Urteil
Kein Anspruch auf rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft

Gericht:

SG Düsseldorf 35. Kammer


Aktenzeichen:

S 35 SB 239/07


Urteil vom:

23.09.2008


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - um die rückwirkende Feststellung einer Schwerbehinderteneigenschaft.

Die 1950 geborene Klägerin beantragte im Dezember 2003 beim Versorgungsamt X die Feststellung eines Grades der Behinderung.

Mit Bescheid vom 09.02.2004 stellte das Versorgungsamt X bei der Klägerin ab dem 18.12.2003 einen GdB von 30 fest.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, dem mit Abhilfebescheid vom 09.03.2004 insoweit entsprochen wurde, als nunmehr auch eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festgestellt wurde.

Mit Bescheid vom 12.07.2004 wies die Bezirksregierung Münster den weitergehenden Widerspruch hinsichtlich der Höhe des Grades der Behinderung zurück.

Dieser Widerspruchsbescheid wurde mit einer Klage nicht angefochten und ist bestandskräftig geworden.

Unter dem 21. Juli 2005 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag.

Das Versorgungsamt X holte daraufhin Befundberichte von den Ärzten der Klägerin ein und erteilte unter dem 15.09.2005 einen Bescheid, wonach die Behinderungen

1. Depression, Kopfschmerz, Gelenk- und Muskelbeschwerden (Einzel-GdB 30)

2. Bauchbeschwerden, Magenschleimhautentzündung, Speiseröhrenrück- flußleiden, (Einzel-GdB 20)

3. Wirbelsäulenbeschwerden infolge Verschleiß (Einzel-GdB 20)

4. Schulterbeschwerden, Fingergelenksverschleiß (Einzel-GdB 10)

5. Kniegelenkverschleiß, Fußverformung, Zehenfehlstellung (Einzel-GdB 10)

6. Sehkraftminderung rechts (Einzel-GdB 30)

einen Gesamt-GdB von 60 bedingen.

Auch dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Unter dem 16.04.2007 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt X die Rückdatierung des Gültigkeitsbeginns ihrer Schwerbehinderung auf die Zeit vor dem 16.11.2000.

Mit Bescheid des Versorgungsamtes X vom 16.05.2007 wurde der Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 15.09.2005 abgelehnt.

Zur Begründung wird in dem Bescheid ausgeführt, die Feststellung eines GdB von mindestens 50 für die Zeit ab November 2000 sei aufgrund nicht vorliegender aussagekräftiger Befundunterlagen nicht möglich.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie auf eine augenfachärztliche Bescheinigung vom 05.07.2007 verwies.

Mit Bescheid vom 07. November 2007 wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch der Klägerin als sachlich unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 22. November 2007 bei Gericht eingegangene Klage, mit der die Klägerin abermals auf eine augenfachärztliche Bescheinigung verweist.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2007 zu verurteilen, den Bescheid vom 09.02.2004 und den Bescheid vom 15.09.2005 zurückzunehmen und bei der Klägerin ab November 2000 einen GdB von mindestens 50 festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, denn die Bescheide erweisen sich als rechtmäßig.

Bei der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft trifft die Versorgungsbehörde eine Statusentscheidung, die generell nur für die Zukunft wirkt. Das beruht nicht in erster Linie darauf, dass über die erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergangenheit nur schwer Feststellungen zu treffen sind. Dem wird schon dadurch Rechnung getragen, dass ein Antragsteller in jedem Fall das Risiko trägt, das eine ausreichende Sachaufklärung zu seinen Gunsten nicht mehr möglich ist. Zu berücksichtigen ist vielmehr auch, dass die Rechtsstellung als schwerbehinderter Mensch mit einem bestimmten GdB sich häufig nur in der Zukunft auf die Gestaltung verschiedener Rechtsverhältnisse auswirken kann, z. B. in einem Arbeitsrechtsverhältnis. Im Interesse des schwerbehinderten Menschen, durch die Dauer des Verwaltungsverfahrens nicht unzumutbar benachteiligt zu werden, ordnet jedoch § 6 Abs. 1 Satz 1 Schwerbehindertenausweisverordnung an, dass die Feststellung des GdB nicht erst ab dem Zeitpunkt hierüber, sondern ab dem Zeitpunkt der Antragstellung gilt. Eine weitere Rückwirkung eines solchen Antrages ist nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 Satz 2 Schwerbehindertenausweisverordnung vorgesehen; sie ist allerdings auf offenkundige Fälle zu beschränken (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 3; Urteil des Bayerischen LSG vom 24. Oktober 2006, Az.: L 18 SB 18/04).

