Die fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 105
Abs. 2, 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)), über die der Senat in Abwesenheit der Klägerin entscheiden konnte, weil diese von dem Termin rechtzeitig, d.h. mehr als zwei Wochen zuvor,
vgl. § 110
Abs. 1 Satz 1
SGG, in Kenntnis gesetzt wurde, ist nicht begründet. Dabei ist der Antrag der Klägerin bei sachdienlicher Auslegung nicht wie vom Sozialgericht angenommen als kombinierter Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag zu formulieren, sondern als reiner Anfechtungsantrag. Denn dies hat zum einem die Klägerin in ihrem Schreiben vom 15. November 2009 ausdrücklich begehrt. Zum anderen hat sie allein für diesen Antrag ein Rechtsschutzinteresse, weil bereits die Aufhebung des Neufeststellungsbescheides vom 4. Februar 2009 den vorhergehenden Zustand wieder herstellte und damit das Rechtsschutzersuchen vollständig erledigte. Denn dort wird unter Beibehaltung aller übrigen Feststellungen nunmehr lediglich der Teil-
GdB für die Funktionsstörung des Verdauungssystems statt mit 80 nur noch mit 30 angenommen, weil eine rezidivfreie Zeit von fünf Jahren verstrichen ist. Hieraus ergibt sich die Herabsetzung des
GdB. Dieser Bescheid kann nur mit der Anfechtungsklage angegriffen werden. Ein Verpflichtungsantrag wäre unzulässig.
Zu Recht hat die Beklagte mit Wirkung ab 9. Februar 2009 den
GdB unter Abänderung der Bescheide vom 22. Mai 2003 und vom 5. Juli 2005 wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach § 48
Abs. 1
SGB X auf 60 herabgesetzt.
Nach
§ 69 Abs. 1 SGB IX stellen die zuständigen Behörden "auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung" fest. Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, weil die so getroffene Entscheidung über den Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe hinaus Wirkungen zeigt und deshalb durch Änderung der Verhältnisse rechtswidrig werden kann. Nach § 48
Abs. 1
S. 1
SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Hiervon ausgehend lässt der Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 2009 Rechtsfehler zulasten der Klägerin nicht erkennen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht ist bei der
GdB/
GdS-Bewertung von Gesundheitsbeeinträchtigungen, deren tatsächliche Funktionsstörungen nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erst nach Ablauf einer längeren Zeit festgestellt werden können,
z.B. nach Operationen oder bei chronischen langwierigen Erkrankungen, die zu Rezidiven neigen oder bei denen die volle Belastbarkeit schrittweise erreicht wird, nicht ausschließlich auf das Ausmaß der feststellbaren Funktionsbeeinträchtigungen abzustellen. Vielmehr wird eine Höherbewertung des Gesundheitszustandes unter dem Gesichtspunkt der Ungewissheit des Krankheitsverlaufes und des Gebotes der Schonung als zulässig erachtet. Insbesondere bei Krebserkrankungen ist zum Zeitpunkt der Entfernung eines Tumors nicht absehbar, ob ein Rezidiv auftritt oder nicht, ob also die Erkrankung ausgeheilt ist. Dementsprechend sieht auch die nach § 69
Abs. 1 Satz 5
SGB IX im Schwerbehindertenrecht entsprechend geltende, nach § 30
Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz erlassene
Rechtsverordnung "Anlage Versorgungsmedizinische Grundsätze" (
VG) zur Verordnung zur Durchführung des § 1
Abs. 1 und 3, des 30
Abs. 1 und des § 35
Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizinverordnung (
VersMedV)) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, 2412) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 17. Oktober 2012 (BGBl. I 2122) für verschiedene Erkrankungen, insbesondere Krebserkrankungen, eine Heilungsbewährung vor. Die
VG gilt - ebenso wie das zuvor bereits bei den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung
bzw. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, hier: Ausgaben 2004, 2005
bzw. 2008 -
AHP 2004/2005/2008) der Fall war - im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG,
vgl. Urt. vom 24. April 2008 -
B 9/9a SB 10/06 R - für die
AHP sowie Urt. vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B - für die
VersMedV) in der jeweils aktuellen Fassung (
vgl. BSG, Urt. vom 7. April 2011 - B 9 VJ 1/10 R) als so genanntes antizipiertes Sachverständigengutachten.
