Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) auch statthafte Berufung des Klägers ist teilweise begründet.
1. Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 den Bescheid vom 22. Januar 2001 aufgehoben und den
GdB wegen Heilungsbewährung von 80 auf 60 herabgesetzt hat, besteht zwischen den Beteiligten kein Streit mehr. Der Beklagte hat die darauf bezogenen Bescheide im Ausführungsbescheid vom 17. Juni 2010 konkludent zurückgenommen. Dies hat der Beklagte in seinem Schreiben vom 13. Februar 2014 nochmals ausdrücklich klargestellt.
2. Streitgegenstand des Verfahrens ist damit nur noch der Bescheid vom 22. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2007 soweit es der Beklagte abgelehnt hat, die Bescheide vom 22. Oktober 2001 und 9. August 2006 zurückzunehmen. Der vom Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgenommene Prüfungsumfang greift dabei jedoch inhaltlich zu kurz, da es dem Kläger im Kern um die Überprüfung aller Bescheide geht, soweit ihm nicht ab dem 23. November 1998 ein
GdB von 100 sowie das Merkzeichen "G" zuerkannt worden ist. Gegenstand des Überprüfungsantrages ist damit auch der Bescheid vom 14. März 2000, in dem der Beklagte ab dem 7. Oktober 1999 einen
GdB von 60 festgestellt und den zuvor erlassenen Bescheid vom 27. September 1999 (
GdB von 50 ab dem 1. Oktober 2010) wieder aufgehoben hatte. Gleiches gilt für den Bescheid vom 13. November 1996, in dem mit Wirkung ab dem 25. Juni 1996 unter Aufhebung des Abhilfebescheides vom 7. Dezember 1992 ein
GdB von 30 festgestellt worden war.
Ein Verwaltungsakt erwächst, wenn gegen ihn nicht oder erfolglos ein Rechtsbehelf eingelegt wird, gemäß § 77
SGG in Bestandskraft. Bestandskraft bedeutet, dass ein Bescheid formell unanfechtbar wird und materiell im Interesse der Rechtssicherheit für die Beteiligten Bindungswirkung entfaltet. Eine Durchbrechung dieser Bestandskraft ist im Sinne der Gewährleistung der Rechtssicherheit nur unter ganz eingeschränkten Voraussetzungen möglich. Für das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren regelt dies § 44 SGB Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (
SGB X), wobei dieser Regelung die Überlegung des Gesetzgebers zu Grunde liegt, dass bei einer Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit der Gerechtigkeit der Vorrang zu geben ist (
vgl. Bundessozialgericht -
BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 2 U 24/05 R). § 44
SGB X eröffnet zwei Alternativen für die Rücknahme. Entweder muss bei der bestandskräftig gewordenen Entscheidung das Recht unrichtig angewandt worden oder der Verwaltungsträger muss beim Erlass des bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts von einem Sachverhalt ausgegangen sein, der sich nachträglich als unrichtig erwiesen hat.
Hier macht der Kläger einen vom Beklagten unrichtig bewerteten medizinischen Sachverhalt geltend, der zu einem höheren
GdB sowie zur Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab dem 23. November 1998 führen soll. Diesen Anspruch verfolgt der Kläger mit einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54
Abs. 1
SGG.
Der Anspruch richtet sich nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz -
SchwbG) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 26. August 1986 sowie nach den am 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB IX) vom 19. Juni 2001. Hinsichtlich der Maßstäbe für die Bestimmung des Begriffs der Behinderung ergeben sich durch die zum 1. Juli 2001 erfolgte Ablösung des
SchwbG durch das
SGB IX keine für das Verfahren maßgeblichen Unterschiede. Nach § 4
Abs. 5 Satz 1
SchwbG bzw. § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den
GdB sowie
ggf. über weitere gesundheitliche Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen aus.
