1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 25.05.2023 - Az. 5 Ca 1315/22 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Entschädigung in Höhe von mindestens 10.476,78 € aufgrund eines behaupteten Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot wegen seiner Schwerbehinderung.
Der mit einem
GdB von 50 schwerbehinderte Kläger bewarb sich am 02.06.2022 auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle eines Bauingenieurs. Auf den Inhalt der Stellenausschreibung (Bl. 7 der Akte) wird Bezug genommen. Bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist gingen fünf Bewerbungen ein. Alle Bewerber hatten eine Ausbildung zum Ingenieur. Auch der Kläger erfüllt unbestritten die Qualifikationsanforderungen für die ausgeschriebene Stelle. In seinem Bewerbungsschreiben (Bl. 8 der Akte) wies der Kläger wie folgt auf seine Schwerbehinderung hin: "Ich bin schwerbehindert, eventuell könnte die Arbeitsagentur Gehaltszuschüsse erbringen." Drei Bewerber wurden zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Der Kläger erhielt keine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Im Ergebnis der Bewerbungsgespräche entschied sich die Beklagte für einen Kandidaten. Der Kläger erhielt mit E-Mail vom 11.08.2022 (Bl. 9 der Akte) eine Absage.
Bereits im Oktober 2021 hatte die Beklagte eine Stelle als Bauingenieur mit einer Bewerbungsfrist bis 15.10.2021 ausgeschrieben. Die Stellenausschreibung von Oktober 2021 (Bl. 51 der Akte) ist mit der aus Juni 2022 nahe identisch. Die Ausschreibungen unterscheiden sich lediglich in zwei Punkten: Im Oktober 2021 wurde die Stelle befristet ausgeschrieben, wohingegen es sich bei der im Juni 2022 ausgeschriebenen Stelle um eine unbefristete handelte. Zudem enthält die zweite Ausschreibung unter der Aufzählung der Aufgaben einen zusätzlichen Unterpunkt "Mitwirkung beim Aufbau von Datenbanken (GIS) im Bereich Trinkwasser/Abwasser/Fernwärme".
Mit Schreiben vom 14.10.2021 (Bl. 41 der Akte) hatte sich der Kläger seinerzeit bereits auf die befristete Stelle beworben, ohne darauf hinzuweisen, dass er schwerbehindert ist. Bis auf den Hinweis auf die Schwerbehinderung und die Höhe der Gehaltsvorstellung sind die Bewerbungsschreiben des Klägers (
vgl. Bl. 8 und 41 der Akte) identisch. Infolge der Bewerbung des Klägers kam es am 03.11.2021 zu einem Vorstellungsgespräch. Im März 2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er keine Berücksichtigung gefunden habe. Die Stelle wurde in der Folge zunächst nicht besetzt, weil nach Einschätzung der Beklagten keiner der damaligen Bewerber in genügendem Maße über die geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.08.2022 (Bl. 10 der Akte) machte der Kläger gegenüber der Beklagten erfolglos einen Anspruch auf Entschädigung nach
AGG wegen angeblicher Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung in Höhe von 10.476,78 € geltend.
Mit seiner am 10.10.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger diesen Anspruch weiterverfolgt. Er hat hierzu erstinstanzlich angeführt, er habe im Bewerbungsverfahren eine weniger günstige Behandlung erfahren als der später eingestellte Bewerber, weil er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei. Die Beklagte habe weder einen Nachweis zur Erfüllung der Pflichtquote noch einen Nachweis zur Information des Betriebsrats vorgelegt. Da er – insoweit unbestritten - nicht objektiv ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle sei, habe die Beklagte nicht schon anhand der Bewerbungsunterlagen einschätzen können, ob der Kläger für die Stelle geeignet sei. Die Verstöße der Beklagten gegen diverse Vorgaben des
§ 164 Abs. 1 SGB IX indiziere eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung. Keinesfalls habe er nur an versteckter Stelle auf seine Schwerbehinderung hingewiesen. Nach eigenem Vortrag habe die Beklagte die Schwerbehinderung des Klägers übersehen. Insofern sei ihr Vortrag, sie habe den Betriebsrat unterrichtet, unglaubwürdig. Die Behauptung, der Betriebsrat sei mit der beabsichtigten Absage an den Kläger einverstanden gewesen, sei nicht bewiesen. Auf das bereits stattgefundene Vorstellungsgespräch und die daraus gezogenen Erkenntnisse könne sich die Beklagte bereits deshalb nicht berufen, weil es sich nicht um identische Stellenausschreibungen gehandelt habe. Auch sei der Zeitraum zwischen den beiden Stellenausschreibungen so groß, dass sich eine Verwendung der Erkenntnisse aus dem ersten Bewerbungsverfahren verbiete.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 10.476,78 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.09.2022 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, Indizien für eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung im Sinne von
§ 22 AGG lägen nicht vor. Die Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch träfe nur öffentliche Arbeitgeber. Im Falle des Klägers sei eine Einladung deshalb unterblieben, weil die ausgeschriebenen Stellen im Wesentlichen identisch gewesen seien und man aufgrund des persönlich gewonnenen Eindrucks im Vorstellungsgespräch am 03.11.2021 von einer Nichteignung des Klägers ausgegangen sei. Die Ablehnung des Klägers im ersten Bewerbungsverfahren - ohne Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft - spreche gegen eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung.
Die Beklagte hat sich erstinstanzlich auch darauf berufen, dass der Kläger seine Schwerbehinderteneigenschaft lediglich an versteckter Stelle im Bewerbungsschreiben erwähnt und daher nicht ausreichend offengelegt habe. Es liege zudem die Vermutung nahe, dass der Kläger habe täuschen wollen.
Die Beklagte hat ferner die Auffassung vertreten, eine grundsätzliche Pflicht, bei Eingang von Bewerbungen schwerbehinderter Menschen den Betriebsrat oder die – bei der Beklagten unstreitig nicht vorhandene - Schwerbehindertenvertretung zu unterrichten, bestehe nicht.
Die Beklagte hat erstinstanzlich behauptet, sie habe den Hinweis auf die Schwerbehinderung zunächst überlesen, dann aber unmittelbar nach Kenntnis am 28.06.2022 den Betriebsrat von der Bewerbung des schwerbehinderten Klägers und über die Absicht zur Ablehnung des Klägers wegen der bereits bekannten fehlenden Eignung informiert. Der Betriebsrat habe sich mit dieser Entscheidung am 28.06.2022 einverstanden erklärt.
Mit Urteil vom 25.05.2023 (Bl. 68
ff. der Akte) hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anspruch des Klägers auf Entschädigung gemäß
§ 15 Abs. 2 AGG bestehe nicht. Denn die Beklagte habe den Kläger nicht wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Zwar sei der Kläger durch die Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch unmittelbar benachteiligt worden. Es lägen aber bereits keine Indizien im Sinne von § 22
AGG vor, die für sich allein betrachtet oder in einer Gesamtschau mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen ließen, dass zwischen der benachteiligenden Behandlung und der Schwerbehinderung des Klägers der erforderliche Kausalzusammenhang bestehe. Die Beklagte sei gemäß
§ 165 SGB IX nicht verpflichtet gewesen, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Denn bei der Beklagten handele es sich nicht um einen öffentlichen Arbeitgeber. Davon abgesehen sei der Kläger allein deshalb nicht eingeladen worden, weil er aus subjektiver Sicht der Beklagten für die ausgeschriebene Stelle ungeeignet gewesen sei. Diesen Eindruck habe die Beklagte durch das im früheren Bewerbungsverfahren am 03.11.2021 durchgeführte Vorstellungsgespräch gewonnen. In Bezug auf die Rüge der Nichteinhaltung des Verfahrens nach § 164
Abs. 1
SGB IX sei bereits nicht ersichtlich, welcher Verstoß kausal für die Ablehnung des Klägers gewesen sein sollte. Ob der Betriebsrat über die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers unmittelbar informiert worden sei, könne dahinstehen. Denn jedenfalls habe sich der Betriebsrat nach unwidersprochenem Vortrag mit der Entscheidung der Geschäftsführung, die Bewerbung des Klägers abzulehnen, am 28.06.2022 einverstanden erklärt. Ein konkretes Bestreiten des Klägers sei nicht zu erkennen. Wegen der weiteren Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
Gegen das ihm am 04.07.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 02.08.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach fristgerecht gestelltem Fristverlängerungsantrag (Eingang 04.09.2023) innerhalb der bis zum 04.10.2023 verlängerten Frist mit einem am 29.09.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Kläger rügt, vom Erstgericht sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass die Beklagte den Kläger sehr wohl auf seine zweite Bewerbung hin hätte einladen müssen. Zwar ergebe sich eine solche Verpflichtung nicht aus § 165
SGB IX. Auch private Arbeitgeber seien aber aus § 164
SGB VII und § 7
AGG verpflichtet, die Auswahl unter eingehende Bewerbungen unter nichtdiskriminierenden Gesichtspunkten vorzunehmen. Bereits die „Aussortierung“ einer Bewerbung im Vorfeld von Vorstellungsgesprächen sei eine weniger günstige Behandlung.