Nach
Teil B 1 c VG beträgt die Zeit der Heilungsbewährung in der Regel fünf Jahre nach Geschwulstbeseitigung. Dies gilt nach
Teil B 2 10.2.2 VG auch nach Entfernung eines malignen Darmtumors, wie dies bei der Klägerin mit Blick auf die im Dezember 2002 durchgeführte Operation der Fall war. Damit war im Februar 2009 die sachkundig bestimmte Zeit der Heilungsbewährung lange abgelaufen. Denn alle Nachuntersuchungen haben ein Tumorrezidiv nicht ergeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des
BSG (
vgl. etwa Urt. Vom 13. August 2003 -
B 9 SB 6/02 R) ist mit Ablauf der Heilungsbewährung von einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48
SGB X auszugehen und es ist der
GdB nur noch nach den tatsächlich verblieben Funktionsbeeinträchtigungen zu bewerten. Danach muss der
GdB herabgesetzt werden, wenn diese Beeinträchtigen den früheren
GdB nicht mehr rechtfertigen. So liegt es hier.
Auch die Klägerin macht nicht geltend, dass ein Rezidiv aufgetreten sei. In Abwesenheit eines Rezidivs aber sind chronische Darmstörungen - wie sie von der Klägerin unter Hinweis auf häufige Toilettengänge behauptet werden - nach Teil B 2 10.2.2
VG bei stärkeren und häufig rezidivierenden oder anhaltenden Symptomen mit einem
GdB von 20-30 zu bewerten. Dies hat der versorgungsmedizinische Dienst der Beklagten beanstandungsfrei unter Hinweis darauf getan, dass die spezielle Art der bei der Klägerin durchgeführten Operation mit Pouchbildung und Erhalt des Schließmuskels günstiger zu beurteilen ist, als ein künstlicher After mit guter Versorgungsmöglichkeit. Dies entspricht der Einschätzung des Sachverständigenbeirats in seiner Äußerung vom 24./25. April 2002. Soweit die Klägerin dies unter Hinweis auf häufige Toilettengänge in Abrede nimmt, folgt der Senat dem nicht. Denn zum einem ist diesem Umstand durch Ausschöpfung des Rahmens und Vergabe eines Teil-
GdB von 30 Rechnung getragen worden. Zum anderen weisen die vorgelegten Befundberichte für den Zustand des gesamten Darms ohnehin keinen pathologischen Befund aus. Keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Beklagten hat schließlich die verwandte Terminologie in Gestalt des Wortes Dickdarmkrebs. Denn es ist unstreitig, dass bei der Klägerin ein Rektumcarcinom in Rede steht. Das Rektum aber ist in der medizinischen Nomenklatur der Mastdarm, d.h. der auf den Grimmdarm folgende Endabschnitt des Dickdarms.
Wenn die Klägerin vor Dezember 1996 eingetretene Gesundheitsstörungen im Rahmen der mit Bescheid vom 4. Februar 2009 durchgeführten Neufeststellung nunmehr höher bewertet wissen will, kann sie hiermit nicht erfolgreich gehört werden. Insoweit hat das Gericht bereits in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2009 nach sachverständiger Beurteilung durch
Prof. Dr. H. ausgesprochen, dass diese mit einem
GdB von 50 jedenfalls nicht zu niedrig bewertet worden sind, vielmehr ein
GdB von 40 angemessen war. Eine Erhöhung des
GdB hat sich letztendlich erst im Zusammenhang mit der Feststellung eines Rektumcarcinoms im Jahr 2002 ergeben. Soweit nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2009 zum Bescheid vom 4. Februar 2009 gesundheitliche Störungen an der Wirbelsäule und an der rechten sowie der linken Hand hinzugetreten sind, können diese nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein. Denn maßgebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides 4. Februar 2009 ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, d.h. das Datum des Widerspruchsbescheides. Bei einem Entziehungsbescheid, der eine günstige Feststellung ändert, handelt es sich nämlich nicht um einen Dauerverwaltungsakt, für den nach allgemeiner Auffassung auf den Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist. Danach hat die Beklagte für nach Erlass des Widerspruchsbescheides hinzugetretene Erkrankungen ein gesondertes Neufeststellungsverfahren durchzuführen. Dies gilt in gleicher Weise für die in dem vorliegenden Verfahren (erneut) begehrten Merkzeichen "aG" und "RF".
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160
Abs. 2
Nr. 1 oder
Nr. 2
SGG nicht vorliegen.