I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. September 2012 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Gleichstellung im Sinne von
§ 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (
SGB IX).
Der 1976 geborene Kläger ist an Multipler Sklerose (Encephalitis disseminata) erkrankt. Er war seit 2007 als Studienrat im Rahmen eines Beamtenverhältnisses auf Probe bei den Beruflichen Schulen des Werra-Meißner-Kreises in Eschwege tätig. Seit dem Ende der bis zum Maximalzeitraum verlängerten Probezeit am 21. Oktober 2012 ist er als Berufsschullehrer im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Durch Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales vom 4. Februar 2011 wurde ein Grad der Behinderung von 30 bei Berücksichtigung einer Multiplen Sklerose festgestellt.
Am 14. Februar 2011 beantragte der Kläger die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zur Begründung führte er aus, er benötige die Gleichstellung, um in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen zu werden. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens richtete die Beklagte Anfragen an das Staatliche Schulamt des Landkreises Hersfeld/Rothenburg sowie die Personal- und Schwerbehindertenvertretung. Das Staatliche Schulamt führte im Fragebogen, eingegangen am 22. Februar 2011, aus: "Die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ist derzeit in Gefahr, da aus ärztlicher Sicht der Eintritt vorzeitiger Dienstunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Bei einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung wäre eine Prognose hinsichtlich der Dienstfähigkeit für nur noch 10 Jahre zu stellen. Möglicherweise käme der Gutachter unter diesen Voraussetzungen zu einem anderen Ergebnis. Sollte die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht möglich sein, würde Herr A. in einem unbefristeten Angestelltenverhältnis weiterarbeiten können." Der Personalrat äußerte sich in seiner Stellungnahme vom 1. März 2011 wie folgt: "Ist der Arbeitsplatz aufgrund behinderungsbedingter Auswirkung gefährdet? Ja, wenn Gleichstellung nicht berücksichtigt wird. Ist der Arbeitsplatz aus sonstigen Gründen gefährdet (wenn ja, aus welchen)? Ja, s.o. Erhaltung d. Arbeitsplatzes nur mit Übernahme ins Beamtenverhältnis. Ergänzende Angaben: Aufgrund d. Erkrankungen und
evtl. Folgen, die derzeit grundsätzlich festzuhalten sind, ist eine Gefährdung des Arbeitsplatzes festzuhalten." Die Schwerbehindertenvertretung nahm mit Fragebogen vom 23. Februar 2011 wie folgt Stellung: "Ist der Arbeitsplatz aufgrund behinderungsbedingter Auswirkung gefährdet? Ja, krankheits-
bzw. behinderungsbedingt. Ist der Arbeitsplatz aus sonstigen Gründen gefährdet (wenn ja, aus welchen)? Ja, siehe
Nr. 4 (Erhaltung des Arbeitsplatzes/Übernahme ins Beamtenverhältnis). Ergänzende Angaben: Aufgrund der Erkrankung und deren
evtl. Folgewirkung, die derzeit grundsätzlich festgestellt sind, ist eine akute Gefährdung des Arbeitsplatzes m.E. gegeben. Der Antrag wird daher von mir ausdrücklich befürwortet." Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Fragebögen wird auf die in der Verwaltungsakte der Beklagten befindlichen Originale verweisen.
Durch Bescheid vom 11. März 2011 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger könne seine derzeitige Tätigkeit als Studienrat ohne Einschränkungen ausüben. Eine behinderungsbedingte Gefährdung seines derzeitigen Arbeitsplatzes werde nicht vorgetragen. Nach den Angaben des Staatlichen Schulamtes sei der Arbeitsplatz weder aus behinderungsbedingten noch aus sonstigen Gründen gefährdet. Die Herbeifügung der Verbeamtung sei nicht gesetzliche Voraussetzung für eine Gleichstellung, denn für eine Gleichstellung sei eine konkrete behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes erforderlich. Das Staatliche Schulamt erkläre explizit, falls eine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht möglich sein solle, dann würde der Kläger in ein unbefristetes Angestelltenverhältnis übernommen werden. Ein Verlust des Arbeitsplatzes drohe somit nicht. Allgemeine Darlegungen, dass sich das Leiden verschlimmern könne und deshalb in Zukunft Leistungseinschränkungen am Arbeitsplatz zu erwarten sein könnten, reichten nicht aus, um die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen zu erlangen. Eine erneute Antragstellung könne bei Änderung der Verhältnisse jederzeit erfolgen.
