Urteil
Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Versorgungsmedizinische Grundsätze - Gesamt-GdB - Funktionssystem Gehirn und Psyche - Funktionssystem Wirbelsäule - grundsätzlich keine Wechselwirkung bei jeweils leichtgradigen Behinderungen

Gericht:

LSG Sachsen-Anhalt 7. Senat


Aktenzeichen:

L 7 SB 19/16


Urteil vom:

30.08.2017


Grundlage:

Leitsatz:

Bei der Kombination einer leichtgradigen Behinderung im Funktionssystem Gehirn und Psyche (Einzel-GdB 20) aufgrund einer depressiven Störung mit einer somatoformen Schmerzstörung und einer ebenfalls leichtgradigen Behinderung im Funktionssystem Wirbelsäule (Einzel-GdB 20) drängt sich eine Erhöhung auf einen Gesamt-GdB von 30 mangels fehlender Wechselwirkungen beider Funktionssysteme grundsätzlich nicht auf.

Rechtsweg:

SG Magdeburg, Urteil vom 22.01.2016 - S 15 SB 37/13

Quelle:

Justiz Sachsen-Anhalt

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach Ablauf der Heilungsbewährung.

Der am xx.xx.1958 geborene Kläger beantragte am 18. Januar 2006 die Feststellung von Behinderungen nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) und die Ausstellung eines Ausweises. Er gab an, unter einem Hodentumor sowie einem Wirbelsäulenschaden zu leiden. Der Beklagte holte einen Arztbrief der Klinik für Urologie und Kinderurologie des A. Klinikum St. S. H. GmbH vom 19. Dezember 2005 ein. Darin berichtete der Chefarzt Dr. B. über einen stationären Aufenthalt vom 30. November bis 9. Dezember 2005 unter den Diagnosen Seminom des rechten Hodens mit Luganoklassifikation II b, IGCCCG-Klassifikation 900 d prognostisch und paracavale Lymphknotenmetastasen bis 3,5 cm. Therapeutisch sei eine inguinale Semikastratio rechts am 4. Dezember 2005 durchgeführt worden. Der Facharzt für Innere Medizin Medizinalrat (MR) Dr. L. berichtete am 20. April 2006 über Lendenwirbelsäulen (LWS)- Beschwerden mit degenerativen Veränderungen im Bereich L4/L5. In einem beigefügten Reha-Bericht der W.-Rehabilitationsklinik B. P. gab der Facharzt für Orthopädie Dr. H. an, der Kläger sei vom 19. Februar bis 19. März 2002 unter den Diagnosen pseudoradikuläres LWS-Syndrom links bei Fehlstatik sowie psychovegetatives Erschöpfungssyndrom bei beruflicher Belastungssituation (Mobbing) stationär behandelt worden.

Die Medizinaloberrätin Dr. W. wertete diese Befunde aus und hielt einen Gesamt-GdB von 50 für gegeben (Verlust des rechten Hodens bei Erkrankung in Heilungsbewährung (Einzel-GdB 50); Funktionseinschränkung der LWS (Einzel-GdB 10)). Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Mai 2006 einen GdB von 50 ab dem 18. Januar 2006 fest. Nach Ablauf der Heilungsbewährung, die im Dezember 2010 ende, werde der GdB überprüft und entsprechend der dann noch verbliebenen tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigung ggf. neu festgestellt.

Im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens ab Januar 2011 holte der Beklagte einen Befundschein von MR Dr. L. vom 28. Februar 2011 ein. Danach lägen beim Kläger rezidivierende Rückenschmerzen mit neuronalen Zeichen vor. In einem beigeführten Reha-Bericht der I.-Klinik T. berichtete der Internist Dr. R. über einen stationären Aufenthalt vom 9. bis 30. April 2008 unter den Diagnosen Seminom rechter Hoden und Chemotherapie, chemotherapieinduzierte Polyneuropathie beider Hände, rezidivierende Lumboischialgie links bei Zustand nach Bandscheibenprolaps. Der Facharzt für Urologie Dipl.-Med. R. gab am 21. Februar 2011 an: Der Kläger habe sich in einem guten Allgemein- und Ernährungszustand befunden. Die Polyneuropathie beider Hände bestehe unverändert. Der urologische Status sei unauffällig und ohne Hinweis auf ein Rezidiv geblieben. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. berichtete unter dem 13. Mai 2011: Der Kläger sei letztmalig am 14. April 2010 wegen Angst und depressiver Störung von ihr behandelt worden. Er habe über Probleme im Arbeitsumfeld berichtet. Nach einer Arbeitsunfähigkeit wegen Rückenproblemen habe es eine Verbesserung seines Befindens gegeben. Es hätten eine Grübelneigung, eine leichte Konzentrationsstörung sowie ein Verdacht auf akzentuierte Persönlichkeitsanteile vorgelegen. Eine Mitbehandlung durch einen Psychologen mit verhaltenstherapeutischer Ausrichtung sei zu empfehlen.

