Urteil
Kein Anspruch auf höhere MdE

Gericht:

VG München


Aktenzeichen:

M 12 K 16.2825


Urteil vom:

15.12.2016


Grundlage:

Leitsätze:

1. Bei der Versorgungsmedizin-Verordnung handelt es sich um antizipierte Sachverständigengutachten, die nicht nur im Schwerbehindertenrecht für die Bildung des GdS/GdB, sondern auch für die Bildung der MdE im Rahmen eines Unfallausgleichs im Sinne des § 52 Abs. 1 BayBeamtVG zugrunde zu legen sind. (redaktioneller Leitsatz)

2. Zwischen den Begriffen MdE und GdS bestehen jedoch Unterschiede, sodass sich unterschiedliche Bewertungen ergeben können. Im Rahmen der MdE-Feststellung sind nur Behinderungen relevant, die Folge eines Dienstunfalls sind. Es kommt - anders als beim GdS - nicht auf die Auswirkungen in allen Lebensbereichen, sondern nur auf die Auswirkungen im allgemeinen Erwerbsleben an. (redaktioneller Leitsatz)

3. Für die Feststellung der MdE und des GdS gilt gleichermaßen, dass altersbedingte Beeinträchtigungen außer Betracht bleiben müssen. (redaktioneller Leitsatz)

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der am ... geborene Kläger begehrt die Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Der Kläger erlitt am ... 1959 als Polizeibeamter einen Verkehrsunfall, welcher mit Bescheid vom 20. April 1960 als Dienstunfall anerkannt wurde (Akte Teil 1 Bl. 2). Als Körperschäden wurden zunächst eine Unterschenkelfraktur links und eine Platzwunde am linken Sprunggelenk anerkannt.

Mit Bescheid vom 9. Juli 1976 wurde dem Kläger rückwirkend ab 1. Januar 1973 eine MdE von 25 von Hundert zuerkannt (Akte 0 Bl. 52). Der Beklagte stützte sich dabei auf die Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Bayerischen Polizei vom ... Juni 1976 (Akte 0 Bl. 51).

Mit Bescheid vom 29. Januar 1981 wurde dem Kläger ab 1. Dezember 1979 eine MdE von 40 von Hundert, gestützt auf eine amtsärztliche Stellungnahme vom ... Dezember 1980, gewährt (Akte 0 Bl. 88).

Mit Bescheid vom 18. März 1986 wurden die anerkannten Unfallfolgen um eine Arthrose am linken Sprunggelenk erweitert (Akte Teil 1 Bl. 95).

Mit Bescheid vom 1. Juni 1987 wurden die anerkannten Unfallfolgen um eine Coxarthrose (Hüftgelenksarthrose) rechts sowie eine Großzehengrundgelenksarthrose links erweitert (Akte Teil 1 Bl. 116).

Für die Zeit ab 26. November 1986 schätzte der ärztliche Dienst der Bayerischen Polizei die unfallbedingte MdE auf 50 von Hundert, welche durch Bescheid vom 23. Februar 1987 festgesetzt wurde (Akte 0 Bl. 124 ff.). Er legte dabei eine Coxarthrose rechts infolge einer Fehlbelastung bei Sprunggelenksarthrose mit einer Einzel-MdE von 20 von Hundert, eine posttraumatische Arthrose des linken oberen Sprunggelenks mit einer Einzel-MdE von 20 von Hundert und eine Großzehengrundgelenksarthrose links infolge einer Fehlbelastung bei Sprunggelenksarthrose mit einer Einzel-MdE von 10 von Hundert zugrunde.

Mit Ablauf des 31. Dezember 1993 wurde der Kläger altersbedingt pensioniert.

Am ... Juli 2006 implantierte die ... GmbH beim Kläger eine Sprunggelenksendoprothese links.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2007 erfolgte eine Erweiterung der Dienstunfallfolgen um eine Nervus peronaeus-Endastläsion links und eine Nervus tibialis-Endastirritation links (Akte Teil 5 Bl. 766 f.).