Hiergegen richtete sich der am 25. März 2011 erhobene Widerspruch zu dessen Begründung der Kläger ausführte, Multiple Sklerose-Erkrankungen verliefen individuell höchst unterschiedlich. Ein Fortschreiten der Krankheit könne in kürzester Zeit zu schweren Beeinträchtigungen bis hin zum Verlust der Arbeitskraft führen. Er bemühe sich, gesundheitsbewusst zu leben und zu arbeiten, könne aber ein Fortschreiten der Krankheit nicht ausschließen. Eine Verschlechterung seines Krankheitsbildes könne auch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis letztendlich zum Kündigungsgrund werden. Da fraglich sei, welche Sicherheit ein unbefristeter Vertrag im Krankheitsfall biete, stelle diese Unsicherheit für ihn eine zusätzliche gesundheitliche Belastung da, deren Auswirkungen auf seinen Krankheitsverlauf nicht abschätzbar seien. Zum jetzigen Zeitpunkt garantiere ihm das Schulamt die Weiterbeschäftigung als Beamter, wenn er mit einem Schwerbehinderten gleichgestellt würde.
Durch Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, die arbeitsmarktliche Wettbewerbssituation beschäftigter behinderter Menschen konkretisiere sich zunächst in der Situation am gegenwärtigen Arbeitsplatz. Es müsse eine konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes gegeben sein. Wegen der geforderten Kausalität sei zu prüfen, ob die Schwierigkeiten des behinderten Menschen an diesem Arbeitsplatz, insbesondere Befürchtungen, ihn zu verlieren, maßgeblich auf die Auswirkung der gesundheitlichen Einschränkungen zurückzuführen seien. Eine konkrete Gefahr, den Arbeitsplatz wegen der Behinderung nicht behalten zu können, sei vorliegend nicht dargetan. Nach eigenen Angaben könne der Kläger seine berufliche Tätigkeit ohne Einschränkungen weiterhin ausüben, § 2
Abs. 3
SGB IX bezwecke, behinderte Menschen vor einer für sie ungünstigen Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt zu schützen. Eine solche trete ein, wenn der innegehabte Arbeitsplatz verloren zu gehen drohe oder der behinderte Mensch, der nicht über einen Arbeitsplatz verfüge, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ausweichen und dort in Konkurrenz mit gesunden und in ihrer Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigten Arbeitnehmern treten müsse.
Einer solchen Situation sei der Kläger nicht ausgesetzt. Er habe einen angemessenen und geeigneten Arbeitsplatz inne, der erkennbar nicht gefährdet sei. Eine Arbeitsplatzgefährdung bestehe auch nicht, wenn der Kläger nicht in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen werden solle, denn nach ausdrücklicher Aussage des Staatlichen Schulamtes würde der Kläger dann in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis weiterbeschäftigt werden. Soweit der Kläger bei einem Fortschreiten seiner Erkrankung seinen Arbeitsplatz künftig als gefährdet ansehe, stelle er auf Befürchtungen
bzw. auf in der Zukunft liegende, derzeit nicht konkretisierbare Ereignisse und damit eine abstrakte Arbeitsplatzgefährdung ab, die jedoch zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 2
Abs. 3
SGB IX nicht ausreiche.
Hiergegen hat der Kläger am 3. August 2011 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben.
Zur Begründung hat er ausgeführt, vor der angestrebten Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit sei grundsätzlich die gesundheitliche Eignung festzustellen, das heißt, es sei nachzuweisen, dass es überwiegend wahrscheinlich sei, dass er das reguläre Pensionseintrittsalter ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen erreichen werde. Bei Vorliegen einer Schwerbehinderung oder einer Gleichstellung seien die Einstellungsvoraussetzungen jedoch erleichtert. Er sei auf Grund seiner Behinderung gegenüber nicht behinderten Mitbewerbern bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz einem konkreten Wettbewerbsnachteil ausgesetzt. Eine Ernennung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit sei auf Grund seiner Behinderung ohne eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten grundsätzlich ausgeschlossen. Daher sei ihm auf Grund seiner Behinderung die Erlangung eines Arbeitsplatzes eines Studienrates als Beamter auf Lebenszeit verwehrt. Die Möglichkeit, als Angestellter tätig zu werden, könne dem nicht gleichgestellt werden. Es sei vielmehr der konkrete Arbeitsplatz des Lehrers auch unter Berücksichtigung der Art des Beschäftigungsverhältnisses mit den nicht behinderten Mitbewerbern zu vergleichen, was sich aus
§ 73 SGB IX, auf den § 2
SGB IX verweise, ergebe. Auf Grund seiner Behinderung bestehe eine ungünstige Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt. Der Gesetzgeber habe mit den speziellen Regelungen für Beamte und deren Einstellung, die schwerbehindert oder mit Schwerbehinderten gleichgestellt sind, dem Umstand Rechnung getragen, dass hier konkrete Wettbewerbsnachteile gegenüber nicht behinderten Mitbewerbern im Hinblick auf Stellenbesetzungen bestünden, denen entgegen zu treten sei.
