I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. März 2008 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Zwischen den Beteiligten ist die Herabsetzung des Grades der Behinderung (
GdB) nach
§§ 2 Abs. 2, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX), § 48 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (
SGB X) streitig.
Der 1952 geborene Kläger stellte erstmals am 25.11.2002 einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz. Mit Bescheid vom 3.2.2003 stellte der Beklagte einen
GdB von 50 fest und erkannte das Merkzeichen "G" zu. Er stellte auf der Grundlage des Entlassungsberichts der Klinik St. I. vom 9.12.2002 und des Entlassungsberichts des Städtischen Krankenhauses M. vom 11.11.2002, nach einem Aortenklappenersatz des Klägers, folgende Behinderungen fest:
- operierter Herzklappenfehler
- Herzleistungsminderung
Im Rahmen einer von Amts wegen eingeleiteten Nachprüfung der bestehenden Gesundheitsstörungen berichtete der behandelnde Internist des Klägers, von einem Zustand nach Aortenklappenersatz bei laufender Medikation. Es bestehe eine gute linksventrikuläre Funktion, subjektive Beschwerden des Klägers lägen nicht vor.
Nach einer Anhörung des Klägers gemäß § 24
Abs. 1
SGB X setzte der Beklagte mit Bescheid vom 29.9.2005 den
GdB des Klägers mit 30 v. fest. Gleichzeitig entzog er das Merkzeichen "G". Die Gesundheitsstörungen des Klägers hätten sich durch eine Besserung wesentlich geändert. Dem Kläger sei für den operierten Herzklappenfehler ein Einzel-
GdB von 30 zuzuerkennen.
Auf den Widerspruch des Klägers hin holte der Beklagte einen weiteren Befundbericht des behandelnden Internisten ein, der einen Arztbrief der Orthopäden
Dr. H./ B. übersandte. Nach Auswertung dieser Unterlagen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.3.2006 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 23.3.2006 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München erhoben und die Aufhebung des Bescheides vom 14.3.2006 beantragt. Seine gesundheitliche Gesamtsituation habe sich in keinster Weise positiv geändert, er müsse sehr viele Medikamente einnehmen und sei dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen. Seine Lebensqualität sei psychisch und physisch stark beeinträchtigt.
Das Sozialgericht hat nochmals einen Befundbericht des behandelnden Internisten eingeholt und den Internisten
Dr. M. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
Im Gutachten vom 25.7.2006 hat dieser ausgeführt, dass in den für den Bescheid vom 3.2.2003 maßgebenden Verhältnissen eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verbesserung der Herzleistungsminderung des Klägers eingetreten sei. Ab Oktober 2005 bestehe beim Kläger ein Zustand nach Aortenklappenersatz bei kompensierter Herzleistungsminderung. Dieser sei mit einem
GdB von 30 zu bewerten. Eine Einschränkung des Gehvermögens bestehe nicht. Die Herz- und Kreislaufkontrollen hätten altersphysiologische Werte bestätigt. Im Steh- und Belastungsversuch sei eine gute Regulationsfähigkeit des Kreislaufes nachgewiesen worden. Der Kläger habe bei einer Ergometrie bis 100 W belastet werden können, ohne klinische Symptome zu zeigen. Bei der Überprüfung des Stütz- und Bewegungsapparates sei kein wesentlicher pathologischer Befund aufgefallen. Der Kläger habe lediglich einen geringen Klopfschmerz im Bereich der Lendenwirbelsäule angegeben. Hinweise für eine endogen oder exogen ausgelöste Depression würden nicht bestehen. Weitere Gutachten auf anderen Fachgebieten seien nicht erforderlich.
In der mündlichen Verhandlung am 20.3.2008 hat der Kläger beantragt, den Bescheid vom 29.9.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.3.2006 aufzuheben und ihm den bisher festgestellten
GdB von 50 zu belassen. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20.3.2008 unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid abgewiesen.
Der Kläger hat am 8.5.2008 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Er hat vorgetragen, dass eine Verbesserung seines physischen und psychischen Gesamtzustandes seit der Aortenklappenoperation nicht eingetreten sei. Er beantrage ein neues, aktuelles, neutrales Gutachten. Der Senat hat einen aktuellen Befundbericht des behandelnden Internisten eingeholt. Dieser hat in seinem Befundbericht vom 28.9.2009 angegeben, dass sich die gesundheitliche Situation des Klägers seit Juni 2006 nicht wesentlich verändert habe. Allerdings hat er eine leicht- bis mittelgradig reduzierte linksventrikuläre Pumpfunktion (EF
ca. 45 %) angeführt. Außerdem hat der Senat ein Gutachten des Orthopäden
Dr. B. vom 6.5.2008 beigezogen, das dieser für die Berufsgenossenschaft anlässlich des Autounfalls des Klägers erstellt hat.
