Die zulässige Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet; eine weitere mündliche Verhandlung hält der Senat nicht für erforderlich. Das Rechtsmittel wird daher ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153
Abs. 4
SGG).
Die frist- und formgerecht erhobene Berufung ist zulässig. Der/die richtige Beklagte ist im Berufungsverfahren seit dem 01.01.2008 die für den Kläger zuständige kommunale Gebietskörperschaft und nicht mehr das Land Nordrhein-Westfalen (
vgl. zur Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung Senatsurteil vom 12.02.2008, L 6 B 101/06 (bestätigt vom Bundessozialgericht (
BSG), Urteil vom 26.02.2008,
L 6 SB 35/05 (ebenfalls bestätigt vom
BSG, Urteil vom 23.04.2009,
B 9 SB 3/08 R), L 6 V 28/07 (rechtskräftig).
Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide vom 22.02.2005 und vom 23.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2005 und des Bescheides vom 15.08.2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54
Abs. 2
S. 1
SGG). Der
GdB ist zulässigerweise und zutreffend auf 40 festgesetzt worden. Die Festsetzung eines höheren
GdB ist nicht gerechtfertigt.
Rechtsgrundlage des mit der Klage angefochtenen Bescheides ist § 48
Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei den Feststellungsbescheiden nach
§ 69 Abs. 1 und 2 SGB IX handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (
vgl. bereits zum Schwerbehindertengesetz
BSG, Urteil vom 19.09.2000 -
B 9 SB 3/00 R -, juris). Eine Aufhebung ist dabei nur "insoweit" zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (
vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2000,
a. a. O.). Eine wesentliche Änderung ist anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamt-
GdB um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen allein ohne Auswirkung auf den Gesamt-
GdB stellen keine wesentliche Änderung dar (
vgl. BSG, Urteil vom 24.06.1998, - B 9 SB 18/97 R -; juris). Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen der
GdB wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt wurde, als es die tatsächlich nachweisbaren Funktionseinschränkungen erfordern, liegt eine Änderung der Verhältnisse iSv § 48
SGB X auch dann vor, wenn für die den Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde liegenden Erkrankungen die sogenannte Heilungsbewährung abgelaufen ist.
Ob eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48
Abs. 1
SGB X eingetreten ist, muss im Rahmen einer gegen einen Herabsetzungsbescheid gerichteten Anfechtungsklage durch einen Vergleich der Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten bindend gewordenen Bescheides mit denjenigen zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung der Beklagten ermittelt werden. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Fortschreibung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten
GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der verschiedenen aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen (
vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2000, - B 9 SB 3/00 R -; Senatsurteil vom 18.06.2002, -
L 6 SB 142/00 -, jeweils in juris).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass im Gesundheitszustand des Klägers im Vergleich zu den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem bestandskräftigen Bescheid vom 15.03.2000 zugrunde gelegen haben, durch den rezidivfreien Ablauf der Zeit der sog Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X eingetreten ist. Diese rechtfertigt die Herabsetzung des
GdB auf 40.