Die Beklagte hat sich zur Begründung Ihres Antrages auf die während des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens gemachten Ausführungen bezogen. Ergänzend trägt sie vor, dass zwar das Fortbestehen des Beamtenverhältnisses gefährdet sein möge, indessen keine Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass der Arbeitsplatz des Klägers im Sinne eines Beschäftigungsverhältnisses gefährdet sei. Die Gleichstellung diene dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu machen. Die Schutzregelung sei nicht so weitreichend, dass damit auch das Begehren, in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit beschäftigt zu werden
bzw. in ein solches übernommen zu werden, umfasst wäre.
Mit Urteil vom 10. September 2012, der Beklagten zugestellt am 24. September 2012, hat das Sozialgericht Kassel den Bescheid vom 11. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2011 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.
Die zulässige Klage sei begründet. Der Bescheid vom 11. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2011 sei rechtswidrig. Der Kläger werde hierdurch in seinen Rechten verletzt. Die Beklagte habe es zu Unrecht abgelehnt, den Kläger schwerbehinderten Menschen gleichzustellen. Der Kläger erfülle die persönlichen Voraussetzungen eines anerkannten
GdB von 30. Indessen könne er nicht, anders als die Beklagte meine, einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73
SGB IX erlangen. Nach § 73
Abs. 1
SGB IX seien Arbeitsplätze im Sinne des Teils 2 alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Das, was als Arbeitsplatz anzusehen sei, sei nicht gegenständlich-räumlich im Sinne von Beschäftigungsort, Beschäftigungsplatz oder Beschäftigungsstelle definiert, sondern rechtlich-funktional: Arbeitsplatz sei diejenige Stelle (Anstellung), in deren Rahmen eine bestimmte Tätigkeit auf der Grundlage eines Arbeits-, Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses mit allen sich daraus ergebenen Rechten und Pflichten vollzogen werde. Diese Auslegung decke sich auch mit dem Sinn und Zweck der Gleichstellung im Sinne von § 2
Abs. 3
SGB IX. Die Gleichstellung diene nämlich dazu, die ungünstige Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder seine Vermittlungschancen zu erhöhen. Ausgehend hiervon sei die Beklagte zu verpflichten gewesen, die Gleichstellung im Sinne von § 2
Abs. 3
SGB IX auszusprechen. Dem Kläger sei nämlich durch seine Erkrankung der Zugang zu einem Arbeitsplatz als Beamter auf Lebenszeit verwehrt. Dies habe das Staatliche Schulamt für den Landkreis Hersfeld-Rothenburg und für den Werra-Meißner-Kreis ausdrücklich in der am 22. Februar 2011 eingegangenen Befragung des Arbeitgebers angegeben. Nur mit der Option der Verkürzung des Prognosezeitraums werde dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen zu werden, und dies wiederum sei nur möglich, wenn der Kläger schwerbehinderten Menschen im Sinne von § 2
Abs. 3
SGB IX gleichgestellt werde.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 16. Oktober 2012 bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingegangen.
