Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz --
SchwbG um die Höhe des Grades der Behinderung --
GdB -- und um den Nachteilsausgleich "erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" -- G --.
Die ... geborene Klägerin beantragte im September 1998 beim Beklagten die Feststellung eines
GdB und der Nachteilsausgleiche "G" und "Befreiung von der Rundfunk- und Fernsehgebührenpflicht" -- RF --.
Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte von dem Arzt für Allgemeinmedizin
Dr. G und dem Urologen
Prof. Dr. H ein und erteilte unter dem 16.11.1998 einen Bescheid, wonach die Behinderung Chronische Blasenwandentzündung mit Blasenentleerungsstörungen einen
GdB von 30 bedingte.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie vortrug, sie leide an einer interstitiellen Cystitis, die vom Beklagten nicht mit einem ausreichenden
GdB bewertet worden sei. Außerdem sei der bei ihr bestehende Gebärmutterverlust bei noch bestehendem Kinderwunsch nicht berücksichtigt worden.
Der Beklagte holte daraufhin weitere Befundberichte von dem Orthopäden
Dr. S, dem Urologen
Dr. R und dem St. -...-H ein und erteilte unter dem 16.04.1999 einen Abhilfebescheid, wonach die Behinderungen.
1. Chronische Entzündung im Zwischengewebe der Harnblase mit chronisch wiederkehrenden Unterleibsschmerzen und gehäufter Blasenentleerung; Gebärmutterverlust (nach der internen Stellungnahme des ärztlichen Beraters des Beklagten (
GdB 40).
2. Wirbelsäulenbeschwerden, Fehlhaltung (
GdB 10)
einen Gesamt-
GdB von 40 bedingen.
Auf Nachfrage des Versorgungsamtes hielt die Klägerin ihren Widerspruch allerdings aufrecht, woraufhin der Beklagte die Klägerin amtsärztlich begutachten ließ und unter dem 18.06.1999 einen weiteren Abhilfebescheid erteilte, ausweislich dessen der
GdB nun 50 beträgt. Nachteilsausgleiche wurden mit dem Abhilfebescheid versagt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.1999 wies der Beklagte den weitergehenden Widerspruch der Klägerin als sachlich unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 19. Juli 1999 bei Gericht eingegangene Klage, mit der die Klägerin vorträgt, sie müsse bis zu 60 mal am Tag die Toilette aufsuchen und leide an Schmerzen im Unterleibsbereich, die sich besonders auch beim Gehen bemerkbar machen würden. Ihr müssten daher ein höherer
GdB als 50 und die Nachteilsausgleiche "G" und "RF" zuerkannt werden.
Unter dem 10.05.2000 hat der Beklagte einen weiteren Bescheid erteilt, wonach der
GdB 70 beträgt.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Klage hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "RF" zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 11.05.2000 einen Gesamt-
GdB von 80 und den Nachteilsausgleich "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat zur Sachverhaltsermittlung einen Bericht von dem Anästhesisten
Dr. M beigezogen sowie ein Gutachten von dem Urologen
Prof. Dr. H eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch die ursprünglich angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Höhe des
GdB beschwert gewesen. Diese Beschwer ist jedoch durch den Bescheid vom 10.05.2000 entfallen, denn dieser Bescheid stellt bei der Klägerin zutreffend einen
GdB von 70 fest. Allerdings ist die Klägerin trotz dieses Bescheides auch weiterhin insoweit beschwert, als ihr zu Unrecht der Nachteilsausgleich "G" nicht zuerkannt wurde.
Das Gericht verweist hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, nach denen der
GdB zu bilden ist, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 08.07.1999.
Nach Maßgabe dieser Vorschriften kann bei der Klägerin kein höherer Gesamt-
GdB als 70 festgestellt werden. Die Kammer folgert dies aus dem schlüssigen und nachvollziehbar begründeten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen
Prof. Dr. H. Der Sachverständige hat bei der Klägerin eine interstitielle Cystitis festgestellt. Diese Behinderung ist in den "Anhaltspunkten" nicht enthalten. Der Sachverständige hat daher einen Vergleich mit einer chronischen Harnblasenentzündung mit Schrumpfblase angestellt, die nach den "Anhaltspunkten" mit einem
GdB von 50 bis 70 bewertet wird. Eine solche Analogie hält die Kammer hier für zutreffend, denn der Sachverständige hat eingehend in seinem Gutachten beschrieben, dass die Auswirkungen der bei der Klägerin bestehenden Behinderungen mit einer chronischen Harnblasenentzündung mit Schrumpfblase vergleichbar sind. Das Gericht hält es auch für zutreffend, wenn der Sachverständige sein Ermessen dahingehend ausübt, dass er im Bereich des von den "Anhaltspunkten" vorgegebenen Rahmens eines
GdB von 50 bis 70 den Mittelwert von 60 auswählt.