Dabei ist die rückwirkende Feststellung nicht auf offensichtliche Fälle beschränkt, soweit es sich um einen Erstantrag und nicht um einen Überprüfungsantrag nach § 44
Abs. 2 Satz 2
SGB X handelt (
BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Die Beschränkung auf § 44
Abs. 2 Satz 2
SGB X findet nur Anwendung, wenn nach § 44
Abs. 2 Satz 2
SGB X die Rücknahme einer unanfechtbar bindenden Feststellung des
GdB mit Wirkung für die Vergangenheit zu prüfen ist (
BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Diese Einschränkung folgt im Hinblick auf das nach § 44
Abs. 2 Satz 2
SGB X auszuübende Verwaltungsermessen. Sofern die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen offenkundig sind, könnte das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung der bindenden Feststellung gebieten (
BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Dagegen muss die Feststellungsbehörde im Verfahren einer Erstfeststellung bei Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses durch den Antragsteller uneingeschränkt prüfen und entscheiden, ob und seit wann die geltend gemachte Eigenschaft schon vor der Antragstellung bestanden hat (
BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Eines über die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses hinausgehenden besonderen Korrektivs etwa in Form der Offensichtlichkeit bedarf es nicht, weil entsprechende Anträge sich nach Aufklärung des Sachverhalts nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast behandeln lassen (
BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.).
Nach diesem Maßstab ist zunächst festzustellen, dass der Kläger keine rückwirkende Erstfeststellung begehrt, sondern die Rücknahme einer unanfechtbaren bindenden
GdB-Feststellung sowie für das Merkzeichen "G" für die Vergangenheit verlangt. Die Erstfeststellung von Behinderungen beim Kläger erfolgte bereits auf seinen Antrag vom 24. Juni 1991 hin wegen einer Sehbehinderung mit Bescheid vom 26. August 1992 in Gestalt des Abhilfe-bescheides vom 7. Dezember 1992. Der Senat geht dabei von einer rechtswidrigen Fehlbewertung des Beklagten aus, da dieser die seit November 1998 als gesichert bestehende Diagnose der interstitiellen Zystitis sowie eine Urgeinkontinenz und die damit verbundenen Funktionseinschränkungen zu Lasten des Klägers nicht berücksichtigt hatte.
Nach § 69
Abs. 1 Satz 1
SGB IX stellen wie zuvor nach § 4
Abs. 1 Satz 1
SchwbG die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den
GdB fest. Diese Regelung knüpft materiellrechtlich an den in
§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und zuvor in § 3
Abs. 1
SchwbG bestimmten Begriff der Behinderung an. § 3
Abs. 1
SchwbG definierte Behinderung als die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhte. Nach § 2
Abs. 1 Satz 1
SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 3
Abs. 2
SchwbG war die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung und nach § 69
Abs. 1 Satz 4
SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als
GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Nach § 69
Abs. 1 Satz 5
SGB IX (in der Satzzählung der alten Fassung) gelten wie zuvor nach § 3
Abs. 3
SchwbG für den
GdB die im Rahmen des § 30
Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft (
bzw. Funktionsbeeinträchtigungen) vorliegen, wird nach § 69
Abs. 3 Satz 1
SGB IX bzw. zuvor des § 4
SchwbG der
GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehung festgestellt.
§ 69
Abs. 1 Satz 5
SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den
GdB die im Rahmen des § 30
Abs. 1 des BVG festgelegten Maß-stäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30
Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69
Abs. 1 Satz 5
SGB IX gelten für den
GdB die Maßstäbe des § 30
Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30
Abs. 17 BVG erlassenen
Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30
Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (
GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (
VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I
S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.
Nach
§ 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30
Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I
Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer
Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (
vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 -
B 9 SB 3/02 R - SozR 4-3800 § 1
Nr. 3
Rdnr. 12,
m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung
bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind - im Wesentlichen inhaltlich unverändert - in diese Anlage übernommen worden (
vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08,
S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004, 2005 und 2008
bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zitiert. Die Begriffe
GdS und
GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Sie unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der
GdS kausal auf Schädigungsfolgen und sich der
GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (
vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a).
Durch die Neuregelung ist den Einwänden gegen die bisherigen "Anhaltspunkte" jedenfalls für den vorliegenden Fall der Boden entzogen worden. Zum einen ist durch die Neuregelung die auch von der Rechtsprechung geforderte Rechtsgrundlage für die bisherigen "Anhaltspunkte" geschaffen worden (
vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 28. September 2007, BT-Drucks. 16/6541,
S. 1, 31). Zum anderen ist durch die Verweisung des neu gefassten § 69
Abs. 1 Satz 5
SGB IX auf die Neufassung des § 30
Abs. 1 BVG klargestellt worden, dass auch für die Feststellung des
GdB "die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen" maßgeblich sind. Zudem hatte sich auch schon zu der früheren Fassung des § 69
Abs. 1
SGB IX eine ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebildet, nach der trotz der Ersetzung des Schwerbehindertengesetzes durch das
SGB IX inhaltlich das Beurteilungsgefüge der Anhaltspunkte maßgeblich geblieben war (
vgl. BSG, Urt. v. 24. April 2008 -
B 9/9a SB 6/06 R - in juris RdNr. 15
m.w.N.).
Der hier streitigen Bemessung des Grads der Behinderung ist die
GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A) sind die dort genannten
GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in
Nr. 2 e (Teil A) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (
Teil B, Nr. 1 a).
Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers für die Zeit der Krebserkrankung und Prostataoperation ab 15. November 2000 bis zum Ende der Heilungsbewährungszeit am 14. November 2005 ein
GdB von 100 sowie für die Zeiträume vom 23. November 1998 bis zum 14. November 2000 sowie ab dem 15. November 2005 ein
GdB von jeweils 80 zuerkannt werden. Die ablehnenden Bescheide des Beklagten soweit sie sich auf das Merkzeichen "G" bezogen haben, sind dagegen rechtmäßig, da dem Kläger zu keinem Zeitpunkt das Merkzeichen "G" zugestanden hat.
a. Das zentrale Leiden des Klägers betrifft das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche". Für dieses kann durchgehend seit dem 23. November 1998 ein
GdB von 50 festgestellt werden.
Nach den Anhaltspunkten 1996, 2004, 2005 und 2008 sowie den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (
Teil B 3.9.) werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem
GdB von 0 bis 20 bewertet. Für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (
z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ist ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40 vorgesehen. Schwere Störungen (
z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten werden mit einem
GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis 100 bewertet. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind nach dem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates (BMA am 18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, Teil B:
GdS-Tabelle-19, 96. Lfg. - Stand Dezember 2011) durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen Störungen ganz unterschiedlich ist (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 8./9.11.2000, Rohr/Sträßer, a.a.O.,
GdS-Tabelle-18). Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen neben den Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, a.a.O.,
GdS-Tabelle-19).
Der Kläger leidet unter einer chronifizierten Fehlentwicklung bei schwerer paranoider Persönlichkeits - mit querulatorischer Entwicklung. Diese bereits im Sachverständigengutachten vom 16. April 1999 gestellte Diagnose ist auch nach dem gerichtlichen Gutachten von
Dr. M. noch aktuell. Dies gilt auch gerade vor dem Hintergrund, dass sich der Kläger nach seinen eigenen Angaben seit 1999 keiner psychotherapeutischen Behandlung unterzogen hat. Die zwanghaft erscheinende Prozessführung des Klägers, schriftlich mit äußerster Hingabe auf vielen Seiten das eigene Beschwerdebild und die eigene Rechtsauffassung bis ins kleinste Detail darzulegen und zu bekräftigen, bestätigt die Auffassung des Sachverständigen, dass dieser Prozess für den Kläger zum eigentlichen Lebensinhalt geworden ist. Mit dieser ungewöhnlichen Fokussierung sowie der damit verbundenen Einschränkung der Lebensqualität lässt sich eine schwere psychische Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten begründen. In dem hierfür vorgesehenen Bewertungsrahmen zwischen 50 bis 70 hält der Senat - entgegen der Einschätzung von
Dr. M., der sich für einen Einzel-
GdB von 60 ausgesprochen hatte - dagegen einen Einzel-
GdB von 50 für angemessen. Betrachtet man den vom Sachverständigen dargestellten Tagesablauf des Klägers und den persönlichen Eindruck, den der Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2014 vermittelt hat, vermag er sich situationsadäquat zu verhalten und zumindest teilweise noch Selbstreflektionen vorzunehmen. So hat er auf rechtliche Hinweise beispielsweise von seinem Vorhaben, einen höheren
GdB seit 1997 zu verlangen, Abstand nehmen können und sich nach den rechtlichen Möglichkeiten für ein mögliches Revisionsverfahren erkundigt. Auch kann der Kläger, wenn auch mit deutlichen Einschränkungen, den Freizeitwünschen seiner Ehefrau, sei es bei wöchentlichen Verwandtenbesuchen, bei Urlaubsfahrten ins Ausland oder im Alltag bei Shoppingtouren oder kurzen Spaziergängen noch nachkommen.
Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger die bei ihm klar diagnostizierte psychische Erkrankung bei der Bildung seiner Gesamt-
GdB-Berechnungen durchaus mit einbezieht und dem Grunde nach nicht bestreitet, sondern lediglich ohne nähere Kritikpunkte hinnehmen kann. Auch ist er im Sinne einer Selbstreflektion durchaus fähig zu erkennen, welche Schwierigkeiten er seiner Ehefrau mit seinen hervorstechenden psychischen Besonderheiten tatsächlich bereitet. Dies alles spricht für eine der Zwangskrankheit vergleichbare psychische Störung, die dem Kläger noch Handlungsspielräume belässt. Hierfür hält der Senat einen Einzel-
GdB von 50 für angemessen.
b. Die beim Kläger diagnostizierte chronische Zystitis bezieht sich auf das Funktionssystem der Harnorgane und wird vom Senat mit einem Einzel-
GdB von 40 seit dem 23. November 1998 bewertet. In den Anhaltspunkten 1996, 2004, 2005 und 2008 sowie in der Versorgungsmedizin-Verordnung wird die Zystitis nicht gesondert erwähnt. Anknüpfungspunkt für die Bewertung dieser Erkrankung sind daher Schäden der Harnwege, da nach Teil B,
Nr. 1b bei Gesundheitsstörungen, die nicht in der Tabelle aufgeführt sind, der
GdB in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen zu beurteilen ist.
Hiernach gilt für die chronische Harnwegsentzündung folgender Bewertungsrahmen:
leichten Grades (ohne wesentliche Miktionsstörungen) .. 0 - 10
stärkeren Grades (mit erheblichen und häufigen Miktionsstörungen) .. 20 - 40
chronische Harnblasenentzündung mit Schrumpfblase(Fassungsvermögen unter 100 ml, Blasentenesmen) .. 50 - 70
Bei Entleerungsstörungen der Blase (auch durch Harnröhrenverengung) ergeben sich folgende
GdB-Wertungen:
leichten Grades
(z. B. geringe Restharnbildung, längeres Nachträufeln) .. 10
stärkeren Grades
(z. B. Notwendigkeit manueller Entleerung, Anwendung eines Blasenschrittmachers, erhebliche Restharnbildung, schmerzhaftes Harnlassen) .. 20 - 40
mit Notwendigkeit regelmäßigen Katheterisierens, eines Dauerkatheters, eines suprapubischen Blasenfistelkatheters oder Notwendigkeit eines Urinals, ohne wesentliche Begleiterscheinungen ..50
Geht man von diesen Bewertungsrahmen aus, greift die Annahme des Sachverständigen von
Prof. Dr. R. und
Dr. M., für die Zystitis des Klägers einen Einzel-
GdB von 60 zu vergeben, deutlich zu hoch. Der häufige und auch für den Kläger schmerzhafte Harndrang erreicht nicht den Behinderungsgrad einer chronischen Harnblasenentzündung mit Schrumpfblase unter 100 ml
bzw. die Situation eines Behinderten, der wegen einer Entleerungsstörung mittels Dauerkatheter versorgt werden muss. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass das Leidensbild des Klägers offenkundig psychisch überlagert ist und die tatsächlichen, objektivierbaren Auswirkungen geringer sind, als vom Kläger vorgetragen. Dies räumt auch der Sachverständige
Dr. M. ein, der die Bewertung der psychischen Erkrankung und der Zystitis als schwierig ansieht. Der Senat hält die Annahme von
Dr. M., für die Zystitis einen Einzel-
GdB zu vergeben, der bereits deutlich über der Schwerbehinderung liegt, für nicht vertretbar, da hierbei die psychische Überlagerung in der Symptomatik nicht hinreichend beachtet wird. Dies bestätigt bereits der Arztbrief von
Prof. Dr. H. vom 6. Dezember 1999 (Klinik und Poliklinik für Urologie, M.) über eine ambulante Behandlung seit dem 8. Juni 1999. Danach hat der Kläger bereits im Jahr 1999 über Beschwerden im Darm-
