 232 § 142 BBG Nr. 4 S. 4 ff.; Bauer, in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, Erl. 3 zu § 38 Ziff. 1.5; Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, § 38 BeamtVG Rn. 31; Wilhelm, in: GKÖD, § 38 BeamtVG Rn. 22; offen für den Fall der Begründung eines erneuten Beamtenverhältnisses zu demselben Dienstherrn: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 38 BeamtVG Rn. 5). Der Entschädigungsanspruch erlangt mit seinem Entstehen Selbstständigkeit. Die Begründung eines neuen Beamtenverhältnisses - auch zu dem früheren Dienstherrn - kann etwaige frühere Ansprüche auf Unfallfürsorgeleistungen nicht wiederaufleben lassen. Denn bei dem neuen Beamtenverhältnis handelt es sich um ein anderes Beamtenverhältnis als dasjenige, innerhalb dessen sich der ausgleichspflichtige Unfall ereignet hat.

2. Zentrale Voraussetzung für die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags ist gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG die durch den Dienstunfall verursachte Erwerbsbeschränkung. Die Höhe der Leistung hängt vom Grad der festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit ab (§ 38 Abs. 2 BeamtVG). Dieser bestimmt sich nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben (§ 38 Abs. 6 Satz 1 BeamtVG). Hieraus folgt zunächst, dass es nicht um die Beeinträchtigung der Ausübung des konkret innegehabten Amtes geht. Maßstab ist vielmehr die Fähigkeit, sich unter Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich im gesamten Bereich des Erwerbslebens - auch außerhalb des öffentlichen Dienstes - bieten, einen Erwerb zu verschaffen (BVerwG, Urteil vom 21. September 2000 - 2 C 27.99 - BVerwGE 112, 92 <97>; Beschluss vom 25. Februar 2013 - 2 B 57.12 - juris Rn. 9). Insoweit unterscheiden sich die Regelungen der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge auch von denjenigen der gesetzlichen Unfallversicherung. Die dort in § 56 Abs. 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) vorgesehene Berücksichtigung von Nachteilen, die Versicherte dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können (vgl. dazu BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 - B 2 U 3/08 R - Breith. 2010, 31), findet im Beamtenversorgungsrecht keine Entsprechung.

Der Unterhaltsbeitrag gewährt Entschädigung bzw. Schadensersatz. Er soll Erwerbseinbußen ausgleichen, die darauf beruhen, dass der frühere Beamte infolge der dienstunfallbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen nur eingeschränkt in der Lage ist, aus eigener Kraft für ein Erwerbseinkommen zu sorgen. Es handelt sich hierbei um eine pauschale Entschädigung für einen abstrakt berechneten Erwerbsschaden durch unfallbedingte Erwerbseinbußen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. März 2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - BVerfGK, 18, 377 <384 f.> zur Verletztenrente nach § 56 SGB VII; BVerwG, Urteile vom 19. April 1996 - 8 C 3.95 - BVerwGE 101, 86 <89> und vom 21. September 2000 - 2 C 27.99 - BVerwGE 112, 92 <97>).

Da die Beurteilung der durch einen Dienstunfall verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit medizinischen Sachverstand voraussetzt, ist zur Vorbereitung der behördlichen Entscheidung regelmäßig ein ärztliches Gutachten zu erstellen. Allgemeine Erfahrungssätze, in Tabellen und Empfehlungen enthaltene Richtwerte, also antizipierte Sachverständigengutachten, bilden in der Regel die Basis für die Bewertung durch den Sachverständigen. Sie sind die Grundlage für eine gleiche Bewertung in zahlreichen Parallelfällen. Diese Richtwerte sind allerdings nur Orientierungshilfen; die konkrete Bewertung muss stets auf die Besonderheiten der Minderung der Erwerbsfähigkeit des betroffenen (früheren) Beamten in seinem individuellen Fall abstellen (VGH München, Beschluss vom 1. Februar 2013 - 3 ZB 11.1166 - juris Rn. 13; OVG Münster, Urteil vom 7. März 2014 - 3 A 528/12 - juris Rn. 45; Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, § 35 BeamtVG Rn. 49; vgl. ferner BSG, Urteile vom 15. Dezember 1955 - 4 RJ 90/54 - juris Rn. 18 und vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R - EzS 128/200, Rn. 17).

