Urteil
Neufeststellung des Grades der Behinderung wegen der Folgen einer Krebserkrankung nach Ablauf der Heilungsbewährung

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat


Aktenzeichen:

L 13 SB 136/12


Urteil vom:

12.12.2013


Grundlage:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 25. April 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Herabsetzungsbescheid des Beklagten.

Für die im Jahre 1963 geborene und als Vertriebsinspektorin bei der "L R" tätige Klägerin, bei der am 3. Juni 2004 eine brusterhaltende Entfernung eines Mamma-Karzinoms stattgefunden hatte, stellte der Beklagte auf den Antrag vom 15. Juni 2004 mit Bescheid vom 24. September 2004 einen GdB von 50 wegen einer Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung) fest. Eine Nachprüfung werde im Juni 2009 stattfinden.

Im Juni 2009 holte der Beklagte Befundberichte des Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe Fund der Dipl. Psych. H ein und erforderte eine gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Sozialmedizin Dr. S. Dieser schlug einen Gesamt-GdB von 20 vor unter Berücksichtigung eines Einzel-GdB von 20 für eine psychische Störung und von Einzel-GdB von jeweils 10 für den Teilverlust der rechten Brust und ein Lymphödem.

Mit Schreiben vom 23. November 2009 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass nunmehr nur noch ein GdB von 20 vorliege. Die Auswertung der medizinischen Unterlagen habe ergeben, dass seit der Erkrankung der Brust Rückfälle nicht aufgetreten seien und sich der Gesundheitszustand insoweit stabilisiert habe. Die derzeit vorliegenden Gesundheitsstörungen bedingen einen GdB von 20. Es werde die Möglichkeit der Stellungnahme gegeben. Hiergegen trug die Klägerin mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 vor, dass das Lymphödem im rechten Oberarm und in der Achsel oft stark anschwelle und schmerzhaft und unangenehm sei. Sie leide nachweislich unter psychischen Störungen und Entzündungen des Nervensystems. Nach Einholung weiterer Befundberichte der Fachärztin für Orthopädie Dr. D und der Hausärztin M-S sowie einer gutachterlichen Stellungnahme des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 5. Februar 2010 erteilte der Beklagte am 11. März 2010 einen Bescheid, mit dem er den Gesamt-GdB auf 20 festsetzte. Der Feststellung des Gesamt-GdB legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde (in Klammern jeweils die zugeordneten Einzel-GdB auf Grundlage der gutachterlichen Stellungnahme des Dr. S):

Psychische Störung (20)
Teilverlust der rechten Brust (10)
Lymphödem (10)

Die Klägerin legte am 5. April 2010 Widerspruch ein. Die Lebensqualität habe sich aufgrund von Folgeschäden der Chemotherapie stetig verschlechtert.

Nach nochmaliger Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des Medizinalrates Dr. F stellte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2010 einen Gesamt-GdB von 30 fest und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Es lägen folgende Beeinträchtigungen vor (in Klammern jeweils die zugeordneten Einzel-GdB auf Grundlage der gutachterlichen Stellungnahme des Versorgungsarztes Dr. F):

Psychische Störung (20)
Teilverlust der rechten Brust (10)
Funktionsstörung der Wirbelsäule (20)
Lymphödem (10)
Funktionsstörung des rechten Schultergelenks (10)

Am 12. Juli 2010 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Cottbus erhoben. Der zuerkannte GdB berücksichtige nur den Teilverlust der rechten Brust und keine anderen Leiden.

Das Sozialgericht Cottbus hat Befundberichte des Facharztes für Orthopädie Dr. D, der Fachärztin für Innere Medizin M-S und des Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe F eingeholt und den Chirurgen und Sozialmediziner Dr. B mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dr. B führte in dem am 4. November 2011 erstellten Gutachten aus, dass der Gesamt-GdB am 11. März 2010 bzw. am 16. Juni 2010 mit 30 einzuschätzen sei. Dem legte er folgende Beeinträchtigungen und Einzelbehinderungsgrade zugrunde:

Psychische Störung (20)
Teilverlust der rechten Brust (10)
Funktionsstörung der Wirbelsäule (20)

Funktionsstörungen des rechten Schultergelenks seien bei der Untersuchung auszuschließen gewesen. Ein Lymphödem habe nicht bestanden.