bzw. Prostatabereich sowie über häufigen Harndrang, Nykturie und Libidostörungen berichtet und der behandelnde Arzt dabei eine klare psychische Überlagerung festgestellt. Diese psychische Überlagerung beim Beschwerdebild der Zystitis wird auch von
Dr. M. eingeräumt, dann jedoch nicht klar dem Funktionssystem Psyche und Gehirn zugeordnet. So berichtete der Sachverständige
Dr. M. anlässlich der zweitägigen Untersuchung über kein besonders ausgeprägtes Toilettenverhalten des Klägers. Dies hat sich auch während der über eine Stunde andauernden mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Der Kläger benötigte in der mündlichen Verhandlung trotz erkennbarer innerer Anspannung keine Unterbrechung und gab nicht zu verstehen, unbedingt die Toilette aufsuchen zu müssen. Die Behauptung des Klägers, er müsse in 24 Stunden
ca. 12 Mal die Toilette oder nach seiner späteren Bewertung
ggf. noch viel häufiger aufsuchen, unterliegt daher deutlichen Zweifeln. Wäre der Harndrang tatsächlich noch intensiver, wären weitere Einschränkungen des Klägers in der gutachterlichen Untersuchung oder auch der mündlichen Verhandlung
bzw. im Urlaub und im Freizeitverhalten zu erwarten gewesen. Bei einer gravierenden psychischen Störung, die bereits für sich genommen die Schwerbehinderung rechtfertigt, lassen sich die Auswirkungen nicht allein mit somatischen Erkrankungsbildern erklären (so auch
Dr. M.). Von daher ist es notwendig, um nicht zu unzulässigen Doppelbewertungen zu Gunsten des Klägers zu gelangen, die somatischen Erkrankungsbilder auf ihren objektivierbaren Kerngehalt zurückzuführen. Dies rechtfertigt es, wegen der psychischen Überlagerung, die chronische Zystitis nur einen Einzel-
GdB von 40 zu bewerten. Der Senat schließt sich insoweit der zutreffenden Einschätzung der Versorgungsärztin Sch. vom 17. Juni 2009 an.
c. Für die Zeit vom 15. November 2000 (Prostata-OP wegen Karzinom) bis zum 14. November 2005 (Ende der Heilungsbewährungszeit) ist wegen des Verlustes der Prostata bei einer Erkrankung in Heilungsbewährung ein Einzel-
GdB von 50 zu vergeben. Dies entspricht bereits der zutreffenden Einschätzung des Versorgungsarztes R. vom 6. Januar 2001 und ergibt sich zudem für einen malignen Prostatatumor aus den Anhaltspunkten 1996 (
S. 113).
d. Die Sehstörung in Gestalt einer sog. Schielblindheit auf dem rechten Auge bewertet der Senat mit einem Einzel-
GdB von 30 (
vgl. Teil B Nr. 4, 4.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze). Dies entspricht bereits den versorgungsärztlichen Einschätzungen des Beklagten und wird auch vom Sachverständigen
Dr. M., trotz geäußerter Zweifel, im Ergebnis aufrechterhalten. Der Senat hat keine Veranlassung von dieser Einschätzung abzuweichen.
e. Das Bluthochdruckleiden des Klägers ohne Augen- oder Organbeteiligung rechtfertigt derzeit als leichte Form einen
GdB von 10. Nach
Teil B, Nr. 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist die leichte Form der Hypertonie, bei der keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundsveränderungen vorliegen, mit einem Grad der Behinderung von 0 bis zu 10 zu bewerten. Die mittelschwere Form eröffnet je nach Leistungsbeeinträchtigung einen Bewertungsrahmen von 20 bis 40. Kriterien dafür sind Organbeteiligungen leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundsveränderungen - Fundus hypertonicus I bis II- und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie) sowie diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung.