Die Beklagte habe zudem widersprüchlich dazu vorgetragen, ob sie die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers erkannt habe oder nicht. Sollte die Beklagte trotz des Hinweises im Bewerbungsschreiben die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht zur Kenntnis genommen haben, sei belegt, dass sie objektiv die Förderpflichten aus § 164
Abs. 1
SGB IX nicht erfüllt habe. Der Kläger habe die Beklagte auch nicht etwa täuschen wollen. Vielmehr habe er sich bei seiner Bewerbung im Oktober 2021 nicht auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen, um seine Einstellungschancen zu erhöhen. Erst im zweiten Bewerbungsverfahren 2022 sei er dem Rat der Betreuerin bei der Agentur für Arbeit gefolgt, bei Bewerbungen auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hinzuweisen. Dieser Hinweis sei auch keinesfalls versteckt erfolgt.
Der Kläger rügt, er sei sehr wohl seiner Pflicht zur Darlegung von Indizien für § 22
AGG in ausreichender Weise nachgekommen. So habe er sich bereits erstinstanzlich auf einen Verstoß gegen die Vorgaben des § 164
Abs. 1
SGB IX berufen. Er habe stets bestritten, dass die Beklagte geprüft habe, ob freie Stellen mit schwerbehinderten Personen besetzt werden könnten, und dass im Rahmen dieser Prüfung die Schwerbehindertenvertretung
bzw. der Betriebsrat gehört wurden. Er habe weiter bestritten, dass die Beklagte geprüft hat, ob die Besetzung der Stelle mit einem bei der Agentur
bzw. dem Jobcenter gemeldeten Schwerbehinderten möglich sei. Ferner habe er bestritten, dass der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung von der Beklagten unmittelbar nach Eingang seiner Bewerbung unterrichtet wurden und dass das Erörterungsverfahren nach § 164
Abs. 1 Satz 7
SGB IX durchgeführt wurde. Ebenfalls bestritten habe er, dass der Betriebsrat mit der beabsichtigten Entscheidung einverstanden gewesen ist. Trotz dieses Bestreitens habe die Beklagte nicht weiter konkret zur Beteiligung des Betriebsrats vorgetragen. Auch die nur pauschal behauptete Zustimmung des Betriebsrats sei nicht belegt.
Ein Verweis auf das Vorstellungsgespräch im Jahre 2021 sei der Beklagten verwehrt, da dieses Vorstellungsgespräch unter anderen Vorzeichen stattgefunden habe. Außerdem sei der Zeitraum zwischen den Bewerbungsverfahren zu groß, um von vergleichbaren Situationen ausgehen zu können. Ein Vergleich verbiete sich auch deshalb, da es sich nicht um identisch ausgestaltete Stellen gehandelt habe.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Insbesondere sei der Beklagten der Nachweis gelungen, dass im zweiten im Auswahlprozess die erstmals erwähnte Schwerbehinderteneigenschaft keine Rolle gespielt habe. Es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich die Einschätzung der Beklagten im Hinblick auf die Eignung des Klägers für die im wesentlichen identischen Stellen sich zwischen erster und zweiter Bewerbung hätte ändern sollen. Alleine die Schwerbehinderteneigenschaft könne nicht das einzig positivmotivierende Einstellungskriterium sein. Eine Pflicht zur (erneuten) Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch habe nicht bestanden.
Ein Schadensersatzanspruch sei auch deshalb ausgeschlossen, da der Kläger bei seiner ersten Bewerbung in Täuschungsabsicht gehandelt habe. Denn er habe wesentliche Umstände verschwiegen. Wegen dieser Täuschungsabsicht könne sich der Kläger nicht auf etwaige Verstöße gegen Prüf- und Sorgfaltspflichten schwerbehinderten Menschen gegenüber berufen.
Auf etwaige Einschränkungen in der Mimik und Gestik aufgrund seiner Grunderkrankung könne sich der Kläger nicht berufen. Gerade wegen solcher Defizite habe die Beklagte den Kläger - in Unkenntnis seiner Schwerbehinderung - im ersten Bewerbungsverfahren nicht als überzeugend wahrgenommen. Dass er diese Defizite angeblich durch fachliches Wissen ausgleichen könne, sei für die Beklagte nicht erkennbar gewesen. Zur Begründung ihrer Ablehnung auch im zweiten Bewerbungsverfahren habe sich die Beklagte sehr wohl auf den subjektiven Eindruck aus dem ersten Vorstellungsgespräch stützen können.