Das Sozialgericht Cottbus hat mit Urteil vom 25. April 2012 die Klage abgewiesen.

Gegen das ihr am 7. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. Juli 2012 Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens bei dem Arzt für Psychotherapie und Psychiatrie Dr. B, der in seinem Gutachten vom 27. Februar 2013 vorgeschlagen hat, dass der Gesamt-GdB mit 30 zu bewerten sei. Es bestünde eine Angst und depressive Störung gemischt sowie eine Funktionsstörung der Wirbelsäule, welche jeweils mit einem Teil-GdB von 20, und ein Teilverlust der rechten Brust, welcher mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten sei.

Die Klägerin hat im August 2013 vorgetragen, dass sie nunmehr eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme für die Dauer von 5 Wochen bewilligt bekommen habe. Diese diene in erster Linie der Abklärung der psychischen Erkrankung. Sie leide massiv unter Angst- und Paniksymptomen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 25. April 2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Rechtsweg:

SG Cottbus Urteil vom 25.04.2012 - S 26 SB 167/10

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin verhandeln und entscheiden (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG-).

Die Berufung der Klägerin ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nach § 141 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist aber nicht begründet.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2010 hat der Beklagte den ursprünglichen Feststellungsbescheid vom 24. September 2004 nach § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft dahingehend geändert, dass anstelle eines GdB von 50 nur noch ein GdB von 30 festgestellt wird.

Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere hat der Beklagte die Klägerin nach § 24 des Zehntes Buch des Sozialgesetzbuchs - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) mit Schreiben vom 23. November 2009 zu einer beabsichtigten Herabsetzung des Grades der Behinderung angehört.

Der Bescheid ist auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Zur Überzeugung des Senats hat der Beklagte unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides maßgebenden Rechts- und Tatsachenlage zu Recht bei der Klägerin einen Grad der Behinderung von 30 festgestellt.

Der Bescheid stützt sich auf § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Voraussetzung ist dabei in Abgrenzung zu § 45 Absatz 1 SGB X, dass der ursprüngliche Bescheid zunächst rechtmäßig gewesen ist. Darüber hinaus muss eine wesentliche Änderung eingetreten sein, was nur der Fall ist, wenn die Änderung der gesundheitlichen Situation der Klägerin sich auf den Grad der Behinderung auswirkt.

Die Bewertung des Grades der Behinderung ist im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) geregelt. Gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) stellen die zuständigen Behörden - hier das Landesamt für Soziales und Versorgung - das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Gemäß § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als 6 Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipiertes Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend der streitgegenständlichen Zeit im Jahre 2004 in der Fassung von 2004. Seit dem 01. Januar 2009 sind die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), zuletzt geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 17. Dezember 2010 (BGBl I S. 2904), festgelegten "versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP - ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre - abgelöst haben.

Im Bescheid vom 24. September 2004 berücksichtigte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigung: Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung). Andere Funktionsstörungen waren von der Klägerin auch nicht angegeben worden.

Der Senat hat keine Zweifel an der richtigen Feststellung des Grades der Behinderung im September 2004. Der Beklagte hat zu Recht für den Zustand der Klägerin nach Operation des Mammakarzinoms einen Einzel-GdB von 50 für die Dauer der fünfjährigen Heilungsbewährung in Ansatz gebracht. Nach Nr. 26.14 AHP 2004 ist nach Entfernung eines malignen Brustdrüsentumors in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten, während der der GdB 50 beträgt, wenn die Entfernung im Stadium T1-2 pN0 M0 stattgefunden hat. Der Klägerin war im Juni 2004 ein invasiv-duktales Mammakarzinom im Stadium pT1c pN0 entfernt worden.

In der Zeit zwischen Erlass dieses Bescheids und dem Widerspruchsbescheid am 16. Juni 2010 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen durch den Ablauf der Heilungsbewährung im Juni 2009 eingetreten, die nicht mehr den zuletzt mit Bescheid vom 24. September 2004 festgestellten GdB von 50, sondern ab dem März 2010 nur noch einen GdB von 30 rechtfertigt.