Der Vertragsarzt des Beklagten Dr. N. wertete diese Befunde aus und hielt einen Gesamt-GdB von 20 für angemessen (Psychovegetative Minderbelastbarkeit (Einzel-GdB 20); Funktionseinschränkung der LWS (Einzel-GdB 10)). Daraufhin hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 20. Oktober 2011 zum beabsichtigten Erlass eines Aufhebungsbescheides nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) an, da nach Ablauf der vorgesehenen Zeit der Heilungsbewährung der GdB nur noch nach der tatsächlich bestehenden Beeinträchtigung zu beurteilen sei. Hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigung "Verlust des rechten Hodens" sei die vorgesehene Zeit der Heilungsbewährung abgelaufen und hierfür kein GdB mehr festzustellen. Wegen der verbliebenen Funktionseinschränkungen sei der GdB von 50 auf 20 herabzusetzen.

Dem ist der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten entgegengetreten und führte aus: Er leide an einer deutlichen Einschränkung der psychischen und physischen Belastbarkeit. Zudem seien durch die Chemotherapie Taubheitsgefühle in den Fingern hervorgerufen worden. Wegen seiner familiären Genese bestünden auch erhebliche Rezidivängste. Infolge der Krebserkrankung habe er auch deutliche Schwierigkeiten im Sexualleben. Zudem seien in einem MRT-Befund vom 28. Juli 2010 Herde einer Leukenzephalopathie festgestellt worden. Im Bereich des linken Beines leide er an erheblichen neurologischen Ausfällen und schmerzhaften Wadenkrämpfen.

Der Beklagte holte einen weiteren Befundschein von MR Dr. L. ein, der über einen reduzierten Allgemeinzustand des Klägers berichtete. Es bestünden Schmerzen in der LWS mit Ausstrahlung in die Beine sowie Taubheitsgefühle in den Händen und eine Einschränkung der Feinmotorik. In einem beigefügten Befund berichtete der Facharzt für Radiologie W. über eine Magnetresonanztomographie (MRT) der LWS vom 24. November 2011. Hiernach bestünden eine Osteochondrose und Degeneration der Bandscheiben bei L3/L4, L4/L5 und L5/S1 sowie ein introforminaler Bandenscheibenvorfall in Höhe L3/L4 mit Einengung des Neuroformens sowie eine Bandscheibenprotusion in Höhe L4/L5 mit Nervenwurzelirritation. Dipl.-Med. R. gab unter dem 18. November 2011 an, dass kein Rezidivnachweis bestehe. Der Vertragsarzt des Beklagten Dr. N. wertete diese Befunde aus und hielt einen Gesamt-GdB von 30 für gerechtfertigt. Die psychovegetative Minderbelastbarkeit sei mit einem Einzel-GdB von 20, die Funktionseinschränkung der LWS mit degenerativen Veränderungen und Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 20 und die sensiblen Nervenstörungen der Hände mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Potenzstörungen seien ärztlich nicht dokumentiert. Eine Kraftminderung der Hände sei nicht gegeben, sondern lediglich Gefühlsstörungen mitgeteilt worden.

