Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Januar 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (
GdB) von mindestens 50 für einen vor seinem Feststellungsantrag liegenden Zeitraum hat.
Der am 26.8.1945 geborene Kläger ist Arzt für Biochemie. Auf Veranlassung seiner behandelnden Ärztin wurde er am 4.4.2002 ins Krankenhaus aufgenommen. Dort wurde ein mindestens 10 x 10
cm großer gastrointestinaler Stromatumor (GIST) oberhalb des Blasendaches diagnostiziert und am 17.4.2002 operativ entfernt. In der Zeit danach wurden im Rahmen von Kontrolluntersuchungen Metastasen und Rezidive festgestellt, die zu weiteren operativen Eingriffen führten. Seit dem 1.1.2007 bezieht der Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Abschlägen.
Im Dezember 2006 beantragte der Kläger beim beklagten Land die Feststellung eines
GdB ab November 2000. Nach entsprechenden medizinischen Ermittlungen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 26.3.2007 wegen einer Harnblasenerkrankung im Zustand der Heilungsbewährung einen
GdB von 80 seit dem 1.4.2002 fest. Dem Widerspruch des Klägers half der Beklagte teilweise ab und stellte fest, dass der
GdB nunmehr wegen einer Dünndarmerkrankung, bei der von einer Heilungsbewährung nicht mehr auszugehen sei, 100 betrage. Den auf Feststellung eines
GdB für die Zeit vor dem 1.4.2002 gerichteten Widerspruch wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 23.8.2007).
Das vom Kläger daraufhin angerufene Sozialgericht Berlin (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 19.11.2008). Bei der Feststellung des
GdB handele es sich um eine Statusentscheidung, die generell nur in die Zukunft wirke.
§ 6 Abs 1 Satz 1 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ordne eine rückwirkende Feststellung für die Zeit ab Antragstellung an. Eine weitergehende Rückwirkung sei nach Maßgabe des § 6 Abs 1 Satz 2
SchwbAwV auf offenkundige Fälle zu beschränken. Ein derartiger Fall liege hier erst ab April 2002 vor, weil die bösartige Tumorerkrankung erstmals in diesem Monat objektiv beweisbar diagnostiziert worden sei. Für die Zeit davor fehle es an aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, so dass die vom Kläger behauptete Tatsache, er sei bereits im Mai 2000 wegen Teerstühlen und Schwächeanfällen schwerbehindert gewesen, nicht als offenkundig gelten könne.
Im Rahmen seiner Berufung hat der Kläger vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (
LSG) beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19.11.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 26.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2007 zu verpflichten, bei ihm einen
GdB von 100, hilfsweise 50, ab dem 1.5.2000 festzustellen,
hilfsweise
1. ihn als Arzt (Facharzt für Biochemie) und sachverständige Partei dazu zu vernehmen, dass er bereits seit Mai 2000 unter Teerstühlen, starken Symptomen einer Anämie und Kraftlosigkeit litt,
2. ein pathologisches Sachverständigengutachten durch
Prof. Dr. R. B., Institut für Pathologie der Universität B., darüber einzuholen, dass sich sein Gesundheitszustand und seine Funktionseinschränkungen im Jahr 2002 nicht von dem Gesundheitszustand und den Funktionseinschränkungen im Mai 2000 aufgrund der Tumorart, seines Wachstums und der Begleitsymptome signifikant aus ärztlicher Sicht unterschied, so dass ein
GdB von 100, mindestens jedoch 50, bereits seit Mai 2000, hilfsweise seit 1.11.2000 offenkundig bestand.