Der Beklagte hat in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.12.2009 ausgeführt, dass im letzten Befundbericht des behandelnden Internisten des Klägers von einer subjektiv deutlich eingeschränkten körperlichen Belastungsfähigkeit gesprochen werde und dies auf eine echocardiographisch nachweisbare leicht- bis mittelgradig reduzierte Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion bezogen werde. Dies stelle eine Verschlechterung im Verlauf dar. Es werde angeregt festzustellen, ab wann die Pumpfunktion der linken Herzkammer nurmehr bei 45 % liege. Unter Berücksichtigung der ergometrischen Belastbarkeit könne auf internistischem Fachgebiet ein
GdB von 30-40 zuerkannt werden. Auf Nachfrage hat der behandelnde Internist angegeben, dass die eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion erstmals in der kardiologischen Kontrolle am 13.11.2007 sowie zuletzt am 28.9.2009 aufgetreten sei. Somit läge eine leichte klinische Verschlechterung vor.
Daraufhin hat der Beklagte mit Schreiben vom 11.3.2010 ein Vergleichsangebot dahingehend abgegeben, dass er bereit sei, ab dem 1.9.2009 einen Gesamt-
GdB von 40 festzustellen für folgende Behinderungen:
- operierter Herzklappenfehler, Herzleistungsminderung; Einzel-
GdB 40
- Funktionsbehinderung des oberen und unteren Sprunggelenkes links nach operativ versorgtem Innenknöchelbruch, Knorpelschäden am Kniegelenk links; Einzel-
GdB 10
Die Bewertung der Funktionsstörung des Herzens mit einem Einzel-
GdB von 40 liege im obersten Ermessensbereich. Der Kläger hat dieses Vergleichsangebot nicht angenommen. Der Senat hat den Orthopäden
Dr. D. mit einer Begutachtung des Klägers beauftragt. Im Gutachten vom 10.8.2010 hat dieser ausgeführt, dass beim Kläger auf orthopädischem Fachgebiet folgende Gesundheitsstörungen vorliegen:
1. unspezifische Gonalgien links, Arthralgien des linken oberen und unteren Sprunggelenkes bei Zustand nach operativ versorgter Innenknöchelfraktur bei weitgehend freier Funktion ohne gravierende Geh- und Stehminderung (Einzel-
GdB 10).
2. Bizepssehnentendinitis bei freier Funktion des rechten Schulter- und Ellenbogengelenks (Einzel-
GdB unter 10).
3. Besenreiservaricosis (Einzel-
GdB unter 10).
Eine wesentliche Änderung in den für den Bescheid vom 3.2.2003 maßgeblichen Verhältnissen sei in der unspezifischen Gonalgie links und den Arthralgien des linken oberen und unteren Sprunggelenkes bei Zustand nach operativ versorgter Innenknöchelfraktur am 25.10.2007 eingetreten. Der Kläger habe kein eingeschränktes Gehvermögen, die Einholung weiterer Gutachten sei nicht erforderlich.
Der Kläger beantragt in der mündlichen Verhandlung,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.3.2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 29.9.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.3.2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts München beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143,151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und zulässig. Sie erweist sich jedoch als unbegründet.
Der Kläger wendet sich gegen eine Herabsetzung des im Bescheid vom 3.2.2003 festgestellten
GdB durch Bescheid vom 29.9.2005. Der Entzug des Merkzeichen "G" ist nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung und daher auch nicht Streitgegenstand des Berufungsverfahrens.
Es handelt sich vorliegend um eine reine Anfechtungsklage, bei der allein auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also auf die im März 2006 bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen, abzustellen ist. Spätere Verschlechterungen des Gesundheitszustandes können mit einer Anfechtungsklage nicht verfolgt werden (
vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage 2008, § 54 Rn. 32, 33, 33a
m.w.N. höchstrichterlicher Rechtsprechung des
BSG). Wie das
BSG bereits mehrfach entschieden hat, ist ein Bescheid, mit dem - wie hier - ein begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen ursprünglicher Unrichtigkeit (§ 45
SGB X) oder wegen einer Änderung der Verhältnisse zu Lasten des Begünstigten (§ 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X) aufgehoben wird, selbst kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (
vgl. Steinwedel, Kasseler Komm Rn. 21 zu § 45
SGB X;
BSG SozR 1300 § 45
Nr. 5
S. 8 mwN). Die Begründetheit einer, gegen einen derartigen Aufhebungsbescheid gerichteten, Anfechtungsklage beurteilt sich daher nicht nach dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, sondern nach dem Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (so
BSG, SozR 3-1500 § 54
Nr. 18;
BSG, SozR 3-3870 § 4
Nr. 5
S. 25). Würde der maßgebliche Zeitpunkt hingegen auf die letzte mündliche Verhandlung verlegt werden, würde dies dazu führen, dass behauptete oder während des Gerichtsverfahrens tatsächlich eingetretene Änderungen in den gesundheitsrechtlichen Verhältnissen des Behinderten zu immer neuen Ermittlungen Anlass gäben und den Abschluss des Gerichtsverfahrens in zahlreichen Fällen erheblich verzögern würde (so
BSG vom 12.11.1996, BSGE 79, 223-231). Das Bundessozialgericht hat Änderungen in den Verhältnissen, die während einer Anfechtungsklage gegen die Aufhebung eines die Schwerbehinderung feststellenden Verwaltungsaktes eingetreten sind, grundsätzlich für rechtlich unbeachtlich angesehen (
BSG vom 15.8.1996, SozR 3-3870 § 4
Nr. 13).