3. Eine einmal erfolgte Festsetzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit kann durch den Dienstherrn auf zweierlei Weise angepasst werden. Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau einerseits von § 38 Abs. 6 sowie § 35 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG, der bei der Bestimmung des Unterhaltsbeitrages ergänzend heranzuziehen ist, und § 48 VwVfG andererseits.

a) Bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die für die ursprüngliche Bestimmung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit maßgeblich gewesen sind, kann eine Anpassung nach erneuter ärztlicher Untersuchung erfolgen. Dies ergibt sich für den Unterhaltsbeitrag aus § 38 Abs. 6 Satz 2 BeamtVG. Dort ist die Nachprüfung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit vorgesehen. Aus dem systematischen Zusammenhang mit § 38 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG, der die Leistung des Unterhaltsbeitrags nur für die Dauer der Erwerbsbeschränkung vorsieht, und mit § 38 Abs. 2 BeamtVG, der den Umfang der Leistung in Relation zum Umfang der Erwerbsbeschränkung setzt, folgt, dass eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse zu einer Anpassung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit führen kann.

b) War die Bestimmung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit von Anfang an fehlerhaft, ändern sich insoweit also allein die Rechtserkenntnisse des Dienstherrn, kann die Anpassung nicht auf der Grundlage von § 38 Abs. 6 Satz 2 BeamtVG erfolgen. Hier ist vielmehr eine vollständige oder teilweise Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung nach § 48 VwVfG erforderlich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. September 1980 - 6 B 44.80 - Buchholz 232.5 § 35 BeamtVG Nr. 1 S. 1 f.; Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, § 35 BeamtVG Rn. 68).

4. Rechtsschutz gegen die Anpassung des Unterhaltsbeitrages aufgrund der Annahme eines geringeren Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit erlangt der frühere Beamte mittels Widerspruch und Anfechtungsklage. Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages erfolgt durch einen Dauerverwaltungsakt, der darauf gerichtet ist, eine laufende Geldleistung zu gewähren (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2012 - 2 C 48.11 - Buchholz 239.1 § 5 BeamtVG Nr. 21 Rn. 12). Dies ergibt sich unmittelbar aus der Regelung des § 38 Abs.1 Satz 1 BeamtVG, nach der der Unterhaltsbeitrag für die Dauer der Erwerbsbeschränkung gewährt wird. Mit der im Wege des Widerspruchs und der Anfechtungsklage anzustrebenden Aufhebung eines Änderungsbescheids lebt der ursprüngliche Dauerverwaltungsakt wieder auf; es bedarf keiner erneuten Bestimmung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit und keiner erneuten Entscheidung über die Gewährung des Unterhaltsbeitrags.

5. Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts rechtsfehlerhaft, bei der Bestimmung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei die Verwendung orthopädischer Hilfsmittel nicht zu berücksichtigen. Der Senat ist auch nicht an die darauf fußende Annahme des Oberverwaltungsgerichts gebunden, der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage beim Kläger 30 v.H. Zwar handelt es sich bei der Bestimmung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch das Tatsachengericht grundsätzlich um eine bindende Feststellung im Sinne des § 137 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO. Vorliegend steht jedoch nicht die tatsachenbasierte arbeitsmedizinische Einschätzung der gesundheitlichen Situation des Klägers im Raume; vielmehr geht es um die revisible Rechtsfrage der Auslegung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals.

