Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erlass eines Zugunstenbescheides unter Abänderung des Bescheides vom 05.11.2003 und Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft rückwirkend vor dem 01.03.2002 im Hinblick auf den rentenrechtlich relevanten Stichtag 16.11.2000 im Sinne von § 236 a
SGB VI. Von daher ist er durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 16.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2006 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 54
Abs. 2 Satz 1
SGG).
Gemäß § 44
Abs. 1
SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Sonderregelung, welche zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte auch für die Vergangenheit verpflichtet, beschränkt sich allerdings auf Verwaltungsakte, die ausschließlich über die Gewährung von Sozialleistungen entscheiden, so dass maßgebende Rechtsgrundlage zur Prüfung des Begehrens des Klägers § 44
Abs. 2
SGB X ist, wonach im Übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen ist
bzw. - im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung - auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann.
Diese Bestimmung gilt dabei für alle rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakte im Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuches mit deren Rücknahmepflicht für die Zukunft. Hierunter fallen insbesondere auch Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz -
SchwbG -
bzw. des 9. Buches des Sozialgesetzbuches -
SGB IX -. Dabei hat seinerzeit zu der Frage des Spannungsverhältnisses zwischen § 44
SGB X und der Rückwirkung eines Antrages auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, wie sie in
§ 6 Abs. 1 Satz 2 der SchwbAwVO (Schwerbehindertenausweisverordnung) vorgesehen ist - das Bundessozialgericht -
BSG - mit Urteil vom 29.05.1991 (SozR 3-1300 § 44
Nr. 3) grundlegend ausgeführt, dass die Feststellungen nach dem
SchwbG auch in Verbindung mit der Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides zugunsten des Betroffenen grundsätzlich nur für die Zukunft zu treffen sind; die Rückwirkung liegt im Ermessen der Verwaltung.
Die Statusänderung wirkt prinzipiell in die Zukunft; eine beschränkte Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Antragstellung (§ 6
Abs. 1 Satz 1 der SchwbAwVO) trägt dem Interesse der Behinderten Rechnung, dass sie nicht durch die Dauer eines Verwaltungsverfahrens unzumutbar benachteiligt werden; die weitere Rückwirkung eines Antrages (gemäß § 6
Abs. 1 Satz 2 der SchwbAwVO) muss auf offenkundige Fälle beschränkt werden, in denen auch bei Anwendung des § 44
Abs. 2
SGB X das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung gebieten könnte. Wenngleich diese Entscheidung im Hinblick auf etwaige steuerrechtliche Nachteilsausgleiche im Sinne des Einkommensteuergesetzes (§ 33 b des Einkommensteuergesetzes -EStG-) ergangen ist, gelten diese Grundsätze gleichermaßen auch im Hinblick auf den hier rentenrechtlich relevanten Stichtag im Sinne von § 236 a
SGB VI (so auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.06.2007 - Az.:
L 15 SB 172/06).
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen im gerichtlichen Verfahren ist nicht erwiesen, dass der Bescheid des Beklagten vom 05.11.2003 im Hinblick auf den Zeitpunkt der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers zum 01.03.2002 rechtswidrig ist, geschweige denn offenkundig der
GdB auch für die Zeit hiervor, inbesondere zumindest seit dem 16.11.2000, mit 50 zu bewerten ist.
Offenkundig oder offenbar ist ein Umstand, der ins Auge springt, d.h. ohne Weiteres erkennbar ist. Die Unrichtigkeit muss dabei einem unvoreingenommenen verständigen Beobachter bei Kenntnis der Unterlagen offenbar sein (BSGE 17, 83; SozR 3-1300 § 38
SGB X Nr. 1). Eine Offenkundigkeit in diesem Sinne vermag das Gericht auch in Würdigung des Gutachtens des Sachverständigen
Prof. Dr. S1. nicht zu begründen; seine Beurteilung beruht dabei auf der Auswertung der umfänglichen Krankenakten des den Kläger seit 1982 behandelnden
Dr. S., aus welchem sich auch einem sachkundigen Beobachter keinesfalls die Unrichtigkeit der Bewertung der für den
GdB maßgebenden Diabetes-Erkrankung des Klägers aufdrängte.