Im Jahre 2000 war bei dem Kläger - seinerzeit in Einklang mit
Nr. 26.13 der damals anzuwendenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (
AHP), Stand 1996, - wegen des Verlustes der Vorsteherdrüse (anhaltende Harninkontinenz ) ein
GdB von 60 anzusetzen und eine Heilungsbewährung von fünf Jahren abzuwarten. Nach
Nr. 18
Abs. 7
AHP wie auch heute nach
Teil A 2 h) Anlage zu § 2 VersmedV vom 10.12.2008 (BGBl I 2412 (
VMG)) handelt es sich bei der Heilungsbewährungszeit um einen Zeitraum, in dem bei Gesundheitsstörungen, die zu Rezidiven neigen, der Verlauf der Genesung abgewartet werden muss. Hinzu kommt, dass während dieser Zeit ein höherer
GdB-Wert, als er sich aus dem festgestellten Schaden ergibt, festgestellt wird. Der Grund für die Feststellung eines
GdB von 60 nach Diagnose und Entfernung der von einem malignen Tumor befallenen Vorsteherdrüse war und ist vor allem in der psychisch außergewöhnlich belastenden Situation zu sehen, die für den Erkrankten mit dem Wissen um seine Tumorerkrankung mit Rezidivneigung verbunden ist. Berücksichtigt werden außerdem
ggf. Operationsfolgen und eventuell notwendige postoperative Tumortherapien. Auch das
BSG hat im Urteil vom 09.08.1995 -
9 RVs 14/94 - ausgeführt, es sei Sinn der Heilungsbewährung, Krebskranken unterschiedslos zunächst den Status eines Schwerbehinderten zuzubilligen, um dadurch körperliche und seelische Auswirkungen der Erkrankung während des weitgehend noch labilen postoperativen Zustands, der eine unbestimmte Zahl von körperlichen und seelischen Störungen mit sich bringt, umfassend zu berücksichtigen.
Der Heilungsbewährungszeitraum ist hier abgelaufen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gibt es weder Anhaltspunkte für ein Rezidiv oder eine Metastasierung, noch für eine außergewöhnliche psychoreaktive Störung.
Der zeitweilige Anstieg des prostataspezifischen Antigens (PSA) nach vollständiger operativer Entfernung der Prostata spricht nicht gegen die Rezidivfreiheit. Zwar deutet nach der Beurteilung des ärztlichen Sachverständigenbeirats im Schwerbehindertenrecht bei dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) der PSA-Anstieg auf ein lokales Rezidiv oder auf eine eingetretene Metastasierung hin (Beirat vom 25. 11.1998 bis 26.11.1998 "Gutachtliche Beurteilung des Prostatakarzinoms"). Wenn jedoch nach einer transurethralen Prostataresektion ein vorher erhöhter PSA-Wert auf einen sehr niedrigen Wert abfällt und - wie hier - nach den Gutachten von
Prof. Dr. I für das SG und von
Prof. Dr. F1 gemäß § 109
SGG im Berufungsverfahren - dieser deutlich erniedrigte PSA-Wert über einen längeren Beobachtungszeitraum konstant bleibt, so ist dies nach Auffassung des Beirats ein Indiz für die Tumorentfernung. Im Übrigen ist aber erst im Februar 2006 ein messbarer PSA-Wert festgestellt worden, so dass bezogen auf den Zeitpunkt der ursprünglich angefochtenen Verwaltungsentscheidung - das Verwaltungsverfahren endete mit Erteilung des Widerspruchsbescheides - Umstände, die als Indiz für ein Rezidiv gelten könnten, nicht vorlagen.
Die im Zeitpunkt der Herabsetzungsentscheidung vorliegenden Beeinträchtigungen erfordern einen
GdB von jedenfalls nicht mehr als 40.
Der damals bestehende Organschaden in Gestalt der Blasenschwäche mit relativer Stressinkontinenz bedingt ebenso wie die erektile Dysfunktion als Impotentia coeundi bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung einen
GdB von 20. Einen Einzelwert lediglich von 10 für die letztgenannte Beeinträchtigung, wie von dem Sachverständigen
Prof. Dr. F1 mit Blick auf die Rauchgewohnheiten des Klägers mehrfach thematisiert, hält der Senat nicht für zutreffend. Die Bemessung des
GdB stellt nicht auf Einzelfälle ab, sondern bewertet Regelwidrigkeiten gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand. Wenn auch bei einem über 60jährigen starken Raucher ein deutlich erhöhtes Risiko für eine erektile Dysfunktion bestehen mag, ist dieser Personenkreis doch nicht derjenige, der den für das Lebensalter typischen Zustand bestimmt. Zudem fehlt es, wie
Prof. Dr. F1 selbst ausgeführt hat, an Untersuchungen, die zweifelsfrei und konkret die Abhängigkeit der jeweils vorliegenden Erektionsstörung von den Rauchgewohnheiten des Betroffenen nachweisen könnten. Die Gesundheitsstörungen der Harn- und Geschlechtsorgane rechtfertigen in der Zusammenschau - wie durch den vom SG von Amts wegen gehörten Sachverständigen
Prof. Dr. I ausgeführt und im angefochtenen Urteil auch zutreffend und überzeugend dargelegt - einen Einzel-
GdB von 30 (s auch
VMG Teil B
Nr. 12.2,
Nr. 13. 6).