Das
LSG hat unter Zulassung der Revision durch Urteil vom 19.1.2010 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es nach Darlegung der allgemeinen Grundlagen für die Feststellung des
GdB (
§ 69 SGB IX) ausgeführt: Es handele sich bei der Feststellung des
GdB um eine Statusentscheidung, die prinzipiell in die Zukunft wirke und nach § 6 Abs 1 Satz 1
SchwbAwV lediglich deshalb auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückzubeziehen sei, um den schwerbehinderten Menschen für die Dauer des Verwaltungsverfahrens nicht unzumutbar zu belasten. Für eine weitergehende Rückwirkung sei nach Maßgabe des § 6 Abs 1 Satz 2
SchwbAwV nur dann Raum, wenn der Betroffene ein besonderes Interesse für eine frühere Statusentscheidung glaubhaft machen könne. Eine solche Rückwirkung müsse jedoch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) überdies auf offenkundige Fälle beschränkt werden, um den Sinn und Zweck einer Statusentscheidung nicht zu konterkarieren. Offenkundigkeit sei hierbei anzunehmen, wenn die für die Feststellung erforderlichen Voraussetzungen aus der Sicht eines unbefangenen, sachkundigen Beobachters nach Prüfung der objektiv gegebenen Befundlage ohne Weiteres deutlich zu Tage träten.
Zwar habe der Kläger ein besonderes Interesse an einer früheren Feststellung des
GdB insoweit glaubhaft gemacht, als ihm nach § 236a
SGB VI eine abschlagsfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen zustehen würde, wenn seine Schwerbehinderteneigenschaft bereits zum 16.11.2000 festgestellt würde. Es fehle jedoch an einem offenkundigen Fall, weil medizinische Befunde, aus denen sich die Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Feststellung deutlich entnehmen ließen, für die Zeit vor April 2002 weder vorlägen noch ermittelbar seien. Letzteres ergäbe sich aus den Angaben des Klägers selbst sowie vor allem aus den Attesten der behandelnden Internistinnen
Dr. P. und
Dr. L. vom 25.4.2007. Danach seien hier entweder nur ganz pauschale Aussagen darüber möglich, dass der Kläger bereits ab Mai 2000 unter vereinzelt aufgetretenen Teerstühlen sowie unter starken Symptomen einer Anämie und unter Kraftlosigkeit gelitten habe, oder es könnten nur Rückschlüsse aus Befunden aus der Zeit ab April 2002 gezogen werden, was der Annahme eines offenkundigen Falles entgegenstehe.
Vor diesem Hintergrund müsse der Senat nicht in weitere Ermittlungen eintreten. Insbesondere müsse er den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen nicht folgen, weil sie entweder nur vage Tatsachenbehauptungen zum Inhalt hätten oder auf die Einholung eines "Rückschlussgutachtens" zielten, auf das es bei der Prüfung der Frage, ob ein offenkundiger Fall gegeben sei, gerade nicht ankommen könne.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Materielles Recht sei verletzt, weil der Status der Schwerbehinderteneigenschaft nach der Rechtsprechung des
BSG grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen beginne (BSGE 89, 79), und zwar ohne Beschränkung auf offensichtliche Fälle. Eine abweichende Entscheidung des
BSG liege für Erstfeststellungen nicht vor. Das vom
LSG herangezogene Urteil des
BSG vom 29.5.1991 betreffe allein Überprüfungsanträge nach § 44 Abs 2
SGB X, bei denen es im Rahmen des Ermessens auf die "Offensichtlichkeit" ankomme. Demnach sei das rückwirkende Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft, wie im Sozialrecht generell üblich, mit sämtlichen Erkenntnismitteln zu erforschen. Eine Beschränkung auf Offensichtlichkeitsfälle oder kaum bestimmte "Ausnahmefälle" finde nicht statt.