Nach der überzeugenden Bewertung von
Dr. M., der sich der Senat anschließt, hat sich der Blutdruck des Klägers stabilisiert (140/90 mmHg). Hinweise für eine hypertensive Herzerkrankung vermochte der Sachverständige nicht zu erkennen. Die subjektiv vom Kläger geschilderten Herzrhythmusstörungen haben sich im Langzeit-EKG nicht bestätigt. Mangels Organbeteiligung ist daher der Einzel-
GdB von 10 für den gesamten streitigen Zeitraum anzunehmen.
f. Für die degenerative Wirbelsäulenerkrankung ohne Bewegungseinschränkungen und ohne neurologische Defizite kann bei dem Kläger nach
Teil B Nr. 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze maximal ein
GdB von 10 festgestellt werden. Denn ein höherer
GdB setzt mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt,
z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grades, voraus. Derartige Einschränkungen ergeben sich weder aus der Aktenlage noch aus der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen
Dr. M. Diese Bewertung steht zudem im Einklang mit den orthopädischen Befunden der Klinik W. vom 12. Mai 2006 und den von
Dr. H. ermittelten Messwerten vom 25.Juni 2005. Die Osteochondrose sowie die Bandscheibenvorfälle ohne radikuläre Auswirkungen sind daher geringgradig und lediglich mit einem Einzel-
GdB von 10 zu bewerten.
g. Im Funktionssystem der männlichen Geschlechtsorgane ist - entgegen der Ansicht des Klägers - nach der überzeugenden Einschätzung beider gerichtlichen Gutachter sowie der beteiligten Versorgungsärzten des Beklagten für die erektile Dysfunktion ein Einzel-
GdB von nicht mehr als 20 gerechtfertigt. Die Annahme des Klägers, diese Erkrankung sei dem Verlust des männlichen Geschlechtsorgans gleichzusetzen (Einzel-
GdB 50) vermag der Senat nicht zu folgen, da eine solche Einschätzung in unvertretbarer Weise den Bewertungen der Anhaltspunkten
bzw. den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen widerspricht. Nach
Teil B Nr. 13.2 der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung ist hier bei der nachgewiesenen erfolglosen Behandlung einer Impotentia coeundi die Feststellung eines
GdB von 20 gerechtfertigt. Die Forderung des Klägers hierzu wissenschaftliche Nachforschungen zu betreiben, ist unberechtigt, da die Anhaltspunkte und auch die Fortschreibung der Versorgungsmedizinische Grundsätze den aktuellen Bewertungsrahmen von Sachverständigen für diese Erkrankung wiedergeben. Mögliche psychische Besonderheiten in der Bewältigung dieser Erkrankung sind nach Teil A,
Nr. 2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bereits in der Bewertung der
GdB-Tabelle mit berücksichtigt. Erst bei außergewöhnlichen seelischen Begleiterscheinungen, die eine spezielle ärztliche Behandlung, wie
z.B. Psychotherapie erforderlich machen, kommt eine höhere Bewertung in Betracht.
h. Für das Funktionssystem der Verdauungsorgane ist beim Kläger von einem Reizdarm mit Begleitsymptomatik sowie einer Entzündung des Mastdarms (Proktitis) und Hämorrhoiden sowie einer operativ versorgten Mariske auszugehen. Nach Einschätzung des Sachverständigen
Dr. M. ist die Störung der Darmfunktion mit einem Einzel-
GdB von 10 zu bewerten. Für diese Bewertung sind
Teil B Nr. 10 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze und hierbei insbesondere die chronische Darmstörung (10.2.2) heranzuziehen. Entgegen der Annahme des Klägers wurde eine Colitis Ulcerosa oder ein Morbus Crohn bei ihm nicht sicher diagnostiziert. Zu beachten ist auch, dass die bereits von der Zystitis verursachten Toilettengänge bei der parallel auftretenden Stuhl- und Harndrangsituationen nicht nochmals berücksichtigt werden können und dürfen (so auch
Dr. M.). Wegen des normalen Ernährungszustand des Klägers und den von
Dr. M. ermittelten Laborwerten kann keine Darmerkrankung mit erheblichen Auswirkungen vorliegen. Ähnlich wie bei der Chronischen Zystitis wirkt auch hier die psychische Überlagerung in dieses Funktionssystem hinein, ohne dass eine Doppelbewertung vorgenommen werden darf.