Die Beklagte trägt vor, die Gleichstellung diene dazu, eine ungünstige Konkurrenzsituation des behinderten Menschen am Arbeitsplatz oder auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder die Vermittlungschancen zu erhöhen. Die Regelung bezwecke den Schutz vor einer für den behinderten Menschen ungünstigen Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt. Einer solchen Situation sei der Kläger nicht ausgesetzt. Der Kläger habe einen angemessenen und geeigneten Arbeitsplatz. Besondere Ansprüche des Betroffenen müssten bei der Beurteilung, ob die Gleichstellung angezeigt sei, unberücksichtigt bleiben. Um einen solchen besonderen Anspruch handele es sich bei dem Begehren, mithilfe der Gleichstellung in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit beschäftigt zu werden und nicht im Wege eines unbefristeten Angestelltenverhältnisses. Etwas anderes folge auch nicht aus dem Umstand, dass § 73
Abs. 1
SGB IX als Arbeitsplatz auch Stellen nenne, auf denen Beamtinnen und Beamte beschäftigt würden. Der Begriff des Arbeitsplatzes bestimme sich rein rechnerisch, weder in einem gegenständlich-räumlichen Sinne, noch in einem funktionalen Sinne als Inhalt dessen, was arbeitsvertraglich von einem Beschäftigten verlangt werde. Die Auffassung des Sozialgerichts, den Begriff des Arbeitsplatzes im Sinne einer rechtlich-funktionalen Definition zu verstehen, sei demnach unzutreffend.
Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, dass das Sozialgericht die Beklagte unzulässigerweise verpflichtet habe, den Kläger schwerbehinderten Menschen gleichzustellen. § 2
Abs. 3
SGB IX räume ein Ermessen ein. Für eine Ermessensreduzierung auf Null gebe es im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. September 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt vor, das Sozialgericht sei zu Recht von einer rechtlich-funktionalen Interpretation des Arbeitsplatzbegriffs ausgegangen. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage stelle die zulässige Klage dar. Bei Vorliegen einer mangelnden Konkurrenzfähigkeit des behinderten Menschen bestehe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Anspruch auf Gleichstellung. Mit der Formulierung "soll" habe der Gesetzgeber der Beklagten allein ein gebundenes Ermessen zugestanden. Ein atypischer Fall liege nicht vor und werde auch durch die Beklagte nicht behauptet.
Im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 19. Juni 2013 hat der Kläger vorgetragen, die Probezeit sei insgesamt bis zu 5 Jahren verlängert worden. Eine weitere Verlängerung sei nicht mehr möglich gewesen, deshalb habe er in das Angestelltenverhältnis wechseln müssen. Im Falle eines Obsiegens im hiesigen Rechtsstreit würde eine neue medizinische Begutachtung erfolgen. Er habe die Zusage vom Staatlichen Schulamt, auf Lebenszeit ernannt zu werden, wenn diese aufgrund des verkürzten Prognosezeitraums erfolgreich verlaufe.
Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 19. Juni 2013 verwiesen. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 19. Juni 2013 gewesen sind.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verpflichtet, eine Gleichstellung nach
§ 2 Abs. 3 SGB IX auszusprechen.
Nach § 2
Abs. 3
SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem
GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2
Abs. 2
SGB IX vorliegen, schwerbehinderten Menschen (mit einem
GdB von wenigstens 50; § 2
Abs. 2
SGB IX) gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz i.
S. des § 73
SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können.
Beim Kläger wurde mit Bescheid vom 4. Februar 2011 ein
GdB mit 30 festgestellt.
Hinsichtlich des geeigneten Arbeitsplatzes ist auf die Tätigkeit als Berufsschullehrer (Studienrat) im Beamtenverhältnis abzustellen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung auch von einer rechtlich-funktionalen Dimension des Arbeitsplatzbegriffs auszugehen. Arbeitsplatz ist hiernach diejenige Stelle, in deren Rahmen eine bestimmte Tätigkeit auf der Grundlage eines Arbeits-, Dienst oder Ausbildungsverhältnisses mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten vollzogen wird (
BVerwG, Urteil vom 8. März 1999 -
5 C 5/98 - Rn. 12 nach juris; = NZA 1999, 826; Trenk-Hinterberger in: Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 73, Rn. 5
m.w.N.). Der Arbeitsplatzbegriff des
§ 73 SGB IX hat zwar zunächst eine rechnerische Komponente, wie die Beklagte zu Recht hervorhebt, wenn es etwa um die Ermittlung des Umfanges der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers geht. Sie hat aber auch einen rechtlich-funktionalen Bedeutungsgehalt. Nur die Einbeziehung funktionaler Kriterien ermöglicht eine Feststellung, ob
z.B. ein Ersatzbeschäftigungsverhältnis oder eine Vertretung im Sinne des § 73
Abs. 2
Nr. 7
SGB IX vorliegen, bei denen jeweils nur ein Arbeitsplatz zu berücksichtigen ist, oder ob es sich um zusätzlich zu zählende Arbeitsplätze handelt (jurisPK-Goebel § 73 Rn. 8
m.w.N.). Auf die rechtlich-funktionalen Qualitäten des Arbeitsplatzes, insbesondere bei den Eigenheiten der Rechtsstellung aus dem dem Arbeitsplatz zugrundeliegenden Rechtsverhältnis, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch bei Prüfung der Arbeitsplatzgefährdung im Rahmen des § 2
Abs. 3
SGB IX abzustellen (
vgl. speziell zum Beamtenverhältnis:
BSG, Urteil vom 1. März 2011 -
B 7 AL 6/10 R - Rn. 13 nach juris).
