Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin verhandeln und entscheiden (§ 153
Abs. 1 in Verbindung mit § 110
Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-).
Die Berufung der Klägerin ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und nach § 141
Abs. 2
SGG form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist aber nicht begründet.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010 hat der Beklagte den ursprünglichen Feststellungsbescheid vom 24. September 2004 nach § 48 Absatz 1 Satz 1
SGB X mit Wirkung für die Zukunft dahingehend geändert, dass anstelle eines
GdB von 50 nur noch ein
GdB von 30 festgestellt wird.
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere hat der Beklagte die Klägerin nach § 24 des Zehntes Buch des Sozialgesetzbuchs - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (
SGB X) mit Schreiben vom 23. November 2009 zu einer beabsichtigten Herabsetzung des Grades der Behinderung angehört.
Der Bescheid ist auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Zur Überzeugung des Senats hat der Beklagte unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides maßgebenden Rechts- und Tatsachenlage zu Recht bei der Klägerin einen Grad der Behinderung von 30 festgestellt.
Der Bescheid stützt sich auf § 48 Absatz 1 Satz 1
SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Voraussetzung ist dabei in Abgrenzung zu § 45 Absatz 1
SGB X, dass der ursprüngliche Bescheid zunächst rechtmäßig gewesen ist. Darüber hinaus muss eine wesentliche Änderung eingetreten sein, was nur der Fall ist, wenn die Änderung der gesundheitlichen Situation der Klägerin sich auf den Grad der Behinderung auswirkt.
Die Bewertung des Grades der Behinderung ist im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) geregelt. Gemäß
§ 69 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) stellen die zuständigen Behörden - hier das Landesamt für Soziales und Versorgung - das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Gemäß
§ 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach den §§ 2
Abs. 1, 69
Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (
SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als 6 Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipiertes Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (
AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend der streitgegenständlichen Zeit im Jahre 2004 in der Fassung von 2004. Seit dem 01. Januar 2009 sind die in der Anlage zu
§ 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I
S. 2412), zuletzt geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der
VersMedV vom 17. Dezember 2010 (BGBl I
S. 2904), festgelegten "versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer
Rechtsverordnung in Kraft, welche die
AHP - ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre - abgelöst haben.
Im Bescheid vom 24. September 2004 berücksichtigte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigung: Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung). Andere Funktionsstörungen waren von der Klägerin auch nicht angegeben worden.
Der Senat hat keine Zweifel an der richtigen Feststellung des Grades der Behinderung im September 2004. Der Beklagte hat zu Recht für den Zustand der Klägerin nach Operation des Mammakarzinoms einen Einzel-
GdB von 50 für die Dauer der fünfjährigen Heilungsbewährung in Ansatz gebracht. Nach
Nr. 26.14
AHP 2004 ist nach Entfernung eines malignen Brustdrüsentumors in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten, während der der
GdB 50 beträgt, wenn die Entfernung im Stadium T1-2 pN0 M0 stattgefunden hat. Der Klägerin war im Juni 2004 ein invasiv-duktales Mammakarzinom im Stadium pT1c pN0 entfernt worden.
In der Zeit zwischen Erlass dieses Bescheids und dem Widerspruchsbescheid am 16. Juni 2010 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen durch den Ablauf der Heilungsbewährung im Juni 2009 eingetreten, die nicht mehr den zuletzt mit Bescheid vom 24. September 2004 festgestellten
GdB von 50, sondern ab dem März 2010 nur noch einen
GdB von 30 rechtfertigt.
