Terminvorschau:
Die Klägerin erlitt am 20.6.2008 auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall, wobei sie auf der Treppe stürzte und sich mit der linken Hand abstützte.
Die Beklagte beauftragte im Verwaltungsverfahren nach vorheriger Anhörung der Klägerin den Chefarzt der Abteilung für Hand-, Replantations- und Mikrochirurgie des Unfallkrankenhauses B.
Prof. Dr. E. mit einer Begutachtung. In einem sowohl von
Prof. Dr. E. als auch von dem Oberarzt
Dr. B. unterzeichneten Gutachten wurde u.a. ausgeführt, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit (
MdE) im Bereich der linken Hand mit 10 vH einzuschätzen und von einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zum 5.10.2008 auszugehen sei. Die Beklagte übersandte der Klägerin eine Kopie des Gutachtens und lehnte die Gewährung von Rentenleistungen ab. Der Widerspruch blieb erfolglos. Auf die Klage hat das SG nach § 109
SGG Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Chirurgen
Dr. H., der in seinem Gutachten ausführte, im Vergleich zu der Vorbegutachtung habe die Einschränkung sowohl der Unterarmdrehung als auch der Bewegungen im linken Handgelenk in allen Ebenen zugenommen. Mit Schriftsatz vom 2.8.2013 machte die Klägerin vor dem SG geltend, das von
Prof. Dr. E. mitunterschriebene Gutachten sei nicht verwertbar, weil es von dem nicht bestellten Gutachter
Dr. B. erstellt worden sei. Zum Gutachter sei von der Beklagten allein dessen Vorgesetzter
Prof. Dr. E. ernannt worden, der jedoch außer seiner Unterschrift zu dem Gutachten nichts beigesteuert habe. Damit habe
Prof. Dr. E. entgegen § 407a
Abs. 2
ZPO die zentralen Aufgaben der Begutachtung nicht selbst erbracht. Die Klägerin habe
Prof. Dr. E. selbst gar nicht zu Gesicht bekommen.
Das SG hat hierauf eine medizinische Begutachtung durch den Sachverständigen
Dr. W. veranlasst, der in seinem Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis gelangte, Folgen des Arbeitsunfalls vom 25.6.2008 seien nicht feststellbar. Das SG hat durch Gerichtsbescheid die Klage abgewiesen, das
LSG die Berufung zurückgewiesen. Die Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.6.2008 hätten bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt seit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu Funktionsstörungen geführt, die die Gewährung einer Rente gemäß § 56
Abs. 1
S. 1
SGB VII rechtfertigen könnten. Die bei der Klägerin von den gehörten Gutachtern und Sachverständigen an der linken Hand festgestellten Veränderungen seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.6.2008.
Prof. Dr. E. habe in seinem von dem Oberarzt
Dr. B. mitunterzeichneten Gutachten in nicht zu beanstandender Weise darauf hingewiesen, dass für die unfallunabhängige Entstehung der degenerativen Befunde deren Erkennbarkeit schon in den zeitnah zum Unfallgeschehen durchgeführten Röntgenuntersuchungen spreche. Darüber hinaus habe der gerichtliche Sachverständige
Dr. W. in seinem Gutachten plausibel die Einordnung der Arthrose der Handwurzel als anlagebedingtes Leiden begründet. Das Ergebnis der Begutachtung durch
Prof. Dr. E., es sei eine
MdE von 10 vH festzustellen, sei nicht nachvollziehbar. Der Senat habe auch keinen Anlass gesehen, den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen zu entsprechen. Die Anträge
Prof. Dr. E.
bzw. Dr. B. zum Beweis der Tatsache zu hören, dass Oberarzt
Dr. B. als nicht beauftragter Sachverständiger die zentralen Aufgaben der Begutachtung selbst erbracht habe, seien nicht rechtzeitig gestellt worden. Das
BSG habe entschieden, dass das Auswahlrecht ausschließlich bezwecken solle, im jeweiligen Verwaltungsverfahren einen inhaltlich richtigen verfahrensabschließenden Verwaltungsakt vorzubereiten. Die Klägerseite sei daher im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht gehalten, die Verletzung des Auswahlrechts grundsätzlich in dem laufenden Verwaltungsverfahren zu rügen. Sofern dies nicht geschehe, werde die Verletzung in der Regel unbeachtlich. Hier habe die Klägerin, die bereits im Widerspruchsverfahren anwaltlich vertreten gewesen sei, die Unverwertbarkeit des von
Prof. Dr. E. nur mit unterschriebenen, aber nicht von ihm erstatteten Gutachtens aber erstmals im Klageverfahren vor dem SG geltend gemacht. Die Nichtverwertbarkeit des von
Dr. B. mitgezeichneten Gutachtens des
Prof. Dr. E. könne auch nicht darauf gestützt werden, dass
Prof. Dr. E. die Klägerin gar nicht persönlich untersucht habe und deshalb eine Verletzung des § 407a
Abs. 2
ZPO vorliege. Selbst wenn diese Norm im Verwaltungsverfahren Anwendung finde, ließe sich eine Unverwertbarkeit des Gutachtens
Prof. Dr. E. nicht begründen, denn die persönliche Untersuchung durch den Sachverständigen gehöre nur dann zum unverzichtbaren Kern seiner Aufgaben, wenn es sich um eine psychiatrische Begutachtung handele, bei der wegen der Besonderheit dieses Fachgebiets eine persönliche Begegnung für eine verantwortliche Urteilsbildung unverzichtbar sei. Da es sich bei der Klägerin um eine chirurgisch-orthopädische Gesundheitsstörung handele, hätte weder die Durchführung der körperlichen Untersuchung noch die schriftliche Abfassung des Gutachtens zu den Tätigkeiten gehört, die der Sachverständige zwingend selbst erledigen müsse.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision sinngemäß eine Verletzung des § 200
Abs. 2
SGB VII, des § 407a
ZPO sowie Verstöße gegen § 103
SGG, Art 103
Abs. 1
GG und Art 2
Abs. 1
GG iVm Art 20
Abs. 3
GG (Grundsatz des fairen Verfahrens).