Laut des Gutachtens vom ... November 2007 von Dr. med. H ... seien eine posttraumatische Arthrose linkes oberes Sprunggelenk nach distaler Unterschenkelfraktur links, eine sekundäre Fußwurzelversteifung links mit Krallenzehenbildung und Hallux rigidus, ein endoprothetischer Gelenkersatz im oberen Sprunggelenk links, eine sensible Endastschädigung im Nervus peronaeus und tibialis und eine chronische Überlastungsperiostose am rechten großen Rollhügel (Hüfte) die Dienstunfallfolgen (Akte 0 Bl. 203 ff.). Unfallfremd seien die Coxarthrose links, die Periarthropathie in der rechten Schulter und das degenerative HWS- und LWS-Syndrom mit Bewegungseinschränkung. Wegen des Fehlens eines beweisenden Erstklinikberichts könnten die anerkannten Unfallfolgen nicht um eine AS-Ruptur erweitert werden. Die Zerstörung des oberen Sprunggelenks sei als sicher anzunehmen. Eine besondere Hervorhebung der Großzehengrundgelenkarthrose halte er nicht für notwendig, diese sei seines Erachtens in der funktionellen Einsteifung des Gesamtfußes enthalten. Er sehe keinen Grund, die MdE von 30% wegen der Versteifung des oberen Sprunggelenks und unteren Sprunggelenks zu ändern. Wegen der zunehmenden Schmerzhaftigkeit des teilversteiften oberen Sprunggelenks müsse die MdE ab Oktober 1992 auf 40% angehoben werden. Das seit der implantierten Endoprothese verbesserte Gehen wegen der freieren Dorsalextension im oberen Sprunggelenk werde durch die vermutlich anhaltenden Dysästhesien (Empfindungsstörungen) durch Endastirritation bzw. -läsion der Nerven peronaeus und tibialis im Fußbereich kompensiert. Die degenerativen Prozesse in den Hüftgelenken ständen in keinem Zusammenhang mit dem Dienstunfall. Eine Gelenkarthrose entstehe aus innerlicher Schwäche, lokalen Fehlstellungen oder direkten Schadenseinflüssen, nicht aus einer einseitigen Mehr- oder Fehlbelastung. Wenn eine Fernwirkung vom linken Fuß auf das rechte Hüftgelenk nachweisbar wäre, müsste sich dieses ganz deutlich vom linken unterscheiden und in den mehr als 20 Jahren seit der ersten Erwähnung verschlechtert haben, was hier nicht der Fall sei. Die echte Ursache der rechtsbetonten, beginnenden Coxarthrose könne er nicht klären, halte sie jedoch mit Sicherheit für dienstunfallunabhängig. Durch die jahrzehntelange, schmerzbedingte Schonung des linken Unterbeins habe sich auf der Gegenseite am rechten Becken eine gewebliche Überlastungsveränderung in Form einer tastbaren, sehr druckschmerzhaften, im Bild mäßig deutlich darstellbaren Tendoperiostose am großen Rollhügel eingestellt. Die dienstunfallbedingte Grund-MdE werde davon nicht beeinflusst. Dienstunfallfremd sei eine vermutlich lange zurückliegende Verletzung des rechten Schultereckgelenks mit verbliebener Armhebe- und dreheinschränkung. Die Tendoperiostose am rechten Rollhügel solle die Stelle der Coxarthrose rechts bei den anerkannten dienstunfallbedingten Körperschäden einnehmen. Diese führe zu keiner messbaren Einzel-MdE. Für eine zusätzliche Erweiterung sehe er keinen Anlass. Eine MdE von 50% sei aus seiner Sicht nicht begründet. Vermutlich sei sie aus der Gesamt-GdB des Versorgungsamtes München II übernommen worden. Die dienstunfallbedingte MdE schätze er anhaltend und auf Dauer bei 40%. Die Endoprothesenimplantation habe den MdE-Wert nicht gesenkt.

In einem Schreiben des Gesundheitsamts des Landratsamts ... vom 22. November 2007 werden die Einschätzungen Dr. H ... bestätigt (Akte 0 Bl. 213). Die Coxarthrose rechts sei als dienstunfallfremd einzuordnen. Die Diagnose "Tendoperiostose am rechten Rollhügel" sei neu einzufügen.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2008 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Coxarthrose rechts in keinem Zusammenhang mit dem anerkannten Dienstunfall stehe. Somit sei der Erweiterungsbescheid vom 1. Juli 1987 teilweise rechtswidrig und teilweise zurückzunehmen (Akte 0 Bl. 214 ff.). Nach den Feststellungen Dr. H ... sei eine MdE von 50 von Hundert durch die ermittelten Befunde und die einschlägige, medizinische Fachliteratur nicht abgesichert. Ein solcher MdE-Wert habe nie vorgelegen.

Auf Grundlage des Gutachtens vom ... November 2007 von Dr. H ... und der Stellungnahme des Landratsamts ... vom 22. November 2007 wurde durch Bescheid vom 21. Mai 2008 die MdE auf 40 von Hundert ab 1. Juni 2008 festgesetzt (Akte 0 Bl. 218 f.).

In einer Stellungnahme vom ... September 2008 führte Dr. H ... aus, dass die Voraussetzungen dafür, bei den Unfallfolgen eine Tendoperiostose anzusetzen, entfielen, da der Beklagte die Coxarthrose rechts aufgrund der spärlichen Befunde zum Zeitpunkt der Anerkennung im Juni 1987 nicht aberkannt habe (Akte 0 Bl. 234 ff.). Die Tendoperiostose gehöre durchaus zum Symptomkreis einer Coxarthrose, sei darin enthalten und brauche nicht getrennt aufgeführt werden. Eine zusätzliche, in einem messbaren MdE-Wert sich darstellende Auswirkung habe sie nicht. Die Herabsetzung der bisherigen MdE beruhe auf in der Literatur aufgeführten, einheitlichen Tabellen. Diese bewerteten eine totale Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks mit 30%, wobei jede Art von Schmerzgrad inbegriffen sei. 1975 sei die Sprunggelenksarthrose mit 25% festgelegt worden, 1983 habe das chirurgische Gutachten des Klinikums ... das obere Sprunggelenk mit einem Einzel-Grad der Behinderung (GdB) von 30% bewertet. Leider sei die nötige Unterscheidung zwischen der MdE und dem oft höher eingestuften GdB verwischt worden. 1987 sei es beim Kläger ohne nähere Begründung zu der nicht gerechtfertigten Erhöhung auf 50% gekommen, welche aus medizinischer Sicht für den Zustand des verletzten linken Sprunggelenks nicht korrekt gewesen sei. Vertretbar wäre nur die Weiterführung der MdE von 30% gewesen. Der Wert von 40% entspreche dem aktuellen Zustand des Fußes. Weder die Coxarthrose noch die Rollhügel-Tendoperiostose führten zu einem messbaren Einzel-MdE-Wert.