Den Wirbelsäulenveränderungen des Klägers allein ist nach den
VMG mit einem
GdB von 10 Rechnung zu tragen (
Teil B Nr. 18 9 VMG).
Die psychische Beeinträchtigung hat der vom SG nach §§ 103, 106
SGG gehörte neurologischpsychiatrische Sachverständige.
Dr. Dr. C in seinem Gutachten ebenfalls mit 30 eingeschätzt. Dies ist nachvollziehbar, überzeugend und entspricht den
VMG Teil B Nr. 3.7.
Hingegen folgt der Senat nicht dem Gutachten der nach § 109
SGG gehörten Frau
Dr. C1. Ihr Ansatz, es sei neben der Anpassungsstörung mit depressiver und phobischer Symptomatik (Einzel-
GdB 30) ein bisher nicht diagnostiziertes gesteigertes sexuelles Verlangen mit dem weiteren Einzel-
GdB von 30 zu berücksichtigen, vermag nicht zu überzeugen. Denn grundsätzlich ist die Impotentia coeundi (Unvermögen, den Beischlaf überhaupt oder in physiologischer Weise auszuführen) normalerweise eine Begleiterscheinung einer anderen Gesundheitsstörung und daher (in einem Einzel-
GdB) zusammen mit der anderen Gesundheitsstörung zu beurteilen. Bei außergewöhnlichen psychoreaktiven Störungen kann unabhängig von der die Impotenz auslösenden Erkrankung ein
GdB von bis zu 40 in Ansatz gebracht werden. Bei isolierter Betrachtung soll im Allgemeinen ein
GdB von 20 angemessen sein (Ärzlicher Sachverständigenbeirat beim BMA, 24.04.1985: "Beurteilung des
GdB bei Impotenz"). Der Verlust der Zeugungsfähigkeit führt aber regelhaft zu seelischen Begleiterscheinungen (so schon
BSG, Urteil vom 22.04.1959 - 11/9 RV 232/57, juris = BSGE 9, 291). Dem hatte bereits der vom SG gehörte Sachverständige
Dr. Dr. C in seinem Gutachten vom 03.03.2006 nachvollziehbar und überzeugend Rechnung getragen, indem er die Feststellung einer chronifizierten Belastungsstörung mit depressiven Störungen und Somatisierungsstörungen mit dem Einzel-
GdB 30 vorgeschlagen hatte. Er hatte dies mit dem Zusammenwirken der funktionellen Auswirkungen der Sexualfunktionsstörungen sowie der Inkontinenz mit den psychischen Belastungsreaktionen und den damit einhergehenden Beeinträchtigungen der Erlebens- und Gestaltungsfähigkeit in intimen Beziehungen sowie bei der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen begründet. Soweit der Kläger vorbringt, kein Sexualleben mehr zu haben, ist die innere Konfliktsituation damit umfassend und auch hinreichend bewertet. Auch wenn die Auswirkungen im einzelnen nur schwer fassbar sind, bedarf es dafür zur Überzeugung des Senats angesichts der für die Prostatacarcinom-Operation typischen Begleiterscheinungen nicht zusätzlich eines
GdB 30 allein für ein gesteigertes sexuelles Verlangen des Klägers. Diesem Verlangen kommt daneben keine selbstständige Bedeutung mehr als Behinderung im Sinne des
SGB IX und der
VMG zu. Es ist als solches nicht etwa als dauerhafte Beeinträchtigung mit Krankheitswert ausgestaltet wie etwa bei Behinderungen von Seiten des Nervensystems oder der Psyche (
vgl. VMG Teil B.,
Nr. 3). Das hat
Dr. C1 im Übrigen selbst erkannt, wenn sie neben dem gesteigerten sexuellen Verlangen des Kläger selbstständig noch für eine Anpassungsstörung mit depressiver und phobischer Symptomatik einen gesonderten Einzel-
GdB von 30 veranschlagt. Bei dem hier regelhaft eingetretenen Verlust der Potenz als Operationsfolge der Prostatakrebstherapie ist allein die vorgenannte Anpassungsstörung als maßgebliche "seelische Begleiterscheinung" anzunehmen.