Das angefochtene Urteil sei auch verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das
LSG habe sein Recht auf rechtliches Gehör nach § 62
SGG verletzt, weil es seinen - des Klägers - Vortrag zum Schweregrad des Tumors und dessen Bewertung mit einem
GdB von 100, hilfsweise 50, ab Mai 2000 unter Hinweis auf die fehlende Offenkundigkeit der Befunde übergangen habe. Zudem habe das
LSG auch seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es den in der letzten mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen zu Unrecht nicht gefolgt sei. Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe das angefochtene Urteil.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19.1.2010 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19.11.2008 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 26.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2007 für ihn einen
GdB von 100, hilfsweise von 50, ab 1.5.2000, hilfsweise ab 1.11.2000, festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an. Zwar beziehe sich die vom
LSG zutreffend angewandte Entscheidung des
BSG vom 29.5.1991 auf die Überprüfung bereits bestandskräftiger Bescheide iS des § 44
SGB X. Eine Unterscheidung für die rechtliche Bewertung bei den Voraussetzungen für die rückwirkende Feststellung im Schwerbehindertenrecht sei hingegen hinsichtlich der Erstfeststellungen nicht erforderlich. Es komme lediglich auf die Bewertung der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung als solche an. Diese sei und bleibe eine Statusentscheidung mit den bekannten Ausnahmen für die rückwirkende Feststellung nach der
SchwbAwV. Der Kläger trage zwar vor, dass es dem Versorgungsträger und den Sozialgerichten zumutbar sei, durch Einholung von Befunden, Auskünften und ggf von Sachverständigengutachten den objektiven Eintrittspunkt der Schwerbehinderung von Amts wegen zu ermitteln. Dieser Rechtsgedanke sei indes nicht auf die rückwirkende Feststellung zu übertragen, wie bereits das
BSG festgestellt habe. Hier gelte die Einschränkung der "Offenkundigkeit". Dieser Begriff lasse schon vom Wortsinn her eine aufwendige Ermittlung nicht zu.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2
SGG) einverstanden erklärt.
Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das
LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2
SGG).
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines
GdB mit 100, hilfsweise von wenigstens 50, schon ab Mai 2000. Diesen Anspruch verfolgt der Kläger mit seiner zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1
SGG). Entgegen der Auffassung des
LSG ist der Anspruch des Klägers auf rückwirkende
GdB-Feststellung nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Für die Entscheidung, ob der Anspruch begründet ist, bedarf es weiterer einzelfallbezogener Tatsachenfeststellungen, die das
LSG noch zu treffen hat.
Der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines
GdB von mindestens 50 ab Mai 2000 und damit für Zeiten vor dem vom Beklagten angenommenen Zeitpunkt (1.4.2002) richtet sich nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz -SchwbG-)
idF der Neubekanntmachung vom 26.8.1986 (BGBl I 1421, ber 1550) sowie nach den am 1.7.2001 in Kraft getretenen Vorschriften des
SGB IX vom 19.6.2001 (BGBl I 1046), geändert durch das Gesetz vom 23.4.2004 (BGBl I 606).
Hinsichtlich der Maßstäbe für die Bestimmung des Begriffs der Behinderung ergeben sich durch die zum 1.7.2001 erfolgte Ablösung des
SchwbG durch das
SGB IX keine nennenswerten Unterschiede. Zwar sind die Begriffe der Behinderung und der des
GdB im
SGB IX anders umschrieben als zuvor in § 3 Abs 1
SchwbG, der seinem Wortlaut nach unter Behinderung die Auswirkungen einer nicht nur vorübergehenden Funktionsstörung verstand. Die nunmehr erfasste Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (s
§ 2 Abs 1,
§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB IX bzw Satz 4
SGB IX) entspricht indes der schon nach altem Recht ergangenen Rechtsprechung des
BSG (s insgesamt
BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 2 RdNr 7). Entsprechendes gilt für den auf dem Behinderungsbegriff aufbauenden
GdB (s §§ 2 Abs 1, 69 Abs 1 Satz 1
SGB IX).
Zwar beginnt der Status als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (vgl BSGE 89, 79, 81 = SozR 3-3870 § 59 Nr 1 S 3). Zum Nachweis dieser Eigenschaft ist jedoch eine behördliche Feststellung erforderlich. Dementsprechend stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den
GdB fest (vgl § 4 Abs 1 Satz 1
SchwbG, § 69 Abs 1 Satz 1
SGB IX). Von welchem Zeitpunkt an diese Feststellung zu treffen ist, wird weder im
SchwbG noch im
SGB IX ausdrücklich geregelt. Hinreichende Maßgaben zur Bestimmung des Wirksamkeitsbeginns einer
GdB-Feststellung lassen sich jedoch aus dem Sinn und Zweck solcher Feststellungen und dem Erfordernis einer Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwandes herleiten.