Dem folgend hob der Beklagte mit Bescheid vom 17. Februar 2012 den Bescheid vom 5. Mai 2006 mit Wirkung vom 1. März 2012 auf und stellte einen GdB von 30 fest. Zur Begründung gab er an: Nach § 48 SGB X sei eine Neufeststellung vorzunehmen, wenn in den gesundheitlichen Verhältnissen, die der letzten Feststellung zu Grunde gelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers hätten sich seit der letzten Entscheidung insoweit geändert, als der Verlust des rechten Hodens nach Ablauf der Heilungsbewährung nur mit einem GdB von 0 zu bewerten sei. Für die weiteren Erkrankungen sei ein Gesamt-GdB von 30 festzustellen.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28. Februar 2012 Widerspruch ein und machte geltend: Er leide an ständigen und erheblichen Angst- und Unruhezuständen, Depressionen und Panikattacken, Schlafstörungen, Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Überdies sei er bei Dipl.-Psych. B. in Behandlung, was der Beklagte bisher nicht beachtet habe. Zudem habe er neben den bereits vorgetragenen orthopädischen Leiden auch erhebliche Schwierigkeiten im Sexualleben. Der Gesamt-GdB betrage daher wenigstens 60.

Der Beklagte hat medizinische Unterlagen des Klägers beigezogen. Dipl.-Med. R. wiederholte die bereits bekannten Befunde. Dipl.-Psych. B. berichtete über zwei Sitzungen im Jahre 2012 und eine noch nicht abgeschlossene Diagnostik. Der Versorgungsarzt Dr. S. hielt in Auswertung der Befunde die bisherige Einschätzung des Beklagten für zutreffend. Der Beklagte hörte den Kläger in einem zweiten Schreiben vom 15. August 2012 erneut an. Der Kläger führte dazu ergänzend aus: Die Depressionserkrankung sei nicht hinreichend gewürdigt worden. Der Beklagte holte erneut von Dipl.-Psych. B. einen Befundschein vom November 2012 ein, die eine rezidivierende depressive Störung sowie somatoforme Störungen diagnostizierte. Es seien bisher vier probatorische Sitzungen durchgeführt worden, wobei sie dem Kläger einen Therapeutenwechsel empfohlen habe. Symptomatisch habe er globale und wenig differenzierte Angaben gemacht. Er benötige viel Anerkennung und Selbstbestätigung, die er seit einer beruflichen Umsetzung in eine andere Abteilung nicht mehr bekomme. Die sportlichen Aktivitäten in der Freizeit habe er aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterführen können. Eine tagesklinische Behandlung habe er abgelehnt. Es bestünden keine gravierenden Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.

Der Versorgungsarzt Dr. W. führte dazu aus: Der psychotherapeutische Befund rechtfertige keinen höheren Einzel-GdB als 20, da keine gravierenden Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bestünden. Die bisherigen Einschätzungen seien daher zutreffend.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der am 6. Februar 2013 beim Sozialgericht (SG) Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und ergänzend ausgeführt: Er leide an Wahrnehmungsstörungen, Halluzinationen und einer schizoaffektiven Störung. Überdies bereiteten ihm die Nebenwirkungen der eingenommenen Medikamente Probleme. Seit Beginn des Jahres 2014 habe sich der psychiatrische Befund zudem deutlich verschlechtert. Dies habe eine Behandlung bei Chefarzt Dr. K. im H. Klinikum D. C. E. GmbH erforderlich gemacht.

Das SG hat darauf hingewiesen, dass eine gesundheitliche Verschlechterung zu Beginn des Jahres 2014 rechtlich nicht relevant sei, da es auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung ankomme. Nach dem Befund der Dipl.-Psych. B. lägen keinen gravierenden Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor.

Das SG hat medizinische Ermittlungen durchgeführt und einen Befundbericht der N. Anstalten E. Fachkrankenhaus für Psychiatrie vom 16. Januar 2015 eingeholt. Darin berichtete die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Dipl.-Med. K. über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 15. September bis 5. Dezember 2014 u.a. unter den Diagnosen "Schwere depressive Episode, Panikstörung". Danach habe sich der Kläger erstmals am 2. Juli 2014 vorgestellt und angegeben, dass Panikattacken sowie Depressionen seit Mai 2014 intensiver aufgetreten seien und zu häufigeren Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt hätten.

Mit Urteil vom 22. Januar 2016 hat das SG die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt: Die psychische Erkrankung des Klägers sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, Nach dem maßgeblichen Befund von Dipl.-Psych. B. habe keine gravierende Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorgelegen. Auch habe Dr. H. in ihrem Befund vom 13. Mai 2011 eine Besserung der psychiatrischen Leiden berichtet. Bezüglich der LWS-Erkrankung sei von einem Einzel-GdB von 20 auszugehen, da mittelgradige funktionale Auswirkungen bestünden. Demgegenüber seien schwere funktionelle Auswirkungen, die einen höheren Einzel-GdB rechtfertigen könnten, nicht dokumentiert. Für die Polyneuropathie sei ein Einzel-GdB von 10 angemessen, da lediglich Gefühlsstörungen mit Einschränkungen der Feinmotorik ärztlich bestätigt worden seien.