Der Ablauf der Heilungsbewährung im Juni 2009 stellt eine tatsächliche Veränderung im Sinne von § 48
Abs. 1
SGB X dar (siehe
AHP 2004, Teil A
Nr. 24
Abs. 3). Die Zeitdauer der Heilungsbewährung bei malignen Erkrankungen basiert auf Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über die Gefahr des Auftretens einer Rezidiverkrankung in den ersten fünf Jahren nach der Erstbehandlung sowie der regelmäßig vorhandenen subjektiven Befürchtung vor einem Rezidiv. Die Heilungsbewährung erfasst darüber hinaus auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, der Beseitigung und der Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der sozialmedizinischen Erfahrung, bei Krebserkrankungen zunächst nicht nur den Organverlust zu bewerten. Vielmehr ist hier für einen gewissen Zeitraum unterschiedslos der Schwerbehindertenstatus zu gewähren. Die pauschale, umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung kann jedoch nicht auf Dauer Bestand haben. Da nach der medizinischen Erfahrung nach rückfallfreiem Ablauf von fünf Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit die Krebserkrankung überwunden ist und außerdem neben der unmittelbaren Lebensbedrohung auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind, ist der
GdB dann nur noch anhand der noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zu bewerten (
BSG, Urteil vom 9. August 1995,
9 RVs 14/94, Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19. Februar 2013 - L 7 SB 19/11, zit. nach juris).
Die nach Ablauf der Heilungsbewährung und zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 16. Juni 2010 vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigen nur einen
GdB von 30.
Die Klägerin litt zu diesem Zeitpunkt unter einer psychischen Störung (1), einer Funktionsstörung der Wirbelsäule (2) sowie einem Teilverlust der rechten Brust und einem Lymphödem (3).
1. Gemäß
Teil B Nr. 3.7 Anlage VersMedV sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem
GdB bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (
z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem
GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (
z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem
GdB von 50 bis 70 und solche mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis 100 zu bewerten.
Nach den überzeugenden Ausführungen des
Dr. B, denen sich der Senat anschließt, sind die psychischen Leiden der Klägerin als leichtere psychovegetative oder psychische Störungen zu klassifizieren und mit einem
GdB von 20 zu bewerten. Der Sachverständige befundete ein subdepressiv, dysthym-zukunftsbesorgtes Störungsbild leichter Ausprägung. Er bezeichnete dieses als "Angst und depressive Störung gemischt". Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit konnte nicht festgestellt werden. Die Klägerin ist berufstätig. Sie hat seit drei Jahren einen Lebensgefährten und auch Kontakt zu Nachbarn, einer Freundin und zu ihrem in Hamburg lebenden Sohn. Der Tagesablauf ist geregelt. Die Klägerin hat einen Hund, den sie versorgt. Hinsichtlich der geschilderten Beschwerden einer ständigen Unruhe, einer Panik, dass sie keine Luft bekomme, des Aufwachens mit Herzklopfen hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass nicht in Zweifel gezogen werden solle, dass die Klägerin dies nicht erfahren habe, jedoch handelt es sich hier nicht um dauerhafte Symptome. Ein tiefgreifendes depressives Syndrom mit einer bedeutsamen Antriebsstörung, Hemmung des Denkens oder psychomotorischer Entäußerungen konnte der Sachverständige nicht feststellen. Die von der Klägerin geltend gemachte Verschlimmerung kann keine Auswirkungen auf die Beurteilung haben, weil allein die tatsächliche Lage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides maßgeblich ist.
2. Die Wirbelsäulenleiden können entsprechend der Einschätzung durch den Beklagten maximal mit einem
GdB von 20 bewertet werden. Nach
Teil B Nr. 18.9 Anlage VersMedV sind Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-
GdB von 10 zu bewerten, Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-
GdB von 20, Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-
GdB von 30 und erst Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem Einzel-
GdB von 30 bis 40 zu beurteilen.
Für den hier maßgeblichen Zeitpunkt im Jahre 2010 beschreibt die behandelnde Orthopädin
Dr. D in ihrem Befundbericht geringfügige funktionelle Einschränkungen der Hals- und der Lendenwirbelsäule. Auch
Dr. B konnte im Rahmen seiner Untersuchung nur endgradige, geringfügige Bewegungseinschränkungen feststellen. Diese sind, insbesondere bei intakter Sensibilität und Motorik und regelrechtem Reflexverhalten mit einem
GdB von maximal 20 zu bewerten.
3. Die Folgeleiden der Brustkrebserkrankung bedingen Teil-
GdB von 10.