Eine dagegen erhobene Klage beim Verwaltungsgericht München (Az.: M 5 K 10.5058) nahm der Kläger nach einem von ihm selbst eingeholten orthopädischen Gutachten vom ... Juli 2009 am 15. Oktober 2010 wieder zurück, was zu einer Einstellung des Verfahrens durch Beschluss vom 25. Oktober 2010 führte.

Laut dem Gutachten vom ... Juli 2009 des Direktors der Orthopädischen Klinik ... Prof. Dr. ... H ... könne sich dieser der Beurteilung Dr. H ... bzgl. einer MdE von 40% uneingeschränkt anschließen (Akte 0 Bl. 257 ff.). Das rechte Hüftgelenk zeige auf Röntgenaufnahmen Hinweise auf eine leichte Hüftdysplasie und damit einen anlagebedingten Vorschaden, welcher unfallunabhängig sei. Er könne sich nicht der Einschätzung anschließen, die Mitte der 80er Jahre eine einseitige Hüftarthrose rechts als sekundäre Unfallfolge anerkannt habe.

Gemäß einem amtsärztlichen Gutachten des Gesundheitsamtes des Landratsamtes ... vom 18. Januar 2012 beträgt der Gesamt-MdE 40 von Hundert (Akte 0 Bl. 279 f.). Mit einer wesentlichen Veränderung sei nicht zu rechnen.

Mit Schreiben vom ... Februar 2016 beantragte der Kläger eine Neubewertung seiner MdE. Sein Gesundheitszustand habe sich als Folge des Dienstunfalles in den vergangenen Jahren sukzessive verschlechtert (Akte Teil 9 Bl. 1332 f.). Besonders die Folge der Implantation der Endoprothese im linken Sprunggelenk mache sich zunehmend negativ bemerkbar. Die Coxarthrose, die Hammerzehenbildung der versteiften Zehengelenke links und die durch die OP verursachte Endastschädigung schränke seinen Gesundheitszustand immer mehr ein. Die tägliche erforderliche Einnahme von Schmerz- und Schlafmitteln und die daraus resultierenden Nebenwirkungen wirkten sich sukzessive immer stärker aus. Auch im Hinblick auf die ungerechte Rückstufung seiner MdE durch den Bescheid vom 21. Mai 2008 hoffe er, dass die damalige Entscheidung revidiert werde.

Am ... März 2016 fand die Nachuntersuchung statt.

Mit Gutachten des Amtsarztes Dr. M ... vom ... März 2016 stellte dieser fest, dass aufgrund der Untersuchung vom ... März 2016 eine MdE von 40 von Hundert noch als ausreichend einzustufen sei (Akte 0 Bl. 282 f.).

Mit Schreiben vom 30. März 2016 wurde dem Kläger infolge der Ergebnisse der Nachuntersuchung mitgeteilt, dass sich keine Änderungen beim Unfallausgleich ergeben hätten. Unfallunabhängig hätten sich insbesondere die Bewegungsausmaße am rechten Sprunggelenk und an den beiden Kniegelenken massiv gegenüber den Vorgutachten verschlechtert (Akte 0 Bl. 284). Diese seien jedoch nicht als Dienstunfallfolgen anerkannt und stünden nach den bisherigen Gutachten auch nicht im Zusammenhang mit dem Ereignis vom ... Juli 1959. Bei der Einstufung könnten nur die dienstunfallbedingten Körperschäden und deren derzeitige Folgen berücksichtigt werden.

Mit Schreiben vom ... April 2016 legte der Kläger den Änderungsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom ... März 2016 vor. Laut diesem beträgt der Grad der Behinderung des Klägers 80, zudem erfüllt der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" (Akte Teil 9 Bl. 1345 f.). Der Einzel-GdB für die Funktionsbehinderung des oberen Sprunggelenks links mit künstlichem Gelenkersatz, die Funktionsbehinderung des unteren Sprunggelenks links, die Funktionsstörung durch die Zehenfehlform und die Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke beträgt 50.

Mit Schreiben des Beklagten vom 11. April 2016 teilte dieser dem Kläger mit, dass der Grad der Behinderung (GdB) mit dem Grad der MdE nicht vergleichbar und weitreichender sei. Zudem seien weder die Coxarthrose links noch die Funktionsstörung durch die Zehenfehlform als Dienstunfallfolgen anerkannt. Im Gutachten von Dr. H ... sei es primär darum gegangen, ob die bisherigen Dienstunfallfolgen zu erweitern seien. Dies sei mit Ausnahme der Nervenschädigungen und Nervenirritationen verneint worden. Zur Beurteilung der MdE würden die Bewegungsausmaße herangezogen. Diese zeigten sich verschlechtert, im Gesamtkontext sei aber eine MdE mit 40 von Hundert ausreichend.