Abgesehen davon ist dem Sachverständigen in seiner Beurteilung, der
GdB sei zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits mit 50 festzustellen, nicht zu folgen. Das Gericht schließt sich dabei den versorgungsärztlichen Stellungnahmen von
Dr. L. vollumfänglich an.
Nach Ziffer 26.15 der maßgebenden und normähnlich anzuwendenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und dem Schwerbehindertenrecht ist ein Diabetes-mellitus Typ I durch Diät und alleinige Insulinbehandlung gut einstellbar mit einem
GdB von 40, schwer einstellbar, einhergehend mit gelegentlichen, ausgeprägten Hypoglykämien mit einem
GdB von 50 zu bewerten. Diesbezüglich weist
Dr. L. zu Recht daraufhin, dass der Diabetes des Klägers in der Vergangenheit, auch in 2000 oder 2001 möglicherweise nicht gut eingestellt war, dies jedoch nicht eine im Sinne der Anhaltspunkte schlechte Einstellbarkeit bedeutet, umso mehr, als zum Einen der Diabetologe
Dr. N. im März 2002 das Fehlen wesentlicher Aspekte einer Therapie anmerkte, zum Anderen der erfolgreiche Einsatz einer Insulinpumpenbehandlung eine gute Einstellbarkeit des Diabetes belegte.
Soweit der Sachverständige seine Beurteilung, beim Kläger habe ein schwer einstellbarer Diabetes vorgelegen, auf eine im Juni 1989 dokumentierte instabile Stoffwechsellage mit nach den Unterlagen von
Dr. S. verzeichnetem hypoglykämischen Schock begründet, vermag dies die Bewertung des
GdB zum maßgeblichen Zeitpunkt mit 50 nicht zu stützen. Es handelt sich zum Einen um eine zeitferne, zudem Einzeldokumentation einer Hypoglykämie, zum Anderen ist dem Befundbericht des Diabetologen
Dr. N. vom 11.03.2002 zur aktuellen Anamnese des Klägers zu entnehmen, das schwere Hypoglykämien zumindest im letzten Jahr nicht aufgetreten sind. Da außer Juni 1989 auch die Patientenkartei von
Dr. S. keine weiteren Hinweise beinhaltet, kann von auch nur gelegentlichen, ausgeprägten Hypoglykämien beim Kläger, unabhängig davon, dass solche jedenfalls nicht offenkundig sind, nicht ausgegangen werden.
Zu folgen ist
Dr. L. ferner auch in der Bewertung der diabetischen Folgeschäden; unter Berücksichtigung der anamnestischen Angaben des Klägers im März 2002, seit
ca. 1 Jahr unter Gefühlsstörungen im Bereich der Füße zu leiden, gewinnt die beklagtenseits mit einem Einzel-
GdB von 20 bewertete Polyneuropathie für den maßgebenden Zeitpunkt ebenso wenig Bedeutung wie der augenärztliche Befund, der bei einer Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,8 rechts
bzw. 0,6 links (im Juli 1998 ausweislich des Berichts von
Dr. S. vom 07.07.1998 beidseitig sogar 0,9) weder jetzt noch in der Vergangenheit mit einem
GdB von wenigstens 10 zu bewerten war; maßgebend ist insoweit nach
Nr. 26.4 der Anhaltspunkte die Empfehlung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG).
Was letztlich die vom Sachverständigen angesprochene arterielle Hypertonie anbelangt, vermochte das Gericht ebenso wenig dem Sachverständigen in seiner Auffassung, diese sei zum Zeitpunkt November 2000 im Sinne einer mittelschweren Form mit einem
GdB von 20 zu bewerten, zu folgen; insbesondere für den maßgeblichen Zeitraum ist, wie dies
Dr. L. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.08.2007 ausführt, von einem unter Therapie befriedigend eingestellten Bluthochdruck leichter Form, ohne Einschränkungen der Leistungsfähigkeit auszugehen; die von
Dr. L. angesprochenen, in der Zeit von 2000 bis 2005 dokumentierten Blutdruckangaben vernachlässigt in seiner Würdigung dabei der Sachverständige, insoweit er lediglich auf zweimalige Entgleisungen des diastolischen Blutdruckes im Jahre 1996 abstellt.
Eine rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers ist nach alledem nicht möglich. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.