Das ihm am 3. Februar 2016 zugestellte Urteil greift der Kläger mit der am 29. Februar 2016 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt erhobenen Berufung an. Er wendet sich weiterhin gegen die Aufhebung seines bisherigen GdB und macht geltend: Nach dem Befundbericht des MVZ Q. vom 28. Juli 2010 sei ihm eine Leukenzephalopathie diagnostiziert worden, aus der sich eine Schwächung des Immunsystems ergebe. In psychischer Hinsicht seien die von Dipl.-Psych. B. diagnostizierte rezidivierende depressive Störung (mittelgradig) und die somatoforme Störung unzureichend gewürdigt worden. Demgegenüber sei der Einschätzung von Dipl.-Psych. B. nicht schlüssig, bei ihm keine gravierende Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit anzunehmen. Eine eigenständige Befunderhebung der genauen Symptomatik sei der Stellungnahme von Dipl.-Psych. B. zudem nicht zu entnehmen. Hier dürfte die Befundgrundlage von Dr. G. vom 9. Oktober 2015 deutlich aussagekräftiger sein. Seit dem 8. Mai 2014 sei er infolge seiner psychiatrischen Erkrankung als arbeitsunfähig eingestuft worden. Eine berufliche Wiedereingliederung ab dem 27. Oktober 2015 habe wieder abgebrochen werden müssen. Ein weiterer Wiedereingliederungsversuch sei wiederum gescheitert und habe zu einer sofortigen Einweisung in ein Psychiatrisches Fachkrankenhaus vom 13. Januar bis 4. Februar 2016 geführt. Der orthopädische Befund sei mit einer erheblichen Schmerzsymptomatik verbunden. Der GdB betrage daher mindestens 50.

Bereits zuvor hatte der Kläger am 15. September 2015 einen Neufeststellungsantrag gestellt, der mit psychischen Leiden begründet wurde. Der Kläger hatte einen Reha-Entlassungsbericht der M. C. D.-Klinik vom 9. Oktober 2015 übersandt, in dem Chefarzt Dr. G. über einen stationären Aufenthalt vom 19. August bis 30. September 2015 berichtet hatte. Seit 2008 habe der Kläger als Sachbearbeiter im Jobcenter gearbeitet. Im Januar 2015 habe er einen Rentenantrag gestellt. Auf orthopädischem Gebiet bestehe eine Cervicobrachialgie links bei Spondylose und Spondylarthrose der Halswirbelsäule und zum Zeitpunkt der Entlassung eine Arbeitsfähigkeit auf diesem Fachgebiet. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2015 lehnte der Beklagte die Neufeststellung ab. Nach Widerspruch nahm der Beklagte weitere Ermittlungen vor und legte diese auch in diesem Verfahren vor.


Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Januar 2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 17. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2013 aufzuheben.


Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung und seine Bescheide für zutreffend.

Der Senat hat mit Schreiben vom 5. April 2017 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass maßgeblicher Prüfungszeitpunkt die letzte behördliche Entscheidung (Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2013) sei und einen möglichen Anhörungsfehler durch den Beklagten gerügt. Der Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 21. April 2017 daraufhin erneut angehört. Auf gerichtliche Nachfrage hat der Kläger am 16. Mai 2017 erklärt: Zum Stichtag des 17. Januar 2013 seien ihm keine weiteren medizinischen Unterlagen bekannt.

Der Beklagte hat sich am 24. Juli und der Kläger am 7. August 2017 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte beider Rechtszüge verwiesen. Diese Akten haben dem Senat bei der Beratung und Entscheidungsfindung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die form- und fristgemäß eingelegte und gemäß § 143 SGG auch statthafte Berufung ist unbegründet. Der Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2013 zu Recht den Bescheid vom 5. Mai 2006 aufgehoben und festgestellt, dass die verbliebenen Gesundheitsstörungen einen GdB von 30 bedingen sowie eine dauernde Einbuße der Beweglichkeit festgestellt. Die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG vom 22. Januar 2016 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).