Davon abgesehen seien behauptete Verfahrensverstöße nicht substantiiert dargetan. Die Beklagte habe nach Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers alles Notwendige veranlasst. Die Beteiligung des Betriebsrats sei erstinstanzlich bereits geschildert worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz am 19.03.2024 (Bl. 150 der Akte) Bezug genommen.
I. Die Berufung ist zulässig.
Insbesondere wurde die Berufung form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, § 66
Abs. 1 Satz 1
ArbGG, § 64
Abs. 6
ArbGG i.V.m. § 520
Abs. 3
ZPO.
II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht die Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach
§ 15 Abs. 2 AGG abgewiesen. Eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung im Sinne von § 7
Abs. 1
AGG bzw. nach § 164
Abs. 2
S. 1
SGB IX ist nicht feststellbar.
1. Allerdings ist der persönliche Anwendungsbereich des
AGG eröffnet. Der schwerbehinderte Kläger fällt nach
§ 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis unter den persönlichen Anwendungsbereich des
AGG.
2. Der Kläger hat seinen Entschädigungsanspruch auch form- und fristgerecht gemäß § 15
Abs. 4
AGG, § 61b
Abs. 1
AGG geltend gemacht. Darüber streiten die Parteien auch nicht.
3. Der Kläger hat zudem eine unmittelbare Benachteiligung erlitten.
a) § 7
Abs. 1
AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen. Auch nach § 164
Abs. 2
S. 1
SGB IX dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen, wobei in diesem Fall nach § 164
Abs. 2 Satz 2
SGB IX ebenfalls die Regelungen des
AGG gelten. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3
Abs. 1
AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1
AGG genannten Grundes, etwa wegen der Behinderung, eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Dabei stellt bereits die Ablehnung, die betreffende Person zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, eine weniger günstige Behandlung im Sinn des § 3
Abs. 1
AGG dar, weil der Person damit die Chance auf eine Einstellung versagt wird (
vgl. BAG 28.05.2009 - 8 AZR 536/08 - Rn. 31). Auch die Nichtberücksichtigung im Stellenbesetzungsverfahren für die ausgeschriebene Stelle stellt eine weniger günstige Behandlung dar. Darauf, ob es überhaupt andere Bewerber gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob ein ausgewählter Bewerber die Stelle angetreten hat, kommt es nicht an (
BAG 14.06.2023 - 8 AZR 136/22 - Rn. 16;
BAG 31.03.2022 - 8 AZR 238/21 - Rn. 15;
BAG 25.11.2021 - 8 AZR 313/20 - Rn. 20).
b) Da der Kläger im zweiten Bewerbungsverfahren im Juni 2022 gar nicht erst zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde und dann auch bei der Stellenbesetzung unberücksichtigt bleib, ist eine unmittelbare Benachteiligung in diesem Sinne gegeben.
4. Gleichwohl liegt zur Überzeugung der Kammer keine unmittelbare Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vor.
a) Das Benachteiligungsverbot des § 7
Abs. 1
AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1
AGG genannten Grundes. Das spezielle Benachteiligungsverbot des § 164
Abs. 2 Satz 1
SGB IX verbietet eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Zwischen der Benachteiligung und einem in
§ 1 AGG genannten Grund
bzw. zwischen der Benachteiligung und der Schwerbehinderung muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen (
BAG 14.06.2023 - 8 AZR 136/22 - Rn. 18;
BAG 19.01.2023 - 8 AZR 437/21 - Rn. 29).
Soweit es - wie hier - um eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3
Abs. 1
AGG geht, ist für diesen Kausalzusammenhang nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund im Sinne des § 1
AGG -
bzw. an die Schwerbehinderung - anknüpft und durch diesen motiviert ist, wobei bloße Mitursächlichkeit genügt (
BAG 14.06.2023 - 8 AZR 136/22 - Rn. 19;
BAG 19.01.2023 - 8 AZR 437/21 - Rn. 30;
BAG 25.11.2021 - 8 AZR 313/20 - Rn. 23).