Nach Teil B Nr. 14.1 Anlage VersMedV hat der einseitige Verlust einer weiblichen Brust einen Einzel-
GdB von 30 zur Folge und eine Segment- oder Quadrantensektion einer weiblichen Brust einen Einzel-
GdB von 0-20. Darüber hinaus sind gemäß
Teil B Nr. 9.2.3. Anlage VersMedV Lymphödeme an einer Gliedmaße ohne wesentliche Funktionsbehinderung und Erfordernis einer Kompressionsbandage mit einem Einzel-
GdB von 0-10 und erst Lymphödeme mit stärkerer Umfangsvermehrung (mehr als 3
cm) je nach Funktionseinschränkung mit einem Einzel-
GdB von 20-40 zu bewerten. Bei einer erheblichen Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der betroffenen Gliedmaße ist je nach Ausmaß ein Einzel-
GdB von 50 bis 70 angemessen. Bei Gebrauchsunfähigkeit einer ganzen Gliedmaße sieht die
VersMedV einen Einzel-
GdB von 80 vor. Zusätzlich zu berücksichtigen sind
ggf. Entstellungen bei sehr ausgeprägten Formen.
Die Entfernung des Karzinoms im Jahre 2004 erfolgte unter Erhaltung der anatomisch regelrechten Form der Brustdrüse. Die Brustdrüse ist zwar verkleinert, jedoch ohne optische Entstellung. Der Senat schließt sich der nachvollziehbaren Bewertung durch
Dr. B an, der für den Teilverlust der rechten Brust entsprechend der
VersMedV einen Teil-
GdB von 10 vorgeschlagen hat.
Ein Lymphöden konnten weder
Dr. B, noch
Dr. B feststellen. Aus dem Befundbericht des behandelnden Gynäkologen geht jedoch hervor, dass ein solches postoperativ bis zum Jahre 2010 bestand und ambulant therapiert wurde. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte, dass dieses zu einer stärkeren Umfangvermehrung geführt hat, so dass es selbst bei Bestehen noch im Juni 2010 mit einem Einzel-
GdB von 10 zu bewerten ist.
Eine Funktionsbehinderung wegen einer Erkrankung des Schultergelenks - wie von der Klägerin vorgetragen - konnte durch den Sachverständigen
Dr. B nicht festgestellt werden. Die Angabe von Schmerzen reicht hier nicht aus. Maßgeblich sind nach Teil B
Nr. 18.13 Anlage
VersMedV Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes (einschließlich des Schultergürtels). Solche konnte
Dr. B bei seiner Untersuchung ausschließen.
Aus diesen vorliegenden Einzel-
GdB ist ein Gesamt-
GdB von 30 zu bilden.
Gemäß § 69
Abs. 3 Satz 1
SGB IX ist in dem Fall, dass mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen, wobei sich nach der
VersMedV, Teil A, Abschnitt 3, Seite 10 die Anwendung jeglicher Rechenmethoden, das heißt insbesondere die schlichte Addition der Einzel-
GdB verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden und damit ineinander aufgehen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen
ggf. gegenseitig verstärken. Dabei ist gemäß der vorgenannten Regelung, Buchstabe d) Absatz ee) zu berücksichtigen, dass leichte Gesundheitsstörungen, die lediglich einen Einzel-
GdB von 10 bedingen, in der Regel nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigungen führen. Darüber hinaus ist es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem
GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderungen zu schließen.
Ausgehend von dem psychischem Leiden mit einem Einzel-
GdB von 20 bewirkt das Wirbelsäulenleiden eine Erhöhung auf einen
GdB von 30, da eine gegenseitige Verstärkung der Leiden besteht. Eine Erhöhung durch die weiteren jeweils mit einem Einzel-
GdB 10 bewerteten Funktionsbehinderungen nach
Teil A Nr. 3 d) ee) der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A
Nr. 19
Abs. 1, 3, 4) ist in aller Regel und so auch im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160
Abs. 2
SGG nicht gegeben sind.