Mit Schreiben vom ... April 2016 legte der Kläger Widerspruch ein (Akte Teil 9 Bl. 1352 f.). Er erkenne das Untersuchungsergebnis vom ... März 2016 nicht an, da eine Untersuchung, die zu einer gutachterlichen Befundung nötig gewesen wäre, nicht stattgefunden habe. Die vom Gesundheitsamt erhobenen Messdaten ließen keinen Vergleich mit denen aus den Jahren 2007 und 2012 zu. Dr. H ... habe in seinem Gutachten von 2007 die Verletzung des oberen Sprunggelenks als Zerstörung bezeichnet. Er spreche in seiner Beurteilung von einer funktionellen Einsteifung des Gesamtfußes und einem schmerzhaften bewegungsgeminderten Großzehengelenk. Dr. M ... setze dem Messdaten von 5 - 110 bzw. von 30 - 30 entgegen. Zudem sei im amtsärztlichen Gutachten vom ... Januar 2012 auch eine Großzehengelenksarthrose als dienstunfallbedingt attestiert worden. Darüber hinaus würden sowohl das Zentrum Bayern Familie und Soziales als auch der Beklagte nach der GdB/GdE Tabelle werten. Zudem werde nicht berücksichtigt, dass bei dem vorliegenden Verletzungsgrad des Oberschenkelgelenks grundsätzlich auch das Unterschenkelgelenk zerstört sei. Die Versteifung und Krallenbildung blieben völlig unberücksichtigt. Zudem müsse das Alter des Klägers berücksichtigt werden. Er reklamiere für seine Person, dass gerade im Hinblick auf sein Alter und seine insgesamt sehr fragliche Behandlung in der Vergangenheit, wie es in der allgemeinen Rechtsprechung auch gelte, im Zweifelsfall zu seinen Gunsten entschieden werde.

Mit Schreiben vom 20. April 2016 führte der Beklagte aus, dass im Rahmen der Neubewertung auch eine Vermessung der aktuellen Werte vorgenommen worden sei (Akte Teil 9 Bl. 1350 f.). Diese seien dann mit den Werten des Gutachtens von Dr. H ... verglichen worden. Nach Eingang des Gutachtens vom ... März 2016 habe man eine nochmalige Sichtung der dokumentierten Daten vorgenommen und habe die Angaben im Gutachten als abgedeckt gesehen und bestätigt.

Mit Schreiben vom 21. April 2016 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Coxarthrose links und die Funktionsstörung der Zehenfehlform (Krallenzehen) von Dr. H ... nicht als Dienstunfallfolge gesehen worden sei. Es ergebe sich eine Abweichung von der Einstufung des Zentrums Bayern Familie und Soziales, da die von diesem angeführten Körperschäden/Befunde nicht alle als Dienstunfallfolgen anerkannt seien. Die Versteifung sei mit 30 von Hundert bewertet und übernommen worden. Somit könne nicht von einer Nichtberücksichtigung gesprochen werden. Die Beurteilung der MdE erfolge altersunabhängig. Eine "Alterskomponente" sei rechtlich nicht vorgesehen (Akte Teil 9 Bl. 1354 f.).

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2016 wies der Beklagte den Widerspruch vom ... April 2016 zurück (Akte Teil 9 Bl. 1358 ff.). Für die Beurteilung der MdE sei die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) zugrunde zu legen. Aus dem Gutachten des Amtsarztes des Landratsamts ... vom 22. März 2016 ergebe sich, dass eine MdE mit 40 von Hundert als ausreichend eingestuft sei. Laut des Gutachtens sei der Kläger am ... März 2016 amtsärztlich untersucht und begutachtet worden. Der Kläger werde alle zwei Jahre wegen der Prüfung der Voraussetzungen für die Durchführung einer Heilmaßnahme nach den §§ 2, 4 und 7 BayHeilvfV am Gesundheitsamt in ... untersucht und somit wisse der Amtsarzt genau über die körperlichen Beeinträchtigungen Bescheid.

Mit Schreiben vom ... Juni 2016 reichte der Kläger eine Petition beim Bayerischen Landtag ein.


Mit Schreiben vom ... Juni 2016, eingegangen am 27. Juni 2016, erhob der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2016 zu verpflichten, dem Antrag des Klägers vom *. Februar 2016 auf Neubewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 auf 50 von Hundert zu entsprechen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte entgegen des Vorschlags des Obergutachters Dr. H ... die fachärztlich diagnostizierte Coxarthrose rechts als unfallabhängig bewertet habe und dennoch die MdE von 50 auf 40 von Hundert abgestuft habe. Dies sei widersprüchlich. Zudem blieben alle weiteren anerkannten Körperschäden, einschließlich der altersbedingten Auswirkungen bei der Bewertung der MdE ohne jede Anerkennung. Auch wenn keine Addition der Einzelwerte vorgesehen sei, könnten diese nicht gänzlich unbeachtet bleiben. Besonders die Versteifung der Zehen mit Krallenbildung links und die durch die OP bedingten Nervenschädigungen ergäben nach der GdB/GdE-Tabelle einen Einzelwert von 30 von Hundert. Es sei auch beachtlich, dass dem Kläger vom Zentrum Bayern Familie und Soziales durch Bescheid von ... März 2016 bezüglich der Dienstunfallverletzungen ein Einzel-Grad der Behinderung von 50 von Hundert zuerkannt worden sei. Des Weiteren habe im Rahmen der Nachuntersuchung am ... März 2016 keine Untersuchung im tatsächlichen Sinne stattgefunden. Die vom Arzt im beigefügten Merkblatt gewonnenen Daten seien bei vollständiger Bekleidung des Klägers unter nicht zu beschreibenden Zuständen erhoben worden. Abschließend habe der Arzt erklärt, er werde noch Einblick in das umfassende Aktenbündel nehmen. Diesem Untersuchungsergebnis dürfe keinesfalls eine so bedeutende Entscheidungshilfe beigemessen werden.