Terminbericht:
Die Revision der Klägerin war im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das
LSG begründet. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des
LSG kann der Senat nicht abschließend darüber befinden, ob die Beklagte zu Recht den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt hat. Das Urteil des
LSG leidet an Begründungsmängeln i.
S. des § 128
Abs. 1
S. 2
SGG, nach dem in dem Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das
LSG geht davon aus, dass bei der Klägerin in Folge des Unfallereignisses vom 20.6.2008 keine Funktionsbeeinträchtigungen am linken Handgelenk verblieben sind, die eine messbare
MdE bedingen. Das
LSG baut seine Feststellungen dabei direkt auf dem Gutachten des
Prof. Dr. E. auf, ohne dass diese Feststellungen durch das im gerichtlichen Verfahren später eingeholte Sachverständigengutachten des
Dr. W. vermittelt werden. Das angefochtene Urteil leidet damit an einem Begründungsmangel i.
S. des § 128
Abs. 1
S. 2
SGG, weil das
LSG nicht zu erkennen gibt, welchen Beweiswert es diesem durch die Verwaltung eingeholten Gutachten im Verhältnis zu anderen Beweismitteln beigemessen hat. Insbesondere bleibt unklar, ob dem
LSG bewusst war, dass das Gutachten
Prof. Dr. E. nicht im Wege des Sachverständigenbeweises sondern allenfalls als Urkundsbeweis gewürdigt werden durfte. Da die Klägerin sowohl im Klage-, als auch im Berufungsverfahren eingehend vorgetragen hatte, dass
Prof. Dr. E. sie weder untersucht habe noch ihr auch nur persönlich begegnet sei, wird das
LSG, um den Beweiswert dieses Gutachtens beurteilen zu können, die Umstände der Gutachtenserstellung bei seiner erneuten Entscheidung
z.B. durch Befragung der beteiligten Ärzte ermitteln müssen. Sofern der Vortrag der Klägerin zutrifft, verstößt das Gutachten jedenfalls gegen § 200
Abs. 2 Halbs. 1
SGB VII, der eine Gutachterbenennungspflicht und damit korrespondierend ein Auswahlrecht des Versicherten normiert. Aus dem Auswahlrecht des § 200
Abs. 2 Halbs. 1
SGB VII folgt zwingend, dass im Verwaltungsverfahren die Kernaufgaben durch den benannten Gutachter selbst zu erledigen sind, weil der Versicherte gerade diesen Gutachter ausgewählt hat. Zu den Kernaufgaben der Gutachtenerstellung zählt zumindest die persönliche Begegnung mit dem Probanden, in der sich der Gutachter einen persönlichen Eindruck des Probanden verschafft und der Begutachtende seine subjektiven Beschwerden selbst vorbringen kann. Dies gilt aufgrund der Sonderregelung des § 200
Abs. 2 Halbs. 1
SGB VII im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung auch bei orthopädischen Gutachten.
Falls
Prof. Dr. E. die Klägerin nicht persönlich gesehen haben sollte, so hat die Klägerin diesen Verstoß auch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren noch rechtzeitig gerügt. Sofern das
LSG zutreffend auf die frühere Rechtsprechung des Senats verwiesen hat und von einem Rügeverlust der Klägerin ausging, weil Verfahrensverstöße gegen § 200
Abs. 2 Halbs. 1
SGB VII im Verwaltungsverfahren spätestens mit Ende des Widerspruchsverfahrens gerügt sein müssten (
BSG, Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 17/09 R - SozR 4-2700 § 200
Nr. 2, RdNr. 34), wird diese Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben. Zwar würde das von
Prof. Dr. E. mitunterzeichnete Gutachten allein deshalb noch keinem Beweisverwertungsverbot unterliegen, weil § 200
Abs. 2 Halbs. 1
SGB VII nur verfahrensrechtlicher Natur ist. Jedoch wird das
LSG die Verwertbarkeit auch unter dem Aspekt eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Normen prüfen müssen. Hierbei wird es
ggf. darauf ankommen, ob
Prof. Dr. E. befugt war, personenbezogene Daten der Klägerin an den die Untersuchung durchführenden
Dr. B. zu übermitteln oder nur weiterzugegeben, sowie ob letzterer befugt war, bei der Klägerin solche Daten zu erheben. Hierzu wird das
LSG prüfen müssen, ob zwischen
Prof. Dr. E. und
Dr. B. die Voraussetzungen der Auftragsdatenverarbeitung (§§ 80
SGB X a.F.
bzw. § 11
BDSG a.F.) vorlagen oder ob die Klägerin wirksam in die Datenerhebung
bzw. -übermittlung eingewilligt hat.
Sofern das
LSG keinen Verstoß gegen datenschützende Normen und damit kein Verwertungsverbot annehmen sollte, wird es schließlich zu prüfen haben, ob nicht angesichts der Bedeutung der Messergebnisse die Vernehmung des
Dr. B. als sachverständiger Zeuge aufgrund des höheren Beweiswertes einer solchen Zeugenvernehmung unabdingbar ist. In der zu treffenden Kostenentscheidung nach § 193
SGG wird das
LSG ggf. zu prüfen haben, wie sich ein Verfahrensverstoß gegen § 200
Abs. 2 Halbs. 1
SGB VII auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide gemäß § 42
SGB X ausgewirkt hat.