Der Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts beruht auf einem unzutreffenden Verständnis des von § 38 Abs. 2 Nr. 2 BeamtVG verwendeten Begriffs der Minderung der Erwerbsfähigkeit sowie des synonym von § 38 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG verwendeten Begriffs der Erwerbsbeschränkung. Schon der Wortlaut der Norm macht deutlich, dass Anknüpfungspunkt des Unterhaltsbeitrags nicht die erlittene Körperverletzung, sondern die Erwerbsbeschränkung ist. Der Unterhaltsbeitrag wird neben den Kosten für das Heilverfahren (§§ 33, 34 BeamtVG) gewährt. Der Umfang des Unterhaltsbeitrags richtet sich nach dem Maß der auf den Körperschaden zurückzuführenden, abstrakt anzunehmenden Erwerbseinbußen. Steigert ein orthopädisches Hilfsmittel (hier die Peroneus-Schiene) die Fähigkeit, sich im allgemeinen Erwerbsleben einen Erwerb zu verschaffen, wirkt sich dies folglich bei der Bemessung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit aus. Das folgt aus der beschriebenen Erwerbsbezogenheit des Anspruchs (vgl. zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung Becker, MedSach 2008, 142 <145>; Plagemann, MedSach 2004, 94 <96>; Koss, MedSach 2004, 92 <93>; a. A. für den Bereich von Amputationen: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010 S. 691). Diesem Grundgedanken des Unfallfürsorgerechts widerspräche es, die Erwerbsbeschränkung allein aus dem objektiv funktionalen Körperschaden herzuleiten. Die sozialgerichtliche Praxis verfährt entsprechend jedenfalls im Bereich von Sehhilfen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. September 2010 - L 22 U 28/08 - juris Rn. 31) und Endoprothesen (LSG Stuttgart, Urteil vom 26. November 2015 - L 6 U 50/15 - juris Rn. 54 f.) und berücksichtigt deren die Erwerbsfähigkeit steigernde Funktion.

Auch der Zweck der Vorschrift zielt darauf ab, die dienstunfallbedingt eingeschränkte Fähigkeit, im allgemeinen Arbeitsleben einen Erwerb zu verdienen, abstrakt zu entschädigen. Ist diese Fähigkeit infolge des Einsatzes orthopädischer Hilfsmittel nicht oder weniger stark eingeschränkt, besteht nur ein entsprechend geringerer Bedarf für eine finanzielle Kompensation. Das entspricht dem im Entschädigungsrecht verorteten Gedanken der Schadensminderungspflicht. Gemäß § 254 Abs. 1 und 2 Satz 1 BGB hängt die bürgerlich-rechtliche Verpflichtung zum Schadensersatz u.a. davon ab, ob es der Geschädigte unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Dieser Rechtsgedanke lässt sich auch für die Verwendung von orthopädischen Hilfsmitteln im Recht der Unfallfürsorge heranziehen. Danach muss sich der geschädigte frühere Beamte die durch die Verwendung des Hilfsmittels erreichte Schadensminderung bei seinem Entschädigungsanspruch anrechnen lassen. Das erscheint auch deswegen angemessen, weil entsprechende Hilfsmittel regelmäßig auf Kosten des Dienstherrn im Rahmen der Heilfürsorge gemäß § 33 BeamtVG angeschafft werden.

Dabei können nur solche Hilfsmittel die Erwerbsfähigkeit steigern, deren Benutzung für den früheren Beamten bei Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zumutbar ist. Gehen von dem Hilfsmittel selbst Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit anderer Art aus oder führt die Benutzung des Hilfsmittels ihrerseits zu körperlichen, seelischen oder sonstigen Beeinträchtigungen, so ist dies in die Beurteilung der Zumutbarkeit mit einzustellen. Darüber hinaus kann die Benutzung des Hilfsmittels nur in dem Umfang berücksichtigt werden, in dem sie die Erwerbsfähigkeit des Beamten im konkreten Fall auch tatsächlich steigert. Beide Aspekte (Zumutbarkeit und Maß der Steigerung der Erwerbsfähigkeit) sind von der Behörde und bereits zuvor von dem begutachtenden Arzt in die ohnehin erforderliche Betrachtung des Einzelfalls (s.o., Rn. 12) einzubeziehen.

6. Da nach den von den Beteiligten auch in der Revisionsverhandlung nicht bestrittenen tatsächlichen Verhältnissen die Erwerbsfähigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum infolge des zu berücksichtigenden Hilfsmittels nur um 15 v.H. gemindert war, scheidet die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nach § 38 Abs. 2 Nr. 2 BeamtVG aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.

Referenznummer:

R/R6966


Informationsstand: 15.11.2016