Mit Schreiben vom 25. Juli 2015 beantragte der Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klageantrag des Klägers zu unbestimmt sei, da unklar sei, ab welchem Zeitpunkt er den höheren Unfallausgleich anstrebe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beurteile sich gemäß Art. 52 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG nach der körperlichen Beeinträchtigung im Erwerbsleben. Ausgangspunkt seien die durch den Dienstunfall vom ... Juli 1959 verursachten festgestellten Körperschäden. Ein Vergleich der Messwerte laut dem Gutachten von Prof. Dr. ... H ... vom ... Juli 2009 und laut des Schreibens des Landratsamts vom 22. März 2016 zeige eine Verschlechterung der Werte für die unteren Gliedmaßen, insbesondere im Hinblick auf die linke Körperseite. Einschränkungen der Beweglichkeit des linken Hüftgelenks hätten ihre Ursache jedoch nicht in einem dienstunfallbedingten Körperschaden. Verschlechterungen der Bewegungsausmaße führten nicht zwingend zu einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit, da gemäß VersMedV Anlage Teil A: Allgemeine Grundsätze Nr. 2 Buchstabe c physiologische Veränderungen im Alter bei der Beurteilung des Grads der Behinderung und des Grads der Schädigungsfolgen nicht zu berücksichtigen seien. Als solche Veränderungen seien die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickelten, d. h. für das Alter nach Art und Umfang typisch seien. Gemäß VersMedV Anlage Teil B: GdS-Tabelle N. 18.12 (Endoprothesen) Stichwort "Oberes Sprunggelenk" betrage bei einer einseitigen Endoprothese, wie beim Kläger, der Grad der Schädigungsfolgen mindestens 10. In Nr. 18.14 (Schädigung der unteren Gliedmaßen) fänden sich für Bewegungseinschränkungen des Hüftgelenks geringen Grades, etwa Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 wie beim Kläger, ein Wert von 10-20, für Bewegungseinschränkungen im oberen Sprunggelenk, je nach deren Grad, Werte bis 20, für Bewegungseinschränkungen im unteren Sprunggelenk ein Wert bis zu 10, für Zehenversteifungen Werte bis 20 und für einen vollständigen Ausfall des Nervus peronaeus und des Nervus tibialis jeweils ein Wert von 30, wobei Teilausfälle der genannten Nerven, wie beim Kläger, entsprechend geringer zu bewerten seien. Nach VersMedV Anlage Teil A: Allgemeine Grundsätze Nr. 3 dürften bei der Ermittlung des Gesamtgrads der Schädigungsfolgen die einzelnen Werte nicht addiert werden, maßgebend seien die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei tendenziell niedriger zu bewerten als der Grad der Schädigungsfolgen oder der Grad der Behinderung, da die in der VersMedV Anlage Teil B: GdS-Tabelle genannten Werte die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen zum Inhalt hätten, nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben (VersMedV Anlage Teil A: Allgemeine Grundsätze Nr. 2 Buchstabe a) und es beim Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit nur um einen Ausschnitt aus allen Lebensbereichen gehe. Die Einschätzung des Landratsamts ... vom 22. März 2016 mit einem MdE von 40 von Hundert sei gegenüber der Einschätzung des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom ... März 2016 mit einem Grad der Behinderung von 50 nachvollziehbar und überzeugend, da das Zentrum Bayern Familie und Soziales auch die Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke berücksichtigt habe, die im Rahmen der MdE durch Dienstunfallfolgen, bei der nur die Coxarthrose rechts anerkannt worden sei, keine Rolle spiele.

In der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2016 wurde Herr Dr. M ... als sachverständiger Zeuge vernommen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2016 wird insoweit Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragte Erhöhung des Unfallausgleichs und Neufestsetzung der durch den Dienstunfall vom ... Juli 1959 bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Auf die vorliegende Verpflichtungsklage ist das Bayerische Beamtenversorgungsgesetz (BayBeamtVG) vom 5. August 2010 (GVBl S. 410, 528, berichtigt S. 764), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 20. Dezember 2016 (GVBl. S. 399) anzuwenden. Denn nach Art. 100 Abs. 4 Satz 1 BayBeamtVG steht für die am 31. Dezember 2010 vorhandenen Unfallfürsorgeberechtigten ein vor dem 1. Januar 2011 erlittener Dienstunfall im Sinn des Beamtenversorgungsgesetzes in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung dem Dienstunfall im Sinn des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes gleich. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil der am ... Juli 1959 erlittene Dienstunfall des Klägers mit Bescheid vom 20. April 1960 gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG anerkannt wurde.