Gegenstand des Rechtsstreits ist eine isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG gegen einen belastenden Verwaltungsakt. Dabei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide der Erlass des Widerspruchsbescheids am 17. Januar 2013 und damit die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, B 9 SB 6/02 R, juris).

Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere ist die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung zu einer beabsichtigten Aufhebung des GdB der Behinderung von 50 mit Wirkung für die Zukunft mit Schreiben vom 20. Oktober 2011, 15. August 2012 und vom 21. April 2017 erfolgt.

Ihre materielle Ermächtigungsgrundlage finden die vom Kläger angefochtenen Bescheide in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Anlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes gilt, wobei dies sowohl hinsichtlich der Besserung als auch Verschlechterung anzunehmen ist, jedenfalls eine Veränderung, die es erforderlich macht, den Gesamtgrad der Behinderung um mindestens 10 anzuheben oder abzusenken.

Auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Beklagte wirksam den Bescheid vom 5. Mai 2006 aufgehoben und die Funktionsstörungen des Klägers mit einem Behinderungsgrad von 30 neu festgestellt. In der Zeit zwischen Erlass dieses Bescheids und dem Widerspruchsbescheid am 17. Januar 2013 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen durch den Ablauf einer Heilungsbewährung eingetreten, die nicht mehr den mit Bescheid vom 5. Mai 2006 festgestellten GdB von 50, sondern ab 1. März 2012 einen Grad der Behinderung von 30 rechtfertigt. Die Behandlungen aufgrund der Hodenkrebserkrankung waren zum Zeitpunkt des Aufhebungsbescheides bereits über fünf Jahre abgeschlossen und ein Rezidiv ist nach dem Bericht des Dipl.-Med. R. nicht wieder aufgetreten. Hierüber besteht auch zwischen den Beteiligten kein Streit.

Dieser Ablauf der Heilungsbewährung stellt eine tatsächliche Veränderung im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X dar. Die Zeitdauer der Heilungsbewährung bei malignen Erkrankungen basiert auf Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über die Gefahr des Auftretens einer Rezidiverkrankung in den ersten fünf Jahren nach der Erstbehandlung sowie der regelmäßig vorhandenen subjektiven Befürchtung vor einem Rezidiv. Die Heilungsbewährung erfasst darüber hinaus auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, der Beseitigung und der Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der sozialmedizinischen Erfahrung, bei Krebserkrankungen zunächst nicht nur den Organverlust zu bewerten. Vielmehr ist hier zunächst für einen gewissen Zeitraum unterschiedslos der Schwerbehindertenstatus zu gewähren. Die pauschale, umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung kann jedoch nicht auf Dauer Bestand haben. Da nach der medizinischen Erfahrung nach rückfallfreiem Ablauf von fünf Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit die Krebserkrankung überwunden ist und außerdem neben der unmittelbaren Lebensbedrohung auch die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen sind, ist der GdB dann nur noch anhand der noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zu bewerten (BSG, Urteil vom 9. August 1995, 9 RVs 14/94, juris).

Für die Feststellung des GdB anhand der noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2013) ist das SGB IX maßgebend. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Regelung knüpft materiell-rechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft (bzw. Funktionsbeeinträchtigungen) vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehung festgestellt.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch § 30 Abs. 16 BVG ermächtigt ist.

Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG, Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen.

Der hier streitigen Bemessung des GdB ist die GdS-Tabelle der VMG (Teil B) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil B, Nr. 1 a) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle die Teilhabe beeinträchtigenden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers kein höherer GdB als 30 festgestellt werden. Die bei ihm nach Ablauf der Heilungsbewährung von fünf Jahren vorliegenden Funktionseinschränkungen rechtfertigen nach den eingeholten Befundberichten nebst Anlagen unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahmen zum Zeitpunkt des 17. Januar 2013 keinen höheren GdB als 30. Der Senat stützt sich dabei auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten sowie die Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte und Dipl.-Psych. B.

a) Die Gesundheitsstörungen infolge der Hodenkrebsoperation sind dem Funktionssystem Geschlechtsapparat zuzuordnen und bedingen keinen GdB mehr.