Der Ablauf der Heilungsbewährung im Juni 2009 stellt eine tatsächliche Veränderung im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X dar (siehe AHP 2004, Teil A Nr. 24 Abs. 3). Die Zeitdauer der Heilungsbewährung bei malignen Erkrankungen basiert auf Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über die Gefahr des Auftretens einer Rezidiverkrankung in den ersten fünf Jahren nach der Erstbehandlung sowie der regelmäßig vorhandenen subjektiven Befürchtung vor einem Rezidiv. Die Heilungsbewährung erfasst darüber hinaus auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, der Beseitigung und der Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der sozialmedizinischen Erfahrung, bei Krebserkrankungen zunächst nicht nur den Organverlust zu bewerten. Vielmehr ist hier für einen gewissen Zeitraum unterschiedslos der Schwerbehindertenstatus zu gewähren. Die pauschale, umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung kann jedoch nicht auf Dauer Bestand haben. Da nach der medizinischen Erfahrung nach rückfallfreiem Ablauf von fünf Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit die Krebserkrankung überwunden ist und außerdem neben der unmittelbaren Lebensbedrohung auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind, ist der GdB dann nur noch anhand der noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zu bewerten (BSG, Urteil vom 9. August 1995, 9 RVs 14/94, Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19. Februar 2013 - L 7 SB 19/11, zit. nach juris).

Die nach Ablauf der Heilungsbewährung und zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 16. Juni 2010 vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigen nur einen GdB von 30.

Die Klägerin litt zu diesem Zeitpunkt unter einer psychischen Störung (1), einer Funktionsstörung der Wirbelsäule (2) sowie einem Teilverlust der rechten Brust und einem Lymphödem (3).

1. Gemäß Teil B Nr. 3.7 Anlage VersMedV sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 bis 70 und solche mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis 100 zu bewerten.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. B, denen sich der Senat anschließt, sind die psychischen Leiden der Klägerin als leichtere psychovegetative oder psychische Störungen zu klassifizieren und mit einem GdB von 20 zu bewerten. Der Sachverständige befundete ein subdepressiv, dysthym-zukunftsbesorgtes Störungsbild leichter Ausprägung. Er bezeichnete dieses als "Angst und depressive Störung gemischt". Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit konnte nicht festgestellt werden. Die Klägerin ist berufstätig. Sie hat seit drei Jahren einen Lebensgefährten und auch Kontakt zu Nachbarn, einer Freundin und zu ihrem in Hamburg lebenden Sohn. Der Tagesablauf ist geregelt. Die Klägerin hat einen Hund, den sie versorgt. Hinsichtlich der geschilderten Beschwerden einer ständigen Unruhe, einer Panik, dass sie keine Luft bekomme, des Aufwachens mit Herzklopfen hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass nicht in Zweifel gezogen werden solle, dass die Klägerin dies nicht erfahren habe, jedoch handelt es sich hier nicht um dauerhafte Symptome. Ein tiefgreifendes depressives Syndrom mit einer bedeutsamen Antriebsstörung, Hemmung des Denkens oder psychomotorischer Entäußerungen konnte der Sachverständige nicht feststellen. Die von der Klägerin geltend gemachte Verschlimmerung kann keine Auswirkungen auf die Beurteilung haben, weil allein die tatsächliche Lage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides maßgeblich ist.

2. Die Wirbelsäulenleiden können entsprechend der Einschätzung durch den Beklagten maximal mit einem GdB von 20 bewertet werden. Nach Teil B Nr. 18.9 Anlage VersMedV sind Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-GdB von 20, Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-GdB von 30 und erst Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem Einzel-GdB von 30 bis 40 zu beurteilen.