Gem. Art. 52 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG erhält ein Beamter, der infolge eines Dienstunfalls in der Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate um mindestens 25 von Hundert beschränkt ist, neben der Besoldung einen Unfallausgleich in Höhe der Grundrente nach § 31 Abs. 1 bis 4 BVG, solange dieser Zustand andauert. Eine unfallunabhängige Minderung der Erwerbsfähigkeit bleibt außer Betracht, Art. 52 Abs. 2 Satz 2 BayBeamtVG. Die Vorschriften stimmen inhaltlich mit den bis 31. Dezember 2010 geltenden Normen des § 35 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG überein. Gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der seit dem Dienstunfall unverändert gültigen Fassung erhält ein verletzter Beamter, der infolge des Dienstunfalles in seiner Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate wesentlich beschränkt ist, neben den Dienstbezügen, den Anwärterbezügen oder dem Ruhegehalt Unfallausgleich, solange dieser Zustand andauert. Wesentlich ist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit, wenn sie wenigstens 25 v.H. beträgt. Dies folgt aus der Verweisung in § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG auf § 31 Bundesversorgungsgesetz (Weinbrenner in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, § 35 Rn. 36).

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (im Folgenden: MdE) ist nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Dabei handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Erwerbsfähigkeit ist die Kompetenz des Verletzten, sich unter Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm abstrakt im gesamten Bereich des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Auf den bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit wird nicht abgestellt. Es kommt nicht auf die individuellen Verhältnisse, also die persönlichen Kenntnisse oder die geistigen, körperlichen, psychischen und sozialen Fähigkeiten an. Die Festsetzung der MdE im Versorgungsrecht folgt den unfallversicherungsrechtlichen Anforderungen. Sie richtet sich auch dort nach den verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens, die sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergeben (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Voraussetzung ist ein Vergleich der vor und nach dem Dienstunfall bestehenden individuellen Erwerbsfähigkeit.

Für das Vorliegen eines Dienstunfalls ist grundsätzlich der volle Beweis zu erbringen. Dieser ist nur dann erfüllt, wenn der Nachweis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erbracht ist (BVerwG B.v. 7.2. 1989 - Az. 2 B 179/88, juris; VGH München B.v. 24.3.2004 - Az. 3 ZB 05.431, juris). Dies gilt sowohl für das Vorliegen eines behaupteten Körperschadens als auch für den Kausalzusammenhang mit dem Dienstunfallgeschehen. Bleibt nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen der Amtsermittlungspflicht offen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, was auch für die Frage der Kausalität gilt, trifft die materielle Beweislast den Kläger, da im Dienstunfallrecht die allgemeinen Beweisgrundsätze gelten. Im Bereich des Unfallausgleichs gelten ebenfalls die allgemeinen Beweisgrundsätze (vgl. VG Augsburg, U.v. 21.2.2013 - Au 2 K 11.1459). Derjenige, der aus einer Norm eine ihm günstige Rechtsfolge ableitet, trägt die materielle Beweislast, wenn das Gericht in Erfüllung seiner Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zu seiner vollen Überzeugungsgewissheit ("mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit") weder feststellen noch ausschließen kann ("non liquet") und wenn sich aus der materiellen Anspruchsnorm nichts Abweichendes ergibt (BVerwG, U.v. 28.4.2011 - 2 C 55.09, ZBR 2012, 38).

Der Grad der MdE ist aufgrund eines ärztlichen Gutachtens zu ermitteln. Dabei bilden allgemeine Erfahrungssätze, in Tabellen und Empfehlungen enthaltene Richtwerte, also antizipierte Sachverständigengutachten, in der Regel die Basis für die Bewertung der MdE durch den Sachverständigen. Die konkrete Bewertung muss jedoch stets auf die Besonderheiten der MdE des betroffenen Beamten abstellen. Entscheidend ist, dass der Sachverständige bei seiner dienstunfallrechtlichen Bewertung als Maßstab die körperliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu Grunde legt (OVG NRW, B.v. 25.8.2011 - 3 A 3339/08, juris; BayVGH, B.v. 1.2.2013 - 3 ZB 11.1166, juris; Weinbrenner in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, § 35, Rn. 54).

Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) regelt nunmehr verbindlich die Grundsätze und Einzelheiten der Bildung des Grades der Schädigung (GdS). Sie schreibt dabei nahezu wortgleich die früher für die Feststellung des Grades der Behinderung nach § 69 SGB IX und der Voraussetzungen für den Unfallausgleich (vgl. BVerwG U.v. 21.9.2000 - 2 C 27.99 - BVerwGE 112, 92 = DÖD 2001, 68 = NVwZ-RR 2001, 168 = DÖV 2001, 294 = DVBl 2001, 732 = ZBR 2001, 251 = Buchholz 239.1 § 35 BeamtVG Nr. 4) heranziehbare, im Interesse der gleichmäßigen Beurteilung der Behinderungen anerkannte GdB/MdE-Tabelle der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP 2008) fort. Hierbei handelte es sich nach der nun obsolet gewordenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zu den entsprechenden Vorauflagen) um antizipierte Sachverständigengutachten, die (im sozialen Entschädigungsrecht) wie untergesetzliche Normen anzuwenden waren (BSG U.v. 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R - RegNr. 26835 (BSG-Intern); U.v. 18.9.2003 - B 9 SB 3/02 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 2 = BSGE 91, 205 = Breith 2004, 297). Das bedeutet, dass für die Bildung des GdS dieselben Grundsätze gelten wie für die Bildung der MdE, wobei es sich bei ersterem Begriff um einen Grad handelt, während der letztere ein Vomhundertsatz war.