§ 22
AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1
AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (
BAG 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 – Rn. 20;
BAG 19.01.2023 - 8 AZR 437/21 - Rn. 31). Danach genügt die Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1
AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (
BAG 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 – Rn. 21;
BAG 19.01.2023 - 8 AZR 437/21 - Rn. 32).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der abzuweichen kein Anlass besteht, begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Diese Pflichtverletzungen sind nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (
BAG 14.06.2023 – 8 AZR 136/22 – Rn. 22;
BAG 19.01.2023 - 8 AZR 437/21 - Rn. 33).
b) Entgegen der Auffassung des Erstgerichts sind in Anwendung der vorgenannten Grundsätze seitens des Klägers ausreichende Indizien für eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung vorgebracht.
aa) Zwar war die Beklagte zur Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch nicht verpflichtet. Eine solche Pflicht trifft gemäß § 165 Satz 3
SGB IX lediglich den öffentlichen Arbeitgeber. Und die Beklagte ist als
GmbH kein öffentlicher Arbeitgeber im Sinne des
SGB IX (
vgl. § 154 Abs. 2 SGB IX).
bb) Jedoch ist es dem Kläger gelungen, einen Verstoß der Beklagten gegen diverse Förderpflichten und Verfahrensvorgaben des § 164
Abs. 1
SGB IX darzulegen.
(1) Anders als die Beklagte meint, ist dem Kläger ein Berufen auf diese Förderpflichten auch nicht etwa deshalb verwehrt, weil er im ersten Bewerbungsverfahren auf seine Schwerbehinderung nicht hingewiesen hatte. Die Beklagte führt an, der Kläger sei in Täuschungsabsicht vorgegangen, so dass es ihm nach Treu und Glauben verwehrt sei, sich auf seine Schwerbehinderung und die dadurch ausgelösten Pflichten zu berufen.
Diese Auffassung der Beklagten ist bereits deshalb nicht richtig, da eine Täuschung nur dann angenommen werden kann, wenn es eine Pflicht zur Offenbarung gibt. Der Kläger war jedoch nicht verpflichtet, im Bewerbungsverfahren auf seine Schwerbehinderung hinzuweisen. Eine generelle Offenbarungspflicht im Hinblick auf eine bestehende Schwerbehinderung besteht nicht, es sei denn, der Bewerber vermag auf Grund seiner Behinderung die vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht zu leisten (
vgl. BAG 18.09.2014 - 8 AZR 759/13 – Juris Rn. 40; Küttner-Kreitner, Personalbuch 2023, Auskunftspflichten Arbeitnehmer Rn. 10). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung die ausgeschriebene Tätigkeit als Bauingenieur nicht leisten könnte, sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Da der Kläger mithin nicht verpflichtet war, seine Schwerbehinderung offenzulegen, liegt in dem Verschweigen seiner Schwerbehinderung im ersten Bewerbungsdurchlauf kein treuwidriges Verhalten.
(2) Die Beklagte hat gegen § 164
Abs. 1 Satz 4
SGB IX verstoßen.
Nach § 164
Abs. 1 Satz 4
SGB IX hat ein Arbeitgeber über vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen nicht nur die - bei der Beklagten nicht existente - Schwerbehindertenvertretung, sondern auch den Betriebsrat unmittelbar nach Eingang zu unterrichten. Eine solche Unterrichtung ist unstreitig zunächst nicht erfolgt.
Selbst zu ihren Gunsten unterstellt, die Beklagte hätte den Hinweis des Klägers in seinem zweiten Bewerbungsschreiben überlesen und sei aus diesem Grund der Unterrichtungspflicht nicht nachgekommen, wäre ein Verstoß gegen § 164
Abs. 1 Satz 4
SGB IX mit Indizcharakter anzunehmen. Denn die Indizwirkung ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung tatsächlich nichts wusste, weil er den diesbezüglichen Hinweis im Bewerbungsschreiben überlesen hat (
BAG 16.09.2008 - 9 AZR 791/07 - Juris Leitsatz; ErfK-Schlachter, 24. Auflage 2024, § 22
AGG Rn. 6). Denn der Arbeitgeber ist verpflichtet, das Bewerbungsschreiben bei seinem Eingang vollständig zur Kenntnis zu nehmen. Die unterlassene Kenntniserlangung der in seinem Einflussbereich eingesetzten Personen wird dem Arbeitgeber als objektive Pflichtverletzung zugerechnet. Auf ein Verschulden der handelnden Personen kommt es nicht an (
BAG 16.09.2008 - 9 AZR 791/07 - Juris Leitsatz).
Die Schwerbehinderung des Klägers war im Bewerbungsschreiben auch ausdrücklich genannt. Der Kläger hat in seinem Bewerbungsschreiben unmissverständlich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen und diesen Hinweis zusätzlich mit einem Verweis auf potenzielle Fördermöglichkeiten durch die Agentur für Arbeit verknüpft. Vor diesem Hintergrund kann nicht von einem „versteckten Hinweis" gesprochen werden. Ob der Kläger zusätzlich seinen Schwerbehindertenausweis vorgelegt hat, kann dahinstehen. Denn es reicht aus, eine Information über die bestehende Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben aufzunehmen (
BAG 22.10.2015 - 8 AZR 384/14 - Juris Rn. 31;
BAG 18.09.2014 - 8 AZR 759/13 - Juris Rn. 33).