Für den Verlust eines Hodens bei intaktem anderem Hoden ist nach den VMG (Teil B, Nr. 13.2) kein GdB festzustellen. Während der Heilungsbewährungszeit von fünf Jahren nach Entfernung eines Seminoms im Stadium (T1 bis T2) N1 M0 bzw. T3 N0 M0 ist ein GdB von 50 festzustellen (VMG, Teil B, Nr. 13.4). Da dieser Zeitraum abgelaufen ist und, abgesehen von dem Verlust eines Hodens, keine Funktionseinschränkungen verblieben sind, ist für die überstandene Krebserkrankung kein GdB mehr festzustellen. Denn auch die vom Kläger geltend gemachten Störungen des Sexuallebens sind ärztlich nicht dokumentiert.

b) Für die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers, die dem Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" zuzuordnen sind, kann maximal ein GdB von 20 festgestellt werden.

Nach den VMG (Teil B, Nr. 3.7) werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Für stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ist ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40 vorgesehen. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten werden mit einem GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis 100 bewertet. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind nach dem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates (BMA am 18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, Teil B: GdS-Tabelle-19, 96. Lfg. - Stand Dezember 2011) durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen Störungen ganz unterschiedlich ist (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 8./9.11.2000, Rohr/Sträßer, a.a.O., GdS-Tabelle-18). Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen neben den Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, a.a.O., GdS-Tabelle-19).

Auf dieser Grundlage kann für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche kein höherer GdB als 20 angesetzt werden, was auch den Einschätzungen der Versorgungsärzte des Beklagten entspricht. Hierbei kommt dem Befundbericht von Dipl.-Psych. B. von November 2012 eine besondere Bedeutung zu. Darin diagnostizierte sie eine rezidivierende depressive Störung sowie somatoforme Störung, verneinte jedoch zusammenfassend eine gravierende Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Auch hatte sie dem Kläger einen Therapeutenwechsel empfohlen, was eher gegen einen dringlichen Behandlungsbedarf spricht. Für eine eher geringgradige psychiatrische Beeinträchtigung für die Zeit bis zum 17. Januar 2013 (Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides) spricht auch der Arztbrief der N. Anstalten vom 16. Januar 2015 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 15. September bis 5. Dezember 2014. Danach habe sich der Kläger dort erstmals am 2. Juli 2014 in der psychiatrischen Institutsambulanz vorgestellt und selbst angegeben, dass ihn erst seit Mai 2014, d.h. nach dem hier maßgeblichen Prüfungszeitpunkt, Panikattacken und Depressionen intensiver befallen hätten. Für eine allenfalls leichte Einschränkung in diesem Funktionssystem spricht überdies, dass der Kläger vor dem Januar 2013 eine tagesklinische Behandlung ablehnte und daher die Notwendigkeit einer intensiveren Behandlung auf diesem Gebiet selbst für nicht notwendig erachtete. Dipl.-Psych. B. beschrieb im November 2012 die vom Kläger angegebenen Symptome zudem als global und wenig differenziert, was auch im Sinne eines geringeren Leidensdrucks verstanden werden kann, zumal sich der Kläger in erster Linie durch seine berufliche Situation beeinträchtigt sah. Auf einer eher leichtgradigen Bewertungslinie auf psychiatrischem Fachgebiet bewegte sich auch die Einschätzung von Dr. H., die die psychiatrische Behandlung zum 14. April 2010 unter Besserungstendenz beendet hatte. Stationäre Aufenthalte auf diesem Fachgebiet sind dann auch erst im Jahr 2014/2015 beim Kläger dokumentiert worden. Diese medizinischen Einschätzungen liegen jedoch außerhalb des maßgeblichen Zeitrahmens und dürfen deshalb nicht in die Prüfung einbezogen werden. Die vom Kläger beschriebenen Wahrnehmungsstörungen, Halluzinationen bzw. eine schizoaffektive Störung sind für den hier maßgeblichen Prüfungszeitpunkt an keiner Stelle medizinisch dokumentiert und bestätigt worden.

c) Der Kläger leidet an Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, die dem Funktionssystem Rumpf zuzuordnen sind. Dafür ist maximal ein GdB von 20 festzustellen.