Nach Nr. 3 a) der Anlage zu § 2 VersMedV Teil A sind bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen zwar Einzel-GdS anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdS durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdS ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Nach Nr. 3 c) der Anlage zu § 2 VersMedV Teil A ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdS in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdS bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdS 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, führen dabei zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdS von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (Nr. 3 d) ee) der Anlage zu § 2 VersMedV Teil A).

Bei der Neufestsetzung des Unfallausgleichs für den Kläger war der Beklagte nicht an die Feststellung des Zentrums Bayern Familie und Soziales gebunden, das beim Kläger einen Grad der Behinderung von 80 v.H. festgestellt hat. Denn es fehlt insoweit an der inhaltlichen Gleichheit der Tatbestandsmerkmale "Minderung der Erwerbsfähigkeit" in Art. 52 BayBeamtVG und "Grad der Behinderung" im Schwerbehindertenrecht (vgl. § 4 SchwbG). Denn während für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft die Gründe der Behinderung unerheblich sind, setzt der Unfallausgleich einen Dienstunfall voraus, wobei nur aufgrund und dem Umfang der durch den Dienstunfall eingetretenen Minderung der Erwerbsfähigkeit Unfallausgleich gewährt wird. Zudem sind bei der Bestimmung des Grades der Behinderung nach dem SchwbG auch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung in den verschiedenen Bereichen des Lebens zu berücksichtigen. Demgegenüber kommt es für den Unfallausgleich nach Art. 52 BayBeamtVG darauf an, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folge eines Dienstunfalls anerkannten Körperschäden nicht nur vorübergehend beeinträchtigt sind.

In Anwendung dieser Maßstäbe ist das Gericht auf der Grundlage der VersMedV und der vorliegenden Gutachten zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Kläger für den hier maßgeblichen Zeitraum ab dem 1. Februar 2016 eine MdE von 40 von Hundert vorliegt. Dies ergibt sich aus dem Gutachten von Dr. M ... vom ... Februar 2016, dem Gutachten des Orthopäden Dr. H ... vom ... November 2007 und dessen Stellungnahme vom ... September 2008 sowie den Erläuterungen des sachverständigen Zeugen Dr. M ... in der mündlichen Verhandlung.

Auszugehen ist dabei von den als dienstunfallbedingt anerkannten Körperschäden Unterschenkelfraktur links und Platzwunde am linken Unterschenkel, Arthrose am linken Sprunggelenk, Coxarthrose rechts, Großzehengrundgelenksarthrose links, Läsion des Endastes des linken Nervus peronaeus und Irritation des Endastes des linken Nervus tibialis. Weitere Körperschäden müssen außer Betracht bleiben, da diese nicht als Dienstunfallfolgen anerkannt sind.

Der sachverständige Zeuge Dr. M ... führte in der mündlichen Verhandlung überzeugend aus, er orientiert sich bei der Bewertung der Einzelbehinderungen im Wesentlichen an der Versorgungsmedizin-Verordnung. Gegenüber den festgestellten Werten bzgl. des GdS, die alle Lebensbereiche betreffen, ist im Rahmen der MdE ein Abstrich zu machen. Zudem muss das Alter des Klägers berücksichtigt werden, da dieser 82 Jahre alt ist und dienstunfallunabhängige Abnutzungserscheinungen bei allen Gelenken vorliegen. Die festgestellten GdS-Werte lassen sich nicht eins-zu-eins auf die MdE übertragen.

Der sachverständige Zeuge führte weiter überzeugend aus, die Situation am Sprunggelenk wurde mit einer MdE von 30 von ihm bewertet. Diese ergibt sich aus der Versteifung des oberen Sprunggelenks in ungünstiger Stellung. Die GdS-Tabelle der VersMedV enthält dafür keinen entsprechenden Wert. Da sie aber für eine Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks in günstiger Stellung einen GdS-Wert von 30 und in ungünstiger Stellung einen GdS-Wert von 40 sowie für Bewegungseinschränkungen im oberen Sprunggelenk stärkeren Grades einen GdS-Wert von 20 (B 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV Teil B) ausweist, ist die Bewertung mit einem MdE von 30 durch den sachverständigen Zeugen plausibel und nachvollziehbar.