Ein unmittelbares Unterrichten liegt selbst dann nicht vor, wenn man den vom Kläger bestrittenen Vortrag der Beklagten als richtig unterstellt, sie habe den Betriebsrat am 28.06.2022 über die Bewerbung des Klägers informiert. Denn angesichts des dazwischenliegenden Zeitraums von mehreren Wochen kann von einer Unmittelbarkeit in diesem Sinne nicht die Rede sein.
(3) Es ist auch von einem Verstoß der Beklagten gegen die Erörterungspflicht gemäß § 164
Abs. 1 Satz 7
SGB IX auszugehen.
Die Beklagte traf die Pflicht nach § 164
Abs. 1 Satz 7
SGB IX, da sie die Beschäftigungsquote nach § 154
Abs. 1
SGB IX nicht erfüllt. Hiervon ist nach dem Parteivorbringen auszugehen. Der Behauptung des Klägers, die Beklagte erfülle die Beschäftigungsquote nicht, ist diese nicht konkret entgegengetreten. Und eine Erfüllung der Quote hat auch der Beklagtenvertreter auf Befragen der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung zweiter Instanz nicht behauptet. Vielmehr ging er selbst von einer dem Grunde nach bestehenden Pflicht der Beklagten zur Einhaltung der Erörterungspflicht nach § 164
Abs. 1 Satz 7
SGB IX aus.
Die Beklagte hat zwar behauptet, den Betriebsrat am 28.06.2022 über die Absicht, den schwerbehinderten Kläger wegen der Erkenntnisse aus der ersten Bewerbungsrunde nicht einzustellen, informiert zu haben. Und der Betriebsrat habe hierzu noch am 28.06.2022 sein Einverständnis erklärt. Konkrete Angaben zu Form und Inhalt der Unterrichtung, zu der durchgeführten Erörterung und zu der genauen Art und Weise des angeblich erklärten Einverständnisses hat die Beklagte jedoch nicht gemacht. Ein solch konkretisierender Vortrag wäre allerdings erforderlich gewesen. Zwar hatte die erste Instanz den diesbezüglichen Vortrag der Beklagten als ausreichend angesehen. Spätestens im Berufungsverfahren hat der Kläger jedoch unter Berufung auf sein bereits erstinstanzlich erfolgtes Bestreiten die fehlende Substanz des Vortrags der Beklagten gerügt.
Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast oblag es der Beklagten, die Erfüllung der Pflichten des § 164
Abs. 1
SGB IX darzutun. Zwar hat im Verfahren um eine Entschädigung nach
AGG grundsätzlich der schwerbehinderte Bewerber Indizien für den Kausalzusammenhang zwischen seiner Schwerbehinderung und der Benachteiligung vorzubringen. Von dem außenstehenden Bewerber kann für die von ihm nur vermutete Tatsache eines Verstoßes des Arbeitgebers gegen Verfahrenspflichten jedoch kein Vortrag zu greifbaren Anhaltspunkten verlangt werden. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass es sich um tatsächliche Verhältnisse in der Sphäre des Prozessgegners handelt, in die ein Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis regelmäßig keinen Einblick hat und sich auch zumutbar nicht verschaffen kann (
vgl. dazu
BAG 14.06.2023 - 8 AZR 136/22 - Rn 37). Insofern reichte das pauschale Bestreiten des Klägers in Bezug auf die Einhaltung der Unterrichtungs- und Erörterungspflichten im vorliegenden Fall aus. Und von der Beklagten konnte im Rahmen der sie treffenden sekundären Darlegungslast das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Umstände verlangt werden.
Diesen Anforderungen wird ihr Vortrag nicht gerecht. Sie hat lediglich pauschal behauptet, der Betriebsrat sei am 28.06.2022 unterrichtet worden und habe der Ablehnung des Klägers zugestimmt. Es wäre jedoch erforderlich gewesen, konkret dazu vorzutragen, mit welcher Information sie den Betriebsrat unterrichtet und wie genau sie mit ihm die beabsichtigte Absage erörtert haben will. Angaben der Beklagten dazu, auf welche Weise der Betriebsrat zugestimmt hat, fehlen ebenso. Ihren Vortrag hat die Beklagte trotz wiederholter Rüge des Klägers nicht substantiiert. Angesichts dieser Rüge war ein gerichtlicher Hinweis auf die Substantiierungslast der Beklagten nicht mehr erforderlich.
(4) Auch zur Einhaltung der weiteren Verfahrenspflichten aus § 164
Abs. 1
SGB IX - etwa zur Prüfpflicht des Arbeitgebers nach Satz 1, zur Aufnahme der Verbindung mit der Agentur für Arbeit und zur Beteiligung des Betriebsrats nach Satz 6 bei der Prüfung nach Satz 1 - fehlt Vortrag der Beklagten.
cc) Hinzu kommt die Nichterfüllung der Mindestbeschäftigungsquote nach § 154
Abs. 1
SGB IX selbst, die – jedenfalls im Rahmen der anzustellenden Gesamtschau – Berücksichtigung finden kann.
Zwar dürfte die Nichterfüllung der Quote für sich genommen kein geeignetes Indiz für eine Benachteiligung wegen der Behinderung darstellen (so auch
LAG Hamm 13.06.2017 - 14 Sa 1427/16 - Juris Rn. 91;
LAG Köln 18.09.2008 - 13 Sa 531/08 – Juris Rn. 28; anders etwa Greiner NJW 2019, 3483, 3486). Jedenfalls zusammen mit weiteren Indizien kann die Nichterfüllung der Quote jedoch den Eindruck verstärken, dass an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen wenig Interesse besteht.
c) Trotz der vorliegenden Indizien hat die Beklagte den Kläger zur Überzeugung der Kammer dennoch nicht wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt, als sie ihn in der zweiten Bewerbungsrunde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat. Denn der Beklagten ist der erforderliche Gegenbeweis gelungen.
aa) Besteht nach § 22
AGG aufgrund der Indizienlage die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass das Benachteiligungsverbot nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt das Beweismaß des sogenannten Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und
ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1
AGG genannten Gründe – hier die Schwerbehinderung - zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (
BAG 14.06.2023 - 8 AZR 136/22 – Rn. 42;
BAG 27.08.2020 - 8 AZR 45/19 - Rn. 30).
bb) Vorliegend ist die Kammer – ebenso wie letztlich das Erstgericht - zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte den Kläger ausschließlich deshalb unberücksichtigt ließ, weil sie wegen des bereits durchlaufenen ersten Bewerbungsverfahrens von seiner Nichteignung ausging.
(1) Die Beklagte hat zu Recht auf den Umstand hingewiesen, dass sie sich bereits im ersten Bewerbungsverfahren in einem persönlichen Vorstellungsgespräch ein Bild von der Eignung des Klägers für die vorgesehene Stelle machen konnte. Unbestritten vorgetragen hat sie, dass die Stelle zunächst unbesetzt geblieben ist, da aus dem ersten Bewerberfeld niemand als ausreichend geeignet erachtet wurde. Da der Kläger im ersten Bewerbungsverfahren nicht auf seine Schwerbehinderung hingewiesen hatte, konnte die Bewertung der Beklagten, den Kläger als nicht geeignet anzusehen, nichts mit seiner Schwerbehinderung zu tun haben.
(2) Aus Sicht der Kammer ist das Vorstellungsgespräch, das bei der neuerlichen Bewerbung im Juni 2022 rund sieben Monate zurücklag, auch geeignet, als Beleg gegen eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung herangezogen zu werden. Die Beklagte hat sich bei dem Vorstellungsgespräch mit dem Kläger ein persönliches Bild von seiner Eignung und seinen sonstigen Fähigkeiten machen können. Aufgrund der aus ihrer Sicht fehlenden Eignung des Klägers hat sie sich dann im zweiten Bewerbungsverfahren für einen anderen – aus ihrer Sicht geeigneteren – Bewerber entschieden. Anders als dem öffentlichen Arbeitgeber (
Art. 33
Abs. 2
GG) steht es dem privaten Arbeitgeber grundsätzlich frei, unter mehreren Bewerbern den aus seiner Sicht geeignetsten herauszusuchen. Und angesichts des Umstands, dass der Kläger im ersten Bewerbungsverfahren auf seine Schwerbehinderung nicht hingewiesen hatte, ist es ausgeschlossen, dass die Einschätzung der Beklagten in Bezug auf seine Nichteignung etwas mit der Schwerbehinderung zu tun hatte.