Dabei ist davon auszugehen, dass es sich um Statusfeststellungen handelt, die in einer Vielzahl von Lebensbereichen die Inanspruchnahme von Vorteilen und Nachteilsausgleichen ermöglichen sollen (vgl dazu zB
BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 8 RdNr 16). Da eine derartige Inanspruchnahme regelmäßig nicht (für längere Zeit) rückwirkend möglich ist, reicht es grundsätzlich aus, wenn die
GdB-Feststellung für die Zeit ab Antragstellung erfolgt (vgl dazu BSGE 69, 14, 17 f = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 9 f). Mit der Stellung des Antrags bringt nämlich der behinderte Mensch der Behörde gegenüber sein Interesse an einer verbindlichen Statusfeststellung erstmalig zum Ausdruck. Insofern ist es sachgerecht, von dem behinderten Menschen die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses zu verlangen, wenn er seinen
GdB ausnahmsweise schon für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum festgestellt haben möchte.
Diese aus dem
SchwbG und dem
SGB IX herzuleitenden rechtlichen Grundsätze haben ihren Niederschlag in den gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften über die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises gefunden. Nach § 4 Abs 5 Satz 1
SchwbG/§ 69 Abs 5 Satz 1
SGB IX stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den
GdB sowie ggf über weitere gesundheitliche Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen aus. Die Einzelheiten der Ausweisausstellung sind in der nach den Vorgaben des § 4 Abs 5
SchwbG/§ 69 Abs 5
SGB IX auf der Grundlage des § 4 Abs 5 Satz 5
SchwbG/§ 70
SGB IX erlassenen
SchwbAwV idF der Bekanntmachung vom 25.7.1991 (BGBl I 1739), mit späteren Änderungen zuletzt durch Art 20 Abs 8 Gesetz zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (BGBl I 2904), geregelt. Nach deren § 6 Abs 1 Nr 1 ist auf der Rückseite des Ausweises als Beginn der Gültigkeit in den Fällen des § 69 Abs 1 und 4
SGB IX der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften einzutragen. § 6 Abs 1 Satz 2
SchwbAwV ermöglicht darüber hinaus auf Antrag des schwerbehinderten Menschen und nach Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses die Eintragung eines zusätzlichen, weiter zurückliegenden Datums.
Soweit § 6 Abs 1 Satz 2
SchwbAwV für die Eintragung des "zusätzlichen" vor dem Datum der Antragstellung liegenden Datums die "Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses" der antragstellenden Person verlangt, ist allerdings auch dort nicht weiter bestimmt, was ein "besonderes Interesse" iS dieser Vorschrift ist. Auch eine höchstrichterliche Definition des "besonderen Interesses" ist bisher nicht erfolgt. Einige (instanzgerichtliche) Entscheidungen haben ein besonderes Interesse für den Fall verneint, dass der Antragsteller aufgrund der vor die Antragstellung zurückreichenden schwerbehindertenrechtlichen Feststellung Steuervergünstigungen wahrnehmen (
LSG für das Saarland Beschluss vom 5.11.2002 - L 5 B 12/01 SB -; SG Dortmund Urteil vom 29.3.2004 -
S 43 SB 20/03 -; aA
LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.5.1992 -
L 4 Vs 3/91 -) oder rückwirkend Kindergeld beanspruchen wollte (SG Dresden Gerichtsbescheid vom 9.12.2004 -
S 7 SB 340/02 -). Demgegenüber hat das
LSG in dem hier angefochtenen Urteil das besondere Interesse bejaht, soweit der Kläger mit der rückwirkenden Feststellung des
GdB von mehr als 50 gemäß § 236a
SGB VI die Altersrente für schwerbehinderte Menschen abschlagsfrei beziehen könnte. Gleichsinnig hat das
LSG Berlin-Brandenburg das besondere Interesse des dortigen Klägers im Urteil vom 18.2.2010 - 11 SB 351/08 - beurteilt.