Der angefochtene Bescheid ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat zu Recht den Gesamt-
GdB des Klägers auf 30 herabgesetzt. Die im September 2005 bestehenden Funktionsbehinderungen des Klägers rechtfertigen keinen höheren
GdB.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 48
Abs. 1
SGB X. Danach ist ein von Anfang an rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Letzteres ist hier der Fall. Denn entgegen der Auffassung des Klägers hat sich sein Gesundheitszustand bezogen auf den hier maßgeblichen Prüfungszeitpunkt in der Gestalt verbessert, dass im März 2006 nur noch ein
GdB von 30 festzustellen war.
Maßgebliche Bestimmung für die Feststellung des
GdB ist
§ 69 SGB IX. Nach
Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und
SGB IX). Nach § 69
Abs. 1
S. 4
SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69
Abs. 3
S. 1
SGB IX).
Der
GdB ist als Ausmaß der Behinderung bis zum 31.12.2008 unter Heranziehung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (
AHP) in der jeweils gültigen Fassung festzulegen (
vgl. BSG SozR 3-3870 § 4
Nr. 19, Bundesverfassungsgericht SozR 3-3870 § 3
Nr. 6). Die
AHP sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen und wegen ihrer normähnlichen Wirkung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden. Sie unterliegen nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Gerichte und können nicht durch Einzelgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden. Gleiches gilt für die seit dem 1.1.2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätze,
Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinischen Verordnung (AnlVersMedV). Die Versorgungsmedizinische Verordnung hat die
AHP für die Zeit ab dem 1.1.2009 abgelöst.
Unter Beachtung der
AHP geht der Senat in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlich eingeholten internistischem Gutachten und dem vom Senat eingeholten orthopädischen Gutachten davon aus, dass beim Kläger im März 2006 ein operierter Herzklappenfehler mit altersphysiologischen Normalwerten bestand.
Nach
AHP Nummer 26.9 ist für die Messung des
GdB bei Herzerkrankungen weniger die Art der Herzerkrankung maßgeblich, als die, je nach dem vorliegenden Stadium des Leidens, unterschiedliche Leistungseinbuße. Hiernach ist ein
GdB von 0-10 anzunehmen, wenn aufgrund eines Herzklappenklappenfehlers, einer koronaren Herzerkrankung oder Kardiomyopathie keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung bei stärkerer Belastung besteht. Besteht bei mittelschwerer Belastung (
z.B. forschem Gehen, mittelschwerer körperlicher Arbeit) eine Leistungsbeeinträchtigung (Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 W), so ist ein
GdB von 20-40 anzunehmen. Liegt eine Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (
z.B. Spazieren gehen, Ergometerbelastung mit 50 W) vor, so kann ein
GdB von 50-70 angenommen werden.
Hiernach ist der bestehende operierte Herzklappenfehler nach der beim Kläger vorliegenden Leistungsbeeinträchtigung zu beurteilen. Diese ergibt sich insbesondere aus der begleitend durchgeführten Ergometrie, bei der der Kläger bis zu 100 W belastet werden konnte, ohne dass sich hierbei klinische Symptome gezeigt hätten. Die vom Beklagten vorgenommene Einschätzung als mittelschwere Belastung mit einem Einzel-
GdB von 30 ist nicht zu beanstanden. Nach den vorliegenden Befunden und Gutachten bestand keine weitergehende Beeinträchtigung des Klägers zum damaligen Zeitpunkt durch den operierter Herzklappenfehler. Die geltend gemachten orthopädischen Beschwerden liegen laut Gutachten von
Dr. D. erst seit Oktober 2007 nachweisbar vor. Sie waren daher bei der Herabsetzung des
GdB von dem Beklagten nicht zu berücksichtigen.
Der Bescheid des Beklagten vom 29.9.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.3.2006 ist daher nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers ist zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183,193
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160
Abs. 2
Nr. 1 und 2
SGG).