Die nach den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und nach § 151
SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
Der Beklagte hat zutreffend aufgrund einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse den
GdB von 80 auf 40 abgesenkt, weil von der überstandenen Krebserkrankung des Darms keine Nachwirkungen mehr ausgehen, die zu einer höheren Bemessung des
GdB führen, so dass das zum Teil stattgebende Urteil des Sozialgerichts Rostock aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen ist.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides vom 20. Juni 2006 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 16. November 2006 sowie des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2007 ist § 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
Bei Feststellungsbescheiden nach
§ 69 Abs. 1 SGB IX handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung (oder Verschlechterung) der Behinderung eine Herabsetzung (oder Erhöhung) des
GdB um wenigstens 10 ergibt. Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen - wie dies bei Krebserkrankungen der Fall ist - der
GdB wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt worden ist, als es die tatsächlichen Funktionseinschränkungen erfordern, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 48
SGB X auch dann vor, wenn bei der der Festsetzung des
GdB zugrunde liegenden Erkrankung die Zeit der sogenannten Heilungsbewährung abgelaufen,
d. h. ein rückfallfreier Ablauf von fünf Jahren eingetreten ist (
vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995, Az.:
9 RVs 14/94; BayLSG, Urteil vom 27.10.2011, Az.:
L 15 SB 83/10).
Nicht mehr maßgeblich ist damit der
GdB, wie er ursprünglich mit Bescheid vom 30. Januar 2001 für die Enddarmerkrankung in Heilungsbewährung angesetzt worden ist. Denn damals waren die Folgen einer akut aufgetretenen Krebserkrankung zu bewerten, jetzt hingegen ist der Zustand nach Ablauf der Heilungsbewährung die Grundlage für die Bemessung des
GdB. Bei Gesundheitsstörungen, die zu Rezidiven neigen, ergibt sich aufgrund der Notwendigkeit des Abwartens einer Heilungsbewährung gegenüber den Beeinträchtigungen, die von dem Organverlust selbst ausgehen, eine andere Konstellation, weshalb während der Zeit des Abwartens einer Heilungsbewährung ein höherer
GdB gerechtfertigt ist, als er sich aus dem festgestellten Organ- oder Gliedmaßenschaden allein unter funktionellen Gesichtspunkten ergeben würde (
vgl. Nr. 26.1
Abs. 3
AHP bzw. Teil B Nr. 1 Buchst. c VersMedV). Der Begriff der Heilungsbewährung beschreibt nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Die Heilungsbewährung erfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies lässt es zu, bei Krebserkrankungen nicht nur den Organverlust zu bewerten, sondern unter Berücksichtigung der Krebserkrankung als solcher einen
GdB von mindestens 50 anzunehmen und Krebskranken damit unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen. Diese umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung hat andererseits zur Folge, dass der
GdB auf einen den tatsächlichen funktionellen Beeinträchtigungen entsprechenden
GdB herabzusetzen ist, wenn die Krebskrankheit nach rückfallfreiem Ablauf der Heilungsbewährungszeit von regelmäßig fünf Jahren aufgrund medizinischer Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit überwunden ist und außer der unmittelbaren Lebensbedrohung damit auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind (
BSG, Urteil vom 09.08.1995, Az.:
9 RVs 14/94).
Der Gesundheitszustand des Klägers hat sich im Vergleich zu den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 30. Januar 2001 zugrunde gelegen haben, durch den rezidivfreien Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung von fünf Jahren wesentlich geändert. Dies begründet vorliegend die Herabsetzung des
GdB auf 40.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des
GdB ist vorliegend § 69
Abs. 1
SGB IX in Verbindung mit den zur Zeit der Verwaltungsentscheidung maßgeblichen Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (
AHP).
Bei dem Kläger liegen wie vom Beklagten festgestellt eine Afterschließmuskelschwäche, ein Enddarmverlust und Stuhlgangsprobleme vor. Dabei handelt es sich um eine einheitliche gesundheitliche Funktionsbeeinträchtigung, so dass kein Gesamt-
GdB aus Einzel-
GdB zu bilden ist, vielmehr ist die Darmerkrankung einheitlich in ihrer gesamten Auswirkung zu berücksichtigen.