Die Auswirkungen der genannten Leiden bedingen - darauf hat die Beklagte mit dem Teilanerkenntnis zutreffend reagiert - einen
GdB von bereits 40. Bei der Bildung des Gesamt-
GdB ist nach den
AHP und nachfolgend den
VMG von der schwerwiegendsten Gesundheitsstörung ausgehend zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderungen durch die anderen Funktionsbeeinträchtigungen vergrößert wird. Maßgeblich sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (
Nr. 19
Abs. 3, 4
AHP bzw. Teil A Ziffer 3,
S.10 der nun anzuwendenden
VMG). Bei der Ermittlung des Gesamt-
GdB erhöht ein Einzel-
GdB von 10, der sich nicht besonders nachteilig auf eine schon vorliegende Behinderung auswirkt, grundsätzlich den Gesamt-
GdB nicht; auch leichte Funktionsbeeinträchtigungen mit dem Einzel-
GdB 20 rechtfertigen es vielfach nicht, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (
VMG aaO;
BSG vom 13.12.2000 -
B 9 V 8/00 R-, juris).
In Anwendung dieser Maßstäbe ist ein Gesamt-
GdB von 40 angemessen, aber auch ausreichend. Die Bewertung des Gesamt-
GdB mit 40 gilt für die Zeit ab Erlass des angefochtenen Änderungsbescheides. Der Gesamt-
GdB bildet sich aus den
GdB-Werten für die Auswirkungen der psychischen Beeinträchtigung einerseits und der urologischen Leiden andererseits, denen jeweils mit einem
GdB von 30 Rechnung getragen wurde. Ausgehend von einem
GdB von jeweils 30 sowohl für die Auswirkungen der urologischen Behinderungen bereits nach dem vom SG eingeholten Gutachten von
Prof. Dr. I als auch für das von
Dr. Dr. C erstinstanzlich zutreffend bewertete psychische Leiden, die sich mit Blick auf die Beeinträchtigung im Teilbereich der Impotentia coeundi überschneiden, hält es der Senat für geboten, den Gesamt-
GdB mit 40 ab Februar 2005 zu bewerten. Ein
GdB von 50 oder mehr wird in der Zusammenschau mit den weiteren Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Kläger sicher nicht erreicht. Insoweit ist vorab die Wirbelsäulenveränderung mit dem
GdB von nur 10 ersichtlich nicht geeignet, sich bei der Bildung des Gesamt-
GdB erhöhend auszuwirken. Dies führt nicht zu einer spürbaren Zunahme des Ausmaßes der Beeinträchtigung; besondere Schweregrade kommen der Beeinträchtigung auch nicht zu, weder im Sinne der
AHP 2008 Ziffer 19
Abs. 4
S. 26 noch nach den nun geltenden
VMG, Teil A Ziffer 3 d) ee), S.10.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung folgt aus § 193
Abs. 1 Satz 1
SGG.
Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben (§ 160
Abs. 2
Nr. 1,
Nr. 2
SGG).