Ohne eine rechtlich-funktionale Betrachtungsweise des Arbeitsplatzbegriffs könnte das
SGB IX nicht seinem Auftrag aus
Art. 21 und 26 der Charta der der Grundrechte der Europäischen Union,
Art. 5 der Richtlinie 2000/78/
EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf,
Art. 3
Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz, sowie
§§ 7,
8,
24 AGG i.V.m. § 9 Beamtenstatusgesetz, § 8 Hessisches Beamtengesetz gerecht werden. Ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach den genannten Vorschriften nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im Beamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum Beamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im Beamtenverhältnis ermöglicht wird (
vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 25. Januar 2011 -
5 LC 190/09 - juris; von Roetteken, jurisPR-ArbR 36/2011
Anm. 5). Aus den vorgenannten Umständen folgt auch, dass der Kläger mit der von ihm verfolgten Zielsetzung der Gleichstellung, die Lebenszeiternennung zu erreichen, keinesfalls "besondere Ansprüche" verfolgt, die nicht für eine Arbeitsplatzgefährdung herangezogen werden könnten. Er begehrt lediglich den diskriminierungsfreien Erhalt
bzw. die Wiedererlangung seines Arbeitsplatzes, der nach hessischem Recht typischerweise im Wege des Beamtenverhältnisses ausgestaltet ist.
Der Arbeitsplatz des Klägers auf der Grundlage eines Beamtenverhältnisses war gefährdet
bzw. ist ohne die Gleichstellung nicht wieder zu erlangen.
Hinsichtlich der insoweit maßgeblichen Sach- und Rechtslage zwingt das materielle Recht zu einer differenzierenden Betrachtungsweise (
vgl. zum Folgenden:
BSG, Urteil vom 2. März 2000 -
B 7 AL 46/99 R - juris). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung ist wegen der Rückwirkung zum Antragszeitpunkt und des Charakters als Prognoseentscheidung "in erster Linie" (
BSG a.a.O.) der Zeitpunkt der Antragstellung. Allerdings müssen aufgrund der Schutzrichtung und des Zweckes der Regelung neben dem Sach- und Streitstand bei Antragstellung alle wesentlichen Änderungen der Sach- und Rechtslage bis zur letzten mündlichen Verhandlung Berücksichtigung finden. Z.B. wäre es nicht begründbar, hinsichtlich der gesetzlichen Anordnung einer Rückwirkung der Gleichstellung einen Rechtszustand bis zur endgültigen Entscheidung über die Gleichstellung fortzuschreiben, wenn zwischenzeitlich die Voraussetzungen für eine Gleichstellung entfallen sind. Umgekehrt ist zu beachten, dass der Wegfall der Voraussetzungen für eine Prognoseperspektive ("behalten" bei späterem Wegfall des Arbeitsplatzes) nicht notwendig zur Beendigung der Gleichstellung führt, wenn der Behinderte zugleich infolge der Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht (wieder-)erlangen kann (so ausdrücklich
BSG a.a.O.). Da § 2
Abs. 3
SGB IX auch das Erlangen des geeigneten Arbeitsplatzes mit seiner Schutzrichtung erfasst, ist auch das vom Kläger nunmehr angestrebte Wiedererlangen des Beamtenstatus eingeschlossen.
Der Sachverhalt muss hinsichtlich der Behinderung des Klägers nicht weiter aufgeklärt werden; hinsichtlich der Funktionseinschränkungen und der Prognose ist auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung abzustellen. Insoweit ist der Senat aufgrund der Angaben des Staatlichen Schulamtes und der Schwerbehindertenvertretung davon überzeugt, dass der Kläger damals auf einem geeigneten Arbeitsplatz behindertengerecht eingesetzt worden ist.