Für Wirbelsäulenfunktionserkrankungen sind die maßgeblichen Bewertungskriterien in Teil B, Nr. 18.9 VMG vorgegeben. Danach folgt der GdB bei Wirbelsäulenschäden primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung, der Wirbelsäuleninstabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Abschnitte der Wirbelsäule. Nach Teil B, Nr. 18.9 VMG rechtfertigen erst mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grades, einen Einzel-GdB von 20. Funktionsstörungen geringeren Grades bedingen allenfalls einen Einzel-GdB von 10. Schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) rechtfertigen einen GdB von 30, mittelgradige bis schwere in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB von 30 bis 40. Ein GdB von 50 setzt besonders schwere Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte erfasst; schwere Skoliose) voraus. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch intermittierende Störungen bei einer Spinalkanalstenose - sind zusätzlich zu berücksichtigen.

Unter Anwendung dieses Bewertungsmaßstabs lassen sich über den Zeitraum bis 17. Januar 2013 Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule feststellen, die allenfalls einen GdB von 20 rechtfertigen. Nach dem MRT-Befund des Radiologen W. vom 24. November 2011 liegt beim Kläger im Bereich der LWS eine Osteochondrose und Degeneration der Bandscheiben bei L3/L4, L4/L5 und L5/S1 sowie ein introforminaler Bandenscheibenvorfall in Höhe L3/L4 mit Einengung des Neuroformens sowie eine Bandscheibenprotusion in Höhe L4/L5 mit Nervenwurzelirritation vor. Gravierende Funktionseinbußen der LWS sind den beigezogenen orthopädischen Unterlagen jedoch nicht zu entnehmen, da detaillierte Bewegungsmaße fehlen bzw. auch offenbar keine genauen Funktionsmessungen beim Kläger vorgenommen worden sind. Signifikante Bewegungseinschränkungen werden auch von keinem der befragten Ärzte berichtet. Entsprechend der Einschätzung der Versorgungsärzte des Beklagten ist daher allenfalls von mittelgradigen Funktionsstörungen der LWS auszugehen. Dies rechtfertigt keinen höheren GdB als 20.

d) Bezüglich der durch die Chemotherapie ausgelösten Polyneuropathie der Hände werden von den behandelnden Ärzten des Klägers keine Krafteinbußen und keine motorischen Störungen, sondern allenfalls Gefühlsstörungen dokumentiert. Die maßgeblichen funktionellen Folgen der Polyneuropathie sind daher geringgradig und höchstens mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten (Teil B Nr. 3.11, VMG).

Die vom MVZ Q. am 28. Juli 2010 diagnostizierte Leukenzephalopathie bleibt eine isolierte gebliebene Diagnose, für die die behandelnden Ärzte keine GdB-relevanten funktionalen Beeinträchtigungen angegeben haben. Hierfür kann daher kein Einzel-GdB vergeben werden.

e) Für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche sowie Rumpf ist daher von einem Einzel-GdB von jeweils 20 auszugehen. Dabei ist zu beachten, dass nach Teil A, Nr. 3 ee, VMG auch Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 als leichte Funktionsstörungen angesehen werden, die es vielfach nicht rechtfertigen, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Vor diesem Hintergrund ist es daher vom Beklagten durchaus wohlwollend, wenn auch vertretbar, eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 30 vorzunehmen, obwohl sich eine Wechselwirkung beider Behinderungen bei den betroffenen Funktionssystemen nicht unbedingt aufdrängt. Die mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete Polyneuropathie der Hände lässt, da ein Ausnahmefall nicht erkennbar ist, keine weitere Erhöhung des Gesamt-GdB zu (vgl. Teil A, Nr. 3 ee, VMG). Die Schmerzbelastung des Klägers ist in den vorgenommenen GdB-Bewertungen hinreichend berücksichtigt (vgl. Teil A, Nr. 2 j, VMG)

Letztlich widerspräche die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bei dem Kläger dem nach Teil A, Nr. 3 VMG zu berücksichtigenden Vergleichsmaßstab. So spricht gegen die Annahme einer Schwerbehinderung ein wertungsmäßiger Vergleich mit anderen Erkrankungsgruppen, für die ein Einzel-GdB von 50 festgestellt werden kann. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden, wenn die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung der Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigen. Eine derartig schwere Funktionsstörung lag beim Kläger am 17. Januar 2013 nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R8183


Informationsstand: 23.04.2019