i. Das Impingementsyndrom der Schulter betrifft das Funktionssystem der oberen Extremitäten und kann wegen der verbliebenen Beweglichkeit über 120 Grad bei der Armhebung mit einem Einzel-
GdB von 10 bewertet werden (
vgl. Teil B,
Nr. 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze). Der Senat folgt insoweit der Einschätzung des Sachverständigen
Dr. M.
j. Die beim Kläger vorliegende Migräne betrifft auch dieses Funktionssystem "Kopf und Gesicht" und kann, wegen der eher unspezifischen Angaben des Klägers, mit einem Einzel-
GdB von 10 nach
Teil B Nr. 2.3 bewertet werden (so auch der Sachverständige
Dr. M.). Die Notwendigkeit einer neurologischen Abklärung hat keiner der behandelnden Ärzte gesehen, so dass nicht von einem erheblichen Leidensdruck aufgrund dieser Erkrankung ausgegangen werden kann.
k. Bezüglich der Überfunktion der Schilddrüse, die mittels Radiojodtherapie erfolgreich behandelt wurde, der Brandnarbe der rechten Wade, der Laktoseintoleranz, Morbus Meulengracht, dem behaupteten Reizhusten mit Stimmstörung sowie dem Hodenverlust liegen keine Funktionseinschränkungen vor, die gesondert hervorzuheben und mit einem Einzel-
GdB von 10 zu bewerten wären. Der Einschätzung des Sachverständigen M. ist auch in diesem Punkt zu folgen.
l. Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren
GdB vorliegen, ist nach § 69
Abs. 3 Satz 1
SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach
Teil A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze anzuwenden. Nach
Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Für die Zeit vom 15. November 2000 bis 14. November 2005 ergibt sich im Gesamtbild, wie vom Kläger zu Recht eingefordert, ein Gesamt-
GdB von 100. Auch wenn die Bildung eines Gesamt-
GdB nicht wie im technischen Verständnis des Klägers zu einem
GdB über 100 führen kann, ergibt die Kombination der psychischen Störung (Einzel-
GdB 50), dem Prostatakarzinom in Heilungsbewährung (Einzel-
GdB 50), der Zystitis (Einzel-
GdB 40) sowie der Sehstörung (Einzel-
GdB 30) ein so umfassenden Erkrankungsbild, dass tatsächlich die höchstmögliche Behinderung von 100 vom Kläger in diesem Zeitrahmen erreicht worden ist. Mit dem Wegfall der Krebserkrankung nach Eintritt der Heilungsbewährung erreicht der Kläger dann wieder einen Gesamt-
GdB von 80, wie dies bereits vor seiner Krebserkrankung seit dem 23. November 1998 vorgelegen hatte. Hierbei geht der Senat vom höchsten Einzel-
GdB-Wert von 50 (Funktionssystem Psyche) aus. Die weiteren erheblichen Erkrankungen der Zystitis (Einzel-
GdB 40) und die Schielblindheit auf dem rechten Auge (Einzel-
GdB 30) rechtfertigen eine Erhöhung des Gesamt-
GdB um 20
bzw. 10 und führen zu einem Gesamt-
GdB von höchstens 80.
Eine weitere Erhöhung aufgrund der weiteren, eher geringfügigen Beeinträchtigungen ist dagegen ausgeschlossen. Die erektile Dysfunktion, die mit einem Einzel-
GdB von 20 zu bewerten ist, genügt hierfür nicht. Denn das Gesamtausmaß der Behinderung wird durch diese - nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (
Teil A 4,
Nr. 3 ee) noch als leichte Funktionseinschränkung zu bewertenden Behinderungen - nicht größer. Die weiteren mit einem
GdB von 10 bewerteten Funktionsbehinderungen führen nicht zur Erhöhung des Gesamt-
GdB, denn von einem hier nicht vorliegenden Ausnahmefall abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen
GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes des Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (Teil A 4,
Nr. 3 ee).
m. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Übereinstimmend mit den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten haben dies beide Sachverständige klar verneint. Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Es liegen zunächst keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der LWS vor, die für sich einen
GdB von 50 bedingen, vor (dazu Versorgungsmedizinische Grundsätze,
Teil D 1, Nr. 1d). Deutliche Einschränkungen des Gehvermögens wegen innerer Leiden haben beide gerichtlichen Sachverständigen beim Kläger verneint. Die schmerzhafte Harndrangintensität weist keine Intervallstärke aus, die eine Bewältigung von ortsüblichen Wegstrecken von vornherein ausschließen würde. Besonders aussagekräftig ist dabei der von
Dr. M. vorgenommenen Gehtest. Hiernach war der Kläger in der Lage, ortsübliche Gehstrecken zurücklegen und in zumutbarer Weise zu bewältigen. Die Auswirkungen der Zystitis sind damit beim Kläger gerade im Hinblick auf den Harndrang nicht so schwerwiegend, wie er es immer wieder behauptet. So konnte der Kläger eine stundenlange Untersuchung des Sachverständigen mit nur wenigen Toilettengängen sowie eine längere mündliche Verhandlung durchhalten. Beim speziellen Gehtest bei
Dr. M. vermochte er eine Gehleistung ohne wesentliche Einschränkung absolvieren und ist dabei (
vgl. Ergometertest) nicht an seine Leistungsgrenze gelangt.
Für eine noch vorhandene ortsübliche Gehfähigkeit sprechen auch seine eigenen anamnestischen Angaben vor dem Sachverständigen. Der Kläger kann, wenn auch mit Einschränkungen, seine Ehefrau beim Einkaufen begleiten, Auslandsflugreisen unternehmen und zumindest einmal wöchentlich einen Spaziergang zur E. und wieder zurück bewältigen. Im Gegensatz zum Sachverhalt, der dem Urteil des SG Düsseldorf vom 30. Oktober 2000 (
S 31 (38) SB 238/99, zitiert nach juris) zugrunde gelegen hat, leidet der Kläger auch nicht an ganz erheblichen und objektivierbaren Schmerzen in der Unterleibsregion, die sich beim Gehen weiter verstärken und die Bewältigung von ortsüblichen Wegstrecken tatsächlich ausschließen können.
3. In dem Antrag des Klägers vom 12. Dezember 2013 auf einen zeitlich vorgelagerten Erörterungstermin und die Rüge zur Fertigung seiner Stellungnahme auf das Schreiben des Sachverständigen
Dr. M. vom 29. Januar 2014 zu wenig Zeit eingeräumt bekommen zu haben, liegt kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Gemäß § 62 Halbsatz 1
SGG hat der Senat das durch
Art. 103
Abs. 1 Grundgesetz garantierte prozessuale Grundrecht des rechtlichen Gehörs gewahrt. Einen Rechtsanspruch des Klägers, vor einer mündlichen Verhandlung seine Ausführungen im Rahmen eines zeitlich vorgeschalteten Erörterungstermins darlegen zu können, sieht das
SGG nicht vor. Vielmehr ist der Senat nach Erstellung eines Sachverständigengutachtens und Eintreten der Entscheidungsreife gehalten, zügig einen Entscheidungstermin zu bestimmen, um die zeitliche Verwertbarkeit des Sachverständigengutachtens nicht zu gefährden. Der Kläger hat nach Zustellung des Gutachtens am 6. November 2013 ausreichend Zeit erhalten, sich hiermit auseinanderzusetzen und hat diese Möglichkeit in seinen ausführlichen Schreiben vom 9. Dezember 2013 und 18. Dezember 2013 auch umfassend genutzt. Nach umgehender Zustellung des Schreibens von
Dr. M. vom 29. Januar 2014 blieb ebenfalls noch ausreichend Zeit, sich hiermit auseinanderzusetzen, wie dies der Kläger in seinem 33-seitigen Schreiben vom 19. Februar 2014 hinreichend belegt hat. Da der vorliegende Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung als "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens (
vgl. BSG, Beschluss vom 23. Oktober 2003, B 4 RA 37/03 B, juris) auch keine unerwartete Wendung genommen hat, zu dem sich ein Beteiligter nicht hinreichend vorbereiten konnte, haben die Beteiligten ausreichend Gelegenheit gehabt, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern. Die Ausführungen von
Dr. M. dienten zudem lediglich der Verteidigung seines eigenen Gutachtens und beinhalteten keine neuen entscheidungs-erheblichen Gesichtspunkte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und berücksichtigt den Teilerfolg des Klägers.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160
SGG liegen nicht vor.