(3) Mit seinem Einwand, wegen mit seinem Grundleiden zusammenhängender Einschränkungen bei Gestik und Mimik hätte er im zweiten Bewerbungsverfahren die Chance erhalten müssen, sich erneut in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren, dringt der Kläger nicht durch. Denn die Verfahrens- und Förderpflichten des
SGB IX zielen zwar darauf ab, die Bewerbungschancen des schwerbehinderten Bewerbers zu erhöhen. Eine generelle Pflicht, jeden (nicht un)geeigneten schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, besteht jedoch nicht. Eine solche Pflicht trifft nach § 165
SGB IX nur den öffentlichen Arbeitgeber. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die angeblichen Defizite des Klägers weder zum Zeitpunkt der Durchführung des Vorstellungsgesprächs noch bei der zweiten Bewerbung auf Seiten der Beklagten bekannt waren. Und ohne einen entsprechenden Hinweis des Klägers darauf, dass er im ersten Vorstellungsgespräch aufgrund von Einschränkungen in Mimik und Gestik womöglich nicht sein volles Potenzial für die ausgeschriebene Stelle zeigen konnte, war es der Beklagten nicht möglich zu antizipieren, dass der Kläger in einem zweiten Gespräch möglicherweise Zweifel an seiner Eignung würde ausräumen können. Ohne einen solchen Hinweis des Klägers war es der Beklagten aus Sicht der Kammer nicht verwehrt, den erst rund ein halbes Jahr zuvor gewonnenen Eindruck zum Anlass zu nehmen, die neuerliche Bewerbung des Klägers von vornherein auszusortieren.
(4) Mit dem Erstgericht ist auch die erkennende Kammer in diesem Zusammenhang der Auffassung, dass sich die beiden Stellen in ausreichender Weise gleichen, um Erkenntnisse aus dem ersten Bewerbungsverfahren heranziehen zu können. Das Anforderungsprofil der beiden Stellen ist identisch, der Aufgabenumfang ist – mit Ausnahme eines untergeordneten Teilbereichs – ebenfalls deckungsgleich und die Ausschreibung als befristete oder unbefristete Stelle hat bezogen auf die Frage der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber keine Aussagekraft.
(5) Der Beklagten ist es auch nicht etwa verwehrt, sich wegen des Zeitablaufs von etwas mehr als einem halben Jahr auf das in der ersten Bewerbungsrunde durchgeführte Vorstellungsgespräch und die darin gewonnenen Erkenntnisse zu berufen.
Entgegen der Darstellung des Klägers macht die von ihm hierzu zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.06.2020 (8 AZR 75/19) keine Vorgaben in Bezug auf die zeitliche „Verwendbarkeit“ solcher Erkenntnisse. Der Kläger suggeriert, das Bundesarbeitsgericht habe eine irgendwie geartete zeitliche Grenze für entsprechend gewonnene Erkenntnisse statuiert. In dem zitierten Fall ging es jedoch um die Frage, ob der öffentliche Arbeitgeber bei der zeitgleichen Ausschreibung mehrerer Stellen mit identischen Anforderungsprofilen den schwerbehinderten Bewerber zu mehreren Vorstellungsgesprächen einladen muss. Dies hat das Bundesarbeitsgericht verneint, sondern ausgeführt, dass der Zweck der Einladungspflicht darin besteht, dem schwerbehinderten Bewerber die Chance einzuräumen, sich in einem persönlichen Gespräch zu präsentieren, was auch bei einer einmaligen Chance gewährleistet sei. Die Entscheidung erging zu der – hier nicht bestehenden – Einladungspflicht des öffentlichen Arbeitgebers nach § 165 Satz 3
SGB IX bzw. § 82 Satz 2 SGB IX a.F. und trifft zu der Widerlegung von Indizien durch die Heranziehung von Erkenntnissen aus einem bereits durchgeführten Bewerbungsverfahren keine Aussage. Die Entscheidung bleibt für die Frage, wie lange ein Vorstellungsgespräch zurückliegen darf, um hieraus Erkenntnisse für eine aktuelle Bewerbungsrunde ziehen zu dürfen, ohne Aussagekraft.
Angesichts der nahezu identischen Stellen ist es nicht angezeigt, der Beklagten ein Berufen auf die aus der ersten Runde gewonnenen Erkenntnisse zu verwehren. Zur Kenntnis der Beklagten haben sich – abgesehen von der mitgeteilten Schwerbehinderung - auch weder die persönlichen Umstände des Klägers noch die Anforderungen an die Stelle zwischen November 2021 und Juni 2022 geändert. Vor diesem Hintergrund erscheint es nachvollziehbar, dass die Beklagte angesichts der von ihr ein halbes Jahr zuvor diskriminierungsfrei festgestellten Nichteignung des Klägers seine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch als zwecklos angesehen hat.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt gemäß § 97
Abs. 1
ZPO der Kläger.
IV. Anlass für die Zulassung der Revision bestand nicht. Die Kammer hat anhand der höchstrichterlich aufgestellten Grundsätze den vorliegenden Einzelfall.