Mangels normativer Maßgaben erscheint es auch angesichts der Bedeutung der Rückwirkung der entsprechenden Feststellungen angemessen, den Begriff des besonderen Interesses nach ähnlichen Maßstäben zu bestimmen wie den Anspruch eines im Ausland lebenden behinderten Menschen auf Feststellung seines
GdB in Deutschland. Grundsätzlich hat ein in Deutschland lebender behinderter Mensch nach dem System des Schwerbehindertenrechts im
SGB IX Anspruch auf Feststellung des für ihn maßgeblichen
GdB unabhängig davon, ob sich seine rechtliche und/oder wirtschaftliche Situation dadurch unmittelbar verbessert. Ein besonderes Feststellungsinteresse (Rechtsschutzbedürfnis) für die Zeit ab Antragstellung ist nicht erforderlich (
BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 8). Etwas anderes gilt für einen im Ausland lebenden behinderten Menschen. Nach der Rechtsprechung des
BSG ist auf dessen Antrag der
GdB festzustellen, wenn davon in Deutschland Vergünstigungen abhängen, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen (s
BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6; zuletzt
BSG Urteil vom 29.4.2010 -
B 9 SB 1/10 R - SozialVerw 2011, 11). Ein im Ausland lebender Behinderter kann das Feststellungsverfahren nach § 4
SchwbG bzw § 69
SGB IX nur zur Ermöglichung konkreter inländischer Rechtsvorteile in Anspruch nehmen. Die Durchbrechung des Territorialitätsprinzips (§ 30 Abs 1
iVm § 37 Satz 1
SGB I) ist gerechtfertigt, wenn ihm trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines
GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können (
BSG aaO). Das
BSG hat als entsprechenden Vorteil die Möglichkeit der Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente für schwerbehinderte Menschen anerkannt (
BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6).
Zu ähnlichen Ergebnissen würde eine in Anlehnung an den Begriff des Rechtsschutzinteresses bzw Rechtsschutzbedürfnisses im gerichtlichen, insbesondere sozialgerichtlichen Verfahren orientierte Definition des Begriffes des besonderen Interesses nach § 6 Abs 1 Satz 2
SchwbAwV führen. Das gerichtliche Rechtsschutzinteresse ist für einen von einer behördlichen Maßnahme betroffenen oder eine solche Maßnahme erstrebenden Bürger grundsätzlich anzunehmen, wenn er das angestrebte Ergebnis nicht auf einfachere Weise erreichen und mit der gerichtlichen Entscheidung seine rechtliche oder wirtschaftliche Stellung verbessern kann (s nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, vor § 51 RdNr 16a mwN).
Aus Anlass des vorliegend zu entscheidenden Einzelfalls bedarf es letztlich keiner abschließenden Definition des Begriffs des besonderen Interesses, denn es bestehen keinerlei Bedenken gegen die Bejahung des besonderen Interesses des Klägers durch das
LSG. Die Möglichkeit des Bezuges einer abschlagsfreien Altersrente (s dazu sowie zur Berücksichtigung der rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung
BSG Urteil vom 29.11.2007 -
B 13 R 44/07 R - SozR 4-2600 § 236a Nr 2) begründet zweifelsohne ein besonderes Interesse an der vor die Antragstellung zurückwirkenden Feststellung des
GdB von 50 als Grundlage für die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (s
§ 2 Abs 2 SGB IX).