Die Behinderung ist auch wesentliche Ursache für eine Arbeitsplatzgefährdung
bzw. für eine fehlende Möglichkeit zur Wiedererlangung des Arbeitsplatzes im Sinne des letzten Halbsatzes des § 2
Abs. 3
SGB IX. Das Staatliche Schulamt führte im Fragebogen, eingegangen am 22. Februar 2011, aus: "Die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ist derzeit in Gefahr, da aus ärztlicher Sicht der Eintritt vorzeitiger Dienstunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Bei einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung wäre eine Prognose hinsichtlich der Dienstfähigkeit für nur noch 10 Jahre zu stellen. Möglicherweise käme der Gutachter unter diesen Voraussetzungen zu einem anderen Ergebnis. Sollte die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht möglich sein, würde Herr A. in einem unbefristeten Angestelltenverhältnis weiterarbeiten können."
Daran hat sich für den Kläger durch den Wechsel in das Angestelltenverhältnis nichts Wesentliches geändert, was im Sinne der differenzierten Betrachtungsweise des maßgeblichen Zeitpunktes der Sach- und Rechtslage in die Prüfung einzustellen wäre. Nach hessischem Beamtenrecht besteht nach wie vor die Möglichkeit zur Verbeamtung bei abstrakter Betrachtungsweise auch aus dem Angestelltenverhältnis heraus ohne Wiederholung der Probezeit, worauf der Kläger zutreffend in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat. Der Senat hat auch keinen Anlass zu Zweifeln am Fortbestehen der Ernennungsbereitschaft des Staatlichen Schulamtes vorbehaltlich des Ergebnisses einer neuen medizinischen Begutachtung.
Andere Umstände, die dem Fortbestand der Kausalität der Behinderung für die Arbeitsplatzgefährdung entgegenstehen, werden von der Beklagten weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Ergänzend ist anzumerken, dass aus beamtenrechtlicher Sicht die Prüfung der gesundheitlichen Eignung einem für den Kläger günstigeren Zeitraum unterliegt als vom Staatlichen Schulamt angegeben. Nach
Nr. II.2. der "Richtlinien zur Integration und Teilhabe schwerbehinderter Angehöriger der hessischen Landesverwaltung - Integrationsrichtlinien -" vom 30. November 2007 (StAnz. 2007, 2756
ff.) ist die Prüfung der gesundheitlichen Eignung bei schwerbehinderten Menschen
bzw. ihnen Gleichgestellten am folgenden Maßstab vorzunehmen: "Bei der Einstellung von schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern ist großzügig zu verfahren und auf die Art der Behinderung Rücksicht zu nehmen. Die körperliche Eignung ist im Allgemeinen auch dann noch als gegeben anzusehen, wenn die schwerbehinderten Menschen nur für die Wahrnehmung bestimmter Dienstposten der Laufbahn, in der sie verwendet werden sollen, körperlich geeignet sind und wenn nach amtsärztlichem Zeugnis davon ausgegangen werden kann, dass die schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerber mindestens fünf Jahre dienstfähig bleiben."
Das Sozialgericht hat die Beklagte auch zu Recht zur Gleichstellung verpflichtet. Der Verurteilung der Beklagten steht nicht entgegen, dass es sich bei § 2
Abs. 3
SGB IX dem Wortlaut nach um eine Soll-Vorschrift handelt. Entsprechend der allgemeinen Grundsätze über Soll-Vorschriften ist auch § 2
Abs. 3
SGB IX so zu verstehen, dass das der Beklagten eingeräumte Ermessen im Regelfall reduziert und somit bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen die Gleichstellung im Regelfall auszusprechen ist (Neumann/Pahlen,
SGB IX, 12. Aufl. 2010, § 2, Rn. 24). Eine atypische Fallgestaltung, die es der Beklagten ermöglichen könnte, den Anspruch im Rahmen ihrer Ermessensausübung abzulehnen, wird von der Beklagten weder vorgetragen noch ist eine solche sonst erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
Da sowohl die rechtlich-funktionale Betrachtungsweise als auch die Einschätzung zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage auf höchstrichterlicher Rechtsprechung beruht, sind Revisionszulassungsgründe nicht ersichtlich. Die von der Beklagten problematisierte Frage, ob in der Situation des Klägers im Angestelltenverhältnis von einer Arbeitsplatzgefährdung auszugehen sei, ist angesichts der geklärten Rechtsfrage, dass der Arbeitsplatzbegriff auch ein rechtlich-funktionales Element aufweist, eine Tatsachenfrage.