Für den hier maßgeblichen Zeitpunkt im Jahre 2010 beschreibt die behandelnde Orthopädin Dr. D in ihrem Befundbericht geringfügige funktionelle Einschränkungen der Hals- und der Lendenwirbelsäule. Auch Dr. B konnte im Rahmen seiner Untersuchung nur endgradige, geringfügige Bewegungseinschränkungen feststellen. Diese sind, insbesondere bei intakter Sensibilität und Motorik und regelrechtem Reflexverhalten mit einem GdB von maximal 20 zu bewerten.

3. Die Folgeleiden der Brustkrebserkrankung bedingen Teil-GdB von 10. Nach Teil B Nr. 14.1 Anlage VersMedV hat der einseitige Verlust einer weiblichen Brust einen Einzel-GdB von 30 zur Folge und eine Segment- oder Quadrantensektion einer weiblichen Brust einen Einzel-GdB von 0-20. Darüber hinaus sind gemäß Teil B Nr. 9.2.3. Anlage VersMedV Lymphödeme an einer Gliedmaße ohne wesentliche Funktionsbehinderung und Erfordernis einer Kompressionsbandage mit einem Einzel-GdB von 0-10 und erst Lymphödeme mit stärkerer Umfangsvermehrung (mehr als 3 cm) je nach Funktionseinschränkung mit einem Einzel-GdB von 20-40 zu bewerten. Bei einer erheblichen Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der betroffenen Gliedmaße ist je nach Ausmaß ein Einzel-GdB von 50 bis 70 angemessen. Bei Gebrauchsunfähigkeit einer ganzen Gliedmaße sieht die VersMedV einen Einzel-GdB von 80 vor. Zusätzlich zu berücksichtigen sind ggf. Entstellungen bei sehr ausgeprägten Formen.

Die Entfernung des Karzinoms im Jahre 2004 erfolgte unter Erhaltung der anatomisch regelrechten Form der Brustdrüse. Die Brustdrüse ist zwar verkleinert, jedoch ohne optische Entstellung. Der Senat schließt sich der nachvollziehbaren Bewertung durch Dr. B an, der für den Teilverlust der rechten Brust entsprechend der VersMedV einen Teil-GdB von 10 vorgeschlagen hat.

Ein Lymphöden konnten weder Dr. B, noch Dr. B feststellen. Aus dem Befundbericht des behandelnden Gynäkologen geht jedoch hervor, dass ein solches postoperativ bis zum Jahre 2010 bestand und ambulant therapiert wurde. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte, dass dieses zu einer stärkeren Umfangvermehrung geführt hat, so dass es selbst bei Bestehen noch im Juni 2010 mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist.

Eine Funktionsbehinderung wegen einer Erkrankung des Schultergelenks - wie von der Klägerin vorgetragen - konnte durch den Sachverständigen Dr. B nicht festgestellt werden. Die Angabe von Schmerzen reicht hier nicht aus. Maßgeblich sind nach Teil B Nr. 18.13 Anlage VersMedV Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes (einschließlich des Schultergürtels). Solche konnte Dr. B bei seiner Untersuchung ausschließen.

Aus diesen vorliegenden Einzel-GdB ist ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden.

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist in dem Fall, dass mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen, wobei sich nach der VersMedV, Teil A, Abschnitt 3, Seite 10 die Anwendung jeglicher Rechenmethoden, das heißt insbesondere die schlichte Addition der Einzel-GdB verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden und damit ineinander aufgehen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen ggf. gegenseitig verstärken. Dabei ist gemäß der vorgenannten Regelung, Buchstabe d) Absatz ee) zu berücksichtigen, dass leichte Gesundheitsstörungen, die lediglich einen Einzel-GdB von 10 bedingen, in der Regel nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigungen führen. Darüber hinaus ist es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderungen zu schließen.

Ausgehend von dem psychischem Leiden mit einem Einzel-GdB von 20 bewirkt das Wirbelsäulenleiden eine Erhöhung auf einen GdB von 30, da eine gegenseitige Verstärkung der Leiden besteht. Eine Erhöhung durch die weiteren jeweils mit einem Einzel-GdB 10 bewerteten Funktionsbehinderungen nach Teil A Nr. 3 d) ee) der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3, 4) ist in aller Regel und so auch im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.

Referenznummer:

R/R6655


Informationsstand: 11.12.2015