Eine Afterschließmuskelschwäche verbunden mit seltenem unwillkürlichen Stuhlabgang wird mit einem
GdB von 10 bewertet, sonstige Afterschließmuskelschwächen mit einem
GdB von 20 - 40 (
Nr. 26.10
AHP bzw. jetzt
Teil B Nr. 10.2.4 VersMedV). Die Feststellung eines
GdB von 40 liegt damit am obersten Rand des für eine Afterschließmuskelschwäche zur Verfügung stehenden Rahmens und begründet sich durch die vom Kläger geltend gemachten erheblichen Stuhlgangsprobleme. Erst ein vollständiger Funktionsverlust des Afterschließmuskels würde einen
GdB von wenigstens 50 begründen. Ein solcher vollständiger Funktionsverlust liegt beim Kläger jedoch nicht vor.
Auch chronische Darmstörungen (irritabler Darm, Divertikulose, Divertikulitis, Darmteilresektion) mit stärkeren und häufig rezidivierenden oder anhaltenden Symptomen (
z.B. Durchfälle, Spasmen) werden gemäß
Nr. 26.10
AHP (
bzw. jetzt Teil B
Nr. 10.2.2
VersMedV) mit einem
GdB von 20 - 30 bewertet, so dass sich auch nach dieser Einordnung kein höherer
GdB ergibt. Erst bei erheblicher Minderung des Kräfte- und Ernährungszustandes liegt nach den
AHP der
GdB-Rahmen bei 40 - 50. Eine höhere Einstufung als 40 schließt sich damit aus. Bereits im Mai 2003 befand sich der Kläger entsprechend dem Bericht der Universitätsklinik wieder in einem guten Allgemeinzustand mit regelmäßigem Stuhlgang zweimal pro Tag und normaler bis breiiger Stuhlkonsistenz. Bei einem
BMI von 19,7 liegt auch keine erhebliche Minderung des Ernährungszustandes vor. Laut
WHO-Klassifikation liegt der Bereich des Normalgewichts bei jungen Erwachsenen bei einem
BMI von 18,5 bis unter 25. Auch wenn in hohem Lebensalter zunehmende
BMI-Grenzwerte gelten und im Alter bereits
BMI-Werte unter 20
kg/
m² als Untergewicht zu werten sind (siehe Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 2014, 265. Aufl.,
S. 308), liegt das Gewicht des Klägers allenfalls im leicht untergewichtigen Bereich und ist keinesfalls als erhebliche Minderung des Ernährungszustandes einzuordnen. Eine erhebliche Minderung des Kräftezustandes ist ebenfalls nicht ersichtlich, dagegen spricht bereits die berufliche Einbindung des Klägers als Außendienstmitarbeiter in Teilzeit. Jedenfalls rechtfertigt sich keine Feststellung eines
GdB von über 40, d.h. an der oberen Grenze der chronischen Darmstörungen.
Eine außergewöhnliche seelische Begleiterscheinung, die einen höheren
GdB rechtfertigen würde, ist entgegen der Annahme des Sozialgerichts nicht festzustellen. Weder die von
Dr. B. mitgeteilten Ängste vor einem Rezidiv noch die von
Dr. Br. mitgeteilte mangelnde Krankheitsverarbeitung mit Fixierung auf das Stuhlgangsproblem haben eine spezielle ärztliche Behandlung -
z.B. Psychotherapie - erforderlich gemacht, so dass eine zusätzliche gesonderte Berücksichtung gemäß
Nr. 18.8
AHP (
bzw. jetzt
Teil A Nr. 2 i VersMedV) nicht angezeigt ist. Die beim Kläger vorliegenden seelischen Begleiterscheinungen sind vielmehr im Rahmen des
GdB von 40 bei der Bewertung der Afterschließmuskelschwäche, dem Enddarmverlust und den Stuhlgangsproblemen bereits berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Gründe für eine Revisionszulassung gemäß § 160
Abs. 2
SGG sind nicht ersichtlich.