Die Rest-MdE von 10 ergibt sich aus der "springenden" Großzehe links, welche eine Folge der unfallbedingt aufgetretenen Großzehengrundgelenksarthrose ist, den Gefühlsstörungen am Fußrücken links infolge der Nervenschädigungen und der schlechteren Beweglichkeit der Gliedmaßen, vor allem links. Diese Aussagen decken sich mit denen Dr. H ... auf Seite 18 seines Gutachtens vom ... November 2007, der auch von einer MdE von 40 von Hundert ausgeht. Dabei bewertete er die Nervenempfindungsstörungen und Teilausfälle mit einer Einzel-MdE von 10, da diese nicht mit einem vollständigen Ausfall der Nerven zu vergleichen sind. Nur bei einem vollständigen Ausfall kann die MdE ausgehend von einem GdS von 30 gemäß B 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV Teil B ermittelt werden, Teilausfälle der Nerven sind entsprechend geringer zu bewerten.

Weiter führte der sachverständige Zeuge überzeugend aus, die Coxarthrose rechts führt, wenn man diese dem Beklagten folgend als dienstunfallabhängig einstuft, zu keiner Erhöhung der MdE. Dies stimmt mit den Aussagen aus dem Gutachten Dr. H ... vom ... November 2007 und seiner Stellungnahme vom ... September 2008 überein. Dr. H ... stellte beim Kläger eine Tendoperiostose am rechten Rollhügel statt einer Coxarthrose rechts fest. Er kommt auf Seite 21 seines Gutachtens vom ... November 2007 aber zu dem Ergebnis, dass die Tendoperiostose zu keiner messbaren Einzel-MdE führt und führt auf Seite 4 seiner Stellungnahme vom ... September 2008 eindeutig aus, dass weder die Coxarthrose noch die Rollhügel-Tendoperiostose zu einem messbaren Einzel-MdE-Wert führen.

Der GdS- bzw. MdE-Wert umfasst auch die Schmerzen des Klägers. Gemäß Nr. 2 j) der Anlage zu § 2 VersMedV Teil A sind bei der Beurteilung des Grades der Schädigungsfolgen auch seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu beachten. Die in der GdS (Grad der Schädigungsfolgen) - Tabelle angegebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen erfahrungsgemäß auch besonders schmerzhafte Zustände. Ist nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen, die eine ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden. Das kommt zum Beispiel bei Kausalgien und bei stark ausgeprägten Stumpfbeschwerden nach Amputationen in Betracht. Solche Zustände liegen beim Kläger nicht vor bzw. sind nicht nachgewiesen.

Mit diesen vom Beklagten eingeholten Gutachten liegen dem Gericht ärztliche Sachverständigengutachten zu den entscheidungserheblichen Tatsachen vor, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden können (BVerwG, B.v. 30. 9. 2010 - 8 B 15/10 - juris). Die Einholung weiterer Sachverständigengutachten liegt bei diesem Sachverhalt im Ermessen des Gerichts (§ 98 VwGO; § 412 Abs. 1 ZPO). Eine weitere Beweiserhebung wäre nur dann erforderlich, wenn sich die Einholung eines zusätzlichen Gutachtens wegen fehlender Eignung der vorliegenden Gutachten aufdrängen würde. Dies wäre dann der Fall, wenn die vorhandenen Gutachten grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen würden, wenn sie von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgingen, wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters bestünde, ein anderer Sachverständige über neue oder überlegene Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügte oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert werden würde (vgl. BVerwG, B.v. 3. 2. 2010 - 7 B 38/09- juris).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die vorhandenen ärztlichen Sachverständigengutachten sind für das Gericht nachvollziehbar und weisen, soweit ersichtlich, keine Mängel oder Widersprüche auf; sie vermitteln dem Gericht einen hinreichenden Einblick in die Zusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Der Kläger selbst hat keine Gutachten vorgelegt.

Der Einwand des Klägers, es sei widersprüchlich, dass der Beklagte entgegen des Vorschlags Dr. H ... in seinem Gutachten vom ... November 2007 die Coxarthrose als unfallabhängig bewertet und dennoch von einem MdE von 40 von Hundert ausgeht, ist unbegründet. Dr. H ... stellt in seiner Stellungnahme von ... September 2008 auf Seite 2 selbst fest, dass die Tendoperiostose zum Symptomkreis einer Coxarthrose gehört, darin enthalten ist und daher nicht getrennt aufgeführt werden muss und keine zusätzliche, in einem messbaren MdE-Wert sich darstellende Auswirkung hat. Weiter stellt er auf Seite 3, 4 fest, dass die Tendoperiostose am rechten großen Rollhügel keine weitere Unfallfolge, sondern eine Begleiterscheinung der Coxarthrose ist und nicht zusätzlich aufgeführt werden muss. Zudem führt die die Coxarthrose, wie oben bereits dargestellt zu keinem messbaren Einzel-MdE-Wert.

Der Einwand des Klägers, es sei rechtswidrig, dass die altersbedingten Auswirkungen nicht anerkannt würden, ist verfehlt. Nach Nr. 2 a) der Anlage zu § 2 VersMedV Teil A sind die physiologischen Veränderungen im Alter bei der Beurteilung des GdS - und somit auch der MdE - nicht zu berücksichtigen. Als solche sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen zu sehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, d.h. für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Wie oben bereits ausgeführt wurde im Rahmen der MdE-Bewertung das Alter des Klägers berücksichtigt und Abstriche hinsichtlich der alterstypischen Auswirkungen gemacht.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.

Referenznummer:

R/R7379


Informationsstand: 25.09.2017