Entgegen der Auffassung des
LSG ist indes für die Rückverlagerung des Zeitpunkts der Feststellung des
GdB vor den Zeitpunkt der Antragstellung nicht zu fordern, dass der betreffende
GdB im beanspruchten Feststellungszeitpunkt offensichtlich bereits vorgelegen hat. Eine Rechtsnorm, die dies bestimmt, existiert nicht. Insbesondere enthält § 6
SchwbAwV keine entsprechende Einschränkung. Diese Einschränkung lässt sich auch, anders als das Erfordernis eines besonderen Interesses, nicht aus den gesetzlichen Grundlagen des Schwerbehindertenrechts herleiten. Für die behördliche Erstfeststellung, dass ein
GdB von 50 bereits zu einem Zeitpunkt vor der Antragstellung vorgelegen hat, ist nur die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses erforderlich; eine solche rückwirkende Feststellung ist nicht auf offensichtliche Fälle beschränkt.
Eine Beschränkung der rückwirkenden Feststellung des
GdB durch ein Erfordernis der Offensichtlichkeit hat das
BSG allein für den Fall angenommen, dass nach § 44 Abs 2 Satz 2
SGB X die Rücknahme einer unanfechtbar bindenden Feststellung des
GdB mit Wirkung für die Vergangenheit zu prüfen ist (
BSG Urteil vom 29.5.1991 -
9a/9 RVs 11/89 - BSGE 69, 14 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3). Diese Einschränkung folgt indes nicht aus § 4
SchwbG/§ 69
SGB IX oder § 6 Abs 1 Satz 2
SchwbAwV, sondern rechtfertigt sich, wie in der Literatur zutreffend erkannt worden ist (von Steinäcker, Behindertenrecht 2006, 98, 100), allein im Hinblick auf das nach § 44 Abs 2 Satz 2
SGB X auszuübende Verwaltungsermessen. Da es bei der Feststellung des
GdB nicht um Sozialleistungen geht und § 44 Abs 1
SGB X damit unanwendbar ist (BSGE 69, 14, 16 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 8 f), hat die für die Feststellungen zuständige Behörde oder Körperschaft im Falle des Vorliegens einer auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogenen bindenden Feststellung des
GdB über den Antrag auf Rückverlagerung im Überprüfungswege nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Nach § 44 Abs 2 Satz 2
SGB X kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. In dem Fall, in dem die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen offenkundig sind, könnte das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung der bindenden Feststellung gebieten (BSGE 69, 14, 18 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 10).
Im Verfahren einer Erstfeststellung, um das es sich im vorliegenden Fall handelt, beanspruchen diese aus § 44 Abs 2 Satz 2
SGB X fließenden, allein auf das Verwaltungsermessen bezogenen Grundsätze keine Gültigkeit. Hier muss die Feststellungsbehörde - bei Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses durch den Antragsteller - uneingeschränkt prüfen und entscheiden, ob und seit wann die geltend gemachte Eigenschaft (hier:
GdB von mindestens 50) schon vor der Antragstellung bestanden hat. Der entsprechende Zeitpunkt ist festzustellen.
Eines über die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses hinausgehenden besonderen Korrektivs etwa in Form der Offensichtlichkeit bedarf es auch aus anderen Gründen nicht. Entsprechende Anträge lassen sich nach Aufklärung des Sachverhalts mit den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast behandeln (s von Steinäcker, aaO, 100).
Da das
LSG davon ausgegangen ist, dass die rückwirkende Feststellung des
GdB für Zeiten vor der Antragstellung auf offensichtliche Fälle beschränkt ist, hat es folgerichtig unterlassen, den Gesundheitszustand des Klägers in dem streitigen Zeitraum unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Da der erkennende Senat die nach seiner Auffassung erforderlichen Ermittlungen im Revisionsverfahren nicht selbst durchführen kann (vgl § 163
SGG), ist eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz geboten.
Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird ua auch zu prüfen sein, ob der Kläger ein besonderes
GdB-Feststellungsinteresse nur ab November 2000 oder - seinem Antrag entsprechend - schon ab Mai 2000 glaubhaft machen kann.
Das
LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.