Eine solche Rückwirkung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 Schwerbehindertenausweisverordnung auf den von der Klägerin hier gewünschten Zeitpunkt November 2000 kann schon aus Rechtsgründen nicht erfolgen. Nach der vom Gericht vertretenen Auffassung, ist die in der Schwerbehindertenausweisverordnung vorgesehene Rückwirkung auf solche Fälle zu begrenzen, in denen im fraglichen Zeitraum, in dem die Rückwirkung erfolgen soll, eine Statusfeststellung nach dem SGB IX oder dem ihm vorangehenden Schwerbehindertengesetz nicht getroffen worden ist. Dagegen ist § 6 Abs. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung - nach seinem eindeutigen Wortlaut und seinem Sinn und Zweck - keine Vorschrift, die die Rechtskraft von bestandskräftigen Verwaltungsakten durchbricht. Vorliegend ist mit Bescheiden vom 09.02.2004 und 09.03.2004 bestandskräftig festgestellt worden, dass der Behinderungsgrad der Klägerin für die Zeit vom 18.12.2003 an 30 beträgt. Mit dem ebenfalls bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 15.09.2005 ist festgestellt worden, dass für die Zeit vom 09.03.2004 bis zum 21.07.2005 und in der Folge der Behinderungsgrad 60 beträgt.

Die Bestandskraft dieser Bescheide kann ausschließlich über die Vorschrift des § 44 SGB X durchbrochen werden. Nach der vorgenannten Vorschrift kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen oder abgeändert werden. Ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung der entsprechenden Bescheide vorliegend gegeben sind, kann hier jedoch dahinstehen, denn eine solche Aufhebung oder Abänderung nach § 44 SGB X kann bei der Klägerin in keinem Fall zu dem von ihr - mit der hier erhobenen Verpflichtungsklage - gewünschten Ziel führen, einen GdB in Höhe von 50 ab November 2000 festzustellen. Sollten sich die Bescheide aus dem Jahre 2004 und 2005 als rechtswidrig erweisen, könnte allenfalls festgestellt werden, dass die Klägerin ab ihrer ursprünglichen Antragstellung im Dezember 2003 Anspruch auf einen höheren GdB hatte. Die Korrektur nach § 44 SGB X kann aber nicht soweit gehen, dass über den Antrag von Dezember 2003 hinaus, mit dem ausdrücklich eine rückwirkende Feststellung eines Behinderungsgrades gerade nicht begehrt wurde, eben diese Rückwirkung nun eintreten soll. § 44 SGB X kann nämlich einen Verwaltungsakt nur soweit korrigieren, "soweit" dieser Verwaltungsakt rechtswidrig war. Die Verwaltungsakte vom 09.02.2004, 09.03.2004 und 15.09.2005 waren jedoch allenfalls wegen der Höhe des dort festgestellten GdB rechtswidrig, nicht aber, soweit sie eine Feststellung über die Höhe des GdB nur ab dem Zeitpunkt der Antragstellung getroffen haben.

Da also für eine rückwirkende Feststellung des Behinderungsgrades ab November 2000 eine Anspruchsgrundlage nicht gegeben ist, kann das Gericht - aus Rechtsgründen - die Beklagte zu einer solchen Feststellung nicht verurteilen. Es kann daher auch dahinstehen, ob die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X, die bezüglich einer Rückwirkung von 4 Jahren - über ihren Wortlaut hinaus - einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellen dürfte, hier ebenfalls einer Feststellung eines Behinderungsgrades ab November 2000 entgegenstehen könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Referenznummer:

R/R4169


Informationsstand: 07.04.2009