Darüber hinaus hat der Sachverständige bei der Klägerin einen Gebärmutterverlust festgestellt. Die "Anhaltspunkte" sehen für einen Gebärmutterverlust im jüngeren Lebensalter einen
GdB von 20 vor. Ein jüngeres Lebensalter besteht bis etwa zum 50. Lebensjahr. Da die Klägerin erst 29 Jahre alt ist, ist hier der Gebärmutterverlust vom Sachverständigen zutreffend mit einem Einzel-
GdB von 20 bewertet worden. Darüber hinaus besteht bei der Klägerin noch ein Wirbelsäulenleiden, welches nach dem Bericht des Orthopäden
Dr. S mit leichten Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule verbunden ist. Eine derartige Behinderung wird nach den "Anhaltspunkten" (26.18) mit einem
GdB von 10 bewertet.
Aus den so ermittelten Einzelgraden der Behinderung von 60, 20, 10 ist ein Gesamt-
GdB von 70 zu bilden. Die "Anhaltspunkte" schreiben diesbezüglich unter Punkt 19 vor, dass die einzelnen Behinderungsgrade nicht addiert werden dürfen und Zehnergrade der Behinderung bei der Bildung des Gesamt-
GdB in aller Regel keine Berücksichtigung finden. Nach dieser Maßgabe kann aus den oben genannten Einzelgraden der Behinderung kein höherer Gesamt-
GdB als 70 gebildet werden.
Nach § 59
Abs. 1
SchwbG sind Schwerbehinderte, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises unentgeltlich zu befördern. Nach § 60
SchwbG ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Dabei ist nach der Rechtsprechung "ortsüblich" eine Wegstrecke von 2
km in einer Zeit von 30 - 40 Minuten (vergl
BSG Urteil vom 10.12.1987 -- Breithaupt 1988, 667;
LSG NW Urteil vom 20.11.1986 -- Breithaupt 1988, 758; so auch der ärztliche Sachverständigenbeirat des BMA im Rundschreiben vom 25.4.1990).
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G", denn sie ist in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr so behindert, dass sie nicht mehr in der Lage ist, regelmäßig ortsübliche Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen. Die Kammer folgert dies aus den Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen
Dr. H und den Ausführungen von
Dr. M. Danach leidet die Klägerin häufig an erheblichen Schmerzen im Unterleibsbereich. Diese Schmerzen werden durch Gehen noch verstärkt, wie
Dr. M in seinem Bericht geschildert hat. Der ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMA hat mit Beschluss von März 1987 festgestellt, dass häufige entzündliche Hautveränderungen im Genitalbereich, die zu erheblichen Schmerzen beim Gehen führen, den Nachteilsausgleich "G" rechtfertigen können. Auch bei Bauchdecken- und Narbenbrüchen bei Stoma-Trägern ist der Nachteilsausgleich "G" gerechtfertigt, wenn die Behinderung mit erheblichen Schmerzen beim Gehen verbunden ist (Beirat November 1994). Die bei der Klägerin vorliegende Behinderung ist mit den vorgenannten Behinderungen vergleichbar. Dies folgt auch aus den Aufzeichnungen der Klägerin, die diese dem Gericht überlassen hat und die das Gericht für glaubhaft hält. Danach besteht häufig ein Zustand der es der Klägerin verbietet, ortsübliche Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen. Nach Auffassung der Kammer dürfte diese Häufigkeit mindestens 40 % der Fälle betreffen, was nach der Rechtsprechung, der sich die Kammer hier anschließt -- für den Nachteilsausgleich "G" ausreichend ist (
LSG Hessen Az.: L 4 SB 1351/95;
VdK -Kommentar zu den "Anhaltspunkten" zu Punkt 